Uri Caine - Welche Platten sind zu empfehlen?

  • Uri Caine - Welche Platten sind zu empfehlen?

    Liebe Jazz-Freunde,


    Als 95%-Klassik-und-5%-Jazz-Hörer taste ich gelegentlich in der Jazzwelt rum, auf der Suche nach interessanten Neuentdeckungen. Ich bin neulich über Uri Caine gestolpert und habe mehr oder weniger zufällig die folgende Platte ausprobiert:



    Erster Eindruck: Das macht richtig viel Spaß. :klatsch:


    Frage: Was halten die echten Jazz-Aficionados von Uri Caine? Und welche seiner Platten sind besonders interessant?


    Auf Anregungen wartend
    Michel

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • RE: Uri Caine - Welche Platten sind zu empfehlen?

    Hallo Michel!

    Frage: Was halten die echten Jazz-Aficionados von Uri Caine? Und welche seiner Platten sind besonders interessant?


    Auf Anregungen wartend
    Michel

    Jetzt bin ich dreimal über Dein Posting hier "gestolpert" bis mir bei Uri Caine endlich ein Licht aufging ;) .


    Also ich besitze die folgenden Aufnahmen hier - würde mich aber nicht unbedingt als Jazz-Aficionado bezeichnen wollen :shake: .



    und die hier:



    An Uri Caine gefällt mir, dass er klassische Musik mit Jazz verbindet - das ist auch das Hauptmotiv meines Interesses an diesen beiden CD's gewesen. :D


    Von den beiden CD's finde ich persönlich die CD Urlicht / Primal Light persönlich am Besten. Wenn Du Dir Mahler "verjazzt" anhören willst liegst Du hier richtig :thumbup:


    Die CD "Wagner E Venezia" hat IMHO mit Jazz nichts zu tun, hier werden bekannte Wagner-Melodien von einem Kaffeehausensemble vorgetragen - dazu gibt es die entsprechenden "Kaffeehausgeräusche" im Hintergrund. Das ganze besitzt für mich gerade deswegen irgendwie großen Charme. :love:


    Auf alle Fälle weisen beide Einspielungen sehr interessante Instrumentierungen auf - insbesondere wird bei Urlicht immer wieder auf die jüdische Herkunft Mahlers musikalisch Bezug genommen.


    Vielleicht hast Du ja die Gelegenheit, Dich irgendwo in die CD's einzuhören.


    Liebe Grüße


    Peter :wink:

  • Was die Relation zwischen Klassik und Jazz betrifft, komme ich zu einem durchaus ähnlichen Ergebnis.
    an Le Merle Bleu



    Die von dir genannte Aufnahme kenne ich nicht, sie scheint mir aber hörenswert (und daher ein guter Tipp). Bei mir gibt es eine Aufnahme mit "Wagner auf der Piazza San Marco" - oder so ähnlich. Jedenfalls spielen Uri caine und sein Ensemble auf dem Marcusplatz in Venedig rund 80 Minuten quer durch den Gemüsegarten von Tannhäuser bis Tristan und wieder zurück in genau jenem Stil, wie in die Touristen vor dem Cafe Quadri erleben können. Und auch auf einer zweiten CD mit Musik vom Marcusplatz ist er mit dabei. Ich habe die Wagner CD Opernfreunden (darunter ein berufssänger) im Auto vorgespielt und die waren wenig begeistert; wer aber "schräge" Interpretationen schätzt, dem seien beide CD´s ans Herz gelegt. leider keine ganz billige Erwerbung (Die Titel werden am Abend nachgereicht !)


    viele Grüße aus Wien


    Michael

  • RE: RE: Uri Caine - Welche Platten sind zu empfehlen?


    Vielleicht hast Du ja die Gelegenheit, Dich irgendwo in die CD's einzuhören.


    Liebe Grüße


    Peter :wink:

    Da jpc seine Restaurierungsarbeiten nun auch abgeschlossen hat und die akustischen Beispiel-Schnipsel wieder da sind, steht dem Reinhören nichts mehr im Wege. Mach ich gleich heute Abend. :D


    Die von Dir erwähnte Mahler-Platte sieht interessant aus, und gestern beim Reinhören klangen auch die Goldberg-Variationen schön abgedreht :thumbup:


    Viele Grüße
    Michel

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • Zumindest Primal Light mag ich auch gern: Unter diesen Bearbeitungen von Mahler-Sätzen und -Liedern gefällt mir diejenige des dritten Satzes der ersten Sinfonie am besten: da wird wirklich die Sprengkraft dieses Stücks entfesselt, großartig! Hier ist natürlich auch die Nähe Mahlers zum Klezmer am engsten - Uri Caine und seinen Mitstreitern geht es ja explizit darum, die Bezüge Mahlers zur jüdischen Musik (im weitesten Sinne) offenzulegen. Ob die wirklich so eng sind, sei mal dahingestellt: Tatsache ist, dass Caine & Co hier einige überaus suggestive Mahler-Bearbeitungen gelingen - der Trauermarsch der Fünften ist verblüffend, die über das Urlicht gelegte instrumentale Klage bewegend, ebenso wie der Synagogengesang im Abschied aus dem Lied von der Erde. Bei den Lied-Pastiches gefällt mir nicht alles, aber interessant ist es allemal. Nur auf das Adagietto für Klavier kann ich verzichten.


    Die zweite Mahler-CD Caines (Dark Flame) habe ich dann allerdings als müden Aufguss empfunden, Wagner e Venezia fand ich allenfalls hübsch und aus den Diabelli-Variationen bin ich schnell ausgestiegen.



    Viele Grüße


    Bernd

    .

  • OK, überredet :) . Primal light wird beim nächsten Einkauf wohl mitkommen.


    Bernds Post wirft aber eine Frage auf, die sich mir beim Hören der Beispiele auch gestellt hat: Bleibt dieser Ansatz auf Dauer interessant, oder verkommt er zur Masche?


    Michel

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • "Wagner e Venezia" hat Peter schon vorgestellt, das war die eine CD von die ich angeführt habe.


    "Venezia la Festa" ist die andere - aber da muss ich einen Rückzieher machen, weil mich meine Erinnerung getäuscht hat. Uri Caine spielt auf dieser Aufnahme nicht mit, sondern war nur an der Produktion beteiligt. Wer Puccini, Verdi, Strauss, Brahms und andere Komponisten als Salonmusik hören möchte (gilt im Prinzip auch für die Wagner CD, die alles, nur nicht Jazz ist), dem sei diese Aufnahme ans Herz gelegt - und sei es zur Einstimmung auf den Carnevale.


    in diesem Sinne trinke ich jetzt ein Glas Prosecco und schicke Grüße aus Wien


    Michael

  • In der Zwischenzeit habe ich mir die so warm empfohlene Platte "Primal Light" angeschafft. Das konzentrierte Hören der CD am Stück steht noch aus, aber der erste Eindruck ist außerordentlich positiv. Wie Mahler zu Klezmer wird oder umgekehrt ist insgesamt sehr schön, und viele Stellen zwingen zum genauen Hinhören - nicht unbedingt eine Platte zum Nebenher Laufen Lassen. Ich würde sagen, dass das hier eine ernsthaftere Platte ist als die (sehr unterhaltsame) Mozart-CD, die ich im ersten Post genannte hatte.


    Auffällig finde ich nach wie vor, dass sich keiner der Stammgäste des Jazzkellers zu Uri Caine äußert. Hört der Jazz-Aficionados, der was auf sich hält, überhaupt Uri Caine? Oder ist das mehr ein "guilty pleasure" für Klassikhörer? :D


    Liebe Grüße
    Michel

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • Auffällig finde ich nach wie vor, dass sich keiner der Stammgäste des Jazzkellers zu Uri Caine äußert. Hört der Jazz-Aficionados, der was auf sich hält, überhaupt Uri Caine?


    O doch! Ich jedenfalls. Seit ich ihn Mitte der 80er in Steve Colemans M-Base-Collective entdeckt habe und auch zum ersten mal mit Steve Coleman, bald darauf auch schon mit eigener Band, damals im typischen M-Base-Fusion-Stil, und im Klaviertrio live erleben konnte. Aber der gute Mann ist unendlich produktiv - in die verschiedensten Richtungen. Womit anfangen? Bei mir liegen noch ein gutes Dutzend nicht abgehörter Livemitschnitte und 3 neue CDs - sein "Othello-Project", dann ein Duo mit dem armenischen Vibraphonisten Gust Tsillis und eine Aufnahme seines Trios mit Franco Ambrosetti aus dem Tessin an der Trompete - sind auch gerade neu hinzugekommen. Ich müßte auch die Zeit finden, seine wichtigsten älteren Aufnahmen noch einmal zu hören. Insofern kann ich im Moment nur darauf vertrösten, dass ich noch eine Nachzeichnung seiner Entwicklung liefern werde. Denn Uri Caine ist fraglos eine Schlüsselfigur der sogenannten New Yorker Downtown-Scene, in der man sich seit langem nicht mehr um Stil- und Genregrenzen kümmert und in den unterschiedlichsten wechselnden Kombinationen zusammen- und mit ähnlich gesinnten MusikerInnen in Europa spielt.


    Insofern sind seine Klassik-Bearbeitungen nur eine kleiner Ausschnitt seiner musikalischen Umtriebigkeit. Ich habe den Eindruck, dass es bei ihm auch keine Masche ist, wie Bernd/Zwielicht vermutete, nach dem zurecht großen Erfolg seiner beiden Mahler- und der Goldberg-Var.-Cds weiteres in der Richtung folgen zu lassen, sondern ehrliche Begeisterung auch diese Bereiche seiner musikalischen Interessen mit Freunden zu bearbeiten.


    Beide Mahler-CDs finde ich großartig, insbesondere wie er hier das Jüdische bei Mahler zur Kenntlichkeit hörbar macht und damit in die ebenfalls seit den 80 ern vor allem von John Zorn und Frank London angestoßene Debatte um radical jewish culture eingreifft; - dazu auch später einmal mehr. Die zweite Live-CD ist auch kein bloßer "Aufguß" der ersten, sondern eine Live-Variation und partielle Vertiefung. Außerdem, wir Jazz-Fans lieben halt Variationen, auch wenn da "nur" neue erstklassige Soli in Live-Stimmung drauf wären. Insofern ist die Erwartungshaltung sicherlich eine andere als die von Bernd/zwielicht. Es muß keine ganz neue Konzeption sein, wenn es neue gute Improvisationen gibt und der Improvisationsanteil ist auf der Live-CD größer. Insofern würde ich auch diese empfehlen:



    Ganz stark finde ich auch seine Goldberg-Variationen: Einfach ein Riesen-Spaß, sich hier quer durch alle möglichen Jazzstile und viel mehr, z.B. auch Drum & Bass -Bearbeitungen zu hören. Mein Favorit ist übrigens die Variation à la Verdi mit Caine solo am Piano.



    Es ist aber mehr als nur eine Gaudi, denn das meiste gelingt, weil Uri Caine und sein häufiger Compagnon gleicher Geisteshaltung, der Klarinettist Don Byron, enorm kenntnisreiche Ethnologen der eigenen Kultur in der Fülle ihrer vielfältigen Quer- und Wechselbeziehungen sind. Es entsteht gewissermaßen eine hybride Musik passend zu den Thesen über Hybride Identitäten etwa von Stuart Hall oder Homi K. Bhabba, in der Afro-amerikanisches mit Europäisch-Klassischem, mit Latin, mit Jüdischem, mit....und vielem anderen gut zusammenleben kann, ohne das eine Seite ausgebeutet wird oder alles zu einem Einheitsbrei der selben Beat-Box mit ein paar gefälligen Exotismen der Pop-McWorld vermanscht wird oder Konfliktreiches, Brüchiges, Nur-schwer-zu-Vermittelndes einfach ausgeblendet wird.


    Jedoch erscheint mir im engeren Sinne klassische und romantische europäische Musik viel schwerer mit Jazz und anderem Jazz-nahen Neuem zu vermitteln als Musik der Renaissace, des Barock oder der Moderne, zu der ich auch schon Mahler rechnen würde. Aber bislang habe ich selbst auch nur ein paar Vermutungen, wieso das so ist, ohne das es mir richtig klar ist.


    Was bei Caines Goldberg-Var. m.E. weitgehend gelang, vielleicht auch, weil es selbst eben Variationen über ein relativ einfaches Thema sind, scheitert m.E. bei Mozart eher, aber ich bin hier womöglich zu voreingenommen, weil ich Mozart nicht mag, mir Mozarts Melodien und Rokoko-"Hübschheiten" selbst noch in diesen Bearbeitungen entsetzlich auf den Senkel gehen. Aber ich begreife hier auch nicht, was hier der zusätzliche künstlerische Ertrag dieser Kombinationen seien soll, wie beim Mahler-Projekt die Betonung des Gebrochenem in Verbindung mit dem Jüdischen in Fortsetzung zur aktuellen New Yorker radical jewish cultureoder beim Goldberg-Projekt die Fortsetzung der Variationen in unserer global world.


    Völlig gescheitert ist m.E. das Schumann-Dichterliebe-usw-Projekt. Was Caine und seinen Mitstreitern hier einfiel, kommt mir sehr ausgedacht und außerdem banal vor: Halt irgend so´n "Kunscht"-Gedöns auf mäßig gespieltem, etwas uminstrumentiertem Schumann draufgemischt.



    Ganz besonders schätze ich aber Uri Caine im klassischen Jazz-Piano-Trio, z.B. hier:



    mit den hervorragenden Drew Gress am Bass und Ben Perowsky, Drums, die ebenfalls dieser sehr vielseitig offenen Downtown-Scene zuzurechnen sind. Auch hier verbinden sie sehr gekonnt verschiedene Jazzstile.


    :wink: Matthias

  • Lieber Matthias


    Vielen Dank für Deinen Beitrag - man spürt die Begeisterung :thumbup: . Im Gegensatz zu Dir ist Mozart einer meiner "Helden", und entsprechend unterhaltsam finde ich auch Caines Mozart-CD. Wie der (zu) berühmte türkische Marsch mit orientalischen Gesängen verwurschtelt wird - das hat schon was. Die Goldberg-Variationen stehen auch schon auf meinem Wunschzettel - die Hörschnipsel bei jpc machen durchaus Appetit. Und wenn Du mit der Othello-Platte durch sein wirst: Bitte berichten, ob ich die auch auf meine Liste tun sollte.


    Zitat

    Beide Mahler-CDs finde ich großartig, insbesondere wie er hier das Jüdische bei Mahler zur Kenntlichkeit hörbar macht und damit in die ebenfalls seit den 80 ern vor allem von John Zorn und Frank London angestoßene Debatte um radical jewish culture eingreifft; - dazu auch später einmal mehr.

    Oh ja, bitte gerne. In unserem Plattenschrank stehen auch einige Masada-CDs, und wir haben auch John Zorn schon einige Male Live gehört, zuletzt bei unserem New-York-Besuch im vergangenen Jahr. Kennst Du Ben Goldberg? Auch den konnten wir vor vielen Jahren in Köln hören (mit John Zorn) und haben seit dem einige seiner Platten gekauft.


    Viele Grüße
    Michel

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

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