Raritäten der Kammermusik

  • Es freut mich, dass sich hier jemand für das Werk von Jean Cras interessiert. In einem anderen Thread, wo es um Musiker geht, die ursprünglich einem anderen Beruf nachgingen, hatte ich schon einmal ein paar Zeilen zu diesem Komponisten geschrieben (s. Link). Das gibt mir den Ansporn einmal wieder eine Rarität der Kammermusik vorzustellen.


    jean Cras hat einiges an Kammermusik geschrieben. Neben dem oben erwähnten Quintett ist vor allem sein Trio für Violine, Viola und Cello zu nennen. Es ist u.a. auf dieser Ausgabe der sehr ausführlich und liebevoll gestalteten Serie bei Timpani enthalten.





    Das Trio entstand 1926 während einer Seereise auf dem Kreuzer "Lamotte-Picquet", der in Lorient stationiert war. Cras hat seinen Beruf als Seeoffizier immer sehr ernst genommen und das Komponieren kam an zweiter Stelle, wenngleich er sich auch in dieser Hinsicht diszipliniert und sorgfältig verhiehlt. wie es sein Naturell war. Die Grundstimmung ist Ruhe, und die formale Ausgestaltung tritt hier hinter dem Atmosphärischen zurück. Wer sich mit impressionistischer Malerei beschäftigt hat, wird hier vieles von der Stimmung wiederfinden, die z.B. die Landschaftsmalereien von Sisley, Monet oder van Gogh ausstrahlen. Charakteristisch ist auch die Verwendung von Kirchentonarten wie Lydisch oder Aeolisch. Und da Cras seine meisten Kompositionen auf See geschrieben hat, assoziiert man natürlich sofort die Stimmung auf offener See mit der Musik. Aber so abwegig ist das gar nicht.



    Das Werk hat 4 Sätze, von denen der erste keine wirklichen Themen, sondern Motivabschnitte aufweist, die in der Folge abgewandelt und zwischen ruhigeren und bewegteren Passagen entwickelt werden. Es gibt wenig Modulationen, und die ruhige Grundstimmung bleibt fast permanent erhalten. Das wird im 2. Satz sogar noch gesteigert. Man meint zwischen Calvaires in der Bretagne zu wandeln. Überhaupt hat die karge Landschaft der Bretagne, und hier insbesondere die des Départements Finistère (der äusserste Westzipfel Frankreichs "finis terra") aus welchem Cras stammt, einen wichtigen Einfluß auf seine Musik genommen. Diese Gegend hat einen ganz besonderen Reiz, dem man, vorausgesetzt man hat einen Antenne dafür, sich kaum entziehen kann. Für mich gibt es kaum etwas schöneres als an der rauhen Küste der Bretagne auf einem Felsen zu sitzen und dem Meer zuzuschauen. Diese Musik passt perfekt dazu. Und wenn ein Vergleich hilfreich ist: die Stimmung des "Le gibet" aus dem "Gaspard de la niut" von Ravel übt eine vergleichbar beklemmende Stimmung aus.




    Es folgt ein Scherzo, welches mit den bewegten hohlen Quinten einen deutlichen Tanzcharakter hat und einen scharfen Kontrast zu vorhergegangenen Satz bildet. Das abschliessende Finale ist insgesamt deutlich bewegter, dafür sorgen schon allein die triolisch geführten Achtel, die fast den ganzen Satz über präsent sind. Er beginnt wie eine Fuge, geht hier aber nicht über die Exposition hinaus. Die Bewegung wird durch alle drei Instrumente geführt, und das Weben durchzieht den ganzen Satz, bis er in einer kurzen Stretta seinen Abschluß findet.



    Das Trio für 3 Streichinstrumente steht im Schatten des ungleich populärerern Quartetts, und es gibt auch deutlich weniger Werke in dieser Besetzung. Aber gleichwohl verlangt es vom Komponisten einen sehr konzentrierten Umgang mit Material und Instrumenten. Dieses Trio von Jean Cras gehört für mich zweifellos zu den wertvollen Beispielen dieser Gattung.



    Peter



    Einige Beiträge zur Bretagne wurden auf Anregung und Wunsch mehrer Capri in einen eigenen Thread verschoben

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Auf der Suche nach Aufnahmen des Melos Ensemble of London bin ich auf den Komponisten Franz Reizenstein gestoßen, den ich bisher nicht mal dem Namen nach kannte.


    1911 in Nürnberg geboren, emigrierte er 1934 nach England und trat dort als Konzertpianist und überwiegend als Komponist von Klavierwerken hervor. Sein "bekanntestes" "Werk" ist wohl das "Concerto popolare - A Piano Concerto to end all piano concertos" - das im "Hoffnung Festival" als groteske Sythese des Tschaikowski- und des Grieg-Konzerts, mit Einsprengseln von Gershwin und anderen "Evergreens" Furore machte. Daneben gibt es auch Film-Musik für britische Horror-Streifen von Reizenstein.


    Er komponierte aber auch ganz ernsthafte Kammermusik unter anderem das Klavierquintett op. 23 von 1948



    Ich lasse mal dahinstehen, ob die Aussage eines englischen Kritikers, es handele sich um ein Werk vom gleichem Rang wie das Klavierquintett von Schostakowitsch, angemessen ist, denn ich höre da kleinerlei Gemeinsamkeiten. Eher könnte man den frühen Hindemith, in einzelnen Passage auch Schönberg assoziieren - mir scheint es eine konsequente Fortsetzung Regers zu sein. Insgesamt sehr dicht gearbeitet, auf die beiden ersten eher dunkel und melancholisch angelegten Sätze mit weit über die Tonalität hinausgehenden Passagen folgt ein fulminantes Scherzo, um dann im Finale eine optimistische Synthese zu finden. Sehr hörenswert und vom Melos Ensemble adaequat gespielt.

  • Es gibt auch eine interessante Veröffentlichung mit Kammermusik von Franz Reizenstein



    Der Pianist und Violinist Kolja Lessing spielt hier 3 Sonaten, und zwar für Klavier, Violine und Viola. Ein ähnliches Dokument dürfte wohl eher selten sein, da es meines Wissens wenige Pianisten gibt, die auch ein Streichinstrument in gleicher Weise beherrschen.
    Für die Freunde seltener Klaviermusik hat Martin Jones das Klavierwerk von Reizenstein bei Lyrita eingespielt.Er selber ist sehr angetan von dieser Musik, wie er uns letztes Jahr versicherte, und er wird in diesem Jahr in Husum auch die Variations on "The Lambeth Walk" spielen. Obwohl Reizenstein vielleicht keines der "Schwergewichte" im 20. Jh. ist, und sein Kompositionsstil ein wenig an seinen Lehrer Hindemith erinnert, so gehört er doch zu einer Reihe interessanter Musiker der Übergangszeit zwischen Spätromantik, neuer Sachlichkeit bzw. Expressionismus und der neuesten Musikentwicklung nach 1950.


    Peter

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  • Da ich angeregt vom aktuellen Streichquintettthread unlängst Rheinbergers a-Moll Streichquintett gehört und wieder einmal für sehr gut befunden habe, möchte ich diesen Threas ein bisschen weiterfüttern. Ich schrieb vor ein paar Jahren in einem anderen Thread folgendes über Rheinbergers Kammermusik (ohne Orgel), welche in einer Sammelbox von Thorofon erhältlich ist:



    Zitat

    Josef Rheinberger - Kammermusik (ohne Orgel)
    Josef Rheinberger (1839 - 1901) habe ich bereits im Parallelthread zur Orchestermusik der deutschen Romantik kurz vorgestellt. Der Liechtensteiner, der fast sein ganzes Leben in München verbrachte, war zu Lebzeiten ein gefeierter Komponist und Pädagoge, verlor aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Einfluss im deutschen Musikleben, was vor allem auf seinen ausgeprägten Konservativismus zurückzuführen war. Heutzutage ist Rheinberger vor allem wegen seiner Orgelmusik und seiner geistlichen Musik bekannt, dennoch war er ein musikalischer Universalist, der in jeder Gattung reichlich komponierte. Weitgehend vergessen ist Rheinbergers Kammermusik. Es gibt allerdings eine Gesamtaufnahme Rheinbergers Kammermusik aus den frühen 1990er Jahren, erschienen bei Thorofon*:


    [Blockierte Grafik: http://www.jpc.de/image/w300/front/0/6823721]


    Ich habe das Set nun durchgehört und muss sagen, dass es sehr viel attraktive Musik enthält. Im Begleittext wird Rheinberger öfters mit Saint-Saens verglichen, was ich aber für völlig absurd halte. Rheinberger ist bei weitem nicht so experimentierfreudig wie der Franzose und setzt vor allem auf melodische Einfälle. Allerdings ist er auch ein guter Techniker, der das thematische Material souverän zu verwalten weiß. In diesem Punkt hat er einigen hier bereits vorgestellten Zeitgenossen einiges voraus. Die Rheinbergersche Mischung aus guten melodischen Einfällen und souveräner, aber nicht gerade origineller, Technik lässt mich an ehesten an Dvorák denken (aktuelle Anm.: hier wird sich wahrscheinlich Widerstand im Forum regen....) Tatsächlich greift auch Rheinberger fast in jedem Stück auf volksmusikähnliche Melodien zurück - nur eben nicht slawisch sondern "süddeutsch". Insgesamt kann er Dvorák in puncto melodischer Erfindungsgabe nicht das Wasser reichen, aber in einigen Fällen ist das Ergebnis hervorragend und die Vernachlässigung durch heutige Interpreten ist nicht rechtfertigbar. Wirklich sehr schön sind: das a-Moll Streichquintett Op. 82 (1874), das B-Dur Klaviertrio Op. 121 (1880) und das F-Dur Streichquartt Op. 147 (1886). Diese Werke kann man durchaus Dvorák an die Seite stellen und vom Charakter her sind sie teilweise frappant ähnlich (vor allem das Quintett). Da Rheinberger aber teilweise vor Dvoráks Bekanntwerden in diesem Stil komponierte, kann man davon ausgehen, dass es sich um eine zufällige Ähnlichkeit handelt. Auch wirklich gelungen sind die C-Dur Cellosonate Op. 92 und die Hornsonate in Es-Dur, Op. 178. Noch immer halbwegs im Randrepertoire gehalten hat sich Rheinbergers Nonett in Es-Dur, Op. 139, das die selbe Besetzung aufweist wie Spohrs Nonett. Ich finde zurecht, denn es handelt sich um eine schöne und geschmackvolle Komposition. Mein Favorit in der ganzen Box war aber das herbstliche F-Dur Sextett, Op. 191b, welches eine sehr ungewöhnliche Besetzung aufweist: Klavier, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und Horn. Ein wahrlich zauberhaftes Werk, das mir fast ebenso gut gefällt wie Dvoráks Bläserserenade Op.44. Das Klavier fügt sich hervorragend in den Ensembleklang ein.
    Zusammenfassend kann man sagen, dass Rheinberger ein sehr guter Komponist war, der sich aber zu sehr an hergebrachte Kompositionsmodelle klammerte. Dadurch geht seinem Werk eine Dimension verloren. Schade, denn er gehört zu den besten Melodikern in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.

    Jedenfalls dürfte wenig Zweifel darüber bestehen, dass Rheinberger der bedeutendste lichtensteinische Komponist ist! ;)

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Er ist der bedeutendste aus Liechtenstein. Smiley bleibt.


    Die Kammermusik-Integrale - wenn es denn eine ist; ich nehme es mal an - habe ich mir vor längerer Zeit am Stück zu Gemüte geführt, würde ich ebenfalls empfehlen. Das ist klassizistische Musik von klarer Struktur und markanter Melodik, die, alles in allem, gar nicht immer so weit entfernt ist von Ohrwurm-Qualitäten (wie bei den Orgelkonzerten ja auch). Was sie nicht ist: aufwühlend, stilprägend, allzu eigenständig. Das scheint mir aber kein Muss, um Gefallen an ihr zu finden.


    Der Vergleich mit Saint-Saens greift allenfalls auf sehr abstrakter Ebene - beide sind Klassizisten aus romantischem Geist.


    :thumbup: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Er ist der bedeutendste aus Liechtenstein.

    Ich meine, man solle das ausdiskutieren und einen Thread eröffnen, in welchem liechtensteinische Komponisten aufgelistet werden. Dann können wir anhand eines vorher abzustimmenden Kritierienkatalogs eine Rangliste aufstellen.


    Das bietet sich dann ebenso für Andorra und San Marino an.


    Gruß
    MB


    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ach was! (Loriot)


    Dir fällt doch noch nicht einmal einer ein aus San Marino! Das macht eben den Unterschied!


    :pop: Wolfgang


    PS zur Sache: Ich glaube, ich fang später (nach der diesmal leider konzentriert zu sein habenden Schreibtischarbeit) gleich mal wieder an mit ein wenig Rheinberger-Kammermusik. Es könnten ja auch die Sachen mit Orgel sein, die für den Komponisten quasi unverwechselbarer sind.


    Und auf den Volkmann-Tipp a.a.O. werde ich mich wohl ebenso einlassen müssen ...


    Frohe Könige!


    Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • lieber andréjo,
    unterschätz Mauerblümchen nicht ;) (womit ich den Faden selbstverständlich nicht wegen sammarinesischen Musiker/Komponisten zerschießen möchte).
    Gruß, minuetto

  • Dir fällt doch noch nicht einmal einer ein aus San Marino!


    Wikipedia behauptet Stand heute, dass die Nationalhymne von San Marino " ... 1894 von Federico Consolo, einem san-marinesischen Violinisten und Komponisten geschrieben wurde ... ".


    Recherchiert man Federico Consolo, so erfährt man, dass dies ein Italiener war. Ganz einfach wird es eventuell also nicht. ;) Aber für Trivialitäten machen wir ja auch keinen Thread auf, oder? ;) ;)


    Gruß
    MB


    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Zerschuss, die nächste

    MB unterschätze ich keineswegs, aber auf die Suche nach dem zweitbesten Komponisten aus Vaduz machen kann ich mich wegen Arbeit (s.o. ( ;( )) erst mal nicht.


    Daher nur kurz: Federico Consolo wäre beinahe der beste Komponist San Marinos geworden und ich schmücke mich mit fremden Federn.


    :P Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ich meine, man solle das ausdiskutieren und einen Thread eröffnen, in welchem liechtensteinische Komponisten aufgelistet werden. Dann können wir anhand eines vorher abzustimmenden Kritierienkatalogs eine Rangliste aufstellen.

    Dabei hat Rheinberger die meiste Zeit seines Lebens in München verbracht, was ja bekanntermaßen nicht in Liechtenstein liegt (was manchen vielleicht vaduzen könnte). Die Musiker sind halt so ein fahrendes Volk, die sich ungern nur an einem Platz aufhalten (bis auf die ganz und gar bodenständigen, wie z.B. Bruckner, die net ham wegwollen). Mir gefiele ja auch die Bezeichnung "Europäer" viel besser.


    Als Kammermusikfresser habe ich die besagte Box natürlich ebenfalls in meinem Bestand, und kann die vorangegangenen Statements voll unterstützen. Mir persönlich gefallen vor allem die Werke mit Klavier Trio aufwärts. Von seinem 4. Klaviertrio hat er auch eine sehr aparte Version für Klavier, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und Horn hergestellt.


    Wer Interesse hat sollte auch mal in seine Klaviermusik hineinhören. Neben etlichem konventionellem gibt es auch eine Reihe origineller Sachen dabei.



    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Josef Rheinberger hat übrigens bei Capriccio schon etwas Eigenes, in Ausmaßen, die immerhin der Größe Liechtensteins angemessen sind:


    Josef Gabriel Rheinberger: Komponist und Pädagoge


    ;)

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

  • bis auf die ganz und gar bodenständigen, wie z.B. Bruckner, die net ham wegwollen

    ... immer auf den Bruckner.


    Ist weiter herumgekommen als manch anderer.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • ... immer auf den Bruckner.


    Ist weiter herumgekommen als manch anderer.

    Meine ich auch. Hat Brahms eigentlich jemals das Deutsche Reich und die Habsburgermonarchie verlassen? (Ich weiß es wirklich nicht.) Bruckner ist immerhin als Organist in Paris und London aufgetreten.


    Außerdem berichtet die Website des Anton-Bruckner-Instituts in Linz (http://www.abil.at/abil/a_bruckner.php) für das Jahr 1880:


    Aufenthalt in der Schweiz, wo Bruckner u.a. die Passionsspiele in Oberammergau besucht.

    Das dürfte sonst nur wenigen gelungen sein. :D



    Viele Grüße


    Bernd

    .

  • Hat Brahms eigentlich jemals das Deutsche Reich und die Habsburgermonarchie verlassen?

    doch, schon:


    Niederlande, Schweiz und mehrmals Italien.


    Ist dann aber keine völlig andere Dimension als Bruckner.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Ist dann aber keine völlig andere Dimension als Bruckner.

    Hallo Leute, war nur ein Beispiel ..

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)


  • Die Soundqualität ist ansprechend gemessen an den technischen Möglichkeiten der damaligen Zeit. Man muss sich ein wenig dran gewöhnen.

    Gib dich nicht der Traurigkeit hin, und plage dich nicht selbst mit deinen eignen Gedanken. Denn ein fröhliches Herz ist des Menschen Leben, und seine Freude verlängert sein Leben.


    Parsifal ohne Knappertsbusch ist möglich, aber sinnlos!

  • Im letzten Sommer hörte ich in Husum 2 Klavierquintette, die mich sehr beeindruckt haben. Wenig später wurden sie dann von denselben Interpreten als CD bei Hyperion herausgegeben (s.u.). Da es sich hier um echte Raritäten handelt, möchte ich die beiden Werke an dieser Stelle vorstellen.



    Die Komponisten sind Ludomir Rózycki und Ignacy (Ignaz) Friedman. Beide wurden im geteilten Polen geboren: Rózycki (1883–1953) in Warschau im russischen Teilungsgebiet, Friedman (1882–1948) in der Nähe von Krakau in der österreichischen Zone. Ihre Wege kreuzten sich im 1. Weltkrieg in Berlin, als Rózycki zu einer wichtigen Figur der polnischen Musik wurde, und Friedman schon Weltgeltung als Pianist errungen hatte.



    Ludomir Rózycki: Klavierquintett c-Moll, op. 35 (1913)



    Ludomir Rózycki gehörte zum „Jungen Polen in der Musik“, einem kleinen Kreis von Musikern, zu dem auch der fast gleichaltrige Karol Szymanowski zählte.Ihr erstes gemeinsames Konzert fand am 6. Februar 1906 in Warschau statt, als Rózycki seine erste Sinfonische Dichtung Bolesław Smiały („Bolesław der Kühne“) vorstellte; er sollte eine gleichnamige Oper schreiben und bald einer der wichtigsten polnischen Bühnenkomponisten werden. Fast noch wichtiger war die ein Jahr zuvor erfolgte Gründung des Verlages für junge polnische Komponisten, in dessen Mittelpunkt die Mitglieder des „Jungen Polens“ standen. Der Verlag war in Berlin angesiedelt, wo die Gruppe offenere Ohren fand als in Warschau. Rózycki vertiefte hier seine Studien bei Engelbert Humperdinck. Nachdem er eine Zeit lang am Opernhaus in Lwow (heute Lemberg, Ukraine) dirigiert hatte, kehrte er Ende 1912 nach Berlin zurück und schrieb in kurzer Folge seine drei kammermusikalischen Hauptwerke: die Rhapsodie für Klaviertrio (1913), das Klavierquintett (1913) und das Streichquartett (1915).



    Rózycki begann das Klavierquintett während einer Parisreise im Sommer 1913 und vollendete es wenige Monate später in Berlin. Es ist ein Abbild der so unterschied-lichen musikalischen Welten, die in Europa existierten. Keine Spur der jüngsten französischen und russischen Musik ist zu entdecken, die Paris wenige Wochen zuvor so in Aufruhr versetzt hatte (erst im Mai hatten die Ballets Russes Debussys Jeux und Strawinskys Sacre du printemps uraufgeführt). Auch fehlt jedes Anzeichen für die Erkundung exotischer Klangwelten, wie Szymanowski sie gerade in seinen Hâfis-Liebesliedern unternommen hatte. Mit Szymanowski gemeinsam war ihm dagegen zur Jahrhundertwendezeit das Eintauchen in den spätromantischen Tonfall Richard Strauss’ und Max Regers, im Klavierquintett eingehüllt in eine Tonsprache, die älteren Quintetten verpflichtet ist, etwa von Franck oder Zarebski. Rózycki kehrte 1919 nach Polen zurück, verbrachte den 2. Weltkrieg in Warschau und ging 1945 nach Kattowitz, um Komposition zu lehren.



    Rózyckis Quintett wurde erstmals von einem Berliner Ensemble unter der Leitung des Cellisten Marix Loewensohn vorgestellt. Am Klavier saß Leonid Kreutzer. Zu Weihnachten 1915 wurde es dann im Haus der Berliner Sezession in einem Konzert aufgeführt, das ausschließlich Rózycki gewidmet war. Der Aufführung seines Streichquartetts, Primarius war der berühmte Geiger Carl Flesch, folgten Auszüge aus der Oper Eros und Psyche, an der er gerade arbeitete, sowie zwei Werke mit Klavier: einige seiner neuen Polnischen Tänze für Klavier solo und das Klavierquintett. Der Pianist war kein geringerer als Ignacy Friedman, dem Rózycki die Polnischen Tänze gewidmet hatte.



    Zitiert aus dem Booklet der CD



    Der erste Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung des Klaviers, wobei Es-Dur und F-Dur direkt gegenübergestellt werden. Die Streicher antworten mit dem gleichen Motiv. Dann geht es Allegro Moderato in c-Moll weiter, indem ein unisono von Bratsche und Cello vorgetragenes Thema, welches vom Klavier mit absteigenden Arpeggien begleitet wird, erscheint. Dieses Thema wird von allen Instrumenten in unterschiedlicher Gestalt aufgenommen und verarbeitet. Das Nebenthema erscheint dann in As-Dur (Poco piu lento). Es ist in seinem punktierten Rhythmus aus dem Einleitungsmotiv abgeleitet. Die ruhige Grundstimmung bleibt noch ein wenig erhalten, und geht dann bei der Durchführung in einen deutlich leidenschaftlicheren Ton über. Das Grundmotiv bleibt indes allgegenwärtig, und wird in einer Reihe chromatischer Verschränkungen ausgeführt. Das Tempo steigert sich dabei über ein Andante con moto zu einem Allegro agitato (später noch molto agitato). Die Reprise ist dann wieder im Ausgangstempo (Allegro moderato) notiert. Der Satz schließt tranquillo, beinahe sentimental und in seltsam fahlem As-Dur.



    Das Hauptthema des zweiten, von den gedämpften Streichern eingeleiteten Satzes, der in d-Moll beginnt (man denke an Schuberts „Der Tod und das Mädchen“), wird als kurzes Rezitativ vom Cello vorgestellt. Seine dunkle Stimmung hellt sich auf, wenn es später bei rascherem Tempo von einer wiegenden Cellofigur und Klavierakkorden begleitet wird, die quasi campane bezeichnet sind („glockenartig“). Dazu gesellen sich Streichertremoli „sul ponticello“ was den düsteren Charakter der Musik noch unterstreicht. Das Ganze hat eine ausserordentliche Klangwirkung, die geeignet ist einem Schauer über den Rücken zu jagen. Es folgt eine versöhnliche Passage in Des-Dur mit einer sanft wiegenden Melodie der Streicher. Auch hier tauchen die Glocken (als hohle Quinte) wieder auf. Im weiteren Verlauf nimmt das Geschehen an Dramatik zu, um dann wieder in das dumpfe Glockengeläut zu münden (Largo), und in fahlem d-Moll zu enden. Die harmonischen Wendungen sind berückend und verleihen diesem Satz bei aller Todesnähe etwas Üppiges und transzendentes.



    Das Finale bläst mit seinem fröhlichen Thema (Allegro giccoso) die Grillen des Mittelsatzes davon. Wieder führt das Cello das Thema kurz ein, und die anderen drei Instrumente stellen dann das komplette Thema vor. Das Klavier tritt erst nach 27 Takten dazu, und nimmt sich des Themas mit auftrumpfenden und vollgriffigen Akkorden an. Der fröhliche und jubilierende Tonfall hält an, bis unvermittelt eine Passage in es-Moll mit einem Nebenthema anhebt, die aber genauso plötzlich wieder endet. Es schließt sich ein ruhigerer Mittelteil (Andante sempre tranquillo) wieder in es-Moll an, der eine Umdeutung des Hauptthemas ist (kein punktierter Rhythmus mehr, sondern schreitende Viertel). Es folgt eine gewaltige Steigerung in satten Akkorden bis zum fff, um dann nach einem molto ritardando in ppp wieder zum Hauptthema in C-Dur überzugehen. Noch einmal erscheint die tremolierende Passage in es-Moll, und die Coda (Lento) ist eine choralartige Aufdehnung des Themas. Der Satz endet in strahlendem C-Dur.


    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

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