Ich habe nichts gegen Aufnahmen (nur am Rande: Ich habe selbst 28 CDs eingespielt, außerdem ein paar "privat" produziert) und bin natürlich froh, dass es von den großen Interpreten der Vergangenheit so viele gibt. Aufnahmen haben unbestreitbare und wichtige Vorteile, diie ich hier aber nicht erwähnt habe, weil es darum nicht ging. Ihrem Wesen nach - und schon aus physikalischen Gründen - ist Musik eine Kunst, die in der Gegenwart stattfindet (den paar spitzfindigen und seltenen Ausnahmen wie z.B. Mozarts Stücke für Flötenuhr oder Nancarrows Studies zum Trotz). Wie die meisten hier höre ich dennoch viele Aufnahmen, aber ich habe nie, nicht ein einziges mal, dabei ein auch nur annähernd so intensives Erlebnis gehabt wie z.B. bei Vladimir Horowitz in der Hamburger Musikhalle, bei Mahlers Rückert-Liedern in der Berliner Philharmonie oder dem Auryn-Quartett im Konzerthaus Detmold. Ich habe den sehr starken Eindruck, dass die übergroße Mehrheit der Musikfreunde diese Erfahrung mit mir teilt. Ob eine Aufzeichnung wirklich eine "Kunstform" ist (ob also die Aufzeichnung oder nicht doch eher das Aufgezeichnete den Kunstcharakter hat) darüber ließe sich lange streiten, aber das führt jetzt vielleicht zu weit...Christian
Was habe ich als Liebhaber von Musik von dieser theoretischen Diskussion? Das ein Live-Konzert einer Aufnahme in jedem Fall überlegen ist, wage ich mal zu bezweifeln. Ich habe jedenfalls schon grottenschlechte Aufführungen erlebt und von demselben Werk himmlische Aufnahmen. Mir ist der Diskurs hier zu dogmatisch, auch wenn ich die Argumentation nachvollziehen kann. Aber ich denke praktisch. Ich bin froh in einer Zeit zu leben, in der es die Möglichkeit gibt Musik zu hören, die sonst komplett in der Vergessenheit bleiben würde. Es gibt einfach zu wenig Gelegenheiten Musik im Konzert zu hören, sei es wegen des nicht vorhandenen Angebotes (und zwar an Aufführungen wie an Repertoire), wegen Kosten- oder Zeitfragen. Vielleicht bin ich ja hier eine Ausnahme, aber ich kann durchaus die gleiche Befriedigung mit einer Konserve finden wie mit einer Aufführung. Ein Konzert ist leider auch immer mit einer mehr oder weniger großen Menge an Zuhörern verbunden, die gerne mal abhusten, oder ihre Unterhaltung bis in das Vorspiel zu einer Oper fortsetzen. Sobald das Konzert verklungen ist wird drauflosgeklatscht (und zwar je frenetischer je bekannter der Interpret ist) oder nach jeder Arie.
Sitze ich hingegen zu Hause, habe die Noten in der Hand und kann in absoluter Stille der Musik lauschen, finde ich das ungleich befriedigender. Ich sehe da auch überhaupt keinen Gegensatz zu einem Konzert. Wenn ich so hier im Forum stöbere scheinen ja wohl auch die meisten so oder so ähnlich zu verfahren. Die von Steffen Fahl hier vorgestellte Methode ist eine Ergänzung des Angebotes, deren Inanspruchnahme sowohl von der Neugier als auch von dem Qualitätsempfinden abhängt, das sich nicht verallgemeinern lässt. Wenn ich ein bestimmtes Werk hören möchte will ich nicht darauf warten bis es einmal an einem mir in dem Moment nicht zugänglichen Ort aufgeführt wird, sondern in mein gut gefülltes CD Regal greifen und die Musik hören und mich daran erfreuen. Das wiegt für mich in dem Moment schwerer als der Verlust eines Live-Erlebnisses.
Dass ich dennoch bemüht bin so häufig wie möglich letzteres zu haben ist ein anderes Ding.
Eusebius