WAGNER: Tannhäuser, Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf (Premiere: 04.05.2013)

  • In der aktuellen Ausgabe der Opernwelt ist auf Seite 46 ein kleiner Artikel von Regine Müller zum Tannhäuser:


    Ich fasse den Artikel kurz zusammen:


    "[...] Das Debakel ist kein Betriebsunfall, sondern Indiz für eine systemische künstlerische Krise der Rheinoper".


    "Dabei verströmt der Abend letztlich zähe Langeweile"


    "Auch musikalisch ist der Abend durchwachsen: [...]

  • Zitat von Eugen Onegin


    In der aktuellen Ausgabe der Opernwelt ist auf Seite 46 ein kleiner Artikel von Regine Müller zum Tannhäuser: Ich fasse den Artikel kurz zusammen:
    "[...] Das Debakel ist kein Betriebsunfall, sondern Indiz für eine systemische künstlerische Krise der Rheinoper".
    "Dabei verströmt der Abend letztlich zähe Langeweile"
    "Auch musikalisch ist der Abend durchwachsen: [...]


    Die Langeweile ist wahrscheinlich auch dafür verantwortlich, dass 12 Leute einen Notarzt brauchten.


    Tharon

  • Zwei isarelische Künstler fordern eine Wiederaufnahme der abgesetzten Inszenierung, in einem Offenen Brief an den Intendanten der Deutschen Oper am Rhein: "http://www.spiegel.de/kultur/musik/offener-brief-zur-abgesetzten-inszenierung-von-wagners-tannhaeuser-a-902583.html"


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

  • Wolltet Ihr nicht mal wieder was zum RT, zwecks Steigerung der Foren-Lebhaftigkeit..?


    Bitte schön... Ich versuch's mal - auch wenn der thread schon etwas älter ist.


    Ich fange mal mit einer kleinen Blütenlese an und hoffe auf ordentlichen Zoff! Jawollja!


    Nur ganz kurz: ich halte nix davon, eine Inszenierung vom Plan zu nehmen, wenn sie die Premiere erlebt hat. Dann soll man die Aufführungsserie (idR werden das 10 bis 15 Vorstellungen sein) laufen lassen, kann sich jede/r, der das möchte, einen eigenen Eindruck verschaffen. Mir ist diese ganze Aufregung nicht nachvollziehbar. Das Abendland geht nicht davon unter, dass eine Theateraufführung kontrovers aufgenommen wird. Und wenn es mir mal nicht gefällt, so what?

    Sehe ich ebenso. Mir fällt dazu einiges ein, was in der Uraufführung aber so etwas von durchfiel - Carmen, Sacre, Moliéres Tartuffe...


    Die Welt dreht sich, die Gesellschaft wandelt sich, Werte werden neu verhandelt. So banal das klingt, man bedenke es stets. Wenn ich den Skandal um Tannhäusers Sünde in der heutigen Zeit nicht mehr glaubhaft mit der historischen Bühne zeigen kann und mir eine Alternative überlege, um die gewünschte Wirkung hervorzurufen (natürlich ist der Regisseur auf eine bestimmte Wirkung aus, aber ist das wirklich so schändlich??? Wagner selbst war genauso auf Wirkung aus!!!) zu erzielen, dann muss man konkret werden und kann nicht darauf hoffen, dass sich der Zuschauer in einer wollig-warmen Venusgrotte schon das KZ dazudenkt. Das wird nämlich in 99,9% der Fälle nicht passieren.

    Tannhäuser ist ins Bordell gegangen und hat sich mit einer Dirne eingelassen – was, bitte, ist der Hörselberg und Venus sonst für ein Symbol ? Das ist für die (damalige = mittleres 19. Jahrhundert) Gesellschaft ein so schweres Vergehen/Verbrechen, dass nur der Papst die Schuld wegnehmen kann. Bloß im 21. Jahrhundert kratzt es keine Menschenseele, ob Meier oder Müller – oder auch Tannhäuser – seine Erfüllung im Puff findet. Das ist nicht einmal eine ganz gewöhnliche Verwaltungsübertretung (wenn nicht Minderjährige im Spiel sind).


    Um heutigen (jungen ?) Menschen ein Verbrechen, das nur der Papst tilgen kann, zu zeigen, muss man ein anders, kräftigeres Symbol hernehmen. Und es gibt kein größeres Verbrechen als die Untaten der Nazis allgemein und insbesondere den Holocaust.

    Ich halte das für ein sehr weit verbreitetes Missverständnis. Es kommt überhaupt nicht darauf an, ob das Publikum das verdammenswert findet oder normal, oder glaubt, daß das nur der Papst verzeihen kann, sondern einzig und allein darauf, wie die Protagonisten und die Ritter und Frauen der Wartburg dazu stehen. Die innere Logik eines Stückes erschließt sich nur, wenn man es aus dem Sichtwinkel der Protagonisten betrachtet. Das gilt für alle fiktionalen Genres und ist in anderen Opern, Theaterstücken, Romanen, Filmen, sogar im Märchen nicht anders. Es kommt nicht darauf an, ob das Publikum es vertretbar findet, daß ein junger Mann aus gutem Hause eine Tb-kranke Nutte heiratet, sondern daß dessen Vater dagegen ist (Traviata), es kommt nicht darauf an, daß das Publikum glaubt, daß man seinen Verlobten nicht mehr erkennt, wenn er sich einen Turban aufsetzt und einen Bart anklebt, sondern daß die betroffenen Frauen das tun (Cosi), es kommt nicht darauf an, ob das Publikum es moralisch in Ordnung findet, eine Frau als Preis eines Wettschießens auszusetzen (Freischütz) - das ist beliebig fortsetzbar. Man muß sich schon darauf einlassen, solange die Oper dauert, sonst ist der Plot vorneherein Quatsch. Im Märchen muß ich, solange das Märchen erzählt wird, die Existenz von Hexen, Zwergen, Riesen, Zauberern, Drachen, Wunschbrunnen, Dukateneseln und anderer Dinge akzeptieren, wie immer(!) ich sie mir auch vorstelle und interpretiere, sonst funktioniert das Märchen nicht, auch wenn es das alles in meiner Welt nicht gibt - das ist nämlich die Realität der Protagonisten, die sich genau damit auseinandersetzen müssen, nicht meine bzw. die des Publikums!
    Genau das (und nur das!) macht aber ein gutes Regiekonzept aus: Inwieweit die Interpretation und die von ihr gesetzten Randbedingungen in der gewählten Repräsentation zu einem widerspruchsfreien Bild füht, in welcher Umgebung auch immer das stattfindet, egal ob historisierend, mit aktuellen Bezügen oder was auch immer. Wenn man sagt, das Essen müsse dem Gast schmecken und nicht dem Koch, dann ist hier selbstverständlich mit dem Gast NICHT das Publikum gemeint: Es muß den Protagonisten passen!


    Ich behaupte mal, dass die meisten Zuschauer eh nur aus Prestigegründen in Oper und Konzert gehen. Sich einlullen lassen und einfach wohl fühlen, schließlich ist der tägliche Überlebenskrampf hart genug.

    Womit begründest Du diese Einschätzung? Du bist damit zwar nicht allein (die findet man häufig in Kommentaren zu Meldungen in der Tagespresse, die sich mit der Ausgabe von Steuergeldern für Oper und Konzert befassen), aber meine Beobachtung ist eine andere. Die Leute, die ich kenne und die in Oper und Konzert gehen, gehen dort durchweg aus Begeisterung und Leidenschaft hin. Ich nehme mal an (sic: Annahme!), daß die Mitgleder dieses Forums auch aus Begeisterung und Leidenschaft hingehen. OK: nicht-repräsentative Gruppe. Nur: die Gruppe der Opern. und Konzertbesucher ist per se eine nicht-repräsentative Gruppe. Anders argumetiert: Prestigegründe setzen voraus, daß es alle mitkriegen, damit mein gesellschaftlicher Status steigt - und sie müssen das auch noch beneidenswert finden, sonst hat's keinen Statuswert. Wenn sie Oper aber ohnehin blöd finden, kann ich damit niemand beeindrucken. Wenn ich nun in die Oper oder ins Konzert gehe, kriegen das aber keineswegs alle mit, die ich damit potentiell beeindrucken könnte oder möchte. Mein Nachbar vielleicht, aber der geht selber hin. Oder die Dame an der Hotelrezeption eines Festspielortes, der es nach drei Tagen auffällt, daß ich jeden Abend im dunklen Anzug ausgehe und nachfragt. Wär ich mit Jeans und Sakko gegangen, wär's ihr nicht mal aufgefallen. Das war's dann aber auch schon mit der Breitenwirkung: Ich häng mir ja in der U-Bahn kein Schild um, mit der Aufschrift "ich gehe in die Oper" und die übrigen Opernbesucher kann ich mit meinem Opernbesuch ja schlecht beindrucken: Wenn alle einen Ferrari haben, dann habe ich keinen Prestigegrund mehr einen Ferrari zu haben... (ausser den, daß keinen Ferrari zu haben, dann deklassiered wäre. Aber ich glaube, das muß man im Opern- und Konzertbereich nicht fürchten :D )


    Der Herr Tannhäuser hat also Leichen im Keller, da an Völkermord beteiligt gewesen, folglich gesellschaftlich geächtet. Klare Ausgangssituation. Aber wie ging es dann in dieser Skandalinszenierung eigentlich weiter? Hat der Wanderstecken Blätter ausgetrieben, am Ende wieder Friede, Freude, Eierkuchen, gesellschaftliche Rehabilitierung, wie es das Wagner-Libretto vorsieht, trotz KZ-Untaten? (Sorry, dass ich Euch frage, ich habe die entsprechende Premierenberichterstattung im Blätterwald immer noch nicht gelesen).

    Das finde ich eine sehr bemerkenswerte und wichtige Frage. Leider ist sie in der darauf folgenden Diskussion völlig ungehört verhallt und bis heute unbeantwortet. Wie schrieb brunello:

    es gibt kein größeres Verbrechen als die Untaten der Nazis allgemein und insbesondere den Holocaust.

    Was geschah also in der Schlußszene? Brachten die Pilger den grünen Stab? Mithin also die Rehabilitation dieser Untaten durch Gott selbst?
    Oder wurde der Chor der Jüngeren Pilger und das nachfolgende Ensemble gestrichen? Ihr "Heil! Heil!" wäre in diesem Kontext ja vielleicht doch etwas unpassend gewesen?
    (Ich weiß: ist vier Jahre her...)

    viele Grüße


    Bustopher



    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Zitat

    Das finde ich eine sehr bemerkenswerte und wichtige Frage. Leider ist sie in der darauf folgenden Diskussion völlig ungehört verhallt und bis heute unbeantwortet. Wie schrieb brunello:

    Was geschah also in der Schlußszene? Brachten die Pilger den grünen Stab? Mithin also die Rehabilitation dieser Untaten durch Gott selbst?
    Oder wurde der Chor der Jüngeren Pilger und das nachfolgende Ensemble gestrichen? Ihr "Heil! Heil!" wäre in diesem Kontext ja vielleicht doch etwas unpassend gewesen?
    (Ich weiß: ist vier Jahre her...)

    Hat da keiner eine Information?


    Offensichtlich hat's ausser Eugen Onegin keiner gesehen. Und der ist seit einem Jahr nicht mehr aktiv gewesen. Schade.


    Das hätte mich denn doch brennend interessiert, wie der Kosminski den Schluß gestaltet hat...

    viele Grüße


    Bustopher



    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Das hätte mich denn doch brennend interessiert, wie der Kosminski den Schluß gestaltet hat...

    Wobei der ganze Rest mindestens ebenso interessant gewesen wäre. Den Schluss kriegt man schon irgendwie gebacken, wenn man alles andere hinkriegt. Ich gestehe, dass ich starke Zweifel habe, dass das Stück mit dieser Drehung noch zu erzählen ist. Und sollte es doch gelungen sein, muss Kosminski ein ganz unerhört genialer Opernregisseur sein und überaus minutiös gearbeitet haben. Dann müsste aber jeder einzelne Vorgang sensationell gewesen sein. Schon wenn er es hingekriegt hat, dass man versteht, warum Tannhäuser den Wartburgrittern einen Besuch im KZ empfiehlt, um zu lernen, was Liebe ist, verdient er restlose Bewunderung. Dann muss er ein wahrer Zauberer sein. Allerdings frage ich mich. wenn das ein Beispiel für das sog. »Regietheater« sein soll, und der Begriff als sinnvoll angemommen wird, warum dreht sich die Diskussion dann nicht um die Regie bzw. findet gar nicht erst statt, wenn man darüber nichts weiß, wie es ja offensichtlich der Fall ist?

  • Hab's gefunden:
    http://www.kosminski.eu/BCK/In…nterviews_Tannhaeuser.pdf
    keine göttliche Generalabsolution für begangene Verbrechen, sondern Verzeihung durch die Opfer
    (Der Hirt ist das Kind des zu Beginn erschosenen Paares)
    Wobei: dann gibt's natürlich einen Bruch zwischen dem Spiel und dem Text....


    Kritiken gibt's hier:
    http://www.kosminski.eu/BCK/In…/Kritiken_Tannhaeuser.pdf


    und Kommentare hier:
    http://www.kosminski.eu/BCK/In…ommentare_Tannhaeuser.pdf

    viele Grüße


    Bustopher



    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Von der Aufführung sind nur bruchstückhafte Erinnerungen geblieben. Und auch das Wiederlesen meines Eintrags hier aus 2013 frischt das zum Glück nicht auf. Die Hinrichtung auf der Bühne hat den Abend überlagert, der Rest der Aufführung, immerhin alles nach der Ouvertüre, war zusammenhangloses Schmuckwerk mit erinnerten Bilderfetzen: Warmsingen für den Sängerwettstreit, Vergewaltigung der Elisabeth durch Wolfram. Außerdem eine Einführung im Foyer nach der man sich auf die Aufführung freute weil `viele Diskussionen` im Anschluß versprochen wurden.... Diesen ablehnenden Bericht kann man noch nachlesen:
    http://www.omm.de/veranstaltun…122013/D-tannhaeuser.html


    Berichtet und diskutiert wurde im Anschluß über diese `Pantomime` und die Absetzung der Inszenierung.

  • im Zweifelfalle auch mal ein anderes großes Forum besuchen.
    Da gibt es einen unterhaltsamen + lustigen Phantom-Thread zum Düsseldorfer Tannhäuser :thumbup:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

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