HÄNDEL: Coronation Anthems HWV 258-261
Entstehung
„Während der ganzen Zeremonie spielte ein Orchester der hervorragendsten Musiker die bewunderungswürdigsten Sinfonien und die schönsten Stimmen Englands sangen dazu. Es dirigierte der gefeierte Mr.Handel, der die Litanei komponiert hat.“
(Muyden 1902/1995, 161)
Die Dinge liefen im Jahre 1727 gut für Georg Friedrich Händel. Zu Beginn des Jahres hatte er sich entschlossen, nicht mehr nur Komponist in England, sondern englischer Komponist sein zu wollen. Aus diesem Grunde legte er dem englischen Parlament am 13. Februar 1727 einen Eintrag auf Einbürgerung vor:
„Das ergebene Gesuch des George Frideric Handel stellt dar, -
Dass Ihr Antragsteller in Halle in Sachsen geboren wurde, außerhalb der Treuepflicht zu Seiner Majestät, dass er sich aber immer zur protestantischen Religion bekannt und Zeugnis gegeben hat von seiner Loyalität und Treue zu Seiner Majestät und zum Vorteil des Königreichs.
Deshalb bittet der Antragsteller ergeben, dass er in die nun anhängige Vorlage mit aufgenommen wird, die den Titel trägt ‚Ein Akt zur Naturalisierung von Louis Sechehaye’. Und ihr Antragsteller wird immer darum beten etc.
George Frideric Handel“
Dem Antrag wurde stattgegeben und so wird aus dem „Caro Sassone“ der „Charming Brute“, aus dem italophilen Sachsen ein Bürger Albions.
Die Naturalisierung Händels war eine der letzten Amtshandlungen Königs George I., der während einer Reise in die Heimat im Juni 1727 in Osnabrück einem Schlaganfall erlag. Am 16. Juni wurde sein Sohn George II. zum englischen König ausgerufen. Die Vorbereitungen zur Krönung setzten ein. Zu diesen gehörte auch die Komposition von zeremonieller Musik für den Krönungsgottesdienst in Westminster Abbey, der zunächst für den 4. Oktober anberaumt worden war.
Dieser Auftrag wäre nun im Prinzip an den Organisten der Chapel Royal, William Croft, gegangen, doch starb dieser am 14. August. Maurice Greene, der Croft im Amt folgte, war aber dem Königspaar anscheinend als Komponist nicht genehm, wie ein Eintrag Georges III. in sein Exemplar von Mainwarnings Händel-Biographie zeigt. Dort findet sich eine handschriftliche Notiz des Regenten, die besagt, George II. habe persönlich darauf bestanden, dass Händel, der seit 1723 ohnehin den Posten des „Composer of Musick for His Majesty’s Chapel Royal“ innehatte, die Krönungsmusik komponiere.
Dem royalen Wunsch entsprechend machte sich Händel dann im September 1727 an die ihn durchaus auszeichnende Arbeit, vier Krönungshymnen (Coronation Anthems) zu komponieren, die die Reihe der ebenfalls im Gottesdienst aufzuführenden Werke anderer Komponisten (Child, Tallis, Farmer, Purcell, Blow, Gibbons) vervollständigen und abrunden sollten.
Die Texte für die Hymnen waren „fester Bestandteil der englischen Krönungszeremonien und entstammen durchgängig dem Alten Testament […].“ (Marx 2011, 197) Zudem waren die Anthems in die Logik der Krönungsliturgie eingebettet. Als Vorlage galt die Liturgie für die Krönung von King James und Königin Mary aus dem Jahre 1685. Diese wurde nun aber von William Wake, dem Erzbischof von Canterbury, für die Krönung George II. angepasst. Und dann passierte, was bisweilen passiert: die Informationen flossen nicht, die Kommunikation hakte. Händel wurde über die Änderungen offensichtlich nicht informiert, sondern hielt sich an den 1685er Ablauf, sodass
„das Ergebnis am Tag der Krönung erheiternd konfus [war]. Die Gottesdienstordnung hatte stellenweise kaum etwas mit dem tatsächlichen Geschehen gemein. Die Texte, die Händel in seinen Anthems verwendete, waren nicht dieselben wie auf den Plänen; mehrere Anthems wurden an anderen Stellen aufgeführt, als offiziell beschlossen, und einige Stücke, die hätten vertont werden sollen, waren es offensichtlich nicht und umgekehrt.“ (King 2001, 46)
Jeder Eventmanger würde angesichts dieses Tohuwabohus heute seine (Schaden-) Freude haben.
Wie dem auch sei: Händels Musik schlug ein wie eine Bombe (nur Erzbischof Wake zürnte Händel nachhaltig). Schon im Vorfeld schien klar gewesen zu sein, dass man musikalisch etwas Besonderes von Händel erwarten durfte. Am 4. Oktober 1727 berichtete Parker’s Penny Post über die Proben und den Versuch der Verantwortlichen, diese hinter verschlossenen Türen abzuhalten, da man einen regelrechten Run auf die Abtei befürchtete:
„Mr. Hendl hat die Musik für die Krönung in der Abtei komponiert. Aufgeführt wird sie von den Italienischen Stimmen und mit mehre als hundert der besten Musiker. Diejenigen Musikrichter, die das Ganze schon gehört haben, sagen, es übertreffe alles, was bei einer solchen Gelegenheit je gehört worden ist. Es wird diese Woche geprobt, aber die Zeit wird nicht bekannt gegeben, damit keine Menschenmenge die Musiker behindert.“
Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass dir Krönung nicht am 4. Oktober stattfinden würde, da man eine Sturmflut erwartete, die Westminster Hall unter Wasser setzen würde. Man war darum auf den 11. Oktober ausgewichen.
Trotz der etwas chaotischen Aufführungsumstände begeisterten die Coronation Anthems die Anwesenden, sodass die Norwich Gazette schließlich schreiben konnte: „Sowohl die Musik als auch die Ausführenden wurden vom Publikum bewundert.“ Die Werke selbst wurden schnell aufgegriffen und im Anschluss häufig in London und der Provinz gespielt.
Noch heute erfreuen sich die Coronation Anthems großer Beliebtheit, wobei es besonders das Anthem Zadok the Priest ist, das sich ins kollektive Bewusstsein (besonders natürlich ins britische) eingebrannt hat. Das hat natürlich seinen Grund, nämlich den großartigen Effekt, den Händel mit dem sich vollkommen unaufhaltsam und enorm zwingend aufbauenden Crescendo des Vorspiels und der Entladung der Spannung in dem monumentalen homophonen ersten Einsatz des Chores erzielt. Sich diesem mit sicherster Hand gesetzten Effekt zu entziehen, fällt meines Erachtens enorm schwer. Kein Wunder, dass der für die Krönungsmusiken anlässlich der Krönung George III. verantwortliche William Boyce entschied, dass fortan bei Krönungen nur Händels Vertonung dieses Textes musiziert werden würde.
Wie schrankenlos Händels Geschick im Ausgestalten des Erhabenen und des Grandiosen die Zeitläufte überdauert, zeigt sich nicht nur dadurch, dass sich das Werk als Hintergrundmusik verschiedener Werbespots erfreut hat. Auch die Tatsache, dass Tony Britten bei der Komposition der UEFA Champions League Hymne 1992 auf eben dieses Werk zurückgriff und es modernisierte. Auch von diesem „Song“ waren und sind die Massen begeistert, selbst wenn sie nicht genau wissen, dass es kein Bombast-Pop des 20. Jahrhunderts ist, dessen Sound ihnen da die Schauer über den Rücken jagt. Doch die Aufklärung lässt sicher nicht lange auf sich warten, denn die nächste Krönung kommt bestimmt.
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Reihenfolge der Anthems
Die Gottesdienstordnung für den Krönungsgottesdienst Georges II. in Westminster Abbey sah insgesamt 13 Abschnitte vor: The Preparations (Die Vorbereitungen) - The Procession (Die Prozession) - The Entrance (Der Eintritt) - The Recognition (Die Anerkennung) - The Litany (Die Litanei) - The Anointing (Die Salbung) - The Investiture (Die Investitur) - The Crowning (Die Krönung) - Te Deum - The Inthronisation (Die Thronbesteigung) - The Homage (Die Huldigung) - The Coronation of the Queen (Die Krönung der Königin) – The Recessional (Der Auszug)
Die vier von Händel komponierten Krönungshymnen beschlossen aller Wahrscheinlichkeit nach die Abschnitte
The Recognition – Let thy hand be strengthened
The Anointing – Zadok the Priest
The Crowning – The King shall rejoice
The Coronation of the Queen – My heart is inditing
Struktur der Anthems
I. Let thy hand be strengthened
Besetzung:
Chor (SAATB), Streicher, Continuo
Drei Abschnitte:
1. Let thy hand be strengthened: G-Dur
2. Let justice and judgement: e-Moll
3. Alleluja: G-Dur
II. Zadok the Priest
Besetzung:
Chor (SSAATBB), 2 Oboen, 2 Fagotte, 3 Trompeten, Pauken, Streicher, Continuo
Drei Abschnitte:
1. Zadok the Priest: 4/4; D-Dur
2. And all the people rejoice: 3/4; D-Dur
3. God save the King: 4/4; D-Dur
In „Zadok the Priest“ setzt Händel erstmals Pauken in der englischen Kirchenmusik ein!
III. The King shall rejoice
Besetzung:
Chor (SAATBB), 2 Oboen, 2 Fagotte, 3 Trompeten, Pauken, Streicher, Continuo
Vier Abschnitte:
1. The King shall rejoice: 4/4; D-Dur
2. Exceeding glad shall he be: 3/4; A-Dur
3. Glory and great worship / Thou hast prevented him: 4/4 – 3/4; D-Dur – h-Moll
4. Alleluja: 4/4; D-Dur
IV. My heart is inditing
Besetzung:
Chor (SAATBB), 2 Oboen, 2 Fagotte, 3 Trompeten, Pauken, Streicher, Continuo
Vier Abschnitte:
1. My heart is inditing: 3/4; D-Dur
2. King’s daughters: 4/4; A-Dur
3. Upon thy right hand: 3/4; E-Dur
4. Kings shall be thy nursing fathers: 4/4; D-Dur
Benutzte Literatur
Friedenthal, Richard: Georg Friedrich Händel. Hamburg 1959
Handel Reference Database
Händel-Handbuch. Band 2 – Thematisch-systematisches Verzeichnis: Oratorische Werke, Vokale Kammermusk, Kirchenmusik. Hrgs. v. Bernd Baselt. Leipzig 1984.
Händel-Lexikon. Hrsg.v. Hans-Joachim Marx in Verbindung mit Mauel Gervink und Steffen Voss. Laaber 2011.
Hogwood, Christopher: Georg Friedrich Händel. Stuttgart 1992.
King, Robert: Die Krönung König Georgs II. Im Booklet zur Hyperion-Aufnahme „The Coronation of Gerorge II. Hyperion 2001.
Muyden, Madame von (Hrsg.): A Foreign View of England in 1725-1729: The Letters of Monsieur Cesar De Saussure to his Family. London 1905/1995.