Empirisch-kapriziöse Intonationsstudie - Diskussionsthread

  • 1. Beispiel
    a: 3. und 6. Stufe sehr weich, tiefer als gewohnt?
    b: 5. Stufe klingt relativ scharf, höher als gewohnt? Die 6. dafür eher zu tief. Reine Stimmung?
    c: keine Auffälligkeiten.
    d: 3. Stufe relativ tief, 4. Stufe "unpassend", zu hoch?


    2. Beispiel
    a: klingt wie ein schlecht gestimmtes Klavier,insbes. cis/des und b.
    b: klingt mit a im Ohr noch schräger. Das ist was ganz Seltsames ... :)
    c: keine Auffälligkeiten.
    d: des, fis, d und b seltsam.

    Je öfter ich's höre, desto schwieriger wird es ...

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe


  • Je öfter ich's höre, desto schwieriger wird es ...


    Du solltest aber doch auch noch ein Geschmacksurteil abgeben!

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Hier meine persönlichen Eindrücke:

    Reihe 1:
    1 a empfinde ich als "depressiv" mit "Schwebungen" nach unten.
    1 b klingt in meinen Ohren "schräg", nur auf der Quint kann sich mein Gehör "ausruhen".
    1 c empfinde ich "harmonisch schwebend", angenehm.
    1 d klingt für mich "ungestimmt", mal ist ein Ton zu hoch, mal zu tief.

    Für Reihe 2 gilt analog das gleiche.

    Zusammenfassend - Klavierstimmer "c" wird engagiert. :)

    Liebe Grüße,
    Berenice

    Colors are like music using a short cut to our senses to awake our emotions.

  • Du solltest aber doch auch noch ein Geschmacksurteil abgeben!

    Ist "seltsam" und "wie ein schlecht gestimmtes Klavier" denn kein Geschmacksurteil? :D

    Das Ohr ist wandelbar. Deutlich ist mir dies aufgefallen bei Bach-Aufnahmen mit Christophe Rousset, die für meine Ohren "seltsam" gestimmt waren. Aber nach ein paar Minuten geht's, das Ohr hört sich ein.

    C fand ich jeweils am wenigsten irritierend.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ist "seltsam" und "wie ein schlecht gestimmtes Klavier" denn kein Geschmacksurteil? :D

    Es könnte ja sein, dass du der Ansicht bist, bei a seien die dritte und sechste Stufe endlich so tief, wie du es schon immer gerne hören wolltest... oder so... ;) :pfeif:

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Also ich habe nun leider so gar kein Gehör für korrekte Intonation ;( .... aber dennoch tue ich hier mal mein Empfinden (nach jeweils einmaligem Hören) kund:

    in beiden Beispielen klingt mir c am harmonischsten, dann d, und a und b klingen in meinen Ohren jeweils bei bestimmten Stufen total schief :schaem1:

    Viele Grüße - Allegro

    "Musik ist ... ein Motor, Schönheit, Intensität, Liebe, Zauber, alles in allem: ein Elixir." Lajos Lencsés

  • Also, nun zur Auswertung.
    Zunächst einmal kann man wohl festhalten, dass, obwohl es eine Tendenz gibt, keine grundsätzliche Einigkeit herrscht (außer bei d) – was ich bei der Einstimmigkeit auch nicht anders erwartet hatte. Ich habe Punkte verteilt, und zwar 4, 3, 2, 1 Punkte in der Reihenfolge von gut nach schlecht. Hat jemand nur ein Beispiel für gut befunden, habe ich dieses mit 4 und die übrigen drei mit 2 bewertet. Bei eher subjektiven Beschreibungen oder Gleichständen habe ich hoffentlich im Sinne des jeweiligen Teilnehmers schätzungsweise verteilt, aber so, dass es immer insgesamt 10 Punkte sind.


    abcda2b2c2d2
    philmus32412242
    Areios24312341
    Federica34122431
    Walter Heggendorn22422242
    Abendroth42224222
    zabki32413241
    Tschabrendeki42222422
    Gurnemanz3232412,52,5
    Mauerblümchen22422,5142,5
    Berenice22422242
    Summe2824311725,52333,518


    c hat also jeweils gewonnen, bei der diatonischen Melodie aber nur knapp vor a. d schneidet bei beiden deutlich am schlechtesten ab – eigentlich hat es niemand wirklich positiv erwähnt.
    b hat immerhin bei beiden Beispielen jeweils zwei Teilnehmern am besten gefallen.

    Nun zu den verschiedenen Versionen:

    Stimmung a: pythagoreisch

    Bei dieser Stimmung ergeben sich alle Töne aus einem Turm von Quinten. Man geht also von einem Ausgangston los und nimmt die Oberquinte im Verhältnis 3/2. Die nächste Oberquinte (z. B. c-g-d) ist dann wieder eine Quinte darüber, also 3/2 * 3/2 = 9/4 – jetzt muss man sie wieder nach unten oktavieren, um den pythagoreischen Ganztonschritt c-d zu erhalten: 9/4 * 1/2 = 9/8.

    Zwei dieser Ganztonschritte bilden die berüchtigte pythagoreische Terz: 9/8 * 9/8 = 81/64. Sie scheint aber, wie eure Wertungen bestätigen, in der Einstimmigkeit nicht weiter zu stören, da sie nicht simultan erklingt. Im Gegenteil: Vielleicht entsteht eine angenehme ("richtige") Wirkung, da die Ganztonschritte alle gleich groß sind (?), auf jeden Fall wird aber die hohe Terz melodisch gerne im melodischen Spiel (z. B. von Geigern benutzt), um den Leitton zu schärfen! Der enge Halbtonschritt (e-f, h-c) ist letztlich ein Sekundärintervall, das aus der Differenz der reinen Quarte (c-f) und der Terz (c-e) entsteht: (81/64) / (4/3) = 243/256.

    Wenn Chromatik hinzukommt, sind die Halbtonschritte allerdings nicht mehr gleich. Da der Quintzirkel nicht schließt (pyth. Komma), ist cis≠des usw., man kann also nicht enharmonisch verwechseln. Bei der verwendeten Stimmung geht der Quintenzirkel abwärts bis des und aufwärts bis fis (die "Quinte" fis-des ist also sehr unrein).Das des macht am Ende der chromatischen Melodie mehr Sinn, am Anfang müsste es im Kontext (aufwärts) ein cis sein, das klingende des ist also vom System her bereits falsch.

    In Centangaben (1200 Cent = 1 Oktave, gleichstufiger Halbtonschritt = 100 Cent): d-des gibt 114 Cent, des-c nur 90 Cent. Der chromatische Schritt ist also deutlich größer als der diatonische!

    Wenn man nun eine Melodie dur-moll-tonal mit Dreiklängen harmonisiert, klingt diese Stimmung äußerst unbefriedigend: wegen der komplizierten Terzen (81/64) und der daraus resultierenden starken Schwebungen.

    Die gleiche Melodie, genau gleich intoniert wie vorher einstimmig, aber mit unterlegten Dreiklängen F-Dur, C-Dur, G-Dur: http://www.bernardynet.de/1_a_harmonisiert.mp3

    Stimmung b: rein

    Bei der reinen Stimmung in C-Dur nimmt man die Töne F-C-G-D wie bei der pythagoreischen durch Quintverhältnisse. Die verbleibenden drei Töne a, h und e nimmt man jedoch als reine Terzen (5/4) über entsprechend f, g, und c.
    Deshalb klingt die Melodie, wenn man sie nur mit diesen Dreiklängen harmonisiert, sehr angenehm, da schwebungsfrei:

    http://www.bernardynet.de/1_b_harmonisiert.mp3

    Allerdings scheint sie in der Einstimmigkeit nicht jedem zu gefallen, da die Terztöne eben relativ tief sind und es zu ungleich großen Ganztonschritten kommt:

    Es gibt ein weiteres Problem: das tiefe a (das auch mich melodisch gestört hat) ist zwar im F-Dur-Akkord rein, aber zum d keine reine Quinte! D-Moll klingt daher als Klang unbrauchbar, die Quinte d-a als melodischer Schritt auch. Deswegen habe ich versuchsweise Stimmung d erstellt (s.u.).
    Denn: c zu d ist ja 9/8 (s. o.). Von c zu a kommt man ja über f: reine Quinte runter, reine Terz hoch: 2/3 * 5/4 = 10/12. Die Differenz is also (10/12 * 2) / (9/8) = 20/27, kein schöner Bruch! Im Vergleich zu 2/3 also zu eng...

    Bei der Chromatik ist es genau umgekehrt wie bei der pythagoreischen Stimmung. Der chromatische Schritt (z. B. der erste im Beispiel c-cis) ergibt sich aus der Differenz der reinen Dur- und der reinen Mollterz (hier also über a) und ist sehr eng. Der diatonische ist dafür viel weiter.
    In Centangaben: d-des gibt 112 Cent, des-c 92 Cent. Mit cis genau umgekehrt: c-cis gibt 92 Cent, cis-d gibt 112 Cent.

    Dass ein chromatischer und ein diatonischer Schritt unterschiedlich groß klingen, ist systembedingt eigentlich richtig und die Notation legt das auch nahe, kann aber je nach Gewöhnung (vor allem verbunden mit dem Klavierklang) irritierend klingen.
    Wegen der dadurch entstehenden Härte ergibt sich allerdings ein toller Farbeffekt und ein sehr affektreicher Ausdruck, der im Zeitalter der mitteltönigen Stimmung (16., 17. Jahrhundert) auch stark verwendet und nicht zufällig "Passus duriusculus" (harter Gang) genannt wurde.
    Ich hatte mal eine Froberger-Toccata mit einem chromatischen Thema im fugierten Teil in der der reinen sehr nahekommenden mitteltönigen Stimmung eingespielt, da kann man das gut hören: Eben gespielt

    Stimmung c: gleichstufig

    Die gleichstufige Stimmung schnitt insgesamt am besten ab, wofür es wohl mehrere Gründe geben könnte. Am gewichtigsten ist sicher der Gewöhnungseffekt, da man vom Klavier einfach nichts anderes gewohnt ist. Vielleicht gefällt es aber auch manchem, da melodisch jeder Schritt gleich groß ist. Dem einen erscheint das vielleicht langweilig, dem anderen stringent...

    Die Zahlenverhältnisse sind sehr kompliziert, die Frequenzen irrational (näherungsweise ist ein Halbtonschritt 18/17, aber tatsächlich ein irrationaler Bruch), da man einfach eine Oktave in zwölf gleiche Teile dividiert.

    Wenn man die Melodie in dieser Stimmung wieder mit Dur-Dreiklängen unterlegt, hört man deutliche Schwebungen im Vergleich zur reinen Stimmung, aber etwas angenehmer als bei der pythagoreischen, da die Terzen nicht ganz so groß sind.

    http://www.bernardynet.de/1_c_harmonisiert.mp3

    Stimmung d: "rein" #2

    Hier hatte ich versuchsweise das den vierten und sechsten Ton auf den zweiten, also das f und a auf das d bezogen, damit man einen reinen d-Moll-Dreiklang erhält. Dafür geht dann natürlich F-Dur flöten.

    Ich dachte, das nun höhere a als Quinte zu d könnte angenehm sein, aber das f dazwischen stört eben, das nun zum Grundton c in keinem guten Verhältnis mehr steht.
    Man könnte natürlich, wie normalerweise gehandhabt, auch ein anderes d für d-Moll nehmen.

    Stimmung d klingt schrecklich, wenn man mit F-Dur-Dreiklängen harmonisiert. Dafür klingt sie mit d-Moll-Dreiklängen rein. Bei Stimmung b ist es umgekehrt.

    Vergleich:

    Mit Durdreiklängen (wie gehabt):
    http://www.bernardynet.de/1_d_harmonisiert.mp3

    Mit d-Moll-Dreiklängen: http://www.bernardynet.de/1_d_moll.mp3

    Dagegen die gleiche Harmonisierung mit Stimmung b: http://www.bernardynet.de/1_b_moll.mp3

    Das ist also das Dilemma der reinen Stimmung, dass man nicht gleichzeitig d-Moll und F-Dur rein haben kann – es sei denn, man würde auf 8 Töne aufrüsten, also für das d zwei verschiedene Tonhöhen nehmen: worauf gute Chöre und Alte Musik Ensembles achten, was aber in unserem Notationssystem (das eben so gesehen pythagoreisch ist) nicht vorgesehen ist.

    Alles in einem ein spannendes Ergebnis, und es wird wohl interessant sein, die einstimmigen Fassungen nochmal mit den entsprechenden ausharmonisierten zu vergleichen – vielleicht hört man danach die einstimmigen ja auch anders und ändert seine Präferenzen?

    Morgen geht's in die zweite Runde!

  • Morgen geht's in die zweite Runde!

    Bin gern dabei! Danke für Deine Erläuterungen, das muß ich erst noch in Ruhe studieren.

    Vorschlag für weitere Runden: Vielleicht könntest Du Deine Hörvorlagen zweimal einstellen, einmal hier mit der Möglichkeit zu diskutieren, dann noch einmal in neuem Thread, mit der klaren Aufgabe, dort nichts zu kommentieren. Evt. könnte der Thread dort dann auch geschlossen sein.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Wenn man nun eine Melodie dur-moll-tonal mit Dreiklängen harmonisiert, klingt diese Stimmung äußerst unbefriedigend: wegen der komplizierten Terzen (81/64) und der daraus resultierenden starken Schwebungen.

    Die gleiche Melodie, genau gleich intoniert wie vorher einstimmig, aber mit unterlegten Dreiklängen F-Dur, C-Dur, G-Dur: http://www.bernardynet.de/1_a_harmonisiert.mp3

    Ich habe jetzt die vier harmonisierten Fassungen durchgehört, und noch immer ist a, die mir am meisten gefällt: die dritte und fünfte Stufen klingen so sanft, wie es dann auf die Dominante kommt, das ist herrlich, bei den anderen geht für mich der ganze Zauber weg.

    Ich muss erkennen, ich bin wohl ein Pythagoreer... :thumbup:

    Spaß bei Seite: kann das sein, dass in Alter Musik - ich meine vor allem mittalelterliche und renaissance Vokalmusik - die pythagoreische Stimmung (gibt es überhaupt eine Stimmung bei Vokalmusik??? ?( ) häufig(er?) eingesetzt wird?

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Vorschlag für weitere Runden: Vielleicht könntest Du Deine Hörvorlagen zweimal einstellen, einmal hier mit der Möglichkeit zu diskutieren, dann noch einmal in neuem Thread, mit der klaren Aufgabe, dort nichts zu kommentieren. Evt. könnte der Thread dort dann auch geschlossen sein.

    Oder ein Thread mit Aufgabenstellung, wo man nur sein Urteil abgibt, und Diskussion im anderen?

    Spaß bei Seite: kann das sein, dass in Alter Musik - ich meine vor allem mittalelterliche und renaissance Vokalmusik - die pythagoreische Stimmung (gibt es überhaupt eine Stimmung bei Vokalmusik??? ) häufig(er?) eingesetzt wird?

    Mittelalter: ja; Renaissance: nein. Das ist eben der Unterschied. Gegen ~1500 (ganz grob vereinfacht, es gab auch heftige Streite) hielt die Zahl 5 und damit die reine Terz Einzug in die Musik. In der Theorie – wie genau die Praxis aussah und ob sogar evtl. schon temperiert wurde, ist weitgehend Spekulation.

    Im Prinzip ist der mittelalterliche Satz (bis ca. Generation Dunstable) so geschrieben, dass die pythagoreische Stimmung sehr gut funktioniert, denn es kommen kaum Terzen vor – zumindest nicht auf Ruheklängen (an Kadenzpunkten), dafür aber als Spannungsmoment (wozu ja die Schärfe gut passt): Die mittelalterliche Standardklausel in der Zweistimmigkeit ist Terz (Penultima) -> Quinte (Ultima).
    In dieser Zeit hätte aber natürlich eine Harmonisierung einer Melodie wie Alle meine Entchen nie in dieser Weise mit Dur-Dreiklängen stattgefunden.

    Die Terzen- und Sextenseligkeit von Dunstable und den Generationen danach ("contenance angloise") wird aber vermutlich durch die neue Stimmung bedingt sein (oder umgekehrt, also zumindest in Wechselwirkung). Ist aber natürlich auch einigermaßen hypothetisch...

    Nochmal zur Klarheit: Der Mensch kann nur einfache Zahlenverhältnisse (aufgrund der schwebungsfreien, d.h. prinzipiell verschiedenen Qualität) als exakt richtig erkennen und abrufen (also singen). Deshalb ist vor allem bei der a capella Vokalmusik die ideale Stimmung rein, und gerade die Alte Musik Bewegung hat das (im Zusammenhang mit Vibratoverzicht) wieder zur Maxime erhoben.
    Die pythagoreische Intonation ist, angewendet auf die Musik nach dem Mittelalter, vor allem charakteristisch Interpreten außerhalb der Alten Musik, vor allem bei Streichern: wegen der hohen Durterzen (Leittöne) und der darüber liegenden engen Halbtöne. Die Alte Musik-Bewegung war wohl eher eine Gegenbewegung dazu, man hat sich wieder angewöhnt, die Terzen für die Musik es 16. – (wenigstens frühen) 18. Jahrhundert tief (vertikal rein) zu nehmen.
    Mathematisch ist das eigentlich ganz einfach: 9/8 ist ein einfacheres Verhältnis als 10/9. Es liegt also zunächst einmal nahe, bei einer Melodie mit zwei Ganztonschritten in Folge diese als 9/8 zu empfinden und zu singen. Das Rahmenintervall 81/64 wird aber niemand vertikal mit dem Ohr bestimmen und entsprechend singen. Stattdessen rastet es bei 5/4 ein.

    Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen temperierten und nicht temperierten Stimmungen: die nicht temperierten Stimmungen basieren auf reinen Intervallen. Temperierung heißt, man verstimmt Töne absichtlich, um sie enharmonisch verwechselbar zu machen. Also man macht z. B. ein cis höher (ohne eine exakte Frequenz anzustreben), damit man es auch als des akzeptieren kann, aber das es gerade noch so tief ist, dass es als cis auch noch durchgeht.
    Das ist vor allem durch Tasteninstrumente bedingt (und nur da realisierbar, da man die verstimmten Töne z. B. als Sänger nicht immer wieder gleich exakt abrufen kann), deshalb ist eine temperierte Stimmung für Vokalmusik erst einmal absurd.
    Geht man allerdings davon aus, dass Tasteninstrumente im 18. Jahrhundert standardmäßig bei Vokalmusik beteiligt waren, bedeutet das natürlich, dass sich die Sänger den Klavieren angleichen mussten und so gesehen auch temperiert gesungen haben.
    Temperierung ist aber zunächst einfach ein Kompromiss, den man eingehen muss, weil man nur 12 Tasten hat, aber eigentlich viel mehr Töne.
    Andererseits: Dadurch ist natürlich wiederum eine ganz bestimmte Musiksprache entstanden, die z. B. auf enharmonischer Verwechslung aufbaut und voraussetzt, dass auch eine zweite Stufe immer die gleiche Tonhöhe hat (s. o.) – sonst hätte man ja mikrotonale melodische Schritte, wenn man Musik, in der etwa in C-Dur ein G-Dur- auf einen d-Moll-Akkord folgt, wirklich rein realisieren wollte.
    Deshalb glaube ich, dass man Musik mit der Stimmung ihrer jeweiligen aufführen sollte und nicht eine reine Stimmung absolut setzen, wie z. B. der Musikwissenschaftler Martin Vogel propagiert hatte, der darin einen Fortschritt sah, rein gestimmte Instrumente zu entwickeln und die Musik von Beethoven etwa zum ersten Mal seiner Ansicht nach "richtig" bzw. "sauber" aufzuführen.

  • @ralphb : bei Deinem Tristan-Beispiel funktionieren die Links b-e nicht, Du hast da fälschlich die capriccio-Domain anstelle Deiner eigenen verlinkt (Wenn man capriccio[...] durch bernardynet[...] ersetzt, funktioniert's :) )

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Sind beim Tristan-Beispiel "rein" und "pythagoräisch" wieder auf C bezogen? Macht das bei einem Halbschluss in E-Dur (mit Sept) eigentlich Sinn? Die Musiker sind doch in der Lage, ein "reines" E-Dur zu blasen ...

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Es ist nicht gesagt, dass es dieselben Stimmungen sind, wie in der ersten Runde.

    Wenn auf C bezogen C-E-G und G-H-D rein sind, ist E-G-H auch rein. Und E-Gis-H auch, wenn man das Gis als reine Terz über E nimmt (wo man es natürlich herleitet).

    Darüber hinaus bezweifle ich, dass die romantische Orchesterpraxis wirklich rein intoniert.

    Links sind korrigiert, danke! ;)

  • Wenn auf C bezogen C-E-G und G-H-D rein sind, ist E-G-H auch rein. Und E-Gis-H auch, wenn man das Gis als reine Terz über E nimmt (wo man es natürlich herleitet).

    Das stimmt natürlich, wie man leicht nachrechnet ... ich hatte das gis als problematisch im Ohr, aber das kommt von mitteltönig gestimmten Orgeln ... ist natürlich eine andere Umgebung als die "reine".

    Darum gibt es wohl eine C-Dur-Fassung von Bachs Toccata E-Dur BWV 566.

    Gruß
    MB

    :wink:

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  • Ich sage mal einfach nur , dass mir Beispiel 1 und 2 zu "verstimmt" klingen. 4 halte ich für gleichschwebend temperiert, 3 oder 5 könnte vielleicht mitteltönig sein?? (ist aber mangels großer Hörerfahrung mit Stimmungen wirklich nur geraten...)

    Meine Hitliste wäre 3 - 4 - 5 - 1 - 2.

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Wobei man mitteltönig gis auch rein zu e stimmt, und e natürlich rein zu c. Aber die Quinten (also auch e-h) sind natürlich unrein (zu eng).
    In E-Dur stört vor allem das dis und natürlich auch das ais, wenn's in die Oberquinte moduliert... deshalb wird die Toccata in E-Dur auf einer mitteltönigen Orgel wohl schrecklich klingen...

  • In E-Dur stört vor allem das dis

    Stimmt ... und erst recht Gis-Dur, die Dominante der Parallele cis-Moll, mit der Wolfsquinte ...

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Im Prinzip ist der mittelalterliche Satz (bis ca. Generation Dunstable) so geschrieben, dass die pythagoreische Stimmung sehr gut funktioniert, denn es kommen kaum Terzen vor – zumindest nicht auf Ruheklängen (an Kadenzpunkten), dafür aber als Spannungsmoment (wozu ja die Schärfe gut passt): Die mittelalterliche Standardklausel in der Zweistimmigkeit ist Terz (Penultima) -> Quinte (Ultima).

    Im Mittelalter war die "Kunstmusik", wenn ich richtig informiert bin, aber doch zu einem wesentlichen Teil a capella gesungene Vokalmusik, und die Chöre und Gesangsensemble werden doch kaum in festen Stimmungen wie "rein" oder "pythagoreisch" gesungen haben sondern ihre Tonhöhe (bzw. mikrotonale Tonhöhenänderungen) dem jeweiligen Zusammenklang ("Akkord") angepasst haben. Oder???
    Feste Stimmungen sind doch im Prinzip nur dann nötig, wenn man die Tonhöhe nicht stufenlos verändern kann, also auf Tasteninstrumenten, nicht aber bei Gesangsstimmen...

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Also für pythagoreische Intonation im Mittelalter sprechen auf jeden Fall:

    - ihre über 1000 Jahre alte Tradition.
    - die Musik: sie ist eben so geschrieben, dass Dur- oder Moll-Klänge (vertikal) selten vorkommen, und sehr selten auf Ruhepunkten (lang gehalten). Das lässt ja auch Rückschlüsse auf die Stimmung zu.
    - wahrscheinlich wurde doch viel mit Instrumenten zusammen musiziert, auch im Mittelalter.
    - Zumindest nach unserer ersten Runde scheinen ja melodisch aufgefasst und hergeleitet (– und die Musik des Mittelalters funktioniert nunmal eher horizontal) pythagoreische Intervalle sogar natürlicher zu klingen als diejenigen der reinen Stimmung!

    Anders gesagt: Dass man eine Skala "rein" intoniert, liegt ja erst dann nahe, wenn man dabei eine implizite Harmonik mitdenkt, die auf reinen Durdreiklängen der I., IV. und V. Stufe basiert – was ja der Musik des Mittelalters gänzlich fern liegt.

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