Hans Pfitzner: Palestrina - eine Künstleroper
Die zitierten Beiträge stammen aus der Diskussion der Frage "Wie antisemitisch darf ein Künstler sein?" Da sie teilweise recht ausführlich auf Pfitzners wohl bedeutendste Oper, vielleicht sein bedeutendstes musikalisches Werk eingehen, finde ich eine eigene Besprechung sinnvoll.
Die wichtigsten Fakten über das Werk: Entstanden ist die "Musikalische Legende" 1912-15, uraufgeführt wurde sie 1917 in München, Dirigent: Bruno Walters. Ausführlicher: "http://de.wikipedia.org/wiki/Palestrina_%28Oper%29".
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Wenn wir zur Frage, ob es in Pfitzners musikalischem Werk antisemitische Aussagen gibt, zurückkehren, dann denke ich zunächst an folgende Textstelle aus dem ersten Akt des Palestrina, wo der Titelheld folgendes sagt:
"Die Kunst der Meister vieler hundert Jahre,
Geheimnisvoll verbündet durch die Zeiten
Zum Wunderdom sie stetig auszubaun,
Der sie ihr Leben schenkten, ihr Vertraun,
Und der auch ich mein Dasein bot:
Ihm dünkt sie abgegriffne alte Ware,
Er glaubt sie überwunden, glaubt sie tot.-
Nun haben Dilettanten in Florenz
Aus heidnischen, antiken Schriften
Sich Theorien künstlich ausgedacht,
Nach denen wird fortan Musik gemacht.
Und Silla drängt begeistert sich zu jenen
Und denkt und lebt nur in den neuen Tönen.
Vielleicht wohl hat er Recht! Wer kann es wissen,
Ob jetzt die Welt nicht ungeahnte Wege geht,
Und was uns ewig schien, nicht wie im Wind verweht?
Zwar trüb' ist's zu denken - kaum zu fassen."
Man kann es drehen und wenden wie man will - die Aussage der Textstelle ist nicht antisemitisch. Es gibt nichts darin, was irgendwie auf Juden oder gar Ablehnung der Juden hindeutet.
Aber die Textstelle enthält ein enormes Potential, sie antisemitisch zu wenden. Es ist eine Aneinanderreihung von Topoi, die gerade auch von der antisemitischen Propaganda benutzt wurden (und unter neuem Gewand auch weiterhin benutzt werden):
Der wahren hergebrachten Kunst und damit dem Leben des Künstlers wird Warencharakter zugeschrieben - die Juden kommerzialisieren die Kunst. Dilettanten - also das Gegenteil des wahren Künstlers - bemächtigen sich der Herrschaft über die Kunst, indem sie (angelernt vom Talmud als heidnischer antiker Schrift) Theorien über die Kunst aufstellen, die sie als verbindlich durchsetzen (jüdische Musikkritiker wie Hanslick oder gar "Musikmanager" wie Bekker). Formalismus tritt an die Stelle von Geheimnis, religiöser Weihe und Vertrauen (Mendelssohns "Klassizismus", Schönberg und die Folgen). Diese neue formalistische Kunstbeherrschung hat großen Zulauf (Korngold, Schreker; meine Werke werden dagegen boykottiert). Es droht, dass sie die ewigen Werte völlig verdrängt; das ist ein wesentlicher Grund für Kulturpessimismus und "kulturellen Antisemitismus" (Pfitzner).
Ein wesentliches Kennzeichen des Antisemitismus ist ja gerade, dass er kein geschlossenes theoretisches Gebäude formuliert, sondern sich transingent verhält, also opportunistisch Gelegenheiten sucht, sich zu verbreiten.
Die Aussagen:
"Es gibt Erscheinungsformen der Geldwirtschaft auf internationaler Ebene, die geeignet sind, Schwächere auszubeuten"; "Ein geheim agierender Zusammenschluss von Personen in wichtigen gesellschaftlichen und staatlichen Funktionen kann einer verfassungsmäßigen Ordnung erheblichen Schaden zufügen", "Es ist verbrecherisch, wenn kleine Kinder ermordet werden, um ihr Blut zu irgendwelchen Handlungen zu benutzen", sind für sich betrachtet auch überhaupt nicht antisemitisch, sondern wahrscheinlich sogar sehr richtig. Man braucht aber überall nur einzusetzen: "Genau das machen die Juden" und schon sind wir mitten im klassischen Antisemitismus (internationes jüdisches Finanzkapital; Protokolle der Weisen von Zion; Ritualmordlüge).
Bleibt zuletzt die Frage, wie wir heute damit umgehen. Man kann schlicht feststellen, dass die konkrete Aussage, wie die oben zitierte Textstelle von Pfitzner für sich betrachtet nicht antisemitisch ist, ihr Potential sie antisemitisch zu verwenden, ausblenden und Pfitzners Musik unbeschwert genießen. Das ist noch längst kein Antisemitismus. Allerdings erhöht die Haltung die Gefahr, dass erneut das Potential zur antisemitischen Verwendung genutzt wird. Diese Gefahr halte ich heute im konkreten Fall von Pfitzners Oper für äußerst gering. Die Gefahr ist ist aber hoch z.B. in Internetforen.
Man kann aber auch versuchen, sich bewusst zu machen, dass eine solche Stelle, oder ein ganzes Werk, ein derartiges Potential besitzt und dass es historisch auch genutzt wurde. Mit diesem Bewusstsein kann man sehr wohl die künstlerische Qualität eines Werks, das ein solches Potential enthält, hoch schätzen und sie auch genießen, genau in diesem Bewusstsein, dass man das Potential erkennt und deshalb nicht darauf hereinfällt. Verbote sind jedenfalls untauglich. Im Falle von Wagners Musik für die Rollen des Beckmessers oder Mimes halte ich persönlich die rein musikalische Qualität für so gut, dass mir auch das wacheste Bewusstsein über die Missbrauchsgefahr solcher Stellen den Genuss der Qualität nicht schmälert. Bei Pfitzner weiß ich noch zu wenig, ob ich zu einem ähnlichen Qualitätsurteil komme, bisher überwiegen meine Zweifel.
Alles anzeigenHallo Uliwer,
die von dir zitierte Passage wertet ja nur bedingt! Schau mal genau hin:
Trotz Pfitzners polemischer Attacken in seinen Schriften "Futuristengefahr" und "Neue Ästhetik der musikalischen Impotenz" ist der Palestrina-Text (der von Klemperer für bedeutender als die Musik gehalten wurde!) eben nicht so plump.
Dito.
Beschäftige dich noch intensiver mit dem "Palestrina", besuche möglichst eine Aufführung (Oper von der Konserve ist immer so eine Sache...)!
Mir jedenfalls sagt auch die Musik dieser Oper sehr, sehr viel. Im ersten und im zweiten Akt gibt es schon mal etwas Leerlauf (wie in Wagners Ring eben auch), aber den dritten Akt halte ich von der ersten bis zur letzten Note (und was ist das für ein unglaublicher, im absoluten Nichts verhallender Schluss!) für eine der in sich geschlossensten Leistungen der gesamten Operngeschichte. Für mich gehören meine Palestrina-Live-Erlebnisse in Nürnberg, München, Berlin und Düsseldorf jedenfalls zu den besonders beeindruckenden Momenten in meinem Leben (neben verschiedenen Tristan- und Meistersinger-Aufführungen).
Viele Grüße
Bernd