Carl Philipp Emanuel Bach- der große, kleine Bruder

  • Du sprichst es an: Handwerk als Zunft, in dessen Rahmen sich Papa Bach bewegte und sich wohl auch als Handwerker selbst verstand.
    Erst mit Aufkeimen der Aufklärung, so lehrte man uns damals, entstand das Selbstverständnis des Künstlers, der Kunst allgemein, eben nicht mehr zwingend als Handwerk.


    Als der "Herr Papa" in Leipzig wirkte, war die Aufklärung schon gut hundert Jahre alt (z.B. Gründung der Academie francaise in 1635). Ich verstehe nicht, weshalb man unbedingt diese grosse Transition zwischen Sr. und Jr. herbeischreiben will? Weder war J.S. Bach in seinem eigenen Verständnis ein "gewöhnlicher Handwerker" noch hat er schablonenhaft die Affektenlehre befolgt. Atonale Abschnitte gibt es bei J.S. Bach auch zahlreiche - man denke etwa an die h-Moll fuge des WTKI. Durchführungen des Themenmaterials findet man in einer gewissen Form auch schon in J.S. Bachs Instrumentalmusik, etwa im E-Dur Violinkonzert - das, ganz im Sinne der Aufklärung, in bürgerlichen Zirkeln, nämlich dem Café Zimmermann, aufgeführt wurde. Interkonfessionelle Werke wie die h-Moll Messe sind ebenso von der Aufklärung beeinflusst wie etwa Händels Darstellung des Solomon im gleichnamigen Oratorium. Es gibt leider in diesem Forum immer wieder eine gewisse Tendenz, J.S. Bach als hoffnungslos verkalkten Tattergreis darzustellen, der restlos in der alten Zeit steckte. CPE Bach war nun einmal als Sohn J.S. Bachs definitionsgemäss eine Generation jünger. Klar, dass es da zu stilistischen Unterschieden kommt. Diese muss man aber nicht auf Teufel komm raus überbetonen.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Emanuels bedeutendste Werkgattung sind die Klaviersonaten, die nun einmal für eben dieses bürgerliche Publikum verfasst wurden. Insofern stehen z.B. die in Nürnberg verlegten "Preussischen" und "Württembergischen", oder die späteren Sammlungen "für Kenner und Liebhaber" den Werkzyklen Sebastians doch kaum nach?


    Vor allem stehen sie eben in der Tradition seines Vaters. Dem Alten hätte das sicher gut gefallen.


    Zitat

    Dann kann auch am ikonischen Rang von Wq 48/49 nicht gezweifelt werden, sind doch Haydns op. 33 ebenso wie viele andere Werke der Wiener Klassik ohne CPE Bach schwer vorstellbar.


    Ich bin zwar hier als advocatus diaboli zugange, habe aber ganz explizit die musikhistorische Bedeutung CPEs mehrfach hervorgehoben. Zweifellos hatte CPE Bach grossen Einfluss, trotzdem sind die Württembergischen Sonaten allgermein nicht so als "Ikonen" verankert wie viele Werke Haydns, u.a. op. 33. Charakteristisch dafür ist der englische Wikipedia-Artikel über die Geschichte des Sonatensatzes, der CPEs Einfluss als ganz zentral bezeichnet, aber keine einzige Werkgruppe von ihm anführt. Haydns op. 33 hingegen wird besprochen:
    "https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_sonata_form"


    In diesem Sinne erinnert CPE an einen Hollywood-Schauspieler, der stets bei den Oscarverleihungen leer ausging, aber am Ende seines Lebens doch noch einen für sein "Lebenswerk" bekommt.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Lernbegierig sein, sich durch Mühe und Arbeit zu verbessern und sich aus seiner vermeintlich vorbestimmten Umgebung zu lösen ist für mich geradezu die Quintessenz der Aufklärung,


    aber hat das die Musikästhetik der Aufklärung nicht anders gesehen?
    Angenehm-natürliches statt gelehrtem /"gearbeitetem") Schwulst?
    Den Hörer mit tüfteligen Elaboraten zu belästigen war unhöflich = ungalant.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Ich bin zwar hier als advocatus diaboli zugange, habe aber ganz explizit die musikhistorische Bedeutung CPEs mehrfach hervorgehoben. Zweifellos hatte CPE Bach grossen Einfluss, trotzdem sind die Württembergischen Sonaten allgermein nicht so als "Ikonen" verankert wie viele Werke Haydns, u.a. op. 33. Charakteristisch dafür ist der englische Wikipedia-Artikel über die Geschichte des Sonatensatzes, der CPEs Einfluss als ganz zentral bezeichnet, aber keine einzige Werkgruppe von ihm anführt. Haydns op. 33 hingegen wird besprochen:
    "https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_sonata_form"


    In diesem Sinne erinnert CPE an einen Hollywood-Schauspieler, der stets bei den Oscarverleihungen leer ausging, aber am Ende seines Lebens doch noch einen für sein "Lebenswerk" bekommt.



    Hallo Felix,


    eventuell liegt diese Wahrnehmung von CPE Bach ja daran, dass bisher zu wenige Leute sich damit auseinandergesetzt haben. Ist ja auch das gute Recht jedes Hörers, die Dinge zu hören, die einem liegen. Tun wir alle in diesem Forum. Ich habe in der Zwischenzeit einiges im Rampe'schen Buch über CPE Bach gelesen. Sowohl bei JS Bach als auch bei Vivaldi gibt es Einzelsätze, die man als Sonatensatz interpretieren kann, die Leistung CPE Bachs besteht wohl eher darin, die Möglichkeiten dieser Kompositionsmethode aufgezeigt zu haben (z.B., wie unterschiedliche Charaktere man in einen Satz sperren kann).


    Und nur weil Haydn's op. 33 ständig zitiert wird, heißt das nicht, dass es wirklich so wichtig war [das stelle ich übrigens als begeisterter Haydn-Hörer nicht in Frage], sondern dass op. 33 (allein schon wegen der Rezeption durch Mozart) sozusagen den zeitgenössischen Adelsschlag bekommen hat: hier schreibt dann einfach ein Autor vom anderen ab ....


    Ich schätze übrigens bei den Regisseuren einen als den größten ein, für den das gilt, was Du in Deinem letzten von mir zitierten Satz über Schauspieler sagst, er hat nur einen Oscar fürs Lebenswerk erhalten: Alfred Hitchcock, obwohl er fünfmal als Best Director nominiert war.


    LG Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • aber hat das die Musikästhetik der Aufklärung nicht anders gesehen?
    Angenehm-natürliches statt gelehrtem /"gearbeitetem") Schwulst?
    Den Hörer mit tüfteligen Elaboraten zu belästigen war unhöflich = ungalant.


    Das mag sein, allerdings hat diese Entwicklung ja schon früher begonnen, nämlich mit dem Barock. Die Monodie ist ja bekanntlich mehr als hundert Jahre vor Bach eingeführt worden. Das lässt sich alles nicht so leicht auseinanderdröseln. Als einen wichtigen Aspekt der Aufklärungsästhetik nannte Algabal das "Individuelle". Witzigerweise echauffierte sich Mattheson in einem seiner Traktate besonders über den Eingangschor von J.S. Bachs "Ich hatte viel Bekümmernis" (aus 1714), weil Bach andauernd "ich" singen lässt. Da ist alles eine komplexe Gemengelage. Wenn man J.S. Bach z.B. als Hauptzeugen der "Affektenästhetik" zitiert, frage ich mich, wie das mit seinem Einsatz für die wohltemperierte Stimmung, welche den Unterschied zwischen den Charakteristika der einzelenen Tonarten verwischt, vereinbar ist? Und, und, und...

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Sowohl bei JS Bach als auch bei Vivaldi gibt es Einzelsätze, die man als Sonatensatz interpretieren kann, die Leistung CPE Bachs besteht wohl eher darin, die Möglichkeiten dieser Kompositionsmethode aufgezeigt zu haben (z.B., wie unterschiedliche Charaktere man in einen Satz sperren kann).


    Würde ich gar nicht bestreiten wollen. CPEs Beitrag ist aber eben ein "evolutiver", der sich aus dem bereits bestehenden ergibt und kein radikaler Bruch. Es ist eben dieser angebliche Bruch zwischen Vater und Sohn, den ich bezweifle.


    Haydns op. 33 weist zum ersten Mal systematisch Sonatensätze als erste Sätze auf und führt das Scherzo ein. Das war bekanntlich nicht nur für Mozart vorbildlich.

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  • Haydns op. 33 weist zum ersten Mal systematisch Sonatensätze als erste Sätze auf und führt das Scherzo ein.

    Sonatensätze als erste Sätze waren doch damals schon ein paar Jahrzehnte lang die Regel. Also das ist an op. 33 wirklich nichts Besonderes.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Deswegen schrieb ich ja auch "systematisch".

    Wenn ein Großteil der komponierten Sonaten seit Jahrzehnten mit Sonatensätzen beginnen, ist ein Zyklus von 6 oder 12 Werken, die alle mit Sonatensätzen beginnen, nicht deshalb besonders auffällig, auch wenn das Wort "systematisch" schön ist.

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  • Deswegen schrieb ich ja auch "systematisch" Wenn ein Großteil der komponierten Sonaten seit Jahrzehnten mit Sonatensätzen beginnen, ist ein Zyklus von 6 oder 12 Werken, die alle mit Sonatensätzen beginnen, nicht deshalb besonders auffällig, auch wenn das Wort "systematisch" schön ist.


    Deine unerträgliche Arroganz wird nichts daran ändern, dass op. 33 nun einmal als Paradebeispiel für den klassischen Stil dient, u.a. weil ALLE Kopfsätze Sonatensätze sind. Es ist eine verbindliche Form entstanden.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • [...] dass op. 33 nun einmal als Paradebeispiel für den klassischen Stil dient, u.a. weil ALLE Kopfsätze Sonatensätze sind. Es ist eine verbindliche Form entstanden.

    Bitte sachlich bleiben. Op. 33 dient mit Sicherheit nicht deshalb als Paradebeispiel für den klassischen Stil, weil alle Kopfsätze Sonatensätze sind. Lies mal in den Op.-33-Thread hinein, da gibt's ja ein paar musikwissenschaftliche Zitate. Auch im klassischen Stil kann der Kopfsatz mal eine andere Form sein, kein Stil stellt so alberne Forderungen auf.

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  • Bitte sachlich bleiben.


    Soll wohl ein Witz sein?


    Zitat

    auch wenn das Wort "systematisch" schön ist.


    ist natürlich sachlich. Dieses Tons befleisst Du Dich jetzt zum x-ten Male und mir reicht es jetzt. Ich lasse mich nicht systematisch mobben. Ab jetzt bekommst du von mir keine Antworten mehr. Solltest Du mich weiterhin ärgern, melde ich Deine Posts an die Moderation, bis du von mir ablässt.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Bach hatte spätestens seit den 50ern ein hohes Einkommen, da er in Berlin und Potsdam sowohl den Hofdienst verrichten, als auch eine Vielzahl von bürgerlichen Klavierschülern unterrichten konnte. Er wechselte erst, als sich der höchstangesehendste nicht-höfische Job anbot, der im Land nur irgend zu finden war).


    Das Salär von CPE Bach betrug zum Anfang seiner Anstellung 300, später 500 Taler. Quantz, der Flötenlehrer von Friedrich II war, und ihm wohl auch Kompositionen geliefert hat, die der unter seinem Namen veröffentlichte, bekam zu der Zeit 2000 Taler. Also eine deutliche Diskrepanz, und Zeichen der Geringschätzung Friedrichs, der Bach in erster Linie als Begleiter nutzte und ihn ansonsten nicht besonders hoch einschätzte.


    Ich zitiere hier einmal eine passende Stelle aus dem Begleitheft zur Gesamteinspielung aller Klavierwerke CPE Bachs mit Ana-Marija Markovina von Helmut Reuter.


    "Er blieb 28 Jahre im Dienste des Königs und die Interaktion zwischen dem auf hohem Niveau dilettierenden Souverän und seinem ,,Claviristen" finden wir trefflich geschildert auf Menzels bekanntem Gemälde das Flötenkonzert Friedrichs des Großen auf Sanssouci von 1852. Zwar steht der König im Mittelpunkt, aber im eigentlichen Goldenen Schnitt (korrespondierend zum strahlenden Kronleuchter) sieht man den Leiter des musikalischen Geschehens, wie er mit einem unnachahmlichen Ausdruck der Souvernänität und wohlwollender Strenge zu seinem Herrn und Schüler seitlich hinüberblickt. So ist die psychologische Stellung des Bediensteten wohl glaubhaft geschildert: Der virtuose Musiker und berühmte Könner seines Fachs hat ein Bewusstsein davon und entfaltet daraus ein Verständnis seiner selbst, das ihn aus jeder Hierarchie entlässt. Auch der Komponist ist ganz bei sich, in dem er seine Klaviersonaten aus dieser Zeit zwar den Fürsten widmet, sie aber für die „Kenner und Liebhaber" denkt und damit zum Protagonisten des bürgerlichen Musiklebens wird."


    In Hamburg hat Bach seine eigentliche Entfaltung als Mensch und Künstler erfahren, da ihm hier die Wertschätzung zu Teil wurde, die seinem damaligen Rang als Komponisten gebührte. War zu der Zeit vom "großen Bach" die Rede, war stets CPE und nicht etwa sein Vater gemeint. Das sagt zwar nichts über die Qualität seiner Musik oder gegen die seines Vaters aus, erhellt aber den Stellenwert den CPE zu seinen Lebzeiten genoss.


    Und die Sache mit den angeblichen "ikonischen Werken" ist ja die: Diesen Status erfährt ein Werk ja nicht aus sich heraus, sondern durch andere, die es ihm zuschreiben. So ist sicher das Divertimento "eine kleine Nachtmusik" von Mozart wohl eine seiner bekanntesten Kompositionen, ob sie aber auch zu seinen Besten gehört, darf man hingegen durchaus in Frage stellen.


    Und zum Schluß noch ein Zitat von Charles Burney, der Bach in Hamburg besuchte:


    ,,Von allen Tonmeistern welche seit länger als
    dreyssig Jahren in preussischen Diensten gestanden,
    haben vielleicht nur zweene, nemlich C. P. E. Bach
    und Franz Benda, ganz allein den Muth gehabt, selbst
    Original zu seyn; die übrigen sind Nachahmer."


    Kluger Mann. Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen




    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • So ist sicher das Divertimento "eine kleine Nachtmusik" von Mozart wohl eine seiner bekanntesten Kompositionen, ob sie aber auch zu seinen Besten gehört, darf man hingegen durchaus in Frage stellen.


    Wieso nicht? Diese Serenade erfüllt die Kriterien ihres Genres ja geradezu vorbildlich. Und nach diesen Richtlinien sollte man sie auch einordnen. Zur Qualität steht im passenden Thread einiges interessantes, z.B. von Christian Köhn:
    Mozart: Eine kleine Nachtmusik – Hört ihr euch die noch an?

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • ...verzeiht, wenn ich etwas gereizt reagiere:
    nirgends, aber auch wirklich nirgends!, lag mir daran, den einen Bach gegen den anderen auf-oder abzuwerten; Haydn ebensowenig.
    Mancher mag das eine oder andere Konzert vielleicht auch vorher mal unterm eigenen Sofa rauskramen und anhören, bevor er unterstellt, ich würde den Papa Bach als "Altes Eisen" bezeichnen.
    Vielleicht hätte ja auch eine Frage weitergeholfen?


    Darum nun ungefragt: ich halte Sebastian Bach für einen höchst innovativen Komponisten! Der sein Wissen an seine Schüler vermittelt hat und denen genau darum möglich war, ihren eigenen Personalstil zu finden.
    Für mich gibt es kaum modernere Kompositionen um 1750 als ein "Musikalisches Opfer", ein BWV 1044, Teile der H-Moll-Messe!
    Allenthalben fehlen mir Interpretationen, die diesen modernen Ansatz lesen zu wollen geneigt sind.


    Ebenso NEUGIERIG betrachte ich Seb.Bach bei der Suche nach Instrumentarium; seine Beschäftigung mit Silbermannschen Clavieren endete sicher nicht in der bloßen Ablehnung. Staier hat vor Kurzem in Warschau das BWV 1055 auf einem Silbermannschen Hammerflügel gespielt- und mein erster Höreindruck war und ist: genau so sollte das klingen!


    Zum Vergleich gezwungen, unfreiwillig: CPEs Wq 12 knüpft unmittelbar an BWV 1044 an- was weder heißt, das eine Werk wäre "altmodisch" noch das andere nun die Entdeckung der eierlegenden Wollmilchsau.
    Eher etwas wie freundlich/familiäre Reibung, es genauso gut, nur eben anders zu machen als der andere.


    Was ich an Haydn so sehr und tief schätze, ist dessen Demut.
    Zwar schreibt er da "Quartetten auff gantz Neue Art", aber weiß doch ganz genau, woher diese Ideen kommen und wem er zu Dank verpflichtet ist.
    Wieder eine Art Reibung zwischen eigenem Ego und der Demut zu wissen und zu reflektieren, nicht aus dem Nichts Großartiges vollbracht zu haben.
    Ebenso vernehme ich beim späten CPE sehr wohl, sich durchaus am klassischen Ebenmaß zu orientieren- seine Sinfonien Wq 183 zeigen einerseits seinen Personalstil, dagegen aber auch eine Annäherung an den Klassischen Stil, was in seinen früheren Sinfonieproduktionen derart noch keine Rolle spielt.


    Ganz persönlich zusammenfassend: worüber ich schreibe, habe ich auch gehört; meist sogar während des Schreibens.
    Die Musik, die ich gerade höre, ist gegenwärtig und mir liegt fern, beim Hören zu denken: das hat er jetzt aber vorweggenommen oder: das hat der und der aber besser gekonnt. (Naja, letzteres begegnet mir bei Mozart schon ab und an...grins)
    Und wie ich mich auch schon vorstellte: ich versuche, Urteile nicht zu fällen.
    Habe meinen Geschmack, der immer und immer relativierbar ist.
    reagiere darum aber doch gereizt, unterstellt man mir Urteile, die ich selbst mit keinem Satz aufgeworfen habe.


    Und so höre ich nun die "Vier Orchestersinfonien zu 12 obligaten Stimmen" mit Solamente Naturali- und erfreue mich an der gewissen Unvollkommenheit des Orchesterspiels. Die spielen nämlich nicht perfekt, aber mit Riesenfreude am Musizieren.
    Eine Freude, die ich zu vermitteln suchte und die für mich wichtiger ist als endlose Diskussionen um Haydn und Mozart, da es doch um CPE Bach gehen sollte.
    Wenn ich mich kloppen will, dann nehme ich die Rolle der Pamina ein in einem anderen Forum...


    Herzliche Grüße,
    Mike

    "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Voltaire

  • Der Witz ist ja, dass die Begriffe alle ausgefranste Bedeutungsränder haben. So wurden womöglich große Zahlen an Sammlungen von Sonaten vor 1780 veröffentlich, in denen alle Kopfsätze in einer Art Sonatenhauptsatz gestaltet waren, aber die Sonatenhauptsätze waren eben noch nicht ganz das, was dann später von der Theorie herangezogen wurde, um den Terminus zu definieren. Das jeweils Besondere liegt dann eben in der Art, wie die Sonatenhauptsatzform da gerade aussieht. Mit "totalen" Aussagen, wie: "Alle sind ausnahmslos Sonatensätze" zeigt man eher ein Missverständnis der Lage.


    Ebenso mit der Ablösung des Künstlers aus dem Handwerksbereich. Das ist auch ein sehr langer Prozess, bei dem z.B. eine wichtige Station ist, dass ein Künstler mit Namen hervorgehoben wird, wie Leonin und Perotin. Oder eine wichtige Station ist das Abwerfen der Tonalität um 1910, wodurch dem Komponisten noch weitere Freiheiten zuwachsen, und handwerkliche Zwänge noch weniger werden. Dass um 1750 dieser Prozess auch gerade mal wieder einen Anstoß erfährt, befördert dann Bach Papa und Bach Sohn auch mal wieder in ein womöglich zu polarisiernd formuliertes Verhältnis von "Handwerker" versus "Künstler".


    Ach ja, man darf nicht zu faul sein und zu kurze Statements absondern ...

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  • Lieber putto,
    grins: Faulheit und CPE, das passt nicht zusammen.


    Freundlich/ heiter:
    Mike

    "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Voltaire

  • Darum nun ungefragt: ich halte Sebastian Bach für einen höchst innovativen Komponisten! Der sein Wissen an seine Schüler vermittelt hat und denen genau darum möglich war, ihren eigenen Personalstil zu finden.
    Für mich gibt es kaum modernere Kompositionen um 1750 als ein "Musikalisches Opfer", ein BWV 1044, Teile der H-Moll-Messe!
    Allenthalben fehlen mir Interpretationen, die diesen modernen Ansatz lesen zu wollen geneigt sind.


    Es tut mir leid, dass es so ausgesehen hat, als ob ich mich nur auf dich bezogen hätte. Da ich nur Dein Post zitiert habe, ist Deine Verärgerung nachvollziehbar. In Wahrheit handelte es sich eher um einen "Rundumschlag" gegen ein J.S.Bach-Bild, das ich für extrem verkürzt halte. Und ja: vielleicht sollten wir mehr über CPE Bach selbst reden. Andererseits, wenn man versucht die Bedeutung eines Komponisten auszuloten, kommt man nicht umhin, Vergleiche zu ziehen. Diese Vergleiche müssen dann auch Kritik standhalten, etc.. - und schon ist ein Thread um 100 Bandwurmglieder länger.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Die Moderation fordert nachdrücklich alle Beteiligten auf, fair und sachlich zu diskutieren - und auf persönliche Anwürfe zu verzichten. Regelt Zwistigkeiten über die dazu vorgesehenen Kanäle.


    Für die Moderation:


    Caesar73


    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Zitat

    von Felix Merites
    Weder war J.S. Bach in seinem eigenen Verständnis ein "gewöhnlicher Handwerker" [...]

    Zweifellos, doch trifft dies bereits auf Josquin zu und auch auf die Mehrzahl der namhaften Komponisten nach (und vermutlich auch vor!) Josquin.
    Gleichwohl war Bachs Arbeitsalltag in vielen Punkten noch "zünftig" organisiert. So waren JS Bachs Schüler offenbar noch immer abhängig vom Lehrmaterial, welches vom Komponisten gegen Entgeld zur Verfügung gestellt (billiger, wenn selbstkopiert) und als Betriebsgeheimnis behandelt wurde. Bach hatte unter diesen Umständen bekanntlich ja noch selbst zu leiden, als er Schüler seines Bruders war.
    Zwar war es durchaus üblich, diesen Kreislauf hin und wieder durch Publikationen zu durchbrechen, wie JSB es ja auch tat. Doch Anleitungen zum autodidaktischen Lernen, wie sie CPE publizierte, bedeuten durchaus eine neue Qualität. Da ging es tatsächlich um "Mündigkeit" und "Aufklärung", selbst zum Schaden des eigenen Berufstandes, der ja ganz wesentlich vom Musikunterricht lebte.
    Darüber hinaus verkehrte CPE regelmässig mit noch heute prominenten "Aufklärern" aus dem nichtmusikalischen Bereich, was sich von JS nicht behaupten liesse, der in Leipzig allerdings auch weniger entsprechende Möglichkeiten vorgefunden hätte.



    Zitat

    von Felix Meritis
    Charakteristisch dafür ist der englische Wikipedia-Artikel über die Geschichte des Sonatensatzes, der CPEs Einfluss als ganz zentral bezeichnet, aber keine einzige Werkgruppe von ihm anführt. Haydns op. 33 hingegen wird besprochen

    Der Artikel scheitert ja bereits an den Epochen-Schablonen. CPE findet sich unter "ca 1750-1820", dabei stammen die wegbereitenden Werke aus der ersten Hälfte der 1730er b.z.w. der 1740er Jahre. In Wq 48/49 wird der Sonatensatz bereits konsequent angewandt - als die Werke im Druck erschienen, war Haydn ein Kind und Mozart hiess Leopold.



    Zitat

    von Felix Meritis
    CPEs Beitrag ist aber eben ein "evolutiver", der sich aus dem bereits bestehenden ergibt und kein radikaler Bruch. Es ist eben dieser angebliche Bruch zwischen Vater und Sohn, den ich bezweifle.


    Es gibt leider in diesem Forum immer wieder eine gewisse Tendenz, J.S. Bach als hoffnungslos verkalkten Tattergreis darzustellen, der restlos in der alten Zeit steckte. CPE Bach war nun einmal als Sohn J.S. Bachs definitionsgemäss eine Generation jünger. Klar, dass es da zu stilistischen Unterschieden kommt. Diese muss man aber nicht auf Teufel komm raus überbetonen.

    Im Verlauf dieses Threads jedenfalls wurde, so weit ich sehe, die "Tattergreis-These" nur von jenem aufgestellt, der sie zu widerlegen sucht ;+) .
    Sicherlich gab es eine klare Emanzipation CPE Bachs, die naturgemäß sowohl mit als auch gegen den Vater verlaufen musste.
    Sie verlief auch konsequenter als bei Friedemann Bach, und sehr viel konsequenter als bei vielen anderen musikalischen Vater-Sohn-Beziehungen.
    CPE verwirft viele tradierte Formen, doch zugleich findet er beim Vater Modelle, etwa für den Sonatensatz (z.B. BWV 902/1).



    Zitat

    von Felix Meritis
    Ich persönlich kann mit CPE Bach leider überhaupt nichts anfangen, was aber mehr am frühklassischen Stil als spezifisch an ihm liegt

    JSB verfallen und ohnehin ziemlich polyphoniefixiert, ging es mir nicht unähnlich. Da wünschte ich, Emanuel hätte mehr im Stil seines Sicut erat komponiert [nun ja, das ist mitunter noch immer so].
    Allerdings gewann ich zunehmend den Eindruck, daß Sebastian Bach in einem Punkt immer wieder unterschätzt wird: als "progressiver" Lehrer (trotz der teilweise traditionellen Methodik...).
    Schon bei der erstaunlichen innerfamiliären "next generation" heisst es nicht selten: "die Gene".
    Was aber erklärt sich die so außergewöhliche Schülerschar wie Müthel, Goldberg, Marpurg, Nichelmann, Mohrheim oder Kittel? Viele von diesen sind eigenwillige Komponisten geworden, deren Qualität oft in umgekehrten Verhältnis zum Bekanntheitsgrad steht und neben denen etliche andere "Vorklassiker" eher blass wirken.


    Das ist gewiss kein Zufall und auch keine JSB-Einwirkung "ex negativo". Und natürlich verschlief JS die letzten beiden Dekaden seines Lebens nicht, die eben nicht nur dem Spätbarock, sondern zugleich bereits dem Postbarock angehören. Was gerade bei einem gelahrten Fugenwerk wie dem "Musikalischen Opfer" deutlich wird.


    Nicht nur angesichts der Entstehungsumstände beagten Werkes darf man wohl davon ausgehen, daß die Beeinflussung der Generationen durchaus eine wechselseitige sein konnte. Jedenfalls bin ich mittlerweile in der Lage, CPE als eine der bedeutenden Errungenschaften Johann Sebastian Bachs zu betrachten... :whistling:
    Und wer nach der Verbindung zwischen dem alten Bach und Haydn sucht, mag hier, trotz oder gerade wegen der sehr individuellen Tonsprache Carl Philipp Emanuels, tatsächlich fündig werden - was man sich allerdings sukzessive erhören/-lesen/-spielen muss.


    Edit: Leider bin ich ziemlich langsam beim Schreiben der Beiträge - während sich die Welt weiterdreht...

    2 Mal editiert, zuletzt von Accidental ()

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