BADARZEWSKA-BARANOWSKA: Gebet einer Jungfrau - ein Gipfelwerk?
Heute las ich mal wieder im Forum, dass man sich ihr erinnerte, der Polizistentochter Thekla Badarzewska-Baranowsky. Doch ihr Name ist wohl den wenigsten geläufig, wohl aber der Erfolgstitel der 22jährigen - und tatsächlich wohl eher der Titel als die Musik selbst: Das Gebet einer Jungfrau. Kommt da nebst dem schlechten Ruf eines Salonstückes nicht ein Stück viktorianische Verklemmtheit zum Ausdruck, scheint doch Sexualität und Religion hier im Bunde, also ein schlagendes Beispiel für Kitsch, eine selbstredende Verlogenheit, über die wir heute doch so souverän stehen?
Der hier inzwischen etwas anrüchige Hans Heinrich Eggebrecht legte auf jeden Wert darauf, dass seine Studenten das Werk kannten, er setzte sich ans Klavier, um dieses Modlitwa dziewicy (vertrieben unter La prière d'une vierge), der erstaunten Zuhörerschaft vorzuführen.
Es war wohl schon damals der Titel, der das Stück berühmt-berüchtig machte, die Auflagenzahl des Klavierblattes in unermessliche Höhen steigen ließ. Kaum war es in Paris erschienen, rissen sich Musikverleger aus aller Welt darum, es aufzulegen. Und die Musikkritiker - die waren damals ebenso säuerlich wie heute - erbosten sich. Gar ins "Musikalische Conversations-Lexikon" (Berlin 1870) schaffte es das Werk und ihre Autorin, Schöpferin von "demoralisierenden Produkten einer Aftermuse".
Im neuen Jahrtausend sollte man glauben, dass wenigstens Frauenrechtler endlich dem Werk seinen verdienten Ruhm zukommen lassen. Wenn man es sich vornimmt, erkennt man zumindest, was "höhere Töchter", für sie war es ja geschrieben, technisch alles konnten. Natürlich ist das Salonmusik, aber da der Salon so außer Mode gekommen ist, kann man doch ein wenig gerechter von der Kulturstätte sprechen, die einem Chopin den Lebensatem verschaffte. Glanzvolle und berühmte Namen findet man in der sogenannten Salonmusik-Literatur. Und wie man heute mit heiligem Schauer die Münchmeyer-Fassungen der Karl May-Romane verschlingen kann (als die Nachdrucke bei Olms erschienen, waren sie unter uns heiß begehrte Objekte, des Nachts verschlungen wurden, um sie dem nächsten Verehrer weiterzugeben). Ein wenig von dieser Wertschätzung und Entdeckungslust fehlt mir, obwohl es immerhin eine Reihe von Einspielungen von Hahn bis Hubay gibt. Auch das angesprochene Werk Thekla Badarzewskas ist für den Klavierunkundigen auf CD erhältlich, im Konzert wird er ihm leider noch selten begegnen.
Wer hat nicht alles Albumblätter geschrieben, nicht zuletzt unser im letzten Jahr gefeierter Heros, Richard Wagner. Natürlich war es der Geldmangel, der ihn dazu trieb, so Verächtliches zu komponieren. Nun gehörte er wahrlich nicht zu den Großproduzenten, die es auch gab - und uns heute eher unbekannt sind, ein Fritz Kirchner, Franz Behr, Josef Löw - und wie sie alle heißen. Der Bedarf war immens, im Zeitalter vor der Erfindungen des Phonographen stand in jedem gutbürgerlichen Haushalt ein Klavier, das zwei- oder vierhändig von zarten Händen zum Erklingen gebracht wurde. Die Raffinesse der Stücke bestand darin, Spielbares unter dem Vorschein höchster Virtuosität zu verbergen, aber auch den jungen Frauen ein hoch differenziertes Mittel zu liefern, ihre zarten Gefühle an den Mann zu bringen. Diese Sentimentalität darf nicht verziehen werden, nicht wahr?
Unsere Komponistin hat keine 1000 Werke vom Fließband geliefert, wie die Marktführer der Musikindustrie, es sind knapp drei Dutzend Werke - Süße Träumerei (Douce Rêverie), Andenken an die Freundschaft (Souvenir de l'amitié) und gar - moralisch empfindsame Gemüter seien gewarnt - Der Kuss (Le Baiser) sind Titel der Kompositionen.
Unvergänglich am Himmel der Musikgeschichte ist wohl nur Das Gebet einer Jungfrau geblieben, schnelles Einverständnis unter Gleichgesinnten herausfordernd. Da kommt (männliche) Überheblichkeit gegenüber der Ästhetik des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck, da ist man sich einig über "schlecht gemachte" Musik. Und worüber kann man sich einiger sein als über das, was man nicht kennt?
Liebe Grüße Peter