Johannes Ockeghem (1410/30 - 1497)

  • Johannes Ockeghem (1410/30 - 1497)

    Wie bei so vielen Komponisten der damaligen Zeit, unterliegt auch Ockeghems Jugendzeit bloßen Vermutungen. Geboren wurde er wohl in Saint-Ghislain im Hennegau, in einem Zeitraum zwischen 1410 und 1430. Allerdings gibt es weitere Orte wie Okegem (das heutige Ninove in Belgien) oder Dendermonde, die darauf pochen, daß er von dort stammt.


    Die Daten seiner Geburt sind recht breit gestreut, werden aber inzwischen eher auf die frühen Daten eingegrenzt: aufgrund einzelner Hinweise aus damaligen Dokumenten oder seinen eigenen Werken hat man einige Informationen gezogen, die näher auf seine Kindheit schließen lassen. In Mons, nicht weit von Saint-Ghislain, war bis 1423 Gilles Binchois tätig, dem Ockegehm zu dessen Tod ein Lament widmete; es ist daher möglich, daß sie sich gekannt hatten. Damals mußte Ockeghem noch ein Jugendlicher gewesen sein. Als These für dieses frühe Geburtsjahr wird auch die Bemerkung des Poeten Guillaume Crétin genannt, der 1497 bedauerte, daß Ockeghem nicht 100 Jahre alt geworden sei.


    Die Schreibweise seines Namens ist recht vielfältig überliefert: es war auch Jean de/Jan - Okeghem/Ogkegum/Okchem/Hocquegam/Ockegham/Ockenhem/Ockengem/Ockenghem möglich, wobei in Quellen des 15. Jahrhunderts die Schreibweise Okeghem dominiert.


    Er besaß eine Baßstimme und begann - wie alle große Komponisten der damaligen Zeit - seine Karriere als Sänger in einer kirchlichen Kapelle. Der erste Nachweis seiner Existenz findet sich in den Dokumenten der Onze-Lieve-Vrouwekathedraal in Antwerpen, wo er von Juni 1443 an exakt ein Jahr angestellt war. 1446 war er für zwei Jahre in der Hofkapelle von Herzog Karl I. von Bourbon. Um 1451 ging er als Kapellmeister nach Paris an den Hof des französischen Königs Karls VII., der ihn außerdem zum Schatzmeister von Saint-Martin in Tours ernannte. Damit gehörte Ockeghem zu den priviliegiertesten Musikern im Frankreich der damaligen Zeit.


    Diese hohe Position behielt er auch bis zu seinem Tode bei. Er unternahm unter anderem auch diplomatische Reisen nach Cambrai (1462) oder nach Spanien (1470), wo immerhin wichtige politische Bündnisse geschmiedet werden sollten. Im Februar/März 1464 traf er mit Guillaume Dufay in Cambrai zusammen, wo er wohl auch zum Priester geweiht wurde. Seine Pfründe waren recht umfangreich: so war er ab 1463 Kanoniker in Notre-Dame de Paris und hatte 1466 ein Benefizium erhalten; durch seine bevorzugte Stellung bekam er sehr häufig die Erlaubnis, seiner Residenzpflicht nicht nachkommen zu müssen, was sicherlich nicht der Regelfall war.


    Zu seinen Lebzeiten war er hoch verehrt: die Nachfolger Karls VII. - Ludwig XI. und Karl VIII. - behielten ihn stets in den Ämtern, 1484 wurde er mit einem Bankett in Brügge geehrt, und Johannes Tinctoris benannte ihn in seinem Traktat De natura et proprietate tonorum (1476) neben Antoine Busnois als den führenden Komponisten seiner Zeit.


    Am 6. Februar 1497 verstarb Ockeghem hochbetagt in Tours. Es gab eine große Reihe an Würdigungen auf ihn, wovon Desprez' Vertonung von Jean Molinets Nymphes de bois sicherlich die heute bekannteste ist.


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    Ockeghems Kompositionen sind nicht so zahlreich: konkret spricht man von rund 16 Messen, 1 Credo, 6 Motetten, 1 Motetten-Chanson und 22 Chansons, die erhalten sind und ihm zugeschrieben werden. Darunter befindet sich die älteste erhaltene polyphone Vertonung der Totenmesse und die Déploration auf den Tod von Gilles Binchois. In seinen Messen wendet Ockeghem verschiedenen Techniken an: die Hälfte enthält Cantus-Firmus-Techniken, zwei basieren auf seine eigenen Chansons, und in zwei weiteren treibt er den Kontrapunkt am Rande des Machbaren. In der Missa prolationum arbeitet er mit Mensuralkanons in verschiedenen Zeitmaßen, und die Missa cuiusvis toni läßt sich in jedem der acht Kirchenmodi singen. Dennoch gelingt es ihm, diese Werke in einer singbaren, harmonischen Klanglichkeit zu hüllen, die der Idee der Sphärenharmonien nahekommt.


    Von nicht geringerer Qualität sind seine Chansons, zumeist dreistimmig gesetzt. Sie weisen französichen Text auf und sind in den üblichen Formen (Rondeau, Bergerette und Ballade) komponiert worden. Die Oberstimme (Cantus) trägt zumeist die Hauptmelodie, die von einer weiteren Stimme (Tenor) ergänzt wird; der Contratenor ist eine Füllstimme, die weitere Akzente setzen kann.


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    Die größte Bedeutung Ockeghems ist zweifellos in der virtuosen Art zu finden, wie er formale Prinzipien wie Modi oder Mensuration in eine singbare kunstvolle Synthese mit melodischen Elementen verbindet. Er nahm die Techniken eines Dufay oder Binchois in sich auf und gab neue Impulse weiter an die Nachfolger wie Desprez oder Obrecht. Das stets hohe Niveau seiner Werke ist auch heute beeindruckend. Tatsächlich zähle ich Johannes Ockeghem zu den bedeutendsten Komponisten der Renaissance insgesamt, der mitunter den größten Einfluß auf nachfolgende Generationen ausübte - anfangs direkt und später indirekt.



    Links:
    "http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Ockeghem"
    "http://en.wikipedia.org/wiki/Johannes_Ockeghem"
    "http://www.medieval.org/emfaq/composers/ockeghem.html" Mit Diskographie



    jd :wink:

    "Interpretation ist mein Gemüse."

    Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation."

    Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..."

    jd

  • In seinen Messen wendet Ockeghem verschiedenen Techniken an: die Hälfte enthält Cantus-Firmus-Techniken, zwei basieren auf seine eigenen Chansons, und in zwei weiteren treibt er den Kontrapunkt am Rande des Machbaren. In der Missa prolationum arbeitet er mit Mensuralkanons in verschiedenen Zeitmaßen, und die Missa cuiusvis toni läßt sich in jedem der acht Kirchenmodi singen. Dennoch gelingt es ihm, diese Werke in einer singbaren, harmonischen Klanglichkeit zu hüllen, die der Idee der Sphärenharmonien nahekommt.

    Zu der wahrscheinlich bekanntesten seiner Messen (jedenfalls der mir bekanntesten, da es die einzige ist, die ich auf CD habe), gibt es schon einen Thread:
    Ockeghem: Missa Prolationum

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Du hast nichts über die Motetten geschrieben. Die sind ziemlich anders als die Messen: Kanonkünste und anderes Knobelspiel fällt hier aus, auch gibt es keinen Cantus Firmus, es handelt sich um "freie Motetten". Das ist in dieser Zeit nicht selbstverständlich, hat man doch sonst eher ähnliche Techniken verwendet wie in der Messe. In Ockeghems Motetten sind die Stimmen zwar polyphon aber weitgehend ohne Imitation gesetzt, wenig Zäsuren, ständiges Variieren der Melodiephrasen (nur der Bass ist eine unterbelichtete Stützstimme). Ein gewisser Stephan beschrieb 1931 das mit den Worten “amorph zergleitendes Linienspiel”, “spätgotisch-barocke Krausheit”. Jedenfalls eine Musik, die den Hörer in höhere Sphären entrückt.

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  • Du hast nichts über die Motetten geschrieben.

    Stimmt, das hatte ich vergessen. Aber jetzt brauche ich es nicht mehr... ;+)



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