Beethoven: Streichquartette op. 18

  • Beethoven: Streichquartette op. 18

    „Frühe Quartette“ – eher „noch nicht“ oder eher „doch schon“?

    Beethovens Opus 18 wird meist mit der Überschrift „die frühen Streichquartette“ versehen, sei es in der Literatur, sei es auf CD-Covern. Mit diesem „früh“ scheint mitunter, wenn nicht eine Herabwürdigung, so doch eine geänderte Wahrnehmung verbunden zu sein. Da schwingt ein „noch nicht“ mit, da klingt eine Relativierung gegenüber späteren Gattungsbeiträgen an.

    Dies ist aus anderen Zusammenhängen vertraut: „frühe Opern“ (Mozart, Verdi) oder „frühe Sinfonien“ (Schubert, Dvorak) haben manchmal ein ähnlich schwieriges Standing gegenüber „späteren“. Andererseits gibt es diejenigen Erstlingswerke, die „fertig“ wirken, und bei denen das „noch nicht“ kaum wahrgenommen wird; dies selbst dann, wenn es noch weitere Entwicklungen beim jeweiligen Komponisten gab. Bei Sinfonien könnte man etwa an Brahms, Mahler und Sibelius denken.

    Die „frühen“ Quartette Beethovens gehören klar zum letzteren Typ der „fertigen“ Erstlinge. Eine Spekulation sei gewagt: Hätte Beethoven, aus welchen Gründen auch immer, nach 1800 keine Streichquartette mehr komponiert, so würde op. 18 als Krone der Quartettkunst des 18. Jhds. gefeiert werden – oder so ähnlich. Sicher nicht, ohne im selben Atemzug Mozarts „Haydn-Quartette“ und Haydns späte Quartette ab 1790 (insbes. op. 76) zu nennen, aber eben doch als vorläufiger End- und Höhepunkt einer Entwicklung, die fast ein halbes Jahrhundert zuvor begann. Dieses Lob könnte man natürlich auch vor dem Hintergrund der danach entstandenen Quartette Beethovens spenden – aber dies geschieht nicht, jedenfalls ist es mir solches noch nicht aufgefallen. Spielt da die Existenz späterer Werke nicht doch eine Rolle?

    Aus der Sicht des Hörers gefragt: Verschenkt man nicht mögliches Hörvergnügen, wenn man op. 18 aus der Perspektive der mittleren und späten Quartette hört? Es mag meinetwegen historisch uninformierte Dirigenten gegeben haben, die Schuberts „Große C-Dur-Sinfonie“ dirigierten, als wäre es Bruckner. Wäre es denn nicht zumindest vorstellbar, dass es einen historisch uninformierten Hörer geben könnte, der durch die Appassionata-Brille etwas scheel auf Beethovens Klaviersonate f-moll op. 2 Nr. 1 blickt? Kann das Hörvergnügen leiden, wenn man diese Werke aus der historisch falschen Richtung einordnet? Opus 18 wäre jedenfalls ein Kandidat dafür. Das sind eben noch keine „Rasumowsky-Quartette“ und gehören erst recht nicht zum Spätwerk.

    Aber warum eigentlich soll man sich durch die weitere Entwicklung Beethovens beim Genuss der „frühen Quartette“ einschränken lassen? Warum auf das „noch nicht“ hören, anstatt die Musik zu erleben und - wenn überhaupt - eher Mozart und Haydn als Kontext mitzudenken? Warum sich nicht einfach an diesen großartigen Quartetten freuen? In Nr. 1 etwa am dicht gearbeiteten Kopfsatz, an der „Romeo-und-Julia“-Grabszene des langsamen Satzes, am raffinierten Scherzo, das den Hörer mehrmals in die Irre führt? In Nr. 3 an der Tiefe des „Andante con moto“ oder am perpetuum-mobile-Finale? Am leidenschaftlichen „Sturm und Drang“-nahen ersten Thema des Kopfsatzes von Nr. 4? Am mit leichter Hand gesetzten und doch geistreich unterhaltenden Schlusssatz von Nr. 5? Am unternehmungslustigen Dialogisieren von Violine und Cello im Kopfsatz, am wahnwitzigen Scherzo und am einzigartigen „La Malinconia“-Finale in Nr. 6? So viel Ohrenfutter vom Feinsten …

    Beethoven war 30 Jahre alt, als er dieses Opus fertigstellte; nicht jünger als Mozart zur Zeit der Entstehung der „Haydn-Quartette“. Da relativiert sich das „früh“ ohnehin.

    Kammermusik in Wien um 1800

    Warum überhaupt schrieb Beethoven in mehreren Phasen seines Lebens Streichquartette? Und warum hat er nicht ein vergleichbar gewichtiges Schaffen bei Bläserquintetten, Klavierliedern und geistlichen Kantaten hinterlassen? War das reiner kompositorischer Wille, der seinen idealen Ausdruck im (zumindest theoretisch) gleichberechtigten Miteinander von vier solistischen Streichern zu finden meinte? Oder gab es andere Gründe?

    Als Beethoven 1792 nach Wien kam, traf er die Stadt in einem Zustand vor, den wir heute Finanzkrise nennen würden. Infolge des russisch-österreichischen Türkenkrieges 1787-92 musste der Adel seine Ausgaben einschränken und tat dies auch auf dem Gebiet der Musik. Bereits Mozart hatte dies zu spüren bekommen. Die Französische Revolution tat ihr Übriges.

    Die Tragweite solcher Sparmaßnahmen wird klar, wenn man bedenkt, dass die Stadtpalais des Adels die eigentlichen Zentren des Wiener Musiklebens waren. Öffentliche Orchesterkonzerte waren eher selten und wurden überwiegend auf Subskription veranstaltet, d. h. das Ereignis fand erst statt, wenn so viele Karten verkauft waren, dass sich die Kosten decken ließen. Vergleichbare Konzerte mit Kammermusik gab es schon gar nicht. Aufführungen von Orchesterwerken wurden vor allem vom Adel bestritten, der eigene Orchester unterhielt, teilweise sogar vollständige Opernensembles mit Gesangssolisten und Chor. Diese lebten und musizierten dort, wo ihr Dienstherr gerade residierte; typischerweise des Sommers im Landsitz und des Winters im Wiener Stadtpalais. Die bekannte Geschichte zu Haydns Abschiedssinfonie weiß davon zu erzählen.

    Die wirtschaftliche Lage führte dazu, dass die meisten Orchester und Opernensembles entlassen wurden. So ungünstig dies für die Weiterentwicklung der Orchestermusik in der Breite war, so förderlich war dies für die Kammermusik. Denn anstelle der kostspieligen Orchester hielt man sich kleine Ensembles, zum Beispiel eine Harmoniemusik, also eine Bläserbesetzung, oder eben ein Streichquartett.

    Damit waren die Verhältnisse in Wien verschieden von denen in den beiden anderen wichtigen Zentren mitteleuropäischer Musikpflege. In England gab es in weitaus höherem Maße öffentliche Konzertveranstaltungen mit Chören und Orchestern. So hat Haydn nach 1790 noch Sinfonien für London, nicht aber für Wien komponiert und empfing die Anregung für seine späten Oratorien durch die englische Konzerttradition. In Paris lag die ebenfalls vom Adel geförderte Kammermusik als Folge der Revolution darnieder. Wien war nun der gedeihlichste Nährboden für derer Weiterentwicklung.

    Mit der Bestallung von Kammermusikensembles in Wien gingen neue Möglichkeiten für die Komponisten einher, denn die fraglichen Musiker spielten auf dem Niveau von Solisten. Die gestiegenen spieltechnischen Ansprüche lassen sich in Beethovens Werken wiederfinden: Die Rasumowsky-Quartette op. 59 von 1806 stellten nochmals deutlich höhere Anforderungen an das Können der Aufführenden, als dies die sicher nicht anspruchslosen Quartette op. 18 (1798-1800) taten.

    Die Blüte der Wiener Kammermusik entstand nicht aus dem Nichts. Die Kataloge der dortigen Verlage führten schon in der Zeit von 1781-90 alleine weit über 200 Streichquartette, 70 Klaviertrios, über 50 Violinsonaten und weitere Gattungen. Auch, wenn hierbei diejenigen Werke fehlen, die andernorts oder überhaupt nicht verlegt wurden, so ist die Bevorzugung des Streichquartetts klar zu erkennen.

    Es würde zu einem wenig repräsentativen Bild führen, wenn man die Ausnahmewerke Haydns oder Mozarts als Maßstab nähme, um sich ein Bild der Literatur jener Zeit zu machen. Mozarts „Haydn-Quartette“ empfand man bei ihrem Erscheinen als „zu starck gewürzt“ und zog leichter verständliche Kost vor, etwa von Leopold Kozeluh. Als Beethoven wenige Jahre später in Wien seine ersten Werke mit Opuszahl veröffentlichte, zog er seinerseits die Abneigung der konservativen Kreise auf sich. Czerny erinnerte sich: „In jener Zeit wurden Beethovens Kompositionen vom größeren Publikum gänzlich verkannt und von allen Anhängern der älteren Mozart/Haydnschen Schule mit der größten Bitterkeit bekämpft“.

    Abgesehen von allen Geschmacksfragen waren bereits die Haydnschen Quartette vielen Musikern spieltechnisch zu anspruchsvoll. Man griff auf Werke von Pleyel und anderen zurück. Der Komponist, Verleger und Musikpädagoge Hans Georg Nägeli erinnerte sich 1832 daran, dass man zwischen dem „höheren Stil“ der Quartette Joseph Haydns und dem „niederen Stil“ der Gattungsbeiträge Pleyels seinerzeit wohl zu unterscheiden wusste. Das Wissen um diesen Unterschied hat sich bekanntlich nicht in allen Teilen Wiens bis auf den heutigen Tag erhalten, der Kampf gegen Neuerungen scheint hingegen gerade dort seine „größte Bitterkeit“ behalten zu haben.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Quellen der Inspiration

    Beethoven komponierte und veröffentlichte in Wien bald seine Klaviertrios op. 1 (1793-95) und die drei Klaviersonaten op. 2 (1795). Mag sein, dass es dazu schon Skizzen aus Bonner Zeit gegeben hat. Sein Weg zum Streichquartett war jedoch ein längerer.

    Kompositionsunterricht erhielt er in Wien bekanntlich nicht nur von Josef Haydn, sondern auch von Johann Georg Albrechtsberger und Johann Baptist Schenk; die letzteren beiden wählte er insbesondere, um seine Fertigkeiten im Kontrapunkt auszubauen. Ebenso bekannt ist, dass die Begeisterung seiner Lehrer sich in Grenzen hielt. Beethovens späterer Schüler Ferdinand Ries berichtete, dass sie ihn bei aller Wertschätzung „eigensinnig“ und „selbstwollend“ nannten und dass er daher „durch eigene harte Erfahrung“ habe lernen müssen, was er im Unterricht nie annehmen mochte.

    Wesentliche Anregungen hat er durch eigene Anschauung erhalten. Beethoven erhielt nach einer Ankunft in Wien sogleich Zugang zu den aristokratischen Musizierkreisen. Mag sein, dass der ihm noch aus Bonner Zeiten bekannte Ferdinand Ernst Graf von Waldstein die Türen zu den Adelspalais geöffnet hat; dieser hatte ihm ja in seinem Reisegruß von „Mozarts Geist aus Haydns Händen“ geschrieben. Durch die aus wirtschaftlichen Gründen vielfältig gewordene Kammermusikpraxis lernte Beethoven in den fürstlichen Palais die ganze damalige Bandbreite der Quartettkomposition kennen. Haydns op. 20 Nr. 1 hat ihn so sehr beeindruckt, dass er sich 1793/94 eine Partitur des Werkes erstellte. Dies tat er ebenso mit Mozarts Streichquartetten in G-Dur (KV 387) und A-Dur (KV 464). Da Quartette seinerzeit nur in Stimmen gedruckt wurden, war dies der einzige Weg zum Selbststudium.

    Die Salons des Adels waren jedoch nicht nur Inspirationsquelle, sondern auch Experimentallabor. Was Beethoven komponierte, wurde dort sogleich probiert und teilweise noch Verbesserungen unterzogen. Das geschah auch auf Anregungen von anderen: So bezeichnete Beethoven etwa auf Anregung des Cellisten Kraft eine Stelle der Cellopartie im Klaviertrio c-moll op. 1 Nr. 3 mit „sulla corda C“ und die Taktart des Finales des Klaviertrios G-Dur op. 1 Nr. 2 mit 2/4 statt 4/4.

    Sein Freund Franz Gerhard Wegeler erinnerte sich, dass zwar Graf Appónyi bereits im Jahre 1795 Beethoven um die Komposition von Streichquartetten gegen Honorar bat, aber dass diesbezügliche Versuche zum Streichtrio op. 3 und zum Streichquintett op. 4 führten. Letzteres ist eine (allerdings weitgehende) Bearbeitung des Bläseroktetts op. 103, das ungeachtet seiner hohen Opuszahl bereits 1792 in Bonn entstand. Beethoven scheint der Gattung des Streichquartetts noch aus dem Weg gegangen zu sein, eventuell mit Blick auf den Nimbus der Werke Mozarts und Haydns.

    Seinen Erfahrungshorizont konnte er im Jahr 1796 durch eine Reise nach Berlin an den Hof des cellospielenden Königs Friedrich Wilhelm II. von Preußen erweitern. Er begegnete unter anderem dem Cellisten Jean-Louis Duport, dessen Spiel ihn zu den Sonaten op. 5 inspirierte. Man mag das in den Quartetten op. 18 zu findende Cellospiel in hohen Lagen auf solche Erfahrungen zurückführen.

    Einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung von Streichquartetten bedeuteten die drei Streichtrios op. 9, die der Komponist gegenüber ihrem Widmungsträger Johann Georg Graf von Browne als „bestes seiner Werke“ bezeichnete. Hier begegnet man bereits der Dramatik, die folgenden Kompositionen häufig eigen sein sollte.

    Neben dem Studium der zeitgenössischen Kammermusik lernte Beethoven auch die Werke Bachs und Händels weiter kennen. Baron van Swieten pflegte dazu eine umfangreiche Sammlung. Schindler berichtet, dass der Baron den Komponisten nach den Versammlungen „erst spät gehen ließ, weil dieser noch eine Anzahl Fugen von Seb. Bach zum Abendsegen vortragen musste“. Zum Kennenlernen der Chorwerke führte man diese im kleinen Kreis privatissime auf, van Swieten sang den Sopran, Beethoven klavierspielend den Alt, weitere Details sind nicht genannt.

    In einem Thread zu Mendelssohn-Bartholdy wurde kürzlich erwogen, ob dieser Komponist eventuell beabsichtigte, der größte Sinfoniker aller Zeiten zu werden. Was dazu zu sagen ist, wurde dort gesagt. Dem Streichquartettkomponisten Beethoven eine entsprechende Absicht zu unterstellen (fraglos wäre er ein Kandidat für diesen zweifelhaften Titel), entbehrt jeder belastbaren Grundlage. Zum einen, weil nach obigen Ausführungen klar ist, wie sehr die Entscheidung für oder gegen eine Gattung von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen bestimmt ist. Zum anderen und vor allem aber deswegen, weil sich damals kein Komponist Hoffnungen machen konnte, dass seine Werke in hundert Jahren noch gespielt würden – oder bestenfalls im Privatkreis derjenigen, die sich solche Vergnügungen leisten konnten. Abgesehen von den partikulären Vorlieben van Swietens erlebte Beethoven in Wien nur die Aufführungen von Werken, die keine fünfzig Jahre alt waren. Für die Annahme, dass die Kategorie „aller Zeiten“ um 1800 überhaupt existierte, gibt es keinen Anhaltspunkt. Erst diejenigen Komponisten, die in einem Umfeld mit historischem Bewusstsein lebten, konnten mit Ruhm bei kommenden Generationen rechnen. So bewarb zwar Hans-Georg Nägeli im Jahre 1818, also knapp eine Generation später, die Subskription des Erstdrucks von J. S. Bachs Messe in h-moll mit den Worten „Ankündigung des grössten musikalischen Kunstwerks aller Zeiten und Völker“. Aber sogar noch Bruckner ging offenbar bestenfalls von einer Nachwirkung im Expertenkreis aus, wenn er zum Finale seiner 8. Sinfonie schrieb: „Bitte sehr, das Finale so wie es angezeigt ist fest zu kürzen; denn es wäre viel zu lange und gilt nur späteren Zeiten und zwar für einen Kreis von Freunden und Kennern.“ - Für zukunftsgerichtete Erwartungen an die Rezeption seiner Werke gibt es bei Beethoven in der Zeit der Entstehung von op. 18 keine Hinweise.

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  • Auftrag, Entstehung und zeitgenössische Rezeption

    Im Herbst oder Winter 1798/99 erteilte Fürst Joseph Franz Maximilian von Lobkowitz sowohl an Joseph Haydn als auch an Ludwig van Beethoven den Auftrag für jeweils sechs Streichquartette. Bei Beethoven führte dies zu den sechs Quartetten op. 18. Haydn hingegen vollendete nur zwei Quartette. Diese entstanden im Jahr 1799. Als sich abzeichnete, dass der Auftrag nicht fertig gestellt werden sollte, erschienen sie im Herbst 1802 als op. 77. Man kann einige mögliche Gründe dafür anführen, warum Haydn den fürstlichen Auftrag nicht zu Ende brachte. Mit der Komposition der „Jahreszeiten“ war er mehr als ausgelastet, ferner ließen seine Kräfte immer weiter nach. Es wurde spekuliert, dass das Erscheinen von Beethovens op. 18 im Jahre 1800 den älteren Komponisten eventuell sogar entmutigt haben könnte.

    Durch das Studium von Beethovens Skizzenbüchern konnte man feststellen, dass das Quartett in D-Dur, das wir heute als Nr. 3 kennen, zuerst komponiert und spätestens Anfang 1799 fertiggestellt wurde. Es folgten Nr. 1 in F-Dur bis spätestens April und Nr. 2 in G-Dur vermutlich im Mai 1799. Danach wurden sofort Abschriften der drei Werke erstellt. Im Oktober erhielt der Auftraggeber diese Quartette als Teillieferung.

    Etwas weniger sicher kann man aus den Skizzenbüchern schließen, dass Nr. 5 in A-Dur im Sommer desselben Jahres begonnen wurde und Nr. 4 in c-moll sowie schließlich Nr. 6 in B-Dur folgten. Im Frühsommer 1800 war die Erstfassung von op. 18 fertiggestellt; wiederum im Oktober erhielt Fürst von Lobkowitz die drei restlichen Quartette.

    Die Quartette op. 18 entstanden also in zwei Serien à drei Werke in der vermutlichen Reihenfolge Nr. 3 - Nr. 1 - Nr. 2 und Nr. 5 - Nr. 4 - Nr. 6.

    Beethoven-Schüler Carl Czerny spekuliert über Gründe für die Abweichungen bei der Nummerierung der Werke von der Reihenfolge ihrer Entstehung: „Von den 6 ersten Violinquartetten war das in D dur (im Stich Nr. 3) das Erste, welches Beethoven überhaupt schrieb. Auf den Rath des Schuppanzigh ließ er aber das in F dur (obschon später geschrieben) als Nr. 1 erscheinen, vermuthlich weil das D dur unbestimmt mit der Septime anfängt, was damals noch unerhört war“.

    Beethoven überarbeitete die Werke sogleich. Direkt nachweisbar ist dies an Nr. 1 in F-Dur, von dem Karl Amenda, ein Freund Beethovens, eine Abschrift der Erstfassung bekommen hatte, die erhalten geblieben ist. In der Henle-Studienpartitur von op. 18 ist sie erfreulicherweise zugänglich. Für die anderen Quartette gibt es keine solchen Quellen, jedoch kann ebenfalls eine Überarbeitung vermutet werden. Ebenso darf man annehmen, dass die Erstfassungen vom Schuppanzigh-Quartett bei Fürst von Lobkowitz aufgeführt wurden und dass Beethoven diese Erfahrungen bei der Revision einbrachte.

    Im Jahr 1801 war die Schutzfrist der Vorrechte des Auftraggebers offenbar abgelaufen, denn Beethoven ließ die Werke mit Widmung an Fürst von Lobkowitz nacheinander in zwei Heften im Juni bzw. im Oktober bei T. Mollo & Co. in Wien drucken. Allzu erfreut war er jedoch nicht, denn er schrieb an seinen Verleger Franz Anton Hoffmeister: „Hr. Mollo hat wieder neuerdings meine Quartetten sage: voller Fehler und Errata – in großer und kleiner Manier herausgegeben sie wimmeln wie die kleinen Fische im Wasser d. h. in unendliche – questo è un piacere per un autore – das heiß ich ‚stechen‘, in Wahrheit meine Haut ist ganz voller Stiche und Ritze – von dieser schönen Auflage meiner quartetten“.

    Die offenbar einzige erhaltene Rezension dieser Werke stammt aus der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung vom 26. August. Sie bezieht sich auf das erste Heft: „Unter den neuen hier erscheinenden Werken zeichnen sich vortreffliche Arbeiten von Beethoven aus (bei Mollo). Drei Quartetten geben einen vollgültigen Beweis für seine Kunst: doch müssen sie öfters und sehr gut gespielt werden, da sie sehr schwer auszuführen und keineswegs populair sind.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Formen und Tonartverhältnisse

    Alle sechs Quartette in op. 18 sind viersätzig. Dieser Befund wäre allenfalls für Nr. 6 zu diskutieren, wo Beethoven dem letzten Satz eine ausführliche langsame Einleitung voranstellt, die fast so lange dauert wie das eigentliche Finale. Die eigens notierte Anweisung „attacca“ zwischen Einleitung und den folgenden Takten scheint die Trennung der beiden Teile eher noch zu betonen, also Fünfsätzigkeit anzudeuten. Andererseits greift Beethoven in der Coda des Finales wieder auf die Motivik der Einleitung zurück und verschränkt beide Charaktere ineinander. Das Ergebnis ist ein Satz sui generis, der nicht in zwei selbständige Sätze getrennt werden kann. Mithin ist auch Nr. 6 als viersätzig zu bezeichnen.

    Fast immer steht der langsame Satz an zweiter Stelle. Die Ausnahme ist das Quartett Nr. 5 in A-Dur; der Grund dafür scheint zu sein, dass Beethoven sich in diesem Werk zumindest in formaler Hinsicht stark an Mozarts Quartett in derselben Tonart (KV 464) orientiert hat. Mehr dazu im Abschnitt zu Nr. 5.

    Die Kopfsätze stehen durchweg in Sonatenhauptsatzform mit zwei Themen. Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 haben eine Coda mit Durchführungscharakter. In Nr. 2 und Nr. 5 sind es nur wenige Takte, in Nr. 6 gibt es im Kopfsatz keine Coda.

    Als Formtypen der langsamen Sätze kommen vor: Sonatenhauptsatz (Nr. 1), modifizierte Sonatenhauptsatzform (Nr. 3), dreiteilige Form (Nr. 2 mit einem schnellen Mittelteil, Nr. 6) und Variationen (Nr. 5). In Nr. 4 gibt es eigentlich keinen langsamen Satz; stattdessen steht hier ein „Andante scherzoso quasi Allegretto“ in Sonatenhauptsatzform.

    Die Tonarten der langsamen Sätze sind die Subdominante (Nr. 2, Nr. 5, Nr. 6) oder die Mollparallele (Nr. 1). In Nr. 3 steht der langsame Satz in B-Dur, also in Großterzbeziehung zur Haupttonart D-Dur. In Nr. 4, welches eigentlich keinen langsamen Satz hat, steht der zweite Satz in C-Dur, also in der Durvariante der Tonart des Quartetts (c-moll).

    Die Tanzsätze heißen „Scherzo“ (Nr. 1, Nr. 2, Nr. 6) oder „Menuetto“ (Nr. 4, Nr. 5); in Nr. 3 fehlt eine Überschrift. – Die Trio-Abschnitte stehen in derselben Tonart wie der Hauptsatz (Nr. 1, Nr. 5, Nr. 6), in der Subdominante (Nr. 2), in der Mollvariante (Nr. 3) oder in der Subdominantparallele (Nr. 4).

    Die Finali von Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 5 sind Sonatenhauptsätze mit zwei Themen und Coda. In Nr. 4 steht ein Rondo am Ende des Quartetts. Ein Sonderfall ist das Finale von Nr. 6 mit einer langsamen Einleitung, deren Material in der Coda des Satzes wieder erscheint; als Hauptteil findet man auch hier einen Sonatenhauptsatz mit zwei Themen, aber ohne Durchführung. – Ob man das Finale von Nr. 1 statt als „Sonatenhauptsatz“ eher als „Sonatenrondo“ bezeichnen mag oder nicht, ist ein Streit um Definitionen.

    Literatur

    Die umfassendste Darstellung jüngeren Datums ist Gerd Indorf zu danken. Aus welcher Anschaffung man mehr Gewinn ziehen wird - noch eine Gesamtaufnahme der Streichquartette Beethovens oder stattdessen eine profunde Darstellung der Werke und des Umfeldes ihrer Entstehung in Form eines Buches - muss jeder für sich selbst entscheiden.

    Gerd Indorf: Beethovens Streichquartette, 2. Auflage, Freiburg i. Br.: Rombach Verlag KG, 2007

    Ebenfalls sehr zu empfehlen, aber kostenintensiv:

    Friedhelm Krummacher: Das Streichquartett, Teilband I: Von Haydn bis Schubert (Handbuch der musikalischen Gattungen; Band 6.1), Laaber: Laaber, 2001

    Zuverlässig wie immer sind:

    Harenberg Kulturführer Kammermusik, 3. Auflage, Mannheim: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2008
    Arnold Werner-Jensen (Herausgeber): Reclams Kammermusikführer, 13. Aufl., Stuttgart: Philipp Reclam jun., 2005

    Die beste Studienausgabe ist wohl diejenige von Henle. Sie enthält nicht nur die finale Fassung der sechs Quartette op. 18, sondern auch die Amenda-Frühfassung des ersten Quartetts und die vom Komponisten selbst erstellte Streichquartettfassung der Klaviersonate E-Dur op. 14 Nr. 1. Alle Beethoven-Streichquartette gibt es auch im Schuber:

     

    Die folgenden Analysen werden durch Zeitangaben einiger Aufnahmen nachverfolgbar gemacht. Dabei wurden die folgenden Einspielungen verwendet:

    Alban Berg Quartett
    (P) 1981
    (Mir steht nur die alte 3-CD-Hochpreisbox zur Verfügung, ohne Bild. Ich hoffe, dass die Zeitangaben identisch sind.)

     

    Takács Quartet
    2002/03

    Artemis Quartett
    1998-2010

    Belcea Quartet
    2011/2012

     

    Zeitangaben stehen stets in der Reihenfolge Alban Berg Quartett/Takács Quartet/Artemis Quartett/Belcea Quartet.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Streichquartett F-Dur op. 18 Nr. 1

    Erster Satz – Allegro con brio (F-Dur, 3/4)

    Dieser Satz steht in Sonatenhauptsatzform mit zwei Themen. Da im Wesentlichen das Initialmotiv des ersten Themas verarbeitet wird, wirkt der Satz fast so dicht wie beispielsweise die Kopfsätze von Haydns Quartetten op. 50 Nr. 1 und op. 76 Nr. 2.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Das erste Thema wird im Unisono über zwei Oktaven exponiert. Obwohl es piano gespielt wird, wirkt gerade das Initialmotiv wie ein Motto. Eigentlich besteht es nur aus einem Ton samt nachfolgender Verzierung plus Abwärtssprung. – (0:11/0:16/0:12/0:14) Der zweite Unisono-Einsatz, nun im Forte statt dem anfänglichen Piano, wird sogleich in durchführungsartiger Verarbeitung fortgesetzt, wenngleich mit retardierender Wirkung durch lange Notenwerte in den Begleitstimmen.
    (0:36/0:40/0:37/0:39) Hier könnte man bereits die Überleitung ansetzen. – Die Alternative wären die Tonleiterfiguren bei 0:58/1:03/1:01/1:03, die aber schon vorher angedeutet werden.
    (1:08/1:13/1:10/1:13) Das zweite Thema beginnt mit einer fallenden Zerlegung des Dominantnonakkordes von C-Dur. Es ist nicht sonderlich profiliert, ist in der Durchführung nicht zu hören und erscheint lediglich pflichtschuldigst in der Reprise.
    (1:27/1:30/1:29/1:33) Schlussgruppe. Sie macht vom bis hierher exponierten Material weidlich Gebrauch – Motive aus dem ersten Thema, aus der Überleitung und aus dem zweiten Thema sind mühelos zu erkennen. Schluss in C-Dur. – Wiederholung.

    Durchführung
    Die Durchführung wird wesentlich von der thematischen Verarbeitung des mottoartigen Initialmotivs des ersten Themas dominiert.
    (4:37/4:38/4:47/4:40) Zunächst wiederholt Beethoven die letzten Takte der Schlussgruppe in A-Dur und betreibt thematische Arbeit mit dem Initialmotiv.
    (4:55/4:55/5:05/5:08) Hier beginnt das Herzstück der Durchführung. Kontrapunktische Verdichtung des Initialmotivs, dramatische Modulationen.
    (5:21/5:21/5:32/5:35) Ab hier entspannt die Musik wieder ein wenig, die Verarbeitung ist weniger komplex, das Fortschreiten ist vorhersagbarer.
    (5:40/5:39/5:51/5:54) Verarbeitung der Tonleitermotivik aus der Überleitung bestimmt den letzten Abschnitt.

    Reprise
    (5:54/5:53/6:05/6:08) Erstes Thema in F-Dur, nun aber im Fortissimo und in vier Oktavlagen klingend. – Die Wiederholung des Themas fällt weg, stattdessen setzt Beethoven eine variierende Fortspinnung, die Überleitung erscheint stark verkürzt.
    (6:42/6:42/6:57/7:00) Zweites Thema in F-Dur.
    (7:00/7:00/7:16/7:20) Schlussgruppe.

    Coda
    (7:56/7:54/8:12/8:17) Hier oder vier Takte später mag man die Coda ansetzen, die zunächst vom Doppelschlagbeginn des Verzierungsmotiv die ersten beiden Töne abspaltet und damit nochmal etwas Neues bringt. Thematische Arbeit mit dem Motiv und empfindsame Harmonik bringen den Satz zu Ende. – Keine Wiederholung.

    Zweiter Satz – Adagio affettuoso ed appassionato (d-moll, 9/8)

    Auch dieser Satz steht in Sonatenhauptsatzform mit zwei Themen.

    Karl Amenda, Beethovens Freund, teilte mit, dass der Komponist sagte: „Ich habe mir dabei die Szene aus dem Grabgewölbe aus Romeo und Julia gedacht“.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Erstes Thema in d-moll. Nach einem einleitenden Takt beginnt die erste Violine mit der Melodie des Lamentos. – (1:06/1:05/1:06/1:22) Die Wiederholung der Melodie beginnt im Cello. Alsbald übernimmt die erste Violine die Führung, die Wiederholung ist nicht vollständig.
    (1:36/1:35/1:36/1:59) Überleitung.
    (2:06/2:05/2:05/2:37) Zweites Thema in F-Dur. In seinem Verlauf wird durchgehende Sechzehntelbewegung eingeführt.
    (3:07/3:06/3:00/3:48) Schlussgruppe. Keine Wiederholung.

    Durchführung
    (3:52/3:48/3:40/4:42) Hier geht es weniger um motivisch-thematische Arbeit als um dynamische Kontraste.

    Reprise
    (5:15/5:07/4:57/6:22) Erstes Thema in d-moll mit rhythmisch belebter Begleitung. Die Wiederholung entfällt ebenso wie die Überleitung, dafür wirken die dynamischen Kontraste aus der Durchführung nach.
    (6:20/6:07/5:58/7:42) Zweites Thema in D-Dur.
    (7:22/7:05/6:52/8:52) Schlussgruppe.

    Coda
    (8:00/7:42/7:28/9:37) Beethoven legt den dramatischen Höhepunkt in die Coda.

    Dritter Satz – Scherzo. Allegro molto. (F-Dur, 3/4)

    Die Wirkung des Satzes ist vollkommen darauf berechnet, dass der Hörer die Form |: A :| |: B A‘ :| erwartet.

    In der Tat gibt es einen Teil A, der wiederholt wird. Dieser ist zwar extrem kurz, hat gerade mal zehn Takte, aber die Hörerwartung wird erfüllt.

    Dementsprechend darf man einen kurzen Teil B erwarten. Beginn bei 0:12/0:12/0:12/0:12 in As-Dur, außergewöhnlich. Nach nicht mehr als sechs Takten erscheint bei 0:16/0:15/0:15/0:16 tatsächlich das sequenzierende Anfangsmotiv wieder in der ersten Violine. A‘? Nein, denn eine Oktave höher und in Des-Dur. Sozusagen eine falsche Reprise. Taktweise Wiederholungen erhöhen dann die Spannung (aber jetzt muss doch A‘ kommen?!), und bei 0:27/0:26/0:26/0:28 geht’s tatsächlich in der richtigen Tonart und Oktavlage los, als wäre es ein A‘. Doch die Fortsetzung verläuft anders, ok, das ist bei einem A‘-Teil halt so, aber mit der scheinbaren Schlussformel findet Beethoven kein Ende, nochmal, nochmal, noch ein Schluss, noch ein Schluss, und dann … nochmal das Anfangsmotiv, eine Oktave höher (0:43/0:41/0:40/0:45). Jetzt erst geht’s in den Schluss. Und in was für einen. - Wiederholung.

    Das Trio. Was jetzt? Der A-Teil beginnt mit Oktavsprüngen auf verschiedenen Cs und setzt nach vier Takten unvermittelt in Des-Dur fort, um in f-moll zu schließen. Wiederholung. – Der B-Teil macht thematische Arbeit mit dem Oktavsprung, dann kommt so etwas wie ein A‘, nur halt ganz anders und länger. – Der B-Teil wird nicht wiederholt, die Reprise des Scherzos schließt zäsurenlos an.

    Vierter Satz – Allegro. (F-Dur, 2/4)

    Das Finale steht in Sonatenform mit zwei Themen. Beethoven setzt seine Strategie der Irreführung des Hörers fort.

    In der Literatur wird diskutiert, ob Beethoven am Spagat zwischen der Ausgleichung der Gewichte zwischen Kopfsatz und Finale einerseits und einem heiteren Ausklang andererseits scheitert, m. a. W.: er versuchte, beides zu realisieren, aber ganz geglückt ist ihm das nicht. Das Finale ist zwar vergleichsweise lang; dass der Kopfsatz noch länger ist, liegt nur an der dortigen Expositionswiederholung. Aber dem Finale fehlt die konzentrierte thematische Arbeit, die sich im Kopfsatz ja fast ausschließlich auf das Initialmotiv stützte. Im Ergebnis wird das Finale als zu lang für einen heiteren Ausklang und zu wenig dicht für ein Gegengewicht zum Kopfsatz bewertet. Als Bestätigung zieht man heran, dass Beethoven sich im Finale von Nr. 2 deutlich kürzer fasste.

    Man kann entgegenhalten, dass das Finale durch die fehlende Expositionswiederholung eben doch kürzer ist und durch die Strategie der unterlaufenen Hörerwartung auch die Spannung hochhält – eben nicht mit thematischer Arbeit „im Kleinen“, sondern durch formale Vexierspiele „im Großen“.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Erstes Thema in F-Dur, solistisch in der ersten Violine mit Sechzehnteltriolen beginnend. – In der (Fast-)Wiederholung führt zunächst die Bratsche.
    (0:19/0:19/0:20/0:18) Überleitung, ebenfalls geringstimmig beginnend.
    (0:44/0:43/0:44/0:42) Zweites Thema in G-Dur, also in der Doppeldominante statt in der üblichen Dominante. Ach?! Erst acht Takte später spielt die erste Violine das zweite Thema in der Dominante C-Dur.
    (1:21/1:19/1:20/1:18) Schlussgruppe mit einem neuen Motiv in punktiertem Rhythmus in der ersten Violine; in der Durchführung erhält dieses Motiv einige Bedeutung. – Keine Wiederholung, aber das merkt man nicht sofort, …

    Durchführung
    (1:33/1:32/1:32/1:30) … denn die Durchführung gibt sich nicht sogleich als solche zu erkennen, da sie wie eine Wiederholung der Exposition beginnt. Enttäuschte Hörerwartung, erster Teil.
    (1:59/1:58/1:59/1:55) Beginn eines Doppelfugatos – Themenkopf des ersten Themas gegen die Umkehrung des zweiten. Fortsetzung mit geheimnisvollen Tonwiederholungen, die vom Motiv der Schlussgruppe der Exposition unterbrochen werden. – Tonwiederholungen mit Sforzati, dann Wiederaufnahme des Doppelfugatos.
    (2:56/2:56/2:58/2:53) Wiedererscheinen des ersten Themas. Vorbereitung der Reprise? Noch nicht. Enttäuschte Hörerwartung, zweiter Teil. – Abermals Fortsetzung mit geheimnisvollen Tonwiederholungen, die vom Motiv der Schlussgruppe der Exposition unterbrochen werden. Dann wieder Tonwiederholungen mit Sforzati und das Motiv der Schlussgruppe der Exposition.
    (3:36/3:37/3:38/3:33) Wiedererscheinen des ersten Themas. Aber das ist doch jetzt die Vorbereitung der Reprise? Nein, noch nicht. Enttäuschte Hörerwartung, dritter Teil.

    Reprise
    (3:51/3:52/3:54/3:49) Aber jetzt … mit vertauschten Rollen, d. h. erst in der solistischen Bratsche, dann unter Führung der ersten Violine erscheint das erste Thema in F-Dur.
    (4:10/4:10/4:14/4:07) Überleitung mit den notwendigen Veränderungen.
    (4:37/4:37/4:41/4:33) Da das zweite Thema in der Exposition in der Doppeldominante begann, hebt es in der Reprise in der Dominante an. Klar, oder?
    (5:13/5:12/5:18/5:08) Schlussgruppe.

    Coda
    (5:25/5:24/5:30/5:20) Wie im ersten und im zweiten Satz hat die Coda Durchführungscharakter und bringt den äußeren Höhepunkt des Satzes, hier mit rasanten Sechzehnteltriolen am Schluss.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Streichquartett G-Dur op. 18 Nr. 2

    Wenn man Beethoven von der Mozart-Haydn-Seite aus kennenlernen wollte, wäre man hier sicher richtig. Dieses Quartett klingt eher wie das Ergebnis der Aneignung früherer Werke als nach der Ausprägung eigener kompositorischer Individualität à la op. 13.

    Es trägt wegen seiner fast rokokohaften Anmutung des ersten Satzes den Beinamen „Komplimentierquartett“. Sein Anfang wirkt wie der Austausch von Höflichkeitsformeln, wie eine Folge von gegenseitigen Begrüßungen, Hofknicksen, Verbeugungen, Ehrerbietungen aller Art.

    Musikalisch formuliert: Da liegt eine Folge von Zweitaktphrasen vor uns. Diese Regelmäßigkeit klingt ein Relikt aus älterer Zeit, sehr abgezirkelt, sehr exakt, keine Individualitäten duldend. Um so überraschender ist es, wenn es in der Durchführung anders zur Sache geht – mit Konsequenzen für die Reprise.

    Erster Satz – Allegro (G-Dur, 2/4)

    Dieser Satz steht in Sonatenhauptsatzform mit zwei Themen.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Das erste Thema – ja, was ist es denn? Der erste Zweitakter besteht aus einer stark verschnörkelten Verzierung in der ersten Violine, der zweite bringt den Dominantseptakkord in abwärts gebrochenem Oktavunisono, der dritte ist ein melodisches Versatzstück, der vierte ein Echo des dritten. – Die variierte und anders fortgesponnene Wiederholung setzt dynamische Kontraste.
    (0:30/0:28/0:30/0:34) Die Überleitung bringt neue Motivik mit, ebenfalls erstaunlich unspektakulär und floskelhaft. Der modulatorische Plan ist fast schon schulmäßig: Über e-moll geht es zur Doppeldominante A-Dur, die das Tor zur angestrebten Dominante öffnet, wenngleich zunächst d-moll statt D-Dur erklingt.
    (0:50/0:45/0:49/0:53) Das zweite Thema in D-Dur. Es ist rhythmisch sehr verwandt mit dem Überleitungsmotiv, es hat etwas Marschartiges.
    (1:12/1:03/1:09/1:14) Die Schlussgruppe beginnt in h-moll. – Die Tonarten der Exposition sind geradezu schulmäßig disponiert, erstes Thema in G-Dur, Überleitung über e-moll und A-Dur in die Tonart D-Dur des zweiten Themas, Schlussgruppe in h-moll beginnend und damit „unverbrauchtes“ Gelände betretend. – Am Ende der Schlussgruppe bringt Beethoven nochmal den dritten und vierten Zweitakter des ersten Themas, freilich in D-Dur. – Wiederholung.

    Durchführung
    (3:51/3:21/3:40/3:51) Die beiden Zweitakter vom Ende der Exposition werden in d-moll wiederholt. Dann Überleitungsmotive, bis das erste Thema in Es-Dur kurz anklingt.
    (4:24/3:49/4:12/4:24) Jetzt geht’s los. Mit der kontrapunktischen Satztechnik einer Fuge (nein, es ist keine, aber man darf durchaus Anklänge an die „Große Fuge“ op. 133 hören … ) löst sich Beethoven von den fast zwanghaft aneinander gereihten Zweitaktern und schreibt zusammenhängende Musik, die sich nicht mehr problemlos in Phrasen gliedern lässt.
    (4:58/4:20/4:44/4:59) Durchführung der Überleitungsmotivik in verminderten Harmonien.

    Ende der Durchführung und Reprise
    Es lässt sich nicht genau sagen, wo die Durchführung aufhört und die Reprise beginnt – das ist ein kompositorischer Gag.
    (5:14/4:34/4:58/5:15) In das tastende Pianissimo hinein ruft das Cello mächtig zur Ordnung, bläst zur Reprise und eröffnet einen imaginären Wettkampf darüber, wer denn nun das erste Thema rekapitulierend vortragen darf: Es spielt einfach den Themenkopf in der richtigen Tonart. Die erste Violine ist irritiert über solch ungebührliches Vordrängen und setzt selbst energisch mit dem Themenkopf ein, die zweite Violine meint ohnehin, nicht gebührend wertgeschätzt zu werden und hängt sich mit einem eigenen Einsatz dran. Erst in der Fortführung finden alle vier wieder zu schlüssigen Vereinbarungen über das weitere gemeinsameVorgehen, doch ein neuer Abschnitt ab 5:42/4:48/5:25/5:44 zeigt, dass es noch unausgesprochenes Konfliktpotenzial gibt.
    (5:56/5:11/5:39/5:58) Die Überleitung ist völlig umgestaltet, die selbstbewusst aufspringenden Quarten sind verschwunden, das erste Thema scheint weiterer Stabilisierung zu bedürfen, sogar ein neuer triolischer Rhythmus kommt unruhestiftend ins Spiel.
    (6:19/5:31/6:02/6:23) Das zweite Thema in G-Dur bringt weitere strukturelle Klarheit.
    (6:40/5:49/6:21/6:44) Die Schlussgruppe hebt nun folgerichtig in e-moll an und bestätigt das Gefühl, wieder auf sicherem Gelände zu sein.

    Coda
    (7:24/6:26/7:02/7:26) Die Coda hebt durchführungsartig mit Imitationen an, ist aber kurz und lässt das Stück im Fastnichts verklingen.

    Zweiter Satz – Adagio cantabile (C-Dur, 3/4)

    Der Satz ist dreiteilig mit einem überraschenderweise schnellen Mittelteil: Andante cantabile – Allegro – Tempo primo. Im Allegro wechselt auch die Tonart zu F-Dur.

    (0:00/0:00/0:00/0:00) Los geht’s mit einem vierstimmigen homophonen Satz, in dem die erste Violine führt. Akkordisch ist nicht nur die Melodik, auch die Begleitstimmen bleiben im ersten Takt auf den Tönen des C-Dur-Akkordes, die drei Oberstimmen abwärts, das Cello aufwärts. Ende der ersten Phrase auf einem Halbschluss, kurze Pause, Antwort durch eine zweite Phrase, die nach C-Dur zurückführt. - Danach scheint es mit einer Variation des bereits Gehörten weiterzugehen, aber Beethoven schrieb eine freie Fortspinnung. Die Führung liegt klar in der ersten Violine. – Die scheinbare Wiederaufnahme des Anfangs bei 1:48/1:57/1:43/1:31 führt zum Höhepunkt des ersten Teils auf einem Quartsextakkord. – Ausklang im Pianissimo.

    (2:32/2:42/2:28/2:09) Welches Potenzial dem harmlosen Pianissimo-Ausklang des ersten Teils innewohnt, führt Beethoven nun vor. Erst wiederholt Beethoven das fragliche Motiv im neuen Tempo solistisch in der ersten Violine, dann beginnt der Mittelteil. Scherzoartig ist nicht nur das rhythmische Gepräge mit oft wiederholten Motivpartikeln, scherzoartig ist auch die Form |: A :| |: B A‘ :| = 8+8+8 Takte und der Modulationsplan: A beginnt in F-Dur und endet in C-Dur, B beginnt in g-moll (was aber erst nach einem Takt klar wird) und endet in F-Dur. – Eine kurze Coda leitet über in den dritten Teil des Satzes.

    (3:31/3:36/3:23/3:05) Nun darf das Cello das edle Thema vortragen. Der dritte Teil ist eine reich ausgeschmückte Variation des ersten, bei der sich insbesondere das Cello quasi solistisch einbringen darf.

    Dritter Satz – Scherzo. Allegro (G-Dur, 3/4)

    Ein typisches Scherzo, wenngleich im 2/4-Takt, hat Beethoven schon als Mittelteil des zweiten Satzes gesetzt. Was nun?

    (0:00/0:00/0:00/0:00) Der Hauptsatz benimmt sich zunächst wie ein „normales“ Scherzo: Ein kurzer A-Teil (acht Takte) wird wiederholt. Überraschend ist nur, dass dieser erste Teil in der Tonika G-Dur endet. –
    (0:20/0:19/0:19/0:20) Der B-Teil beginnt in H-Dur, nach nur acht Takten scheint ein A‘-Teil zu beginnen, doch wie im Scherzo aus dem F-Dur-Quartett op. 18 Nr. 1 geht’s danach munter weiter, und die auf |: A :| |: B A‘ :| ausgerichtete Hörerwartung wird abermals enttäuscht – oder sagen wir: angenehm überrascht.
    (1:48/1:39/1:41/1:46) Wie das Adagio cantabile beginnt das Trio mit einer auftaktigen Quarte in C-dur – eine Anlehnung an den zweiten Satz? Auch hier wird ein kurzer A-Teil (acht Takte) wiederholt, endet jedoch wie üblich in der Dominante. Spannend: Auch das stufenweise Auseinanderstreben der Randstimmen findet man kurz vor dem Höhepunkt des langsamen Satzes, die schärfste Dissonanz ist sogar dieselbe (hartverminderter Septakkord der Doppeldominante).
    (2:08/2:00/2:02/2:07) Der B-Teil beginnt zwar mit einem Oktavsprung, setzt dann aber so wie im A-Teil fort. Neu ist die triolische Rhythmik. Bei 2:22/2:14/2:16/2:21 beginnt ein A‘-Teil mit reicher figurativer Begleitung, die die Triolen weiterführt. Auch hier wird der A‘-Teil ausführlich weitergesponnen.
    (3:16/3:08/3:10/3:16) Das Trio erhält seine eigene Coda, das bereits das Thema des Hauptsatzes verwendet.

    Vierter Satz – Allegro molto quasi Presto (G-Dur, 2/4)

    Das Finale ist wiederum ein Sonatenhauptsatz mit zwei Themen und Coda.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Das Cello darf das erste Thema alleine anstimmen. Alle vier antworten, dann folgt dasselbe Muster nochmal mit Modulation nach e-moll, bis das Thema schließlich als quasi-Tutti im Forte erscheint. – Klingt da der Kopfsatz von Haydns op. 76 Nr. 1 an?
    (0:20/0:20/0:18/0:21) Die Überleitung erinnert zunächst an ein Motiv des Scherzos, verwendet aber auch das erste Thema.
    (0:40/0:39/0:38/0:41) Zweites Thema in D-Dur, geprägt von kecken Synkopen.
    (0:55/0:52/0:51/0:56) Schlussgruppe, die zunächst eine Beruhigung mit sich bringt – überraschend in einem bewegten „quasi Presto“-Finale. – Keine Wiederholung.

    Durchführung
    (1:44/1:39/1:39/1:48) Ups – Beginn in Es-Dur. Sowas. Verarbeitung der Motivik der Überleitung. Führte die erste Violine durchweg, so geht sie alsbald in durchgehende Sechzehntelbewegung über, bis ihre rasenden Figuren kaum noch von den anderen Instrumenten begleitet werden und die stabile Harmonik spannungssteigernd einen neuen Abschnitt vorbereitet.
    (2:13/2:06/2:06/2:18) Das erste Thema erscheint, aber die Reprise ist das noch nicht. Wir sind in C-Dur. – Wieder wird ein Abschnitt mit ruhiger Bewegung erreicht, die Musik kommt zum Stillstand.
    (2:56/2:47/2:48/3:04) Falsche Reprise in As-Dur – pianissimo.

    Reprise
    Die Reprise beschränkt sich im Vergleich zur Exposition auf die notwendigsten Veränderungen.
    (3:07/2:58/2:58/3:17) Echte Reprise, erste Thema im Cello in G-Dur, figurative Begleitung durch die erste Violine.
    (3:25/3:16/3:15/3:38) Überleitung.
    (3:46/3:35/3:35/3:59) Zweites Thema in G-Dur.
    (4:00/3:49/3:49/4:14) Schlussgruppe, wiederum mit Beruhigung.

    Coda
    (4:51/4:37/4:40/5:09) Die Coda beginnt nochmals mit dem ersten Thema, verzichtet aber auf durchführungsartige Verarbeitung und kommt schnell zum vollstimmigen Schluss.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Streichquartett D-Dur op. 18 Nr. 3

    Durch Beethovens Skizzenbücher und Czernys Überlieferung der geänderten Reihenfolge bei der Drucklegung wissen wir, dass dieses Quartett als erstes von den sechsen in op. 18 entstand. Bemerkenswert sind der tief empfundene langsame Satz und das mitreißende Finale.

    Erster Satz – Allegro (D-Dur, alla breve)

    Auch dieser Kopfsatz steht in Sonatenhauptsatzform mit zwei Themen und Coda. Er beginnt mit einer Septime a‘-g‘‘ in der unbegleiteten Violine. – Der historische Abstand zu Beethoven wird spürbar, wenn als Begründung für die von Beethoven vorgenommene Umstellung der Reihenfolge der Quartette in op. 18 alleine dieser Anfang herhalten konnte. Ketzerisch gefragt: Was ist denn daran so absonderlich? Am ehesten wäre mir beim Ersthören vielleicht unklar, ob das nun eine langsame Einleitung oder schon das erste Thema ist.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Erstes Thema, beginnend mit seinem charakteristischen Septimsprung. Sehr ruhiger Charakter durch die langen Notenwerte, auch in den Begleitstimmen, aber auch die aufsteigende Linie im Cello trägt zum unaufgeregten Eindruck bei. – Nach der ersten Pause erscheint das Thema sogleich in Engführung der drei Oberstimmen, wonach die erste Violine in Achtelbewegung dem Satz etwas Fahrt verleiht. – Ist dies zu einem vorläufigen Ende gekommen, so darf das Cello zum Septimengeschehen beitragen.
    (0:42/0:44/0:41/0:47) Überleitung. Triolische Bewegung erhöht den gefühlten Bewegungsimpuls, die zunehmende Energie kulminiert in Synkopen, um dann in fallenden Tonleitern (erst Cello, dann erste Violine) abzufließen.
    (1:20/1:21/1:18/1:26) Zweites Thema. Es beginnt in C-Dur, nach vier Takten wird immerhin a-moll erreicht, doch erst nach vier weiteren Takten wird ein regelkonformes A-Dur erreicht, das durch das nun vorgeschriebene Forte und die weite Lage besonders hervorgehoben wird. Dort schon die Schlussgruppe anzusetzen (Indorf), finde ich wenig überzeugend. Dies auch, wenn Beethoven diesen Forte-Abschnitt mit einer Wendung in ganzen Noten und mehr als nur motivischem Anklang an das erste Thema beschließt.
    (1:47/1:47/1:44/1:53) Schlussgruppe. Zunächst Orgelpunktsatz mit fallenden Tonleitern, dann wieder triolische Bewegung und zum Schluss Akkorde, die durch Pausen getrennt sind und wie doppelte Ausrufezeichen wirken. Dabei wird C-Dur, die Anfangstonart des zweiten Themas, deutlich wiedererkennbar erreicht, dann geht’s in die Wiederholung.

    Durchführung
    (4:16/4:17/4:06/4:28) Die Durchführung beginnt mit einer d-moll-Version des ersten Themas, die weiter harmonisch aufgeladen wird. Eine Wiederaufnahme der triolischen Überleitungsmotivik schließt sich an.
    (4:47/4:48/4:36/5:01) Erst das Wiedererscheinen der aufsteigenden Septime im Cello heizt die Dramatik an. Schluss in vollgriffigem, orchestral strahlendem Cis-Dur. Ein liegendes Cis in Cello und Bratsche wird zur Terz von A-Dur umgedeutet, welches den …

    Reprise
    (5:16/5:15/5:03/5:30) … Wiedereintritt des ersten Themas bestens grundiert, gleich in Engführung beider Violinen.
    (5:46/5:46/5:33/6:02) Verdichtung ist angesagt: Der triolische Überleitungsabschnitt fällt weg, es erscheinen sogleich die fallenden Tonleitern.
    (6:06/6:05/5:52/6:22) Zweites Thema. Hier in der Reprise beginnt es in F-Dur, wird nach vier Takten in d-moll wiederholt und führt in ein D-Dur-Forte, das gegenüber der Exposition bei seinem ersten Erscheinen weniger leuchtkräftig ist.
    (6:32/6:30/6:17/6:49) Schlussgruppe.

    Coda
    (6:53/6:51/6:37/7:12) Kurzfassung der Exposition: Nochmals erscheinen beide Themen, das zweite Thema pianissimo im entfernten Es-Dur, bevor sich der Satz von dort aus in das Fortissimo der Schlussakkorde steigert. – Keine Wiederholung.

    Zweiter Satz – Andante con moto (B-Dur, 2/4)

    Der zweite Satz steht in einer modifizierten Sonatenhauptsatzform, bei der Durchführung und Reprise ineinander verschränkt sind. Eine ausführliche Coda bietet weiteres Material. – Ist die Terzverwandtschaft der Tonart B-Dur zur Tonart des ersten Satzes um 1800 noch bemerkenswert? Ich meine, schon.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Die zweite Violine trägt das erste Thema in B-Dur auf der G-Saite vor, nach vier Takten übernimmt die erste Violine eine Oktave höher und spinnt die Phrase weiter fort.
    (0:38/0:34/0:39/0:37) Überleitung. Sie beginnt formelhaft mit einer aufsteigenden Tonleiter und Kadenzwendungen, fährt dann aber mit einem eigenen Thema fort.
    (1:11/1:03/1:10/1:08) Das zweite Thema in F-Dur hat mit seinen imitierenden Einsätzen etwas Ironisch-Verspieltes.
    (1:32/1:21/1:31/1:28) Es wird jedoch jäh von einem dreinfahrenden Des-Dur-Akkord unterbrochen. Kurz vor Ende der Exposition erscheint das erste Thema wieder, die erste Violine bringt diesen Abschnitt solistisch mit einer über mehr als zwei Oktaven absteigenden Tonleiter zu Ende. – Keine Wiederholung.

    Durchführung und Reprise
    (2:25/2:10/2:22/2:21) (Reprise des ersten Themas.) Das erste Thema erscheint in der Fassung der Exposition, mit Ausnahme dessen, dass anfangs nun die erste Violine das Thema spielt, um die absteigende Tonleiter fortzusetzen. Diese Veränderung ist (bis auf räumliche Gegebenheiten und individuelles Timbre der beiden Violinen) unhörbar. – Unklar ist jedoch für den Hörer, der gerade eine konventionelle Exposition gehört hat, was gerade passiert – Wiederholung? Durchführung? Reduzierte Sonatenhauptsatzform ohne Durchführung?
    (3:01/2:44/2:58/2:56) (Durchführung.) Auch die Überleitung beginnt unverändert. Im vierten Takt weicht Beethoven bereits unauffällig von der Exposition ab, im sechsten Takt wird es deutlich. Kräftiges Modulieren über es-moll und As-Dur führt nach Des-Dur, in welcher Tonart das erste Thema wieder anklingt, „recte“ im Cello, „inverso“ in der ersten Violine. Danach schließt sich eigentliche durchführungstypische motivische Arbeit an.
    (4:39/4:12/4:32/4:30) (Reprise der Überleitung.) Hier klinkt Beethoven sich in den zweiten Abschnitt der „originalen“ Überleitung ein, natürlich mit den notwendigen Transpositionen, um das zweite Thema in B-Dur zu rekapitulieren.
    (4:58/4:27/4:50/4:47) (Reprise des zweiten Themas.) Das zweite Thema erscheint konventionskonform in B-Dur, hier wird es durch einen Ges-Dur-Akkord unterbrochen. Kurz vor Ende dieses Großabschnitts Durchführung/Reprise erscheint nochmals das erste Thema.

    Coda
    (6:12/5:34/6:01/5:57) Die Coda beginnt mit prunkvollen, geradezu überwältigenden Akkorden, deren mehrfache Wiederholung sie gleichzeitig statisch wie innerlich bewegt erscheinen lässt, fährt mit einer mollgetrübten Wiederaufnahme des ersten Themas fort und lässt nochmals die Akkorde folgen, bevor zarte Reminiszenzen den Satz beenden.

    Dritter Satz – Allegro (D-Dur, 3/4)

    Der dritte Satz ist weder mit „Menuetto“ noch mit „Scherzo“ überschrieben; beide Überschriften wären in der Tat recht unpassend. Anstelle eines Trios steht ein „Minore“-Teil, die Reprise des Hauptsatzes ist variiert und deswegen ausgeschrieben und mit „Maggiore“ überschrieben.

    Beethoven täuscht abermals eine |: A :| |: B A‘ :| - Form vor. Ein kurzer A-Teil wird wiederholt. Ungewöhnlich ist, dass er in fis-moll endet. – Nach vier Takten und Fermate eines angenommenen B-Teils setzt das Thema aus A wieder ein, allerdings in G-Dur, wird aber sequenzierend fortgesetzt. – Der „eigentliche“ A‘-Teil erscheint imitatorisch – wunderbarer Einfall! – und erfährt eine relativ umfangreiche Fortspinnung.

    Der „Minore“-Teil ist von absteigenden Quartgängen im Cello (d – c – B – A usw.) und dahinhuschendem Melos in den Violinen geprägt. Nur der erste Abschnitt wird wiederholt, Schluss mit Pizzicati.

    Der „Maggiore“-Teil nimmt gegenüber dem Anfang etliche Oktavverlegungen vor. Wiederholt wird nur der erste Teil. Konvention oder bewusste Abweichung?

    Vierter Satz – Presto (D-Dur, 6/8)

    Das Finale schnurrt im 6/8 Takt dahin, dass es eine Freude ist. Auch die Ausgelassenheit ist formal gebändigt in der Sonatenhauptsatzform. Es gibt einige Gemeinsamkeiten mit dem Kopfsatz.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Erstes Thema in D-Dur. Wie beim ersten Thema des Kopfsatzes beginnt die erste Violine alleine, wie dort erscheint die Septime der Dominante als Spitzenton.
    (0:27/0:26/0:25/0:26) Die Überleitung könnte man an verschiedenen Stellen ansetzen. In diesem Abschnitt beginnt Beethoven zu modulieren, für mich ein klares Indiz, zumal um 1800, da her die Sonatenform noch eher vom Tonartenkontrast als vom Themenkontrast lebt und inspiriert ist.
    (0:44/0:42/0:40/0:42) Zweites Thema in A-Dur.
    (1:03/1:00/0:59/1:00) Schlussgruppe. – Bei 1:26/1:21/1:20/1:21 beginnt dieselbe aufsteigende chromatische Linie im Bass, die auch im Kopfsatz kurz vor der Wiederholung in den von Pausen getrennten Akkorden erschien. – Wiederholung.

    Durchführung
    (3:06/2:57/2:54/2:54) Nach zwei zaghaften Ansätzen der ersten Violine hebt ein reizvolles „einer gegen zwei“-Spiel an, dem sich ein Fugato über ein Motiv aus dem ersten Thema anschließt. Eine auftaktige Quarte ist als obligater Kontrapunkt beigegeben. – Herrlich dichte, mitreißende, aufregende Musik!
    (3:53/3:38/3:36/3:38) Durchführung des zweiten Themas im Cello, begleitet von Motivik des ersten Themas. Von nun an bleibt die Musik im Pianissimo bis zwei Takte vor der Reprise.

    Reprise
    (4:23/4:07/4:02/4:06) Erstes Thema in D-Dur.
    (4:50/4:33/4:28/4:32) Verkürzte Überleitung.
    (5:02/4:43/4:37/4:42) Zweites Thema in D-Dur.
    (5:20/5:02/4:56/5:01) Schlussgruppe.

    Coda
    (5:43/5:23/5:17/5:22) Eine ausführliche Coda schließt Satz und Quartett würdig ab. – Keine Wiederholung.

    Was für ein glänzendes Finale!

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Streichquartett c-moll op. 18 Nr. 4

    Als formale Besonderheit gibt es hier keinen langsamen Satz. Die Mittelsätze bestehen aus einem „Andante scherzoso quasi Allegretto“ und einem „Menuetto“.

    Erster Satz – Allegro ma non tanto (c-moll, c)

    Auch dieser Kopfsatz steht in Sonatenhauptsatzform mit zwei Themen und Coda.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Das erste Thema ist dem empfindsamen Stil verpflichtet: Sforzati, kühn aufsteigende Intervalle, ein motorisch vorantreibender Rhythmus und ein Umfang von fast drei Oktaven bis zum ersten deutlichen Absetzen der ersten Violine tragen zum leidenschaftlichen Ausdruck bei.
    (0:43/0:45/0:42/0:42) Die Überleitung beginnt ihr Modulieren nicht in c-moll, sondern setzt direkt in As-Dur an.
    (0:56/0:57/0:56/0:56) Zweites Thema in Es-Dur. Die zunächst führende zweite Violine wird durch Einsprengsel der ersten Violine unterbrochen, bis letztere das Ruder übernimmt.
    (1:23/1:23/1:21/1:23) Die Schlussgruppe ist wiederum recht ausführlich und enthält neue Gedanken, deren zweiter fast als drittes Thema aufgefasst werden könnte (1:29/1:28/1:27/1:29). – Wiederholung.

    Durchführung
    (4:23/4:16/4:19/4:23) Man kann die Kritiker dieses Quartetts verstehen: Anstelle von thematischer Arbeit wird einfach das erste Thema in g-moll gespielt – mit geringen Veränderungen.
    (4:42/4:35/4:39/4:43) Nun darf das Cello das erste Thema vortragen, allerdings ohne Verzierung. Ansätze zu Imitationen folgen.
    (5:19/5:08/5:14/5:19) Auch das zweite Thema erscheint kaum verändert, wenn es vom Cello angestimmt wird.

    Reprise
    (5:59/5:48/5:56/6:03) Erstes Thema in c-moll, anfangs bereichert durch Interjektionen der zweiten Violine.
    (6:19/6:07/6:14/6:22) Die kantigen Akkorde übernehmen hier die Rolle der Überleitung, Beethoven moduliert kräftig mit ihrer Hilfe. Die Reprise ist verkürzt.
    (6:37/6:23/6:29/6:39) Zweites Thema in C-Dur.
    (7:03/6:50/6:58/7:06) Schlussgruppe.

    Coda
    (7:52/7:37/7:45/7:56) Chromatische Sequenzen bringen nochmals Dramatik, ein letztes Piano bietet den Ausgangspunkt für das abschließende Crescendo zum vollgriffigen Schluss. – Keine Wiederholung. – Ein Satz, der eher durch Leidenschaft als durch kombinatorische Raffinesse und kontrapunktische Kabinettstückchen begeistert, aber das ist ja auch was. – In späteren Jahren sollte Beethoven über sein Septett und andere frühere Werke sagen, darin sei „natürliche Empfindung, aber wenig Kunst“.

    Zweiter Satz – Andante scherzoso quasi Allegretto (C-Dur, 3/8)

    Hier also anstelle eines langsamen Satzes ein Zwitterwesen - mehr „Andante“ oder mehr „Allegretto“? Nun ja, seit Nikolaus Harnoncourt wissen wir ja (wieder), dass Andante ohnehin schon als schnelles Tempo galt; als „langsamstes“ der „schnellen“, aber eben „schnell“. „Gehend“, nicht „spazierengehend“.

    Der Satz steht zwar in Sonatenhauptsatzform mit zwei Themen, beginnt aber mit einem Fugato:

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Erstes Thema in C-Dur. Die zweite Violine beginnt, die Bratsche folgt im Abstand von fünf Takten, die erste Violine dann im Abstand von vier und zum Schluss das Cello im Abstand von drei Takten. – Mit Ausnahme einiger Sforzati und eines Crescendos in den letzten Takten spielt sich die Musik im piano- und pianissimo-Bereich ab.
    (0:39/0:35/0:39/0:46) Auch die Überleitung speist sich vom Material des ersten Themas und beginnt imitierend, hier ist allerdings forte vorgeschrieben.
    (0:51/0:46/0:51/1:00) Das zweite Thema in G-Dur ist eine Variante des ersten Themas, es beginnt für vier Takte sogar als strenger Quintkanon zwischen erster und zweiter Violine. – Das zweite Thema beginnt wieder im Pianissimo.
    (1:20/1:13/1:21/1:27) Schlussgruppe. – Wiederholung.

    Durchführung
    (3:18/3:01/3:23/3:57) Imitation mit dem ersten Thema. Nach einer Generalpause zaghaftes Weiterspielen, noch eine Pause. – Danach neues Ansetzen im Forte mit einem Fugato über Material der Schlussgruppe. – Akkordisches Spiel im Piano verleiht dem Geschehen einen völlig neuen Charakter und baut Spannung auf.

    Reprise
    (4:37/4:10/4:40/5:28) Überraschung – das erste Thema erhält hier zwei obligate Kontrapunkte. Die irreguläre Einsatzreihenfolge behält Beethoven bei.
    (5:18/4:47/5:21/6:16) Überleitung.
    (5:30/4:58/5:33/6:31) Zweites Thema in C-Dur.
    (6:00/5:26/6:04/7:07) Schlussgruppe.

    Coda
    (6:19/5:43/6:22/7:28) Themenfragmente und weitere Takte mit akkordischem Spiel bringen den Satz zu Ende. – Keine Wiederholung.

    Dritter Satz – Menuetto. Allegro (c-moll, 3/4)

    Der Hauptsatz folgt der Form |: A :| |: B A‘ :| = 8 + 24 + 18 Takte. – Interessant sind die Modulationen. A moduliert vier Takte lang nach B-Dur und dann über f-moll und G-Dur nach c-moll zurück. – B beginnt in C-Dur, um in chromatischen Schritten f-moll anzusteuern. In Des-Dur geht’s weiter, wonach spannungssteigernd die Dominante G-Dur angestrebt wird. – A‘ ist deutlich von der Chromatik aus B infiziert.

    Das Trio steht in As-Dur und bringt triolische Rhythmen in der Begleitung. Die Form ist |: A :| B, wobei B am Ende eine Überleitung zum Hauptsatz beinhaltet. A und B werden dasselbe Material.

    Die Wiederholung des Hauptsatzes ist „il tempo più Allegro“, also schneller zu spielen.

    Vierter Satz – Allegretto (c-moll, alla breve)

    Das Finale ist ein Rondo all‘ ungharese.

    Das Thema besteht aus zwei Abschnitten zu je acht Takten, die beide wiederholt werden (a a b b); der erste endet in g-moll, der zweite führt nach c-moll zurück.

    (0:00/0:00/0:00/0:00) 1. Ritornell.
    (0:34/0:29/0:32/0:33) 1. Couplet in As-Dur. Mit langen Notenwerten bringt es eine gewisse Beruhigung in die bisherige Atemlosigkeit.
    (1:19/1:13/1:16/1:22) 2. Ritornell mit geringen Veränderungen gegenüber dem ersten Mal sowie mit ausgeschriebenen Wiederholungen, um weitere Variationen anzubringen.
    (1:50/1:40/1:46/1:51) 2. Couplet in C-Dur.
    (2:15/2:04/2:10/2:17) 3. Ritornell, abermalige leichte Veränderung.
    (2:46/2:31/2:39/2:47) Sechs Takte leiten über …
    (2:54/2:39/2:47/2:57) … zum nächsten, 3. Couplet in C-Dur, das sein Material zunächst dem 1. Couplet entnimmt.
    (3:12/2:55/3:04/3:17) Durchführungsartige Verarbeitung des Ritornells.
    (3:38/3:19/3:28/3:43) 4. Ritornell, Prestissimo.
    (3:50/3:30/3:39/3:55) Coda.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Streichquartett A-Dur op. 18 Nr. 5

    Die Nähe dieses Werkes zu Mozarts A-Dur-Quartett KV 464, dem fünften der sogenannten „Haydn-Quartette“, wurde bereits im 19. Jahrhundert klar erkannt.

    Diese besteht nicht nur in der gemeinsamen Tonart beider Werke, sondern ist vor allem in formaler Hinsicht gegeben. So ist der Kopfsatz ist bei beiden mit „Allegro“ überschrieben und steht in einer ungeraden Taktart, bei Mozart in 3/4, bei Beethoven in 6/8. - Ferner ist dieses Quartett das einzige in op. 18, in dem der Tanzsatz wie in KV 464 an zweiter Stelle steht. (In den ersten drei Quartetten aus op. 18 war der Tanzsatz mit „Scherzo“ (Nr. 1, Nr. 2) oder einfach nur mit „Allegro“ (Nr. 3) überschrieben.) In diesem Quartett, welches als viertes entstand, verwendet er erstmals die ältere Form des „Menuetto“, wie sie auch in KV 464 heißt. – Nur in diesem der Quartette aus op. 18 ist der langsame Satz ein Variationensatz; er steht bei Mozart wie bei Beethoven in der Subdominante D-Dur und im 2/4-Takt. Bei Beethoven ist er mit „Andante cantabile“ überschrieben; diese Angabe steht bei Mozart nur im Autograph, bei der Drucklegung strich er das „cantabile“. Beide beschließen die Variationen mit einer Coda. – Als Finale findet man bei beiden Komponisten Sonatenhauptsätze.

    Man kann jenseits dieser formalen Verwandtschaft klar erkennen, dass Beethoven dieses Quartett „im Großen“ darauf einrichtete, den langsamen Satz zum Schwerpunkt des Werkes zu machen.

    1. Satz – Allegro (A-Dur, 6/8)

    Auffällig ist, wie schematisch und knapp die Sonatenhauptsatzform hier behandelt wird. Kurzes erstes Thema, kurze Überleitung, kurzes zweites Thema, dann eine Schlussgruppe, die mit 37 Takten fast so lang ist wie die vorhergehenden Abschnitte zusammen (42 Takte). – In der Durchführung vermeidet Beethoven vermeidet dramatische Auseinandersetzungen. - Die Reprise ist bis auf die notwendige Änderung der Überleitung und die Transposition des zweiten Themas fast eine wörtliche Wiederholung der Exposition. – Die Beachtung der Konvention geht so weit, dass Beethoven hier – erstmalig in op. 18 – Durchführung und Reprise wiederholen lässt. Alles ist darauf abgestellt, das Gewicht des langsamen Satzes deutlichst hervorzuheben.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Erstes Thema – tja, um genau zu sein: das erste Thema ist hier nicht einfach eine Melodie. Dreimal nimmt die erste Violine Anlauf, steigt stufenweise nach oben, und kommt erst beim dritten Mal dazu, sich auszusingen. Dazu der dynamische Gegensatz: Im Forte und mit kräftigen Sforzati, angefeuert vom Cello, geht es los, bis dann der „kantable“ Teil des Themas im Piano und mit Begleitung durch ausgehaltene Töne der Mittelstimmen zu hören ist. Energisch aufstrebende Aktion versus entspanntes Ausschwingen.
    (0:14/0:14/0:17/0:14) Nach elf Takten beginnt hier schon die Überleitung, die in ihrem zweiten Teil Motivik des ersten Themas verwendet.
    (0:31/0:32/0:35/0:31) Zweites Thema. Es beginnt unüblich in e-moll und wendet sich erst kurz vor Beginn der Schlussgruppe in die Dominante E-Dur, was interessanterweise gleich zu einem Abbruch führt … ist das regelkonforme E-Dur nicht geheuer?
    (0:57/0:57/1:03/0:56) Schlussgruppe, reich entfaltet. Wo Achtelbewegung dominiert, scheint das erste Thema mit seinem stufenweisen Fortschreiten mit anzuklingen. – Wiederholung.

    Durchführung
    (3:28/3:26/3:43/3:25) Die kurze Durchführung ist fast völlig vom ersten Thema und von der Motivik der Überleitung dominiert. Außer einigen einleitenden Sforzati kommen dramatische Zuspitzungen nicht vor.

    Reprise
    (4:38/4:37/4:59/4:37) Erstes Thema in A-Dur.
    (4:51/4:50/5:14/4:50) Überleitung
    (5:15/5:14/5:39/5:13) Zweites Thema, logisch folgerichtig in a-moll beginnend und gegen Ende nach A-Dur gehend.
    (5:40/5:39/6:06/5:39) Schlussgruppe. – Wiederholung (nicht beim Alban Berg Quartett, beim Takács Quartet und beim Belcea Quartet).

    Coda
    (6:27/6:25/10:09/6:24) Gerade mal sechs Takte, die den Beginn des Satzes quasi symmetrisch wieder aufnahmen, beschließen ihn.

    Zweiter Satz – Menuetto (A-Dur, 3/4)

    Der Hauptsatz steht in der Form |: A :| |: B A‘ :| . A beginnt mit einem Duett der beiden Violinen, in der zweiten Hälfte wird dieses Duett fast wörtlich von Bratsche und Cello übernommen, wobei die beiden Violinen weitere Begleitstimmen hinzufügen. – Im B-Abschnitt führt die erste Violine mit Achtelbewegung, gegen Ende wird ein (relativ) dramatisches cis-moll erreicht, dem vor der Reprise (A‘) ein Takt Generalpause folgt. In A‘ wird der Satz nach dem zweistimmigen Beginn der beiden Violinen kontrapunktisch angereichert.

    Auch das Trio folgt der Form |: A :| |: B A‘ :| . Teil A ist von Synkopen geprägt.

    Dritter Satz – Andante cantabile (D-Dur, 2/4)

    Hier also der Variationensatz, das Herzstück und der Schwerpunkt des Quartetts.

    (0:00/0:00/0:00/0:00) Das Thema besteht aus zweimal acht Takten, die jeweils wiederholt werden. Die erste Achtergruppe ist fast provozierend simpel: Nach einem auftaktigen Sextsprung wird dieselbe Sexte stufenweise abwärts durchlaufen, um danach wieder aufzusteigen, und dann wieder runter. Schlussfloskel. – Harmonisch gesehen haben wir dieselbe Simplizität, man höre aufs Cello … In der zweiten Achtergruppe führen zunächst Bratsche und Cello und erreichen – in der selbstgewählten Beschränkung der Mittel zeigt sich der Meister – als harmonisches Extrem die Subdominante. Die beiden Violinen übernehmen und beenden die Achtergruppe mit einer Quasireprise des ersten Teils.

    (1:22/1:27/1:28/1:27) Die erste Variation beginnt sogleich mit imitierenden Einsätzen aller vier Instrumente. Die Figuren im Cello erinnern stark an die sechste Variation bei Mozart.

    (2:40/2:33/2:40/2:43) Die zweite Variation gehört der ersten Violine, die in Sechzehnteltriolen figuriert.

    (3:56/3:43/3:39/3:48) Trillerartige Begleitung prägt die dritte Variation. Quasi beethovensches Waldweben, die Ähnlichkeit mit der Musik aus Wagners „Siegfried“ ist frappierend.

    (5:17/4:54/4:51/5:01) Wie ein Choral klingt die vierte Variation im zarten Pianissimo. Die Harmonik ist deutlich raffinierter als vorher. Diese Variation ist ein Ruhepunkt vor dem Schluss.

    (6:43/6:19/6:20/6:32) Die fünfte und letzte Variation bringt nach der Andeutung in der dritten nun einen echten Triller. Die Figuren im Cello erinnern abermals an die sechste Variation bei Mozart.

    (7:49/7:23/7:30/7:46) Beethoven behandelt die Coda nach Art einer Durchführung, setzt gleich unvermittelt mit B-Dur ein, dazu steht Piano mit Decrescendo ins Pianissimo. Höhepunkt der Satzdramaturgie. – Ein „poco Adagio“ kurz vor Schluss bereitet einen verinnerlichten Ausklang.

    Vierter Satz – Allegro (A-Dur, alla breve)

    Das Finale steht in Sonatenhauptsatzform.

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Das erste Thema beginnt zwar gleich imitatorisch, doch hier geht es eher um anspruchsvolle Unterhaltung, um einen leichten Kehraus, weniger um kontrapunktische Raffinesse. Aber auch Mozart hatte ja keine „echte“ Fuge ans Ende von KV 464 gestellt. Und Spaß macht’s beim Hören in beiden Fällen.
    (0:13/0:13/0:11/0:12) Die Überleitung bringt mit Viertelbewegung zunächst etwas Beruhigung in die bis dahin achteldominierte Rhythmik, doch die Achtel nehmen alsbald wieder überhand.
    (0:36/0:35/0:32/0:33) Noch ruhiger ist das zweite Thema in E-Dur, das pianissimo in halben Noten gesetzt ist. Es erinnert stark an das „Choralthema“ aus der Durchführung des Finales von KV 464. Seine um eine Oktave höhere Wiederholung wird von in Viertelnoten fallenden Tonleitern begleitet.
    (0:50/0:50/0:46/0:47) Schlussgruppe. Über Viertelnoten steigert sich die Bewegung wieder in die Achtelbewegung. – Wiederholung.

    Durchführung
    (3:11/3:02/2:51/2:56) Beethoven tobt sich zunächst mit dem ersten Thema aus.
    (3:47/3:37/3:23/3:30) Nach einer Generalpause setzt er neu mit dem zweiten Thema an, doch die fallenden Tonleitern (Cello) werden sogleich mit dem Kopfmotiv des ersten Themas kombiniert. – Ein Orgelpunkt auf „e“ erzeugt Spannung.

    Reprise
    (4:25/4:11/3:59/4:07) Erstes Thema in A-Dur.
    (4:38/4:23/4:09/4:20) Überleitung, mit den notwendigen Veränderungen.
    (5:05/4:50/4:34/4:45) Zweites Thema in A-Dur.
    (5:20/5:04/4:48/4:59) Schlussgruppe. – Keine Wiederholung.

    Coda
    (6:01/5:43/5:25/5:38) Die ausführliche Coda widmet sich nochmal dem ersten Thema. Schluss im Piano.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Streichquartett B-Dur op. 18 Nr. 6

    Vier oder fünf Sätze?

    Als Besonderheit hat das Finale eine ausführliche langsame Einleitung, die mit „La Malinconia“ = „Die Melancholie“ überschrieben ist. Diese dauert fast so lange, wie das, was dann folgt. Wäre es also richtiger, von zwei selbständigen Sätzen zu sprechen und das Quartett fünfsätzig zu nennen? Dafür spricht, dass Beethoven am Ende der Einleitung „attacca“ schreibt. Er sah also durchaus zwei getrennte Einheiten, deren direkte Aufeinanderfolge er explizit vorschrieb, da er davon ausgehen musste, dass sonst eine Pause eingelegt würde. Andererseits werden Teile der Einleitung später im „eigentlichen“ Finale wieder aufgenommen. Die Lage ist also komplexer, insbesondere verschieden von der Situation in Mozarts „Dissonanzenquartett“ KV 465, wo die langsame Einleitung im „eigentlichen“ Satz nicht mehr anklingt. – Am besten betrachtet man das Finale von op. 18 Nr. 6 wohl als Satz von eigener Machart, der nicht mit üblichen Formschemata zu erklären ist.

    Erster Satz – Allegro con brio (B-Dur, alla breve)

    Exposition
    (0:00/0:00/0:00/0:00) Erstes Thema in B-Dur. Heiter und unternehmungslustig kommt es daher, Akkordbrechungen mit Verzierungen, weiter nichts, motorisch agil von den Mittelstimmen getragen. Nach knapp fünf Takten entspinnt sich ein Dialog zwischen Cello und erster Violine. Zweimal wird es vorgetragen, beim zweiten Mal mit anderer Verteilung des Dialogs.
    (0:27/0:27/0:26/0:29) Die Überleitung nimmt zunächst mit halben Noten den Impetus zurück, doch schnelle Tonleitern und Synkopen führen schnell auf das alte Energienieau.
    (0:40/0:42/0:42/0:45) Das zweite Thema beginnt zwar in F-Dur, wendet sich aber bald nach f-moll, also umgekehrt wie im Kopfsatz des A-Dur Quartetts op. 18 Nr. 5. Homophoner Satz, kaum melodische Bewegung, fast schierer Rhythmus, klarer Gegensatz zum ersten Thema.
    (1:00/1:03/1:03/1:06) Die Schlussgruppe bringt zunächst ihre eigene Motivik und lässt dann das erste Thema wieder anklingen. – Wiederholung.

    Durchführung
    (2:52/3:00/2:56/3:03) Nach einem Achtung gebietenden Unisono des Kopfes des ersten Themas verteilt Beethoven das Dialogisieren über Motive daraus auf die drei oberen Streicher, begleitet vom grummelnden Cello. Zunehmende Dramatik, dann jähes Verstummen. Nach einer Generalpause greift er die schnellen Tonleitern aus der Überleitung wieder auf.
    (3:37/3:47/3:39/3:51) Ab hier beginnt Beethoven mit einer motivischen Arbeit am ersten Thema, die in der variierenden Verarbeitung immer kleinerer Motive und Motivpartikel besteht. Diese werden unterwegs auch mal zu neuen Motiven synthetisiert, bis kurz vor der Reprise nur noch Zweitongruppen übrig bleiben. Ein vollkommen modern anmutendes Verfahren der Dissoziation und Resynthese des exponierten Materials. – Archaisierender Schluss auf einem leeren Quintklang mit Fermate.

    Reprise
    (4:14/4:27/4:13/4:31) Erstes Thema in B-Dur. Hier erscheint es nur einmal.
    (4:30/4:43/4:28/4:46) Überleitung. Bevor Beethoven auf die aus der Exposition bekannten Bahnen einschwenkt, betreibt er nochmals durchführungsartige Arbeit am ersten Thema.
    (4:54/5:09/4:55/5:13) Zweites Thema in B-Dur.
    (5:14/5:30/5:16/5:33) Schlussgruppe. – Wiederholung (nicht beim Alban Berg Quartett, beim Takács Quartet und beim Belcea Quartet). Keine Coda.

    Zweiter Satz – Adagio ma non troppo (Es-Dur, 2/4)

    Der zweite Satz ist in dreiteiliger Liedform A – B – A‘ gestaltet. Der Mittelteil hebt sich durch den Wechsel des Tongeschlechtes nach es-moll deutlich ab. Zum Bauprinzip des Satzes gehört die Variationstechnik als wesentliche Methode des fortschreitenden Ausgestaltens.

    (0:00/0:00/0:00/0:00) Der Abschnitt ist in der Form a – a‘ – b – a‘‘ gestaltet. Die erste Violine intoniert das Thema über simpler akkordischer Begleitung der übrigen Streicher. Nach vier Takten ist ein Halbschluss auf der Dominante erreicht, die zweite Violine übernimmt die Melodie, die zweite Hälfte ist bereits eine Variation der ersten Hälfte des Themas. Ganzschluss. Vier Takte Mittelteil auf Dominantharmonie, dann folgen wieder vier Takte des Themas, die eine weitere Variation des ersten Gedankens bieten.

    (1:22/1:23/1:35/1:19) Der B-Abschnitt steht in der Form c – c‘ – d – d‘, worauf sich ein freier, durchführungsartiger Teil anschließt. Die Viertaktschematik bleibt weiterhin, die Viertaktgruppen sind durch klare Pausen voneinander getrennt. – Teil d wirkt selbst auch wie eine Variation von c. – Teil d‘ schließt mit einem Trugschluss auf Ces-Dur, dem nun der bereits genannte freie Abschnitt nach Art einer Fantasie folgt.

    (3:46/3:39/4:12/3:43) Der A‘-Abschnitt greift wieder die Abfolge a – a‘ – b – a‘‘, wobei die einzelnen Teile gegenüber dem ersten Erscheinen abermals verändert sind.

    (5:07/4:58/5:43/5:02) Coda. Sie beginnt mit Material aus b und setzt überraschend mit Motivik aus c fort, die nach einem kurzen Unisono völlig verklärt in C-Dur auftritt. – Die Schlussformeln aus a/a‘/a‘‘ bringen den Satz zu Ende.

    Dritter Satz – Scherzo. Allegro (B-Dur, 3/4)

    Im Scherzo treibt Beethoven ein rhythmisch-metrisches Verwirrspiel sondergleichen. Wer mag, kann mal versuchen, den 3/4-Takt mitzuklopfen. – Das Notenbild deutet eher auf einen 6/8-Takt denn auf einen 3/4-Takt hin. Aber die Crux besteht in den taktstrichüberschreitenden Akzentverschiebungen.

    Schon Haydn hatte ja jede Menge Synkopen oder hemiolische Akzentverlagerungen in seine Menuette und Scherzi eingebaut. Aber diese ereigneten sich in einem festen Bezugsrahmen: Takt und Metrum waren vorher klar erkennbar, die Synkopen erscheinen als begrenzte Störung einer ansonsten gegebenen Regelmäßigkeit. Hier fehlt jedoch von vorneherein Klarheit darüber, wo denn nun beispielsweise eine „1“ ist und welche Taktart vorgezeichnet sein mag.

    Die Form des Hauptsatzes ist |: a :| |: b a‘ c :| , wobei der a‘-Abschnitt gegenüber a insbesondere durch einen Triller in hoher Lage (erste Violine) bereichert ist, was den Wiedereintritt des Themas verunklart.

    Das Trio, das bei 1:37/1:35/1:37/1:36 beginnt, bietet sogleich rhythmisch-metrische Klarheit. Es wird von der ersten Violine dominiert. Die Form ist |: a a‘ :| |: b a‘‘ :| , es folgen vier ruppige Takte in b-moll als Übergang zur Reprise des Scherzos.

    Vierter Satz – La Malinconia. Adagio. – Allegretto quasi Allegro. (B-Dur, 2/4; B-Dur, 3/8)

    La Malinconia. Adagio.
    Questo pezzo si deve trattare colla più gran delicatezza – so schreibt Beethoven über das Adagio ( = “Dieses Stück muss mit der größten Feinheit/mit dem größten Zartgefühl behandelt werden“).

    (0:00/0:00/0:00/0:00) Naiv-unschuldig geht es los. Einem Hochchor wird nach vier Takten ein Tiefchor gegenüber gestellt. Die Verzierung, die am Ende der vier Takte jeweils zu hören ist, trägt große Abschnitte dieses Adagios. Über etliche verminderte Akkorde werden entfernte Tonarten erreicht, darunter h-moll.
    (1:39/1:40/1:32/1:29) Ein Fugato hebt in e-moll an, moduliert über fis-moll und (enharmonisch verwechselt) as-moll und es-moll rasch weiter nach C-Dur/c-moll. Danach tritt die Verzierung wieder auf, weitere verminderte Akkorde treiben das Stück weiter. – Gegen Ende schraubt sich das Cello unter Verwendung der Verzierung halbtonweise nach oben. Halbschluss in b-moll.

    Allegretto quasi Allegro

    Dieser Teil steht in Sonatenhauptsatzform ohne Durchführung. In der Coda gibt es Interpolationen mit dem Material des Adagios sowie Ansätze zu motivischer Arbeit.

    Exposition
    (Beim Artemis Quartett und beim Belcea Quartet gibt es hier eine neue Tracknummer.)
    (3:41/3:30/0:00/0:00) Erstes Thema in B-Dur, es wird gleich wiederholt.
    (3:54/3:43/0:13/0:14) Überleitung.
    (4:08/3:58/0:26/0:28) Zweites Thema in F-Dur. Es unterscheidet sich vom ersten Thema vor allem durch die Artikulation, legato anstelle der staccato-lastigen Bezeichnung des Anfangs.
    (4:32/4:22/0:49/0:53) Schlussgruppe. Beethoven lässt es sich an der weiteren Verarbeitung des ersten Themas genügen.

    Reprise
    (4:42/4:31/0:58/1:03) Erstes Thema in B-Dur. Der Ersthörer bleibt im Unklaren, ob dies nun die Wiederholung der Exposition, der Beginn der Durchführung oder eine Reprise ist – oder ob eventuell einfach nur eine Rondoform vorliegt.
    (4:55/4:45/1:11/1:16) Überleitung.
    (5:11/5:00/1:27/1:33) Zweites Thema in B-Dur.
    (5:38/5:29/1:53/2:01) Schlussgruppe, endend auf einem verminderten Septakkord.

    Coda
    (5:54/5:45/2:07/2:17) Tempo I ist vorgeschrieben – wir sind wieder im Adagio.
    (6:43/6:32/2:50/3:02) Wiederaufnahme des Allegretto-Themas in a-moll mit raschem Verstummen.
    (6:50/6:40/2:57/3:10) Adagio ist vorgeschrieben.
    (7:01/6:50/3:06/3:19) Wiederaufnahme des Allegretto-Themas in G-Dur, rasch nach B-Dur übergehend. Ab dann durchführungsartige Verarbeitung des Themas.
    (7:51/7:41/3:53/4:12) Eine Fermate wird erreicht, ein „poco adagio“ des Allegretto-Themas bringt ein letztes retardierendes Moment, wonach der Satz und das Quartett im Prestissimo beendet wird.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Lieber Mauerblümchen!

    Danke für diese wie gewohnt umfassende Einführung! Du diskutierst im ersten Beitrag die Gefahr des verschenkten Hörvergnügens, wenn man Op. 18 sozusagen durch die mittlere und späte Brille betrachtet. Ich konnte im Zuge vieler an sich unnötiger, aber dann vielleicht doch gar nicht so unsinniger Neuanschaffungen von Gesamtaufnahmen in der letzten Zeit die erfreuliche entgegengesetzte Erfahrung machen, dass vor allem auch diese Werkgruppe mit jedem Hörer mehr Spaß macht, am allermeisten zumindest mir jedoch in den pointierten Deutungen von Artemis und Belcea und bei Op. 18/6 in der famosen, risikofreudigen, ja ruppigen Wiedergabe des Quartetto di Cremona:


    Aus leidvoller Laienmusikantenerfahrung weiß ich auch, dass man diese Stücke allzu leicht unterschätzt. Sie gelten ja als gut spielbar, zumindest im Vergleich zu den späteren Werken. Wenn man dann aber wirklich die Feinheiten, den gerade rhythmischen Pfeffer, das Tempo herausholen will, stößt man sehr rasch an Grenzen.

    Ganz bemerkenswert finde ich die unterschiedlichen Charaktere der Quartette. Da ist alles geboten, was Herz und Kopf begehren.

  • Lieber Braccio!

    Du diskutierst im ersten Beitrag die Gefahr des verschenkten Hörvergnügens, wenn man Op. 18 sozusagen durch die mittlere und späte Brille betrachtet.


    Mir ging es vor allem um den zweifelhaften Nimbus von sogenannten Frühwerken (Mozart-Opern, Schubert-Streichquartette), denen man sich vielleicht nicht sogleich nähert, weil man gleich die Meisterwerke im Visier hat. Da würde einem viel gute Musik durch die Lappen gehen, wenn man bei Beethoven erst mit op. 59 einstiege.

    dass vor allem auch diese Werkgruppe mit jedem Hörer mehr Spaß macht, am allermeisten zumindest mir jedoch in den pointierten Deutungen von Artemis und Belcea und bei Op. 18/6 in der famosen, risikofreudigen, ja ruppigen Wiedergabe des Quartetto di Cremona:


    So ist es! Wobei ich die neue Aufnahme mit den Cremonesern noch nicht kenne.

    Wie hältst Du es mit den Emersons bei Beethoven ... ?

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Meinem Eindruck nach ist es keine verbreitete Meinung, dass Beethovens op.18 tendenziell vernachlässigbare "Frühwerke" wären. Das steht ja oben eigentlich auch schon unter dem Schlagwort "fertige Erstlinge". Natürlich sind sie "früher" als viele andere seiner Werke, aber Beethoven hatte ca. 15 Jahre Kompositionserfahrung, als er sie schrieb, und schon ca. 8 Jahre vor den Quartetten z.B. das umfangreiche Streichtrio op.3 fertiggestellt.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Wie hältst Du es mit den Emersons bei Beethoven ... ?

    Ich habe die "mittleren" und "späten" Quartette mit den Emersons. Früher hat mich die Rasanz der Emersons vor allem bei den 59ern und bei Op. 95 sehr angesprochen, später kam mir ihr Spiel zu glattgebürstet vor, wobei ich die Aufnahmen nun schon länger nicht mehr gehört habe. Op. 18 habe ich nur mit anderen Formationen.
    Die Cremoneser kann ich unbedingt empfehlen. Leider gibt es noch keine günstigen Angebote.

  • Meinem Eindruck nach ist es keine verbreitete Meinung, dass Beethovens op.18 tendenziell vernachlässigbare "Frühwerke" wären.


    Das wohl nicht, sie werden aber sicher im Vergleich zu den späteren Quartetten allgemein weniger geschätzt. Ich halte z.B. die #5 für ein perfektes Meisterwerk - Mozartnähe hin oder her - das den späteren Quartetten um nichts nachsteht, sondern einfach nur anders ist.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ich halte z.B. die #5 für ein perfektes Meisterwerk - Mozartnähe hin oder her - das den späteren Quartetten um nichts nachsteht, sondern einfach nur anders ist.

    Die Verdichtung in op. 95 empfinde ich schon als Fortschritt. Dagegen ist op. 18 zwangsläufig konventioneller.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Die Verdichtung in op. 95 empfinde ich schon als Fortschritt. Dagegen ist op. 18 zwangsläufig konventioneller.


    Eher eine Entwicklung als ein Fortschritt, oder? Kommt ganz darauf an, wie man Fortschritt definiert. Verdichtung muss ja nicht Fortschritt bedeuten, sonst wäre eine Haydn-Symphonie fortschrittlicher als eine Bruckner-Symphonie.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.


  • Eher eine Entwicklung als ein Fortschritt, oder? Kommt ganz darauf an, wie man Fortschritt definiert. Verdichtung muss ja nicht Fortschritt bedeuten, sonst wäre eine Haydn-Symphonie fortschrittlicher als eine Bruckner-Symphonie.

    Haydn-Sinfonien mögen dichter gefügt sein als Bruckners. Aber dafür hat Bruckners Musik einen ganz anderen Inhalt und Ausdruck. Dagegen kann man bei dem selben Komponisten im selben Genre davon sprechen, dass er etwas verdichtet.
    Wobei sich in dem Fall die Konsequenzen wohl auf die ganze europäische Musik des 19. Jahrhunderts erstrecken (wieviel Raum benötigt die Exposition, wieviel motivische Arbeit?). Nach Beethovens op. 95 konnte man nur dann so komponieren wie vorher, wenn man es noch nicht mitgekriegt hat.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Wobei sich in dem Fall die Konsequenzen wohl auf die ganze europäische Musik des 19. Jahrhunderts erstrecken (wieviel Raum benötigt die Exposition, wieviel motivische Arbeit?). Nach Beethovens op. 95 konnte man nur dann so komponieren wie vorher, wenn man es noch nicht mitgekriegt hat

    Das verstehe ich nicht ganz? Inwiefern spielt op. 95 für Schubert z.B eine entscheidende Rolle? Auch Mendelssohns Streichquartette folgen diesem Besipiel nicht, selbst wenn Mendelssohn op. 95 in seinem op. 13 paraphrasiert (ihn hat mehr die Adagio-Fuge denn die Verdichtung interessiert). Es stimmt natürlich zweifellos, dass man op. 18 eher als einen Endpunkt des klassischen Streichquartetts und Beethovens spätere Quartette als einen neuen Weg bezeichnen kann, nur mindert das für mich nicht den intrinsischen Wert der op. 18 Quartette.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ich halte z.B. die #5 für ein perfektes Meisterwerk - Mozartnähe hin oder her - das den späteren Quartetten um nichts nachsteht, sondern einfach nur anders ist.


    #5 verstehe ich gleichzeitig als Imitation der Form (nach Mozart KV 464 in A-Dur) wie auch als Experiment der Gewichtsverteilung: Schwerpunkt sind hier die Variationen, Kopfsatz und Finale sind eher leichtgewichtig, der Kopfsatz ist sogar auffallend knapp gehalten, wohl um den Variationen nicht in die Parade zu fahren.

    Die Verdichtung in op. 95 empfinde ich schon als Fortschritt. Dagegen ist op. 18 zwangsläufig konventioneller.


    Fortschritt? Hm. Beethoven ist in der Richtung nicht weiter gegangen als in op. 95. Knapper kam er danach wohl nicht mehr auf den Punkt. Eventuell höchstens noch im Kopfsatz von op. 111 oder in den Bagatellen op. 126. Aber in den Quartetten war er danach nicht mehr so dicht und prägnant.

    Nach Beethovens op. 95 konnte man nur dann so komponieren wie vorher, wenn man es noch nicht mitgekriegt hat.


    Würde man provozieren wollen, so könnte man sagen, dass op. 95 die Sackgasse mit der größten emotionalen Amplitude der Quartettliteratur bis 1850 (und darüber hinaus) ist. Op. 127 würde ich dichter an op. 74 als an op. 95 sehen, oder?

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

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