Ok, super, sprechen wir über das Libretto.
für das Verständnis des Librettos ist es m.E. wichtig sich klar zu machen, daß sich A., F., G., D. (wieder?) im "Spielmodus" befinden,
Ja und nein.
Es geschieht in diesen Versen etwas sehr Interessantes, denn der "Modus" wird mE in vieler Hinsicht in der Mitte der Verse gewechselt, von "Spielmodus" zu "Enthülltem Modus".
Hier noch mal die Stelle:
Ferrando e Guglielmo
alle ragazze
"Giusto ciel! Voi qui scriveste;
Contradirci omai non vale:
Tradimento, tradimento!
Ah si faccia il scoprimento
E a torrenti, a fiumi, a mari
Indi il sangue scorrerà!"
vanno per entrare nell'altra camera; le donne li arrestano[/i]"
Meine Gedanken zu diesen Versen:
1. Die Männer brauchen, um den Frauen den Bruch ihrer Treue vorzuwerfen, sich nicht als Albaner zu erkennen geben, denn es gibt ja schon die Unterschriften auf dem Ehevertag, der die Frauen belastet. Warum gibt es also diese Enthüllung?
Einerseits macht sie die Handlung interessanter.
Aber andererseits reiten sich die Männer damit selber viel tiefer in ihrer eigene Schuld hinein, denn nun wissen ja die Frauen, dass sie betrogen wurden. Dieses Wissen ist mE sehr wichtig und zeigt meiner Meinung nach, dass der Librettist sowie Mozart die Männer (einschliesslich Don Alfonsos) als die eigentlichen Schufte zeichnen wollte. Denn obwohl jeder am Ende weiss, was wirklich geschehen ist, spielen sich die Männer mit einer grossen Arroganz als im Recht auf und verschwenden keinen Gedanken daran, wie fies sie gehandelt haben, während die Frauen ihre Untreue zugegeben haben und um Entschuldigung bitten. Keine Entschuldigung von Seiten der Männer, im Gegenteil.
2. Bis einschliesslich Tradimento sind F un G in gewisser Hinsicht noch im Spielmodus, da sie noch nicht zugegeben haben, dass eine Verkleidung stattgefunden hat. Ab Ah si faccia il scoprimento sind sie es mE nicht mehr nur. Sie wollen nun eine Enthüllung, die es logischerweise aber nur geben kann, wenn es etwas Verborgenes zu enthüllen gibt. Der Zuschauer und alle drei Männer wissen aber, dass dieses Verborgene ein Akt des Betrugs war. Enthüllung und Betrug sind damit untrennbar und der, der sich verkleidet hatte, ist automatisch ein Betrüger. F un G haben mit dieser Enthüllungszeile indirekt zugegeben, dass sie selber auch betrogen haben.
3. F und G wollen nun nach der Enthüllung Rache üben. An wem, ist die Frage.
Vordergründig wollen sie sich an den Frauen rächen, da ihr Akt des Unterschreibens des Ehevertrags von den Männern als Betrug empfunden wird.
Aber das Libretto ist vielschichtig.
Denn wenn man genauer hinschaut, geben sie mit der Enthüllung, nach der sie so sehr streben zu, dass sie selber ein krummes Ding gedreht haben. Der Betrug soll aber, nach ihren eigenen Worten, gerächt werden. Sie werden dadurch eingechlossen in die Rache, die sie nach eigenen Worten suchen und die in den nächsten Zeilen beschrieben wird. Durch diesen Trick des Librettos wird dem aufmerksamen Zuschauer suggeriert, dass F und G ziemlich dämlich (oder jugendlich impulsiv und kurzsichtig) sind. Denn sie beschuldigen und bestrafen sich mit ihrer Enthüllung selber. Es wäre ja gar nicht nötig gewesen sich zu enthüllen.
4. Ebenso kann man diese Sicht so finden:
Genau vor der Enthüllung ist die Rede von Tradimento. Das bezieht sich vordergründig auf die Frauen, wie ich sagte. Wenn dann sofort danach von "Enthüllung machen" die Rede ist, klingt dieser Ausruf im Bewusstsein des Zuhörers nach. Es könnte also impliziert sein, dass man durch die Enthüllung weiteren Betrug und damit auch Betrüger finden wird.
5. Ein weiterer witziger und mE SEHR wichtiger Punkt ist, dass F und G sich ja hier schon wieder als die usprünglichen Verlobten zeigen. Obwohl man aber die authentischen Personen sieht, sind die Worte, die sie sprechen nicht ehrlich. Interessantes Detail, finde ich.
Ich finde deshalb diese Stelle des Librettos überaus wichtig und interessant, denn hier wird mE sehr deutlich, was der Librettist und Mozart eigentlich sagen wollten: Ehrlich sind hier nur die beiden Frauen. Despina hat eine Zwischenposition, es geht ihr ums Geld, was man ihr nicht übel nehmen kann. Die drei Männer sind die eigentlichen Schufte.
Übrigens: wenn ich es mir genau überlege, dann kann ich F ung G noch am ehesten ihren Betrug vergeben, genau weil sie sich am Ende so blöd anstellen und den Frauen verraten, dass sie selber auch Betrüger sind. Sie bemerken ihre Schuld zwar nicht, aber wenigstens habe sie sie dennoch enthüllt. Das geschieht wahrscheinlich in einem Übermass an jugendlicher Impulsivität, die sie mir dann letztendlich wieder sympathischer macht. Für Don Alfonso gibt es aber in meinen Augen überhaupt keine Entschuldigung.
A. befindet sich aber gar nicht in dem Zimmer. Sie wollen in das Zimmer, um als "Albaner" zurück zu kommen und ihr Enthüllungs- und Rachspielchen weiter zu treiben - genau das tun sie ein paar Zeilen später ja auch.
Don Alfonso ist die ganze Zeit, von der wir sprechen, mit dabei. Ja, Du hast also Recht, er ist nicht körperlich dort, wo ich sagte, wo F und G meiner Meinung nach den Betrüger suchen wollen. Allerdings wird er durch die Enthüllung von F ung G automatisch auch als Betrüger enthüllt und damit in die Rache eingeschlossen.
Die Inszenierung hat sich meiner Meinung nach, wie ich sie hier oben dargestellt habe, also genau an den tieferen Sinn des Librettos gehalten. F geht im Affekt, in seinem unverkleideten, authentischen Zustand, auf Don Alfonso zu, entreisst ihm das Messer, sticht ihm in die Seite (oder stösst ihn wütend zu Boden) und geht einen Schritt mit dem Messer in Angriffshaltung auf die Frauen zu. Hält dann aber inne und gibt seinen Racheplan auf. Er hat seine Wut nur an Don Alfonso ausgelassen und lässt von den Frauen ab, weil er seine eigene Schuld eingesehen hat. Das letzte nur in der Inszenierung. Diese Einsicht resoniert aber mit meiner Sympathie für die beiden Männer, die ich oben ausgedrückt habe. Für mich alles sehr stimmig.
sein Intellekt ist nicht betroffen, aber daß er zielbewußt und erfolgreich handeln kann in einer Sache, in der er so traumatisiert und widersprüchlich sein soll, halte ich nicht für plausibel.
Das kommt natürlich im Einzelfall auf die Stärke der Traumatisierung an.
Aber abgesehen davon glaube ich Du darfts das nicht so wörtlich nehmen und Dir nun eine bestimmte kranke Person vorstellen oder glauben, die Inszenierung wolle ein Einzelschiksal beschreiben. Es geht hier meiner Meinung nach (in der Oper wie in der Inszenierung) in viel weiterem Sinne um verschiedenen Einstellungen, Lebenshaltungen und Weisheiten oder "kranke" soziale Gepflogenheiten, wie zB das Rollenverständnis von Frau und Mann zu der Zeit, in der die Oper geschrieben wurde UND zur heutigen Zeit. Don Alfonso soll nicht eine bestimmte Person sein, die hier glaubwürdig handeln soll, sondern er steht für etwas viel grösseres, was nun von der Inszenierung aufgedeckt oder vielseitig beleuchtet werden will.