MOZART und die Welt der Oper
Es scheint mir sinnvoll, eine Diskussion hier zu führen statt in dem einen Joachim Kaiser-Thread - nicht um einen dritten von der Sorte aufzumachen, sondern weil es hier ausschließlich um Mozartopern geht und Fragestellungen, die ein (noch recht jugendlich wirkender) Joachim Kaiser 1966 stellt. Seitdem hat sich einiges geändert, auch etwa die Präsenz des "Idomeneo" auf der Bühne, einiges ist aber auch noch nicht so verhärtet in den Positionen wie die Frage des "Regietheaters".
Was heißt eigentlich "opernhaft"
ist die erste Frage, die sich Kaiser in der ersten von dreizehn Sendungen stellt. Was überrascht: Wie oft das Wort "Regisseur" fällt - was er machen, auch worauf er achten soll, wird bedacht. Diese Frage muss aber fokussiert werden auf Mozart, denn - das wird schnell klar - die versuchten Antworten lassen sich weder auf die Barockoper, aber auch nicht auf Wagner (angesprochen wird der Schwan im "Lohengrin") und Spätere übertragen. Und selbst bei Mozart wird man so stringende Antworten bei weitem nicht auf alle Opern übertragen können. Die Antworten beziehen sich deutlich auf das damalige Kernrepertoire an Mozartopern, die beiden Szenenausschnitte sind von den Salzburger Festspielen 1963 (AFAIR).
Mozart ist kein Reformopernkomponist, so Kaiser. Ich möchte das schon an den ausgewählten Beispielen (Die Entführung aus dem Serail, Le nozze di Figaro) bezweifeln. Da aber die Äußerung keine Konsequenzen für die Argumentationsführung hat, lasse ich das Problem einmal links liegen (ein zarter Hinweis auf die Revision des Titus-Libretto sei für den Kundigen nur einmal angebracht).
Wahrscheinlichkeit sei die entscheidende opernästhetische Kategorie, so Kaiser, allerdings - und da kommt er auf den Titel der Sendung zurück - eine "opernhafte" Wahrscheinlichkeit. Das zeigt sich im Verhalten zur Zeit: Im Unterschied zum Schauspiel kann die Zeit angehalten werden (so etwa bei einer ausgedehnten Ensembleszene, aber auch bei einer Arie, die den Sänger aus der Handlung vorübergehend herausnimmt), sie kann auch gerafft werden. Während beim Sprechtheater die Zeitverläufe weitgehend der Realzeit entsprechen, nur ein Szenen- oder Aktwechsel ermöglicht größere Zeitsprünge, ein Monolog in der Regel nur möglich ist, wenn die Person allein, also für sich bzw. das Publikum spricht, hat die Oper da ihre eigenen Gesetze.
Die "Wahrscheinlichkeit" unterscheidet sich begrifflich allerdings nicht von dem, was Gluck forderte und durchsetzte, die "Entführung" wäre ohne die Vorarbeit Glucks gar nicht denkbar. Bei Kaiser verdinglicht sie sich mE am Ende auf Kulisse und Kleidung. Aber da liegen in der Rückschau doch die Haken der Angelegenheit verborgen.
Wenn man etwa den Ausschnitt aus der "Entführung" sieht, fällt einem erst einmal - mir angenehm - auf, dass der Dialog ohne Striche gesprochen wird (ob das nun für die ganze Aufführung galt, kann ich nicht beantworten). Das bringt auch die mE dramaturgisch etwas überflüssige Figur von Klaas auf die Bühne, das sört aber nicht. Was aber erheblich stört, wenigstens mich (außer die scheinrealistische Überladung der Bühne mit Requisiten), ist Osmin, der ohne Turban, dafür aber mit einem Haarkranz auftaucht, der mich mehr an "Land des Lächelns" erinnert als an die "Entführung". Und dann - wie langweilig - entdeckt man, dass alle Protagonisten noch weitgehend einer Standbein/Spielbein-Choreographie gehorchen, mit den Armen in der Luft herumfuchteln und ähnliche Mätzchen vorführen, wie sie Anfang der 60er noch gang und gäbe waren - habe ich nun das wirklich "Opernhafte" entdeckt? Kaiser ist leider auf diesem Auge blind.
So ist am Ende ein Körbchen von (angerissenen) Fragen das Ergebnis, viel zu wenig, was das "Opernhafte" bei Mozart betrifft. Da wäre zumindestens angesagt gewesen, die Überlegungen zu den Uraufführungssängern, die uns Mozart reichlich in seinen Briefen mitteilt, zu zitieren. Das ist für mich etwa das Opernhafte bei Mozart, dass er Stärken und Schwächen des konkreten Bühnenpersonals bis ins Kleinste studierte und entsprechend kompositorisch darauf reagierte. Opern ist eben nicht ein starres Gebilde, einmal geschaffen, damit es unverändert so konserviert wird. Oper muss aus den konkreten Bedingungen immer wieder neu gewonnen werden, wie bei Gluck die beiden "Ezios" und "Orfeo/Orphée" wird es bei Mozart Anpassungen geben (etwa "Finta Giardiniera/Gärtnerin aus Liebe"), wenn er die Chance hat, ein Stück an anderem Ort aufzuführen. Dass dann "Le nozze di Figaro" deutsch gesungen und gesprochen wurde (aus Rezitativen also gesprochene Dialoge wurden), der Don Giovanni etwa noch Zusätze aus dem Molière erhielt usw. muss man wissen, wenn man sich mit der Operpraxis dieser Zeit beschäftigt Die Oper lebt (man sehe nur die vielen Fassung von Don Carlos/Don Carlo - schon die Uraufführung war die erste Bearbeitung bzw. die zweite Fassung) - und Mozart lebt mit und in der Oper.
Ansonsten ist es wie immer bei Kaiser: er ist kundig, man erfährt viel, er formuliert glänzend, da sehe ich jede Eitelkeit nach. Und ich vergesse auch nicht: Es ist die Auftaktsendung - und die Ästhetik einer Fernsehsendung ist eine andere als die eines Buches. Über das Opernhafte bei Mozart hätte ich allerdings gerne etwas mehr erfahren.
Liebe Grüße Peter