Bach, J. S.: Kantate Nr. 113 „Herr Jesu Christ, du höchstes Gut“
Dies ist Bachs Choralkantate zum elften Sonntag nach Trinitatis. Sie wurde am 20. August 1724 uraufgeführt, entstand also in Bachs zweitem Leipziger Amtsjahr, im sogenannten Choralkantatenjahrgang 1724/25.
Hier die acht Strophen des Liedes von Bartholomäus Ringwaldt (1532 – ca. 1599), die dem Werk zugrunde liegen:
1. Herr Jesu Christ, du höchstes Gut, / du Brunnquell aller Gnaden, sieh doch, / wie ich in meinem Mut / mit Schmerzen bin beladen / und in mir hab der Pfeile viel, / die im Gewissen ohne Ziel / mich armen Sünder drücken.
2. Erbarm dich mein in solcher Last, / nimm sie aus meinem Herzen, / dieweil du sie gebüßet hast / am Holz mit Todesschmerzen, / auf dass ich nicht vor großem Weh / in meinen Sünden untergeh / und ewiglich verzage.
3. Fürwahr, wenn mir das kommet ein, / was ich mein Tag´ gegangen, / so fällt mir auf das Herz ein Stein, / und bin mit Furcht umfangen; / ja ich weiß weder aus noch ein / und müsste stracks verloren, / wenn ich dein Wort nicht hätte.
4. Aber dein heilsam Wort das macht / mit seinem süßen Singen, / dass mir das Herze wieder lacht / und neu beginnt zu springen; / dieweil es alle Gnad verheißt denen, / die mit zerknirschem Geist zu dir, / o Jesu kommen.
5. Und weil ich denn in meinem Sinn, / wie ich zuvor geklaget, / auch ein betrübter Sünder bin, / den sein Gewissen naget, / und gerne möcht im Blute / dein von Sünden abgewaschen sein, / wie David und Manasse.
6. So komm ich auch zu dir allhie / in meiner Not geschritten / und tu dich mit gebeugtem Knie / von ganzem Herzen bitten: / Verzeihe mir doch gnädiglich, / was ich mein Lebtag wider dich / auf Erden hab begangen.
7. O Herr, vergib, vergib mir´s doch / um deines Namens Willen / und tu in mir das schwere Joch / der Übertretung stillen, / dass sich mein Herz zufrieden geb / und dir hinfort zu Ehren leb / mit kindlichem Gehorsam.
8. Stärk mich mit deinem Freudengeist, / heil mich mit deinen Wunden, / tröst mich mit deinem Todesschweiß / in meiner letzten Stunden / und nimm mich einst, / wenn dir´s gefällt, im rechten Glauben / von der Welt zu deinen Auserwählten!
Das Evangelium des Sonntags war die Geschichte von Zöllner und Pharisäer (Lk 18, 9-14). Der Anknüpfungspunkt zwischen diesem Text und dem Lied ist, dass man Letzteres als Ausformulierung des Gebets des Zöllners verstehen kann („Herr, sei mir Sünder gnädig“).
Der unbekannte Dichter des Kantatentextes übernahm immerhin vier Strophen wörtlich (mit den in Gesangbüchern üblichen redaktionellen Anpassungen). Dabei hat er die vierte mit eigener Dichtung tropiert.
Dass die erste Strophe unverändert blieb, ist in Bachs Choralkantaten der Normalfall; hier sind es jedoch gleich zwei:
1. Choral
Herr Jesu Christ, du höchstes Gut,
Du Brunnquell aller Gnaden,
Sieh doch, wie ich in meinem Mut
Mit Schmerzen bin beladen
Und in mir hab der Pfeile viel,
Die im Gewissen ohne Ziel
Mich armen Sünder drücken.
2. Choral
Erbarm dich mein in solcher Last,
Nimm sie aus meinem Herzen,
Dieweil du sie gebüßet hast
Am Holz mit Todesschmerzen,
Auf dass ich nicht für großem Weh
In meinen Sünden untergeh,
Noch ewiglich verzage.
Vom Text der dritten Strophe übernahm der Dichter lediglich die erste Zeile und formulierte den Rest frei nach der Vorlage.
3. Arie
Fürwahr, wenn mir das kömmet ein,
Dass ich nicht recht vor Gott gewandelt
Und täglich wider ihn misshandelt,
So quält mich Zittern, Furcht und Pein.
Ich weiß, dass mir das Herze bräche,
Wenn mir dein Wort nicht Trost verspräche.
Rezitativ Nr.4 enthält die vollständige vierte Strophe und kommentiert deren Zeilen mit eigener Dichtung.
4. Rezitativ
Jedoch dein heilsam Wort, das macht
Mit seinem süßen Singen,
Dass meine Brust,
Der vormals lauter Angst bewusst,
Sich wieder kräftig kann erquicken.
Das jammervolle Herz
Empfindet nun nach tränenreichem Schmerz
Den hellen Schein von Jesu Gnadenblicken;
Sein Wort hat mir so vielen Trost gebracht,
Dass mir das Herze wieder lacht,
Als wenn's beginnt zu springen.
Das zagende Gewissen kann mich nicht länger quälen,
Dieweil Gott alle Gnad verheißt,
Hiernächst die Gläubigen und Frommen
Mit Himmelsmanna speist,
Wenn wir nur mit zerknirschtem Geist
Zu unserm Jesu kommen.
Der fünfte Satz ist eher ein seelsorglicher Einschub ohne direkte Nachdichtung einer Liedstrophe, ist ein Trostwort. Der Satz „Jesus nimmt die Sünder an“ ist der Anfang eines anderen, 1718 gedichteten Liedes von Erdmann Neumeister (1671-1756), kann jedoch auch auf Lk 15, 1+2 zurückgeführt werden („Es nahten sich aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen!“). Der Satz „Dein Sünd ist dir vergeben“ kommt sowohl in Mt 9, 2 als auch in Lk 7, 48 vor.
5. Rezitativ
Jesus nimmt die Sünder an!
Süßes Wort voll Trost und Leben!
Er schenkt die wahre Seelenruh
Und rufet jedem tröstlich zu:
Dein Sünd ist dir vergeben.
Rezitativ Nr. 6 fasst die fünfte und die sechste Strophe frei zusammen. – Das Wort von den Mühseligen und Beladenen hat seinen Ursprung in Mt 11, 28 („Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“). – David und Manasse stehen als Beispiel für zwei Menschen, die schwere Sünden begangen haben und dennoch aufgrund ihrer Selbsterkenntnis Gnade fanden (2. Sam 11+12; 2. Kön 21, 1-17 + 2. Chr 33, 1-13).
6. Rezitativ
Der Heiland nimmt die Sünder an:
Wie lieblich klingt das Wort in meinen Ohren!
Er ruft: Kommt her zu mir,
Die ihr mühselig und beladen,
Kommt her zum Brunnquell aller Gnaden,
Ich hab euch mir zu Freunden auserkoren!
Auf dieses Wort will ich zu dir
Wie der bußfertge Zöllner treten
Und mit demütgem Geist "Gott, sei mir gnädig!" beten.
Ach, tröste meinen blöden Mut
Und mache mich durch dein vergossnes Blut
Von allen Sünden rein,
So werd ich auch wie David und Manasse,
Wenn ich dabei
Dich stets in Lieb und Treu
Mit meinem Glaubensarm umfasse,
Hinfort ein Kind des Himmels sein.
Der Text des Duettes Nr. 7 lehnt sich wieder eng an seine Vorlage an.
Nr. 7 Duett
Ach Herr, mein Gott, vergib mir's doch,
Womit ich deinen Zorn erreget,
Zerbrich das schwere Sündenjoch,
Das mir der Satan auferleget,
Dass sich mein Herz zufriedengebe
Und dir zum Preis und Ruhm hinfort
Nach deinem Wort
In kindlichem Gehorsam lebe.
Die letzte Strophe des Liedes blieb unverändert als Schlusschoral stehen.
8. Choral
Stärk mich mit deinem Freudengeist,
Heil mich mit deinen Wunden,
Wasch mich mit deinem Todesschweiß
In meiner letzten Stunden;
Und nimm mich einst, wenn dir's gefällt,
In wahrem Glauben von der Welt
Zu deinen Auserwählten!
Hier die acht Sätze von BWV 113 samt ihrer Besetzung im Überblick:
Nr. 1 Choral „Herr Jesu Christ, du höchstes Gut“ – Sopran, Alt, Tenor, Bass, Oboe d’amore I/II, Violine I/II, Viola, B. c.
Nr. 2 Choral „Erbarm dich mein in solcher Last“ – Alt, Violine solo, B. c.
Nr. 3 Arie „Fürwahr, wenn mir das kömmet ein“ – Bass, Oboe d’amore I/II, B. c.
Nr. 4 Rezitativ „Jedoch dein heilsam Wort, das macht“ – Bass, B. c.
Nr. 5 Arie „Jesus nimmt die Sünder an“ – Tenor, Flauto traverso, B. c.
Nr. 6 Rezitativ „Der Heiland nimmt die Sünder an“ – Tenor, Violine I/II, Viola, B. c.
Nr. 7 Duett „Ach Herr, mein Gott, vergib mir’s doch“ – Sopran, Alt, B. c.
Nr. 8 Choral „Stärk mich mit deinem Freudengeist“ – Sopran, Alt, Tenor, Bass, Oboe d’amore I/II, Violine I/II, Viola, B. c.