Es freut mich, dass sich hier jemand für das Werk von Jean Cras interessiert. In einem anderen Thread, wo es um Musiker geht, die ursprünglich einem anderen Beruf nachgingen, hatte ich schon einmal ein paar Zeilen zu diesem Komponisten geschrieben (s. Link). Das gibt mir den Ansporn einmal wieder eine Rarität der Kammermusik vorzustellen.
jean Cras hat einiges an Kammermusik geschrieben. Neben dem oben erwähnten Quintett ist vor allem sein Trio für Violine, Viola und Cello zu nennen. Es ist u.a. auf dieser Ausgabe der sehr ausführlich und liebevoll gestalteten Serie bei Timpani enthalten.
Das Trio entstand 1926 während einer Seereise auf dem Kreuzer "Lamotte-Picquet", der in Lorient stationiert war. Cras hat seinen Beruf als Seeoffizier immer sehr ernst genommen und das Komponieren kam an zweiter Stelle, wenngleich er sich auch in dieser Hinsicht diszipliniert und sorgfältig verhiehlt. wie es sein Naturell war. Die Grundstimmung ist Ruhe, und die formale Ausgestaltung tritt hier hinter dem Atmosphärischen zurück. Wer sich mit impressionistischer Malerei beschäftigt hat, wird hier vieles von der Stimmung wiederfinden, die z.B. die Landschaftsmalereien von Sisley, Monet oder van Gogh ausstrahlen. Charakteristisch ist auch die Verwendung von Kirchentonarten wie Lydisch oder Aeolisch. Und da Cras seine meisten Kompositionen auf See geschrieben hat, assoziiert man natürlich sofort die Stimmung auf offener See mit der Musik. Aber so abwegig ist das gar nicht.
Das Werk hat 4 Sätze, von denen der erste keine wirklichen Themen, sondern Motivabschnitte aufweist, die in der Folge abgewandelt und zwischen ruhigeren und bewegteren Passagen entwickelt werden. Es gibt wenig Modulationen, und die ruhige Grundstimmung bleibt fast permanent erhalten. Das wird im 2. Satz sogar noch gesteigert. Man meint zwischen Calvaires in der Bretagne zu wandeln. Überhaupt hat die karge Landschaft der Bretagne, und hier insbesondere die des Départements Finistère (der äusserste Westzipfel Frankreichs "finis terra") aus welchem Cras stammt, einen wichtigen Einfluß auf seine Musik genommen. Diese Gegend hat einen ganz besonderen Reiz, dem man, vorausgesetzt man hat einen Antenne dafür, sich kaum entziehen kann. Für mich gibt es kaum etwas schöneres als an der rauhen Küste der Bretagne auf einem Felsen zu sitzen und dem Meer zuzuschauen. Diese Musik passt perfekt dazu. Und wenn ein Vergleich hilfreich ist: die Stimmung des "Le gibet" aus dem "Gaspard de la niut" von Ravel übt eine vergleichbar beklemmende Stimmung aus.
Es folgt ein Scherzo, welches mit den bewegten hohlen Quinten einen deutlichen Tanzcharakter hat und einen scharfen Kontrast zu vorhergegangenen Satz bildet. Das abschliessende Finale ist insgesamt deutlich bewegter, dafür sorgen schon allein die triolisch geführten Achtel, die fast den ganzen Satz über präsent sind. Er beginnt wie eine Fuge, geht hier aber nicht über die Exposition hinaus. Die Bewegung wird durch alle drei Instrumente geführt, und das Weben durchzieht den ganzen Satz, bis er in einer kurzen Stretta seinen Abschluß findet.
Das Trio für 3 Streichinstrumente steht im Schatten des ungleich populärerern Quartetts, und es gibt auch deutlich weniger Werke in dieser Besetzung. Aber gleichwohl verlangt es vom Komponisten einen sehr konzentrierten Umgang mit Material und Instrumenten. Dieses Trio von Jean Cras gehört für mich zweifellos zu den wertvollen Beispielen dieser Gattung.
Peter
Einige Beiträge zur Bretagne wurden auf Anregung und Wunsch mehrer Capri in einen eigenen Thread verschoben