Johannes Brahms: Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73 - Werk und Aufnahmen

  • Es wird eine Regietheater-ähnliche Diskussion ... "Was wollte der Komponist eigentlich erreichen und wie kann man diese Absicht heute am besten verfolgen?

    ja warum nicht?


    Meine Argumente bezogen auf die 2. Sinfonie:

    - Das simple Streichen der Wiederholung ist nur auf den ersten Blick eine gute Lösung, solange man sich nicht zu intensiv mit dem Notentext beschäftigt. Es ist aber bereits ein Eingriff in die Partitur mit Kollateralschäden. Beispielsweise werden die Überleitungen zur Durchführung und die zur Coda unlogisch. Im Original verkürzt Brahms die Überleitungen sukzessive von 8 Takten (prima volta) auf 4 Takte (seconda volta), schließlich auf 0 Takte (Coda). Das hat nur Sinn, wenn vorher die 8taktige prima volta gespielt wurde (die seconda volta ist eine verkürzte Variation davon).

    - Wenn man schon in den Notentext eingreift, kann man das besser machen, z.B. indem man das brahmssche Modell der Scheinwiederholung einarbeitet. Wäre ein ziemlicher kompositorischer Aufwand, regietheatermäßig aber nicht unmöglich. Einfacher wäre das Streichen der seconda volta analog zur Überleitung Reprise-Coda.

    Nicht dass ich ein Fan von solchen Eingriffen wäre. Lieber ist mir, die Expo + Whg werden so gespielt dass einem nicht langweilig wird :P .


    Weiteres Hauptargument bezogen auf alle 4 Sinfonien:

    Wer nur die Nr. 1-3 ohne Expo-Whg. kennt, staunt nicht schlecht wenn er in der 4. Sinfonie auf einmal eine Expo-Whg zu hören vermeint. Die Durchführung startet nämlich exakt wie eine Wiederholung. Folgt die 4. Sinfonie der "Konvention", die früheren drei dagegen nicht?!

    So ist es mir tatsächlich in meiner Jugend ergangen, schwupps war ich für das Problem sensibilisiert. Tut mir leid dass ich bis heute nicht locker lassen kann.


    Vorschlag: Wie es generell mit Expo-Wiederholungen aussieht, fände ich besser dort diskutiert:

    Danke Gurnemanz für den Thread-Link, den ich schon vergeblich gesucht hatte.

    Hier habe ich eigentlich schon meine wichtigsten Argumente zusammengefasst. Die nachfolgende Diskussion hatte ich damals nicht mehr ganz verfolgt, war dem Forum zeitweise aus privaten Gründen ganz fern geblieben.


    Gruß,

    Khampan

  • - Das simple Streichen der Wiederholung ist nur auf den ersten Blick eine gute Lösung, solange man sich nicht zu intensiv mit dem Notentext beschäftigt. Es ist aber bereits ein Eingriff in die Partitur mit Kollateralschäden. Beispielsweise werden die Überleitungen zur Durchführung und die zur Coda unlogisch. Im Original verkürzt Brahms die Überleitungen sukzessive von 8 Takten (prima volta) auf 4 Takte (seconda volta), schließlich auf 0 Takte (Coda). Das hat nur Sinn, wenn vorher die 8taktige prima volta gespielt wurde (die seconda volta ist eine verkürzte Variation davon).

    Da stimme ich völlig zu.


    Ich meine, dass jedes Abweichen vom Notentext der Rechtfertigung bedarf und einem "höheren Ziel" dienen muss.


    Das höhere Ziel ist, so meine Vermutung, dass der Kopfsatz für alle die, die ihn schon gut kennen, stringenter wird, wenn man die Wiederholung weglässt. Dass der Hörer dann um acht Takte Überleitung betrogen wird, wird dabei geringer gewichtet als der Gewinn durch höhere Stringenz.

    Wer nur die Nr. 1-3 ohne Expo-Whg. kennt, staunt nicht schlecht wenn er in der 4. Sinfonie auf einmal eine Expo-Whg zu hören vermeint. Die Durchführung startet nämlich exakt wie eine Wiederholung. Folgt die 4. Sinfonie der "Konvention", die früheren drei dagegen nicht?!

    Das im Kopfsatz der Vierten ist in der Tat ein toller Kunstgriff. Leider ist es wie mit Witzen, die man zum zweiten Mal erzählt ...

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Wer nur die Nr. 1-3 ohne Expo-Whg. kennt, staunt nicht schlecht wenn er in der 4. Sinfonie auf einmal eine Expo-Whg zu hören vermeint. Die Durchführung startet nämlich exakt wie eine Wiederholung. Folgt die 4. Sinfonie der "Konvention", die früheren drei dagegen nicht?!

    Das im Kopfsatz der Vierten ist in der Tat ein toller Kunstgriff. Leider ist es wie mit Witzen, die man zum zweiten Mal erzählt ...

    wenn mich nicht alles täuscht, war der Witz schon mal im Finale der 2. erzählt worden.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • wenn mich nicht alles täuscht, war der Witz schon mal im Finale der 2. erzählt worden.

    ich glaube der Witz ist sehr viel älter. Mindestens seit Brahms 2. Serenade op. 16 (1. Satz).

    Bei Beethoven bin ich nicht sicher, vielleicht die eine oder andere Ouvertüre.

    Aber Mozart Haffner-Sinfonie, 4. Satz.

    Überhaupt ist die Ähnlichkeit dieses Kniffs mit der Rondoform so deutlich (gleicher Beginn von Exposition, Durchführung, Reprise, fakultativ noch Coda = voilà Rondoform), dass er quasi in der Luft liegt.

  • ich glaube der Witz ist sehr viel älter. Mindestens seit Brahms 2. Serenade op. 16 (1. Satz).

    Bei Beethoven bin ich nicht sicher, vielleicht die eine oder andere Ouvertüre.

    Aber Mozart Haffner-Sinfonie, 4. Satz.

    Überhaupt ist die Ähnlichkeit dieses Kniffs mit der Rondoform so deutlich (gleicher Beginn von Exposition, Durchführung, Reprise, fakultativ noch Coda = voilà Rondoform), dass er quasi in der Luft liegt.

    stimmt. aber der Hinweis auf das Finale der 2. passte so gut zum thread-Thema.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • stimmt. aber der Hinweis auf das Finale der 2. passte so gut zum thread-Thema.

    stimmt auch.

    Vielleicht ist das mit ein Grund warum Brahms den Kniff nicht auch im 1. Satz anwenden wollte?

    Er also "gezwungen" war die Exposition ganz zu wiederholen...

    hätte sie aber immer noch kürzer halten können...

    Fragen über Fragen.

    Ich mag die 2. Sinfonie übrigens nicht besonders, auch die 1. nicht.

  • wenn mich nicht alles täuscht, war der Witz schon mal im Finale der 2. erzählt worden.

    Mir ist nicht ganz klar: Was ist im Finale der Zweiten? Wird da ebenfalls eine Wiederholung "angetäuscht" wie im 1. Satz der Vierten? Antwort gern mit Taktzahl, denn eine Taschenpartitur ist gerade zur Hand.


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

  • Antwort gern mit Taktzahl

    Takt 155 = Buchstabe G

    Bei der Gelegenheit kann man sich mal ansehen, mit welchen schrägen Perioden Brahms arbeitet. Ab Takt 130 folgen Perioden von 5 - 3 - 4 - 6 - 7 Takten aufeinander, dazu noch Schwerpunktverschiebungen, zum schwindlig werden.

  • ja.

    Takt 155 = Buchstabe G

    Danke!

    Bei der Gelegenheit kann man sich mal ansehen, mit welchen schrägen Perioden Brahms arbeitet. Ab Takt 130 folgen Perioden von 5 - 3 - 4 - 6 - 7 Takten aufeinander, dazu noch Schwerpunktverschiebungen, zum schwindlig werden.

    Werds mir gleich mal ansehen bzw. -hören. Wobei mir schon aufgefallen ist, wie schwierig es ist, bei Brahms (nicht nur in der Zweiten) Takte mitzuzählen. Das gelingt mir nur bei Norrington/LCP. Was eher gegen diese Aufnahme spricht... Grins1


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


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