Mendelssohns Streichquartette op. 44 - ein Erfolg oder Scheitern?
Ich habe schon einmal in einem anderen Forum eine Einführung zu diesen Werken geschrieben, allerdings glaube ich, dass auch bei Capriccio eine Besprechung von Mendelssohns Streichquartetten op. 44 nicht schaden könnte.
Mendelssohns drei SQ op. 44 gehören sicherlich zu den umstrittensten Werken aus seiner Feder. Sie werden geradezu als exemplarisch gesehen für Mendelssohns Abkehr von seinem experimentellen Stil seiner Jugendzeit, hin zu einem klassizistisch geglätteten und wenig expressiven Stil der Reifeperiode. Schon die Entscheidung Mendelssohns, die drei SQ als Trias mit einer einzigen Opuszahl zu publizieren, wird als Rückgriff auf die Wiener Klassik interpretiert (allerdings wird da geflissentlich übersehen, dass auch Onslow und Spohr – beide sehr bekannt damals – Sammelopera herausgaben). Bei der Betrachtung dieser Streichquartette kann man nicht die begleitenden Lebensumstände Mendelssohns außer Acht lassen. In 1835 hatte er seinen Paulus, op. 36, fertiggestellt, ein Werk, dass Mendelssohns Ruhm als führender Komponist Deutschlands begründete. Im selben Jahr hatte Mendelssohn auch die Leitung des Leipziger Gewandhauses übernommen. In 1837 heiratete Mendelssohn Cecile Jeanrennaud und krönte seine gutbürgerliche Existenz mit einer Familiengründung. Kurz und gut: Mendelssohn war so glücklich wie nie zuvor – und später nie wieder. Das musste sich auf seine musikalische Produktion niederschlagen. Alle Werke aus dieser Zeit sind lebensbejahend und bürgerlich affirmativ: Lieder ohne Worte, der 42. Psalm, die Lobgesangsymphonie – und eben die SQ op. 44. Allerdings ist dies nur ein Teil der Wahrheit, denn Mitte der 1830er Jahre hatte Mendelssohn in einer Lebenskrise gesteckt. Der an Beethoven und Bach orientierte Stil konnte nicht fortgeführt werden, ohne sich zu wiederholen, aber Mendelssohn fand nicht die Ruhe, um zu sich selbst zu kommen. Zudem kämpfte er mit der Fertigstellung des Paulus. Die SQ op. 44 wurden zum Weg aus der Krise und sind Musterbeispiele für Mendelssohns Personalstil, d.h. die Verbindung aus romantischem Lyrismus mit der strengen Form. Dass Mendelssohn dies schließlich nicht so gut gelungen ist wie später bei seinem d-Moll Klaviertrio op. 49, lag wohl an ihrer früheren Entstehung und der damit verbundenen geringeren Erfahrung. Trotzdem, so kritisch op. 44 von vielen gesehen wird, so erfolgreich war die Trias im 19. Jahrhundert. Die Quartette opp. 12,13, 80 wurden kaum rezipiert, op. 44 hingegen wurde rasch zur Inspiration für andere Komponisten. Schumann, beispielsweise, war nachhaltig beeindruckt und komponierte als Antwort seine eigene Quartetttrias, op. 41 (übrigens Mendelssohn gewidmet).
Zu den Werken selbst: die Trias setzt sich aus zwei Werken in Dur (op. 44/1, D-Dur und op. 44/3, Es-Dur), und einem in Moll (op. 44/2, e-Moll) zusammend. Die Nummerierung ist insofern irreführend, als die Werke nicht in dieser Reihenfolge entstanden. Im Spätsommer 1837 komponierte Mendelssohn als erstes das e-Moll Quartett, gefolgt vom Es-Dur Werk um die Jahreswende 1837/38. Das D-Dur Werk entstand als letztes im Juni 1838. Die Genese der Trias lässt es zweifelhaft erscheinen, on Mendelssohn ursprünglich überhaupt vorhatte, ein Sammelopus zu erstellen. Er war nämlich mit dem e-Moll Quartett sehr unzufrieden und schrieb deshalb das Es-Dur Quartett. Erst dann dürfte er an eine Vervollständigung der Trias gedacht haben. Das zuletzt entstandene D-Dur Werk schätzte er dann schließlich auch am höchsten ein.
Op. 44/1, D-Dur: dieses Quartett ist gewissermaßen die kammermusikalische Entsprechung der Italienischen Symphonie. Einem ausgedehnten, überschäumendem Kopfsatz folgen zwei eher kurze, ruhige Innensätze, einer davon ein Menuett. Den Abschluss bildet wie bei der Italienischen ein Saltarello/Tarantella-ähnlicher Kehraus. Dieses Quartett ist mit Sicherheit das geschlossenste der drei, und aufgrund seiner Sonderstellung als heiteres Streichquartett aus der romantischen Periode wird es sicher seinen Platz im Repertoire behaupten können.
Op. 44/2, e-Moll: Das ist ganz typischer Mendelssohn! Einem kontrapunktisch dichten Kopfsatz mit gleichzeitig drängendem und lyrischen Hauptthema folgen ein Elfenscherzo und ein Andante im Stil der Lieder ohne Worte. Den Abschluss bildet ein - ebenfalls typisch für Mendelssohn – ein Perpetuum mobile-Satz.
Op. 44/3, Es-Dur: Das ist ganz untypischer Mendelssohn! Der erste Satz ist eine an Haydn geschulte monothematische tour de force. So viel motivische Arbeit gab es vorher nie bei Mendelssohn und sollte es nachher auch nicht mehr geben. Glücklicherweise, denn dieser Kompositionsstil liegt Mendelssohn nicht. Der Satz ist mMn staubtrocken. Das Scherzo ist ein ausgesprochen düsteres und fugiertes Charakterstück und das Adagio orientiert sich mehr am mittleren Beethoven als an Mendelssohns eigenen Liedern ohne Worte. Das Finale ist allerdings wieder ein typisches Perpetuum mobile.
Insgesamt gesehen mag ich diese Werke sehr! So gehören für mich die ersten beiden Sätze des e-Moll Quartetts oder die Innensätze des Es-Dur Quartetts zum Schönsten, was Mendelssohn geschrieben hat. Allerdings verstehe ich auch die Kritiker ganz gut. Das D-Dur Werk ähnelt zwar der Italienischen, hat aber wesentlich weniger Drive. Die Finalsätze der e-Moll und Es-Dur Werke sind wiederum zu leichtgewichtig für die Gattung. Zudem ist das Andante im e-Moll Quartett arg glatt geraten. Keines der Quartette kann also in seiner Gesamtheit voll überzeugen. Aus diesem Grund glaube ich, dass die anderen Quartette auch in Zukunft op. 44 vorgezogen werden.