Ligeti, György: Die Werke für Streichquartett

  • Ligeti, György: Die Werke für Streichquartett

    György Ligeti (1923–2006) verdanken wir drei Werke für Streichquartett:


    - Andante und Allegretto für Streichquartett (1950)
    - Streichquartett Nr. 1 „Métamorphoses nocturnes“ (1953-54)
    - Streichquartett Nr. 2 (1968)


    Die drei Werke sind in verschiedenen Schaffensperioden des Komponisten und – fast noch wichtiger – in verschiedenen Lebensumständen entstanden. Diese möchte ich in einzelnen Threads zu jedem Werk kurz umreißen. Dabei möchte ich auch folgende Aufnahmen besprechen:


     


    Die CD aus der Ligeti-Edition der SONY bietet neben den drei Werken auch „Hommage à Hilding Rosenberg“ von 1982, ein Werk für Violine und Violoncello von knapp zwei Minuten Länge, sowie „Ballade und Tanz für zwei Violinen“ aus dem Jahre 1950, knapp dreieinhalb Minuten lang. Es musiziert das Arditti-Quartett. Neben den herausragenden Interpretationen glänzt die CD mit dem besten Beiheft, in dem der Komponist selbst zu Wort kommt. Hieraus zitierte ich das meiste, was sich unten in den Abschnitten zu den einzelnen Werken findet. Aus Gründen des Urheberrechtes war ich gezwungen, diese Äußerungen mit eigenen Worten wiederzugeben. – Die Aufnahmen entstanden im Juli 1994.


     


    Auf der CD der Deutschen Grammophon finden sich die beiden nummerierten Quartette sowie die „Ramifications“, gespielt vom Ensemble Intercontemporain unter Pierre Boulez, die Sonate für Cello solo, gespielt von Matt Haimovitz und die „Melodien“ für Orchester, gespielt von der London Sinfonia unter David Atherton. Das Hagen-Quartett spielt das erste Streichquartett (aufgenommen im Mai 1990). Die Besonderheit dieser CD liegt darin, dass wir das epochale zweite Streichquartett in der Besetzung der Uraufführung hören: Es spielt das LaSalle-Quartett. Die Uraufführung und die vorliegende Aufnahme fanden im Dezember 1969 statt.



    Die (fast) Hochpreis-CD des Artemis-Quartetts enthält die wenigste Musik. Nur die nummerierten Quartette wurden eingespielt, was eine Gesamtspielzeit von unter 43 Minuten ergibt. Diese CD entstand in den Monaten Oktober/November 1999. – Allerdings gibt es die beiden Werke mit dem Artemis-Quartett nun auch in einer einigermaßen attraktiven Kopplung zum günstigen Preis.


     


    Eine relativ neue Einspielung der Werke (Oktober 2007) stammt vom jungen Parker-Quartett und enthält alle drei Werke Ligetis für Streichquartett. Als NAXOS-CD ist sie günstig zu haben.



    Obwohl ich nichts dazu sage, möchte ich eine brandneue Einspielung des Keller-Quartetts wenigstens erwähnen. Die beiden nummerierten Quartette Ligetis sind hier gekoppelt mit dem langsamen Satz aus Samuel Barbers Streichquartett, der Vorlage für das berühmte „Adagio for Strings“.


    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Andante und Allegretto für Streichquartett (1950)

    György Ligeti schrieb Andante und Allegretto für Streichquartett noch zur Zeit während seines Studiums an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest. Das Werk war als Studie zur Vorbereitung seiner Abschlussprüfung gedacht.


    Ligeti schreibt, dass das Werk seine stilistische Unsicherheit am Anfang der kommunistischen Diktatur in seinem Land widerspiegelt. Zwar war er von seinem politischen Denken her oppositionell, doch er glaubte seinerzeit an die Möglichkeit einer allgemeinverständlichen Musiksprache. Jedoch erkannte er bald, dass dieser Glaube ein Irrtum und Selbstbetrug war – ein Kompromiss mit dem System ist nicht möglich. Der Widerspruch, (fast) systemkonform zu komponieren, aber oppositionell zu denken, ließ sich nicht auf Dauer unterdrücken.


    Das „Andante cantabile“ ist völlig tonal. Interessante harmonische Wendungen verorten die Tonsprache in der Nachbarschaft von Reger und Zemlinsky. Unter den Händen des Parker-Quartetts klingt diese Musik etwas sachlicher, linearer als beim geradezu liebevoll-zärtlichen Spiel des Arditti-Quartetts, das sich auch über eine Minute mehr Zeit für diesen Satz nimmt.


    Auch das „Allegretto poco capriccioso“ meidet atonale Wendungen. Es leidet ein wenig unter die Monotonie eines immer wieder auffälligen lombardischen Rhythmus‘ (umgekehrt wie ein punktierter Rhythmus, also kurz-lang), der manchmal von einer auftaktigen Note eingeleitet wird. Die Nähe zur Volksmusik ist zu hören. Der Satz ist dreiteilig angelegt.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Streichquartett Nr. 1 „Métamorphoses nocturnes“ („Nächtliche Verwandlungen“, 1953/54)

    Ligetis erstes Streichquartett entstand in den Jahren 1953/54. Zu jener Zeit fand das Leben in Ungarn unter der vollständigen Kontrolle der kommunistischen Diktatur statt. Reisen ins Ausland waren unmöglich, entsprechende Kontakte ebenso. Die informationsseitige Isolation des Landes bezog sich auch auf Noten und Bücher. Und dies nicht nur in Bezug auf den Westen, sondern auch innerhalb der Staaten des Warschauer Paktes. Moderne Kunst und Literatur waren verboten. Das Regime verlangte nach einer billigen Massenkunst, die die politische Propaganda jener Zeit unterstützen sollte. Sogar Bartók war nur teilweise genehm, nämlich die einigermaßen gemäßigten Werke wie das Konzert für Orchester, das dritte Klavierkonzert und die Volksliedbearbeitungen.


    Unter diesen Prämissen komponierte Ligeti für die Schublade – was damals als Ehre galt. Die Mehrheit der Künstler wählte einen solchen Weg der inneren Emigration.


    Anregung bezog Ligeti aus den mittleren Quartetten Bartóks (3 und 4). Diese lernte er aus der Partitur kennen – Aufführungen dieser Werke waren ja nicht möglich. „Metamorphosen“ bedeutet nach Ligeti eine „Folge von Charaktervariationen ohne eigentliches Thema“. Jedoch gibt es motivisches Material, aus dem sich das Werk entwickelt. Dieses besteht aus einem Ganztonschritt, welcher – um eine kleine Sekunde höher – wiederholt wird. Also etwa: g –a /gis – ais. – Diese melodische Urzelle tritt im Laufe des Werkes auch in gespreizter Form auf: aus dem Ganztonschritt wird eine Terz, eine Quart, eine Sext. Bei einer Quart erhält man z. B. g – c‘ / gis – cis‘. Harmonisch wird die volle Chromatik von zwölf gleichberechtigten Tönen genutzt, ohne dass das Werk zwölftönig zu nennen wäre.


    Abgesehen von der Modernität des Tonmaterials und der Harmonik folgt das Werk in formaler Hinsicht den Vorgaben der Wiener Klassik: Es gibt Periodik, Imitation, motivische Fortspinnung, Durchführung, durchbrochenen Satz usw. Ligeti nennt neben Bartók die Diabelli-Variationen Beethovens sein heimliches Ideal bei der Komposition der „Métamorphoses nocturnes“. – Nach mehrmaligem Hören möchte ich sagen: Die Tonsprache Ligetis hat zwar modernes Vokabular, aber eine klassische Grammatik und Syntax. Für den, der das hörende Nachvollziehen von Formen gewohnt ist, bietet dieses Werk einen hervorragenden Einstieg in moderne Musik.


    Die Einteilung des Werkes in Tracks wird verschieden gehandhabt. Vier sind es beim Parker-Quartett, acht bei den Ardittis, zwölf beim Artemis-Quartett und siebzehn bei den Hagens.


    Zu Beginn („Allegro grazioso“) hört man eine aufsteigende Skala, gespielt von Viola und 2. Violine, die um einen Halbton versetzt spielen. Darüber ist nach wenigen Sekunden die melodische Urzelle des Werkes von der Primgeige zu hören. Sogleich erklingen die bereits erwähnten Fortspinnungen und die Verarbeitungen im durchbrochenen Satz: Imitationen und durchführende Arbeit, die das Stück nach ca. anderthalb Minuten zu einem ersten dynamischen Höhepunkt führt; dieser mündet in das


    „Vivace, capriccioso“: Nach einleitenden großen Gesten spielen die Violinen über einem Ostinato erregte Figurationen. – Immer wieder hebt das Stück zu Steigerungen an, die in geradezu tumultartigen Szenen enden. Die Urzelle ist hier schon schwieriger zu erkennen, gleichwohl präsent.


    Nach ungefähr zwei Minuten bietet ein „Adagio, mesto“ einen ersten Ruhepunkt. Alle Einspielungen außer der des Parkers-Quartetts beginnen hier einen neuen Track. Die Urzelle erklingt in Terzspreizung, die zweite Hälfte wird gespiegelt: d‘‘ – f‘‘ / e‘‘ – cis‘‘ in der ersten Violine (was auch vorher schon zu hören war). Erklingen diese Metamorphosen der Keimzelle zunächst isoliert, so verdichtet sich die Musik nach und nach, bis zu einer Generalpause. Es beginnt der letzte Abschnitt des Adagio mesto: Nacheinander setzen die Instrumente mit der terzgespreizten, in der zweiten Hälfte gespiegelten Keimzelle ein, erst das Cello, dann die Geigen, dann die Bratsche, zum Teil auch nur noch in Fragmenten, es klingt resignativ.


    Ein Presto schließt sich an: Aufschießende Figuren allenthalben, an Dreiklangsbrechungen erinnernd, dazu ungerade Rhythmen. Nach etwa einer Minute völlig überraschend eine authentische (tonale) Kadenz: Dominante – Tonika, und es scheint so etwas wie eine schnelle Fuge über ein „Feuerwehrquartenthema“ anzuheben (Prestissimo – es ist nicht wirklich eine Fuge). Ein im pianissimo gespieltes Tremolo vibrato aller Instrumente mündet in das


    „Andante tranquillo“ – ein neuer Ruhepunkt mit choralartigen Klängen, verziert von Trillern der Primgeige. Die anderen Instrumente fallen in den Triller ein, ein äußerst erregter Abschnitt mit Tremoli, Pizzicati und auch Flageolettklängen folgt (Più mosso), dann gibt es wieder Beruhigung durch die Choralklänge.


    Wiederum völlig unerwartet hebt ein verfremdeter (besoffener?) Walzer an (Tempo di Valse), nach kurzer Zeit wieder höchste Erregung in einem „subito prestissimo“, dem ein „subito molto sostenuto“ mit fahlen Klängen folgt.


    Pizzicati grundieren das „Allegretto, un poco giovinale“. – Im folgenden „Poco più mosso“ hören wir ein einleitendes Cello-Ostinato mit Bartók-Pizzicati (die Saite schlägt dabei geräuschvoll auf das Griffbrett auf). – Bienenschwarmartig klingen die Streicher dann im „Subito allegro con moto“, welches sich nach Vorschrift des Komponisten bis zum Prestissimo beschleunigt. Fortführung der erregten Bewegung im Pianissimo-Bereich.


    Ein ca. 12-sekündiges „allegro comodo, giovinale“ bietet mit seinen Pizzicati noch einmal Entspannung, bis Glissandi in das „Subito allegro con moto“ überleiten – Bienenschwarmklänge, dann zurück ins Pianissimo, und wir hören die Urzelle in Urform, und doch verwandelt, auf dem Hintergrund irisierender Glissandi und sonstiger streicherischer Klangeffekte (am Griffbrett/Steg gestrichen?).


    Ein rezitativartiges Solo des Cello bildet den letzten Abschnitt vor dem finalen Lento, das noch einmal auf der Urzelle des Werkes aufbaut.


    Muss man es erwähnen? Die kontrastreiche, hochvirtuose Musik scheint dem Hagen-Quartett auf dem Leib komponiert. Mitreißend, spektakulär klingt diese Musik bei ihnen.


    Weniger auf Kontrastwirkungen als die Hagens legt das Arditti-Quartett seine Darbietung an. Für mich klingt diese Musik bei ihnen völlig natürlich, ungezwungen, teilweise auch entspannt.


    Etwa die Mitte zwischen der Energie der Hagens und der Natürlichkeit der Ardittis liegt die Wiedergabe des Artemis-Quartetts.


    Sehr lebendig, etwas direkter aufgenommen als die Aufnahme des Artemis-Quartettes, ist die Aufnahme des Parker-Quartetts – eine großartige Einspielung des jungen Quartettes und eine mutige Debut-CD(?)! In dieser Form müssen sie sich nicht hinter den Hagens und Ardittis verstecken. Was will man mehr?


    Fazit: Hochinteressante Musik, formal klassizistisch, doch voll Originalität und Schwung. Ich kann alle genannten Aufnahmen empfehlen, nur bei der Aufnahme des Artemis-Quartetts würde ich Preis und Leistung gut abwägen. Höchst instruktiv ist das Beiheft bei den Ardittis.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Vielen Dank für die hier bisher angebotenen ausführlichen Werkeinführungen! :top:
    Ich habe gestern zwei Aufnahmen des Streichquartetts Nr. 1 (Métamorphoses nocturnes) gehört, das Hagen Quartett (aus der Erstveröffentlichung) und das Artemis Quartett.


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    Mein Höreindruck: Sofort wirkt die Musik bildhaft, atmosphärisch stark. Heftige Charakterwechsel zwischen angespannter Ruhe und wilden Ausbrüchen prägen das Geschehen. Nach etwas mehr als der Hälfte der knapp über 20 MInuten langen Komposition überrascht der groteske verzerrte Tanz, aber auch der wechselt bald den Charakter mehrfach. In der Folge liefert man sich einem Wespenschwarm aus, ehe das Cellosolo hin zu den letzten Klängen führt, ein Ausklang in mystischer Stille.


    Die hochkonzentriert kompakte Aufnahme des Hagen Quartetts finde auch ich wirklich toll. (Bei mir kein Ingolf. ;) ) Auch die Aufnahme des Artemis Quartetts fand ich richtig spannend, zumal sie wie ich es empfinde akustisch reizvoller aufbereitet ist, die vier Streicher sind hier so im Raumklang verteilt, dass sich die Musik noch unmittelbarer erschließt. Bin sehr froh um diese zwei Aufnahmen.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Noch 6 Tage zum Nachhören:

    Analyse von Ligetis Bartók-Quartett

    Neue Musik auf der Couch. Thomas Wally analysiert das Streichquartett Nr. 1 von György Ligeti

    DI | 01 02 2022

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Ligetis Streichquartett war einfach wahnsinnig mitreißend!!! Ich hatte es mir zuvor ja schon auf Youtube angehört, aber nun hat es mich regelrecht umgehauen. Muss ich mir unbedingt anschaffen.

    Auch in Heidelberg erklang gestern Nacht das 1. Streichquartett von Ligeti - ohne Saitenriss ;). Gespielt vom noch sehr jungen Wiener Chaos String Quartet. Die haben gerade den 2. bzw 3. Platz bei wichtigen Wettbewerben errungen (Bordeaux und München).


    Wenn Du mit der Anschaffung noch etwas Geduld aufbringst, das andere französische Spitzenquartett Quatuor Diotima bringt Anfang März ihre Version beider Ligeti-Quartette heraus. Damit starten sie auch eine Zusammenarbeit mit dem Pentatone Label.


    News of Quauor Diotima
    Read about the latest news and concerts of Quatuor Diotima.
    quatuordiotima.fr

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

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  • Besten Dank für den Tipp, lieber Wieland!


    Hm, das ist ja noch einige Wochen hin. Aber vielleicht wird das dann ja meine zweite Einspielung ... :) Ich habe schon gesehen, dass es eine Einspielung des, ebenfalls von mir sehr geschätzten, Artemis Quartett gibt (alte Besetzung). Ich denke, diese wird es dann sein. Ich schlafe aber noch eine Nacht drüber ...

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)




  • Lieber Newbie

    Die Artemis-Aufnahme ist ebenfalls vom Allerfeinsten, mit der als ersten Einspielung machst Du garantiert nichts falsch. Und man kann - wie Du schreibst- ja durchaus auch zwei haben.

    Grüße

    Wieland

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Auch in Heidelberg erklang gestern Nacht das 1. Streichquartett von Ligeti - ohne Saitenriss ;) . Gespielt vom noch sehr jungen Wiener Chaos String Quartet. Die haben gerade den 2. bzw 3. Platz bei wichtigen Wettbewerben errungen (Bordeaux und München).

    Ja, das war sehr beeindruckend! Überhaupt eine großartige Erfahrung am Samstag: Sechs Streichquartettformationen mit Konzerten von 11 Uhr morgens bis nach 23 Uhr, eine beglückende Erfahrung! Aber dazu mehr vielleicht an anderer Stelle: Das Ligeti-Quartett mit seinen vielen Anspielungen an diverse Stile (vor allem Bartók) war relativ neu für mich. Dabei habe ich eben bei mir diese Aufnahme beider Quartette mit dem Arditti Quartet entdeckt, entstanden 1978:


    Wenn Du mit der Anschaffung noch etwas Geduld aufbringst, das andere französische Spitzenquartett Quatuor Diotima bringt Anfang März ihre Version beider Ligeti-Quartette heraus. Damit starten sie auch eine Zusammenarbeit mit dem Pentatone Label.

    Oh, wußte ich noch gar nicht, vielen Dank für den Hinweis! Letzte Woche habe ich eine Karte für ein Konzert in Heidelberg erworben: Dort spielt das Quatuor Diotima u.a. Ligetis 2. Quartett. Bin gespannt drauf.


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz
    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

    Einmal editiert, zuletzt von Wieland ()

  • Habe mich nun für das Artemis-Quartett (2005) entschieden:



    Auch das zweite Streichquartett hat mir auf Anhieb gefallen! :thumbup:Sehr mitreißend. Ich fand das Quatuor Ébène (live, mit dem 1. Streichquartett) zwar deutlich besser, aber es ist dennoch eine tolle Einspielung. Wobei ich bislang ja nur diese beiden kenne und von anderen nur kurze Hörproben gehört habe.


    EDIT:

    Kurz noch: ich habe mir dieses Album in mp3-Version gekauft. Beim zweiten Streichquartett ist ein Satz daraus als "Allegro nevoso" betitelt. Übersetzung: "verschneites Allegro". ^^ Als ich dann danach googelte, bekam ich auch entsprechende Resultate aus anderen Portalen, wie Spotify, Apple Music, etc. ... Tssk! Muss natürlich "nervoso" heißen.

    ... Überhaupt eine großartige Erfahrung am Samstag: Sechs Streichquartettformationen mit Konzerten von 11 Uhr morgens bis nach 23 Uhr, eine beglückende Erfahrung! ...

    Um ein solches Erlebnis beneide ich dich sehr, lieber Gurnemanz! Könnte ich mir auch sehr, sehr gut vorstellen! :jaja1: Könnte ich glatt in meine "Vorhaben für 2023"-Liste mit aufführen: ein Streichquartett-Marathon besuchen. 8) Da müsste ich mal recherchieren ...

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)




  • Um ein solches Erlebnis beneide ich dich sehr, lieber Gurnemanz! Könnte ich mir auch sehr, sehr gut vorstellen! :jaja1: Könnte ich glatt in meine "Vorhaben für 2023"-Liste mit aufführen: ein Streichquartett-Marathon besuchen. 8) Da müsste ich mal recherchieren ...

    Ja, mach mal! Wenn ich es richtig sehe, gibt es kaum Vergleichbares, deshalb:

    Insgesamt ein voller Erfolg und eine nachdrückliche Empfehlung in einem Jahr wiederzukommen (18.-21-1.2024) Was dann der Schwerpunkt sein wird, ist wohl schon ausgeküngelt, wurde aber nicht verraten.

    Näheres irgendwann im Herbst 2023:

    Streichquartettfest – Heidelberger Frühling


    2022 war Rihm der Schwerpunkt, 2023 Mozart. 2024?


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz
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    Helmut Lachenmann

  • Zu meiner Schande muss ich gestehen, in den letzten Tagen erstmals die beiden Quartette gehört zu haben. Und auch erst jetzt bin ich auf Mauerblümchens exzellente Werkeinführung aufmerksam geworden.


    Beide Werke haben mich unmittelbar angesprochen. Das "prähistorische" (so bezeichnete Ligeti wohl seine Schaffensperiode vor dem Verlassen Ungarns) Nr. 1 ist noch deutlich eingängiger (Stichwort klassische Grammatik und Syntax) und klang auch für mich sehr nach avanciertem Bartók. Aber auch Nr. 2 geht gut ins Ohr. In beiden Stücken passiert eine Menge, das macht mir persönlich das Hören schon leichter als etwa bei Nonos "Fragmente - Stille, An Diotima" oder gar Feldmans Quartetten.


    Angefangen habe ich mit neueren Aufnahmen


    Quartett 1, Cuarteto Casals


    Quartett 1, Belcea Quartet


    Quartett 2, Jack Quartet, live


    Und die oben erwähnte Aufnahme mit dem Keller Quartett.


    Vom ersten Eindruck eine besser als die andere, finde ich, interpretatorisch wie klangtechnisch. Die Stücke sind mit Sicherheit sauschwer zu spielen, aber wohl auch dankbar, wenn man sie denn technisch bewältigt.


  • Ich würde vorschlagen, die Diskussion zum Einfluss Cézannes auf Ligeti bei der Komposition seines zweiten Streichquartetts ggf. hier fortzusetzen.


    Die Diskussion kam im Rahmen der Besprechung des Werks als Streichquartett der Woche auf.

  • Liebe Rosamunde, ich will Dir den Cézanne-Bezug nicht madig machen. Ich für mich habe da gewisse Probleme direkte Analogien zu sehen. Das mit den Farbfeldern ist schon verständlich, aber dass es eben genau Cézanne sein muss?? Ich bin auch kein Experte für Malerei, trotzdem sehe ich natürlich die Unterschiede von Cézanne zu den reinen Impressionisten wie Monet oder Renoir. Und deren Malweise passt sicher nicht so zu Ligetis Ideen. Aber ich kann den Bezug zwischen dem Quartett und den Malern nicht so richtig fassen, auch im Hinblick auf Ligetis frühere Kompositionen, die er in dem von mir angesprochenen Interview erwähnt (Aventures / Dies Irae / Atmosphères / Apparations, etc.). Diese musikalische Entwicklung erscheint logisch, und daher kann ich nicht richtig nachvollziehen, wieso plötzlich bei dem 2. Streichquartett der Cézanne hineinspielen soll.

    Es wäre sicher gut zu wissen, wann Ligeti das Cézanne-Statement abgegeben hat.

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Wenn Cézanne vom Komponisten explizit benannt wurde, dann sehe ich ohne jeglichen Kennerblick schon eine Parallele. Aber dazu, meine ich, muss der Name des Malers in der Tat vorgegeben sein.


    Das Quartett hat seine blockhaften Momente, seine dynamischen Kontraste, hinter denen sich dann die elementare Kleinteiligkeit der Bewegungen, all die Trillerketten im Besonderen verbergen. In der Malerei des französischen Meisters steht das Farbfeld quasi vor der Auflösungstendenz, der Kubismus geht dem (Nach-)Impressionismus voraus, beides indes prägt die Gemälde. Ligetis vorausgehende Kompositionen aus den Sechzigern, die leverkuehn oben nennt, sind den Schritt zum Blockhaften noch nicht gegangen. Es ist ein statischer Pointillismus quasi.


    Wovon ich spreche, sind Landschaftsgemälde von Cézanne, Zivilisation inbegriffen, die ich schon gesehen habe. Seine Portraits oder Stilleben etwa scheinen mir eher keinen Vergleichsaspekt zu bieten.


    Es ist leicht möglich, dass ich Ligetis Quartett noch nicht genügend verstanden habe und es ist sicher einfacher, ein Gemälde als Einheit wahrzunehmen - aber könnte es sein, dass Cézannes Landschaftsbilder bedeutender sind im Sinne einer Vielfarbigkeit, dem der harmonische Reichtum in Ligetis Quartett nicht gleichkommt? Ein anderes Kritierium wäre natürlich der Rhythmus.


    Eine Antwort will ich mir nicht anmaßen - was ich von mir weiß, ist aber, dass mir Musik eigentlich immer schneller entgegenkommt als Malerei.


    Umgekehrt tendiere ich dazu, Cézannes Stil für weniger unverwechselbar zu halten als Ligetis Stile - es waren natürlich mehrere und den gemeinsamen Nenner zu finden, ist wohl nicht einfach. Ich habe ihn bislang nicht gefunden - das ist sogar bei Strawinsky einfacher.


    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ich glaube, es ist egal, ob Stillleben, Portraits oder Landschaft, Cezanne baut seine Textur, kleine schräge Farbstriche, über die ganze Leinwand, dennoch gibt es Konturen und Formen. Ligeti webt im 2. Streichquartett ebenso Texturen über die ganzen Sätze, wobei die einzelnen Stimmen mal verschmelzen, mal im Sinne der Polyphonie sich voneinander abheben, es gibt Flächen aber auch Konturen.


    Die Frage ist, ob man nicht auch den Pointillismus genausogut als Vergleichsobjekt nehmen könnte, da auch dort das Gewimmel der Einzelpunkte aus der Distanz zu Formen mit Konturen verschmelzen. Wahrscheinlich weniger, da hier das Verschmelzen in zu großem Ausmaß stattfindet, Kipppunkte der Wahrnehmung erreicht werden, was bei Ligeti und Cezanne weniger der Fall ist, bei ihnen bleibt stets beides wahrnehmbar: die Textur und die Formen.


    Dass später der Kubismus durch Cezanne beeinflusst wurde sehe ich jetzt nicht als relevant, da man den Kubismus eher mit Varese als mit Ligeti in Verbindung bringen könnte (ein Objekt wird von verschiedenen Seiten präsentiert).

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Ligetis vorausgehende Kompositionen aus den Sechzigern, die leverkuehn oben nennt, sind den Schritt zum Blockhaften noch nicht gegangen. Es ist ein statischer Pointillismus quasi.

    Es geht mE weniger um "Blockhaftes", der entscheidende Unterschied zu den Atmosphères und zu Lontano ist im Quartett die Tatsache, dass die Stimmen mitunter als Gegenstimmen wahrnehmbar bleiben und nicht permanent verschmelzen.


    Vertikale Brüche gibt es ja auch in Atmosphères, insbesondere dieser Absturz vom höchsten ins tiefste Register, ein Effekt, der bei Ligeti gefühlt in jedem Stück mal drankommen muss.


    Statisch sind die Stücke von Ligeti mE nie, es findet immer Entwicklung statt.

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  • …Pointillismus...

    Wahrscheinlich weniger, da hier das Verschmelzen in zu großem Ausmaß stattfindet, Kipppunkte der Wahrnehmung erreicht werden, was bei Ligeti und Cezanne weniger der Fall ist, bei ihnen bleibt stets beides wahrnehmbar: die Textur und die Formen.

    Das sehe ich auch so. Während man bei den Pointillisten mit dem Vergrößerungsglas nur einzelne Punkte sieht, ergeben sich da bei Ligeti über große Strecken taktweise doch deutliche und differenzierbare Strukturen bei gleichzeitig flächiger Textur.

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Dass Ligeti sich lieber auf Cezanne als auf Monet oder Seurat bezieht, könnte auch damit zu tun haben, dass bei den Impressionisten und Pointillisten das Licht und die Wahrnehmung im Zentrum des Interesses stehen, während bei Cezanne eher die Art, ein Bild nach eigener Gesetzmäßigkeit zu bauen, fasziniert, wobei die Frage, was dargestellt ist, noch marginaler wird als bei Monets Heuhaufen.

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