Das Ordinarium Missae in der Musik
Zunächst einmal in aller Kürze, was ist das Ordinarium Missae?
Das Ordinarium Missae umfasst jene Texte, die übers Kirchenjahr hinweg unveränderter Bestandteil der Messfeier sind. Das Gegenstück dazu, also jene Texte, die von Sonntag zu Sonntag wechseln können, werden als Proprium Missae zusammengefasst.
Zum Ordinarium Missae zählen folgende Teile: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei. Aus diesen sechs Teilen findet bestehen die meisten zyklischen Messkompositionen. Das ebenfalls dazugehörende und am Schluss stehende Ite missa est dagegen wurde nur vereinzelt mit vertont, vor allem in der Frühphase zyklische Messkompositionen.
Zur Gattungsgeschichte der mehrstimmigen Vertonungen
Die Messe de Nostre Dame von Guillaume de Machaut aus der Mitte des 14. Jahrhunderts (siehe eigener thread) gilt heute als erste zyklische Vertonung des Ordinarium (inkl. des Ite missa est) durch einen Komponisten. Sie ist zugleich auch die erste vierstimmige Vertonung.
Ein paar Jahre älter noch ist die Messe de Tournai. Da die einzelnen Sätze jedoch sehr heterogen sind, muss man davon ausgehen, dass es sich bei dieser Vertonung nicht um das Werk eines einzelnen Komponisten, sondern um eine Zusammenstellung von Einzelsätzen verschiedener Herkunft, die vermutlich über mehrere Jahrzehnte hinweg entstanden sind handelt. Die Messe de Tournai ist dreistimmig und endet ebenfalls mit dem Ite missa est. Es sind noch weitere derart kompilierte Messen auf uns gekommen (Messen von Barcelona, Toulouse oder Besançon), die z.T. aus dem 13. Jahrhundert stammen, aber die Messe de Tournai dürfte die bekannteste sein. Allesamt sind anonym überliefert.
Begonnen hatte die Entwicklung mit der paarweisen Zusammenfassung einzelner Teile, oft mit entsprechenden musikalischen Bezügen aufeinander, z.B. Gloria & Credo oder Sanctus & Agnus Dei. Das ist im Falle der Gloria-Credo-Paare bemerkenswert, weil die beiden Teile in der Messfeier nicht unmittelbar aufeinander folgen. D.h. liturgische Gründe können dafür nicht allein verantwortlich gemacht werden.
Die Praxis der Paarbildung zog sich bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts hinein – Machauts vollständige Messe ragt als Unikum heraus. Viele dieser Paare sind auch nicht mehr anonym überliefert; Komponisten wie Johannes Ciconia, Lionel Power, Zacharias da Teramo, Bartolomeo da Bologna und auch Guillaume Dufay.
Der endgültige Durchbruch der Messe als vollständiger Zyklus ist wohl von England ausgehend geschehen. Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind eine ganze Reihe vollständiger Messen aus diesem Raum überliefert, so u.a. von John Dunstable, Lionel Power oder John Benet. Allerdings verfügen die meisten dieser Messen nicht über ein mehrstimmiges Kyrie; das wurde einstimmig gregorianisch gesungen. Eine Ausnahme hiervon ist die Dunstable zugeschriebene Missa Caput.
Um 1450 herum dann setzte sich der vollständige und vollständig mehrstimmig gesetzte Messzyklus auf dem Kontinent durch. Und das mit aller Macht. Die franko-flämische Schule mit Komponisten wie Guillaume Dufay in seiner späteren Schaffenphase, Johannes Ockeghem oder Josquin Desprez führten die Gattung zu einer ersten Blüte. Als wichtigstes musikalisches Element, das die Zyklizität unterstreicht, diente ihnen der Cantus firmus, der meist in der Tenorstimme lag. Wurden ursprünglich gregorianische Melodien als Grundlage benutzt – auch schon in der Phase der Paarbildung - , war Blüte um 1500 herum mit Melodien weltlichen Ursprungs verbunden. Als Schlüsselwerk diesbezüglich gilt die um 1450/60 herum von Dufay komponierte Missa Se la face ay pale. Die weltliche Ballade dieses Titels hatte Dufay 20-30 Jahre vorher selbst komponiert, ihr Text spricht von den Qualen die Liebe.
Fortsetzung folgt...