Operntelegramm - Saison 2016/17
Kurzberichte von Opernbesuchen für die Saison 2016/2017.
Kurzberichte von Opernbesuchen für die Saison 2016/2017.
Reichlich verspätet ein paar Eindrücke von der ersten Saisonpremiere in Köln (Staatenhaus) am 25.09.2016
Maurice Ravel - L'heure espagnole und L’enfant et les sortilèges
Regie: Béatrice Lachaussée
Bühne und Kostüme: Nele Ellegiers
Dirigent: François-Xavier Roth
Tolle Bühnenbilder, im ersten Stück mit begehbaren Uhren, im zweiten ein Buch, dem die diversen Figuren entsteigen, phantasievolle, verrückte Kostüme, schon eine Show an sich. Die Regie setzt im ersten Stück nicht so sehr auf den naheliegenden Klamauk, hat mir gefallen. Im "Enfant" eine überbordende Phantasiewelt. Ausnahmslos gute Sängerleistungen (einschließlich Chor und Kinderchor im "Enfant"), stehen aber in beiden Stücken nicht im Mittelpunkt.
François-Xavier Roth holt aus dem Gürzenich-Orchester alles 'raus, was Ravel an Klangfarben, Witz, musikalischer Poesie und dergleichen mehr zu bieten hat - eine Ohrenweide und ein großer Spaß auf allen Ebenen! Schade, dass der Mann nur diese beiden Mini-Opern geschrieben hat!
In dem Ravel-Doppelabend war ich auch.
"Die spanische Stunde" war musikalisch großartig, die Instrumentierung fand ich sehr fein, wie impressionistisch und `zusammenpassend`. Den Gegensatz zwischen Bühnenhandlung und Musik hätte ich mir deutlicher gewünscht. Das absurde der Situation kam mir zu wenig zur Geltung und der Plot, daß der Uhrenträger Ramiro der rechte Mann für Concepción ist, ging völlig unter.
Der `Zauberspuk` war szenisch und von den Darstellern witzig und einfallsreich, bunt, (herrlich, das Katzenduett ), musikalisch fand ich das Stück aber wie ein Patchworkstück zusammengesetzt. Hat mich nicht so überzeugt.
Donnerstag, 13.10.2016, 19:30 Uhr
Oper Frankfurt
Andrea Lorenzo Scartazzini: Der Sandmann
Oper in zehn Szenen nach Motiven der gleichnamigen Erzählung (1815) von E.T.A. Hoffmann. Text von Thomas Jonigk.
Übernahme der Uraufführungsproduktion (Basel 2012)
Hartmut Keil, Dirigent
Christof Loy, Regie
Barbara Pral, Bühnenbild
Ursula Renzenbrink, Kostüme
Stefan Bolliger, Licht
Thomas Wilhelm, Choreografie
Tilman Michael, Chor
Yvonne Gebauer, Stephanie Schulze, Dramaturgie
Daniel Schmutzhard, Nathanael
Agneta Eichenholz, Clara/Clarissa
Thomas Piffka, Vater
Hans-Jürgen Schöpflin, Coppelius
Daniel Miroslaw, Lothar
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Eben mit gemischten Gefühlen heimgekehrt. Komponist und Werk waren mir bislang unbekannt. Erster Eindruck: eine Musik, die - dissonant, freitonal (?) - gut einen Horrorfilm untermalen könnte: langsam sich entfaltend, kaum sich entwickelnd, düster, beklemmend, aber wenig komplex. Das paßte zu einer Handlung, in der verschiedene Realitätsebenen ineinandergeschoben waren, einmal der Protagonist Nathanael, ein junger Schriftsteller, der sein kindliches Trauma, das, wie ausdrücklich vermerkt, zu einer "paranoiden Schizophrenie" geführt hat, literarisch verarbeitet. Hier wird's schon unklar: Hat er nur ein paar Seiten zusammengestümpert oder ist ihm ein veritabler autobiographischer Roman gelungen? Ist der Erfolg der literarischen Welt "real"? Das Trauma: Der Tod des Vaters, ein Totengräber, der mit Coppelius Leichen präpariert hat, außerdem erotische Phantasien des Jungen, der mit einer toten Frau geschlafen hat (oder das glaubt?). Vater und Coppelius geistern durch die Handlung und erinnern an Waldorf und Statler aus der Muppetshow. Hoffmanns Olimpia ist hier Clarissa, als eine Art schnell zerfallende Männerphantasie (der Superlativ "Clarissima" wurde nur angedeutet).
Erscheint insgesamt wirr und merkwürdig, empfand ich aber insgesamt als schlüssig (in The Turn of the Screw von Britten gibt es Ähnliches) - wenn da die Musik nicht wäre, die mir zu wenig inspiriert und zu zäh vorkam.
Die Beteiligten (Orchester, Sänger, Regie) verdienen ein dickes Lob, besonders die Sänger, die erhebliche Schwierigkeiten, z. B. Singen in extremen Lagen, bravourös bewältigten, besonders Agneta Eichenholz in der Doppelrolle Clara/Claissa.
Lieber Gurnemanz,
ich habe diese Oper ja auch besucht und es freut mich, hier zu lesen, dass dir das Stück auch nicht wirklich gefallen hat. Also, mir hat es sogar gar nicht gefallen, ich fand es regelrecht grauenvoll, nervtötend, unerträglich und abturnend. Die Musik ist schlimm, das Libretto ist schrecklich, die Sänger wurden be- und abgenutzt. Warum führt man so etwas auf?
Meine Lust auf Oper ist jedenfalls für die nächsten Monate abgetötet worden.
Meine Lust auf Oper ist jedenfalls für die nächsten Monate abgetötet worden.
Naja, es gibt ja noch andere Opern...
Ja, die gibt es, aber in der Regel sind die aktuellen Inszenierungen eine Zumutung, und das muss ich mir nicht mehr antun.
Ich werde hier erstmal abstinent bleiben.
Verspätet gibt es hier ein paar Eindrücke von zwei tollen "Rheingold"-Abenden in Dresden. Es handelt sich um eine ältere (2001) Regiearbeit von Willy Decker, über die bestimmt schon viel geschrieben wurde – für mich war allerdings alles neu, weil ich mich noch nicht lange für den Ring interessiere. Naja, nicht ganz neu, denn letzte Saison war in Dresden isoliert "Die Walküre" in Deckers Ring-Lesart zu sehen, daher war klar, was mich konzeptionell erwartet, nämlich eine Theater-im-Theater-Realisierung ohne genaue zeitliche Einordnung. Ein großes Plus war die präzise Personenführung, jede Bewegung, jede Geste schien genauestens einstudiert und das Ergebnis war eine richtig böse Komödie, in der schnell klar ist, dass die (hier etwas trottlig-sonnambulen) Götter im Grunde gar nichts zu melden haben und aufgrund der vorwiegend niederen Triebe aller Beteiligten, seien es nun Götter, Riesen oder Zwerge, sowieso alles den Bach bzw. den Rhein runtergehen wird. Die folgenden Akteure stiegen im wahrsten Sinne des Wortes in den Ring:
Tomasz Konieczny – Alberich; Gerhard Siegel – Mime; Georg Zeppenfeld – Fasolt; Ain Anger – Fafner; Markus Marquardt – Wotan; Kurt Streit – Loge; Daniel Johansson – Froh; Michael Kraus – Donner
Christa Mayer – Fricka; Ann Petersen – Freia; Ronita Miller – Erda; Christiane Kohl, Sabrina Kögel und Simone Schröder als Rheintöchter
Sächsische Staatskapelle Dresden; Dirigent: Christian Thielemann
Das musikalische Fetzigkeitslevel, um mal eine Redensart eines bekannten Capriccioso zu gebrauchen, lag im oberen Bereich, auch wenn ich akustisch jeweils nicht den besten Platz hatte (stark links, was gerade bei Loges/Wotans Trip durch die Schwefelkluft presslufthammerartige Geräusche zur Folge hatte – aber irgendwie passt das auch wieder zu den unter Tage schuftenden Nibelungen). Herausragend in der Sängerriege war ohne Zweifel Tomasz Konieczny als Alberich, ein stimmlich und darstellerisch großartiges facettenreiches Rollenporträt. Schon allein deshalb haben sich die beiden Abende mehr als gelohnt! Auch sonst wurde auf sehr gutem Niveau gesungen (und nicht gebrüllt -- nix Schweinshaxe!), erfreulich textverständlich zudem. Im Januar gibt es dann "Siegfried" (warum muss denn immer alles der Reihe nach gehen, nicht wahr).
Amaryllis
Etwas verspätet gibt es hier ein paar Eindrücke von den Humperdinck-Königskindern, die ich ja nicht völlig wahllos ins Herbsträtsel eingebaut hatte .
Lange Zeit hatte ich mich wahnsinnig auf diese Königskinder-Vorstellung gefreut und dann ist mir ein unmöglicher Fehler unterlaufen. Ich war von einer falschen Anfangszeit ausgegangen, 19:00 statt 18:00 Uhr. Immerhin ist es mir, durch eine merkwürdige Eingebung, noch vor 18:00 Uhr aufgefallen, nämlich 17:20 Uhr, im Bad vor dem Spiegel stehend. Kann das sein, dass da 18:00 Uhr auf dem Ticket stand? Unter Adrenalinschock bestätigte sich genau das, so dass ich mich binnen drei Minuten unter Unterlassung aller Unnötigkeiten wie etwa Haarebürsten, fertig machte, zur Straßenbahn rannte ... und auf halbem Weg dachte, dass irgend etwas komisch war. Arrrghhh – ich hatte meine Brille nicht angezogen! Zeit zum Umkehren war definitiv nicht, aber ich wusste ja ungefähr, was mich szenisch erwartet:
Im Dezember 2014 hatte diese Produktion ihre Premiere und ist seitdem leider wenig gespielt worden, 5 oder 6 Aufführungen innerhalb der Premierenserie (von einer davon hatte ich damals hier berichtet), vergangene Spielzeit gar nicht. Jetzt gab es eine Wiederaufnahme (insgesamt drei Termine) – umso unglaublicher, dass die Inszenierung dann komplett verschwinden soll. Sehr schade, denn obwohl die Regiearbeit von Jetske Mijnssen sicher nicht alle möglichen Ebenen des symbolistischen Librettos auslotet (welche Inszenierung könnte das leisten?), so halte ich sie doch für sowohl optisch als auch bezüglich der Personenführung gelungen, ästhetisch sehr ansprechend mit einprägsamen Bildern, nicht durchintellektualisiert, sondern mit genügend Raum für private Assoziationen.
Ein kurzer Blick auf die Besetzung:
Musikalische Leitung – Thomas Rösner
Inszenierung – Jetske Mijnssen
Bühnenbild & Kostüme – Christian Schmidt
Königssohn – Daniel Behle
Gänsemagd – Juliane Banse
Spielmann – Christoph Pohl
Hexe – Katja Pieweck
Holzhacker – Michael Eder
Besenbinder – Tom Martinsen
Wirt – Martin-Jan Nijhof
et al.
Ja, mit der Besetzung hatte es laut umfangreicher Ansage vor Beginn einige Probleme gegeben. Die ursprünglich als Hexe vorgesehene Janina Baechle hatte abgesagt, aber mittelfristig, so dass Katja Pieweck, die wohl extra für das Einspringmanöver diese Rolle gelernt hatte, zum Zug kam und ein gelungenes Rollendebüt gab – eine stimmlich facettenreiche Hexe. Tatsächlich ist die Königskinderhexe ja nicht nur surreal böse wie die HuG-Hexe, sondern auch klug und durchaus mit Ängsten belastet. Für die Gänsemagd war die Premierenbesetzung, Barbara Senator, vorgesehen, die sich allerdings sehr kurzfristig erkältet hatte, so dass sie immerhin die Rolle noch spielen konnte aber sonst guter Rat teuer war. Aber es gelang, mit Juliane Banse eine sehr interessante Einspringerin zu verpflichten, die jedoch nicht mehr in die Szenerie eingewiesen werden konnte und vom Bühnerand sang. Banses Gänsemagd ist ja ca. 2008(?) auf Konserve gebannt worden – eine Aufnahme, die mir sehr gut gefällt – und seitdem hat ihre Stimme eine Entwicklung zu dramatischen Partien hin genommen, so dass letzten Sonntag eine expressive Powergänsemagd mit unverkennbarem Timbre, metallischer Höhe und, wenn nötig, enormer Durchschlagskraft (kaum zu glauben, so fragil und romantisch, wie Banse im raffinierten schwarzen Kleidchen im Halbdunkel am Bühnerand vor ihrem Notenpult stand...) zu hören war. Damit war das (stimmliche) Kräfteverhältnis zwischen Hexe und Gänsemagd etwas aus den Fugen, aber in einer solchen Situation ist das schon in Ordnung. Gerne würde ich Frau Banse einmal in einer passenderen Partie hören, als Fidelio-Leonore z.B. . Ganz ausgezeichnet war diesmal der Königssohn besetzt. Daniel Behle – auch er ist in dieser Rolle bereits auf Platte verewigt – verkörpert diese Rolle großartig, da passt einfach alles, die Stime klingt jung, trägt ausgezeichnet, hat enormen Schmelz, sichere Höhen und außerdem: he looks the part! Als Spielmann war wie in der Premierenserie Christoph Pohl zu hören, dessen Rollenporträt mir moch besser gefallen hat als damals. Das Ensemble verdient insgesamt großes Lob, die Aufführung wirkte frisch, engagiert und detailliert ausgearbeitet. Die Balance zwischen Sängern und dem Orchester unter Thomas Rösner fand ich erfreulich ausgeglichen, die Vorspiele zu Akt 1 und 2 gerieten (beabsichtigt?) rustikal, was einen etwa 6-jährigen Jungen in der Reihe vor mir veranlasste, sein Kuscheltier jeweils im Takt mittanzen zu lassen, drollig. Überhaupt waren überdurchschnittlich viele Kinder dabei, durchaus brav; aber was jene wohl von diesem komplizierten und traurigen Märchen mitgenommen haben? Der Applaus war heftig, aber mit sechs Minuten eher kurz. Die zwei nächsten und, wie erwähnt, leider letzten Vorstellungen finden am 27. und 30.11.2016 statt.
Amaryllis
Ich habe gestern erstmals die tschechiche Mezzosopranistin Magdalena Kozena live auf der Bühne gehört und gesehen. Auf dem Programm in der Opéra de Lille standen Instrumental und Gesangs- Szenen aus verschiedenen frz. Barockopern: Jean Philippe Rameau "Hippolyte et Aricie", "Dardanus", Castor et Pollux, "Les indes galantes" und "Medée" von Marc Antoine Charpentier.
Für Freunde frz Barockmusik eine echte Sternstunde und ich bin immer wieder neu von Rameaus Ideenreichtum begeistert. Diesmal habe ich besonders fasziniert dem Percussionisten zugesehen, der mindestens 10 verschiedene Instrumente zu bedienen hatte, unter Anderem eine riesige sturmerzeugende Drehrolle. Emmanuelle Haïm leitete wie immer mit verausgabenden Gesten das Concert d'Astrée und wechselte schliesslich auch ans Cembalo um eine Monteverdi Arie zu begleiten. Diese beiden rothaarigen Diven (Magdalena Kozena ist inzwischen von der Blondine zum Tizianrot gewechselt) mit den so unterschiedlichen Temperamenten zusammen auf der Bühne zu sehen, war schon per se ein Genuss. Ich habe selten zwei so schöne und talentierte Frauen gemeinsam als Protagonisten bewundern können. Allerdings muss ich sagen, dass die Französin in diesem Repertoire eindeutig mehr in ihrem Element war als die polyglotte Tschechin.
Die Instrumentalszenen waren durchweg mitreissend und interessant, wogegen Kozena nicht selten Mühe hatte, sich gegen das Orchester zu behaupten. Trotz schöner Stimme, sehr guter Diktion und totaler Hingabe an die Musik hatte ich immer das Gefühl, dass sie nicht wirklich an ihrem Platz ist und das zeigte sich dann umso mehr bei den drei phantastischen Zugaben, in denen sie endlich ihre ganze Begabung zeigen konnte. Monteverdi, Händel und Marin Marais- das war so herausragend, virtuos und bewegend gesungen, dass das Publikum sie gar nicht gehen lassen wollte. Welch ein Talent!
Leider weiss ich die Titel der Zugaben nicht, eine unglaublich virtuose Händelarie in italienisch, die ich nicht kannte, der Monteverdi war m.E. aus einem Madrigal(begleitet von Haïm am Cembalo) und das Lied von Marin Marais abwechselnd mit Geigensolo, Gesang und rasantem Orchester. Sir Simon Rattle war ebenfalls da, um seine hinreissende Frau zu bewundern- von England kann man ja quasi durch den Ärmelkanal zu uns schwimmen.......
Obgleich es bessere Gesangs-Interpretinnen des frz. Barocks gibt, hat es sich sehr gelohnt- allein für die Zugaben wäre ich gekommen. Was Kozenas Stimmfach angeht, ist sie m.E. eine hybride Form von Mezzo, die genausogut Sopranrollen singen kann und der es an der eigentlichen Mezzotiefe manchmal fehlt. Aber im Barockfach ist das kein Problem und auch als Liedsängerin finde ich sie sehr überzeugend. Sie hat etwas von einer Fee aus einer anderen Welt an sich und berührt schon allein durch ihre Erscheinung und ich bin sehr froh, sie endlich einmal live auf der Bühne gesehen unf gehört zu haben. Kaum zu glauben, dass sie bei dieser tollen Karriere auch noch drei Kinder hat.
Das Programm wird noch bis Mitte Dezember in verschiedenen Städten, u.A. Brüssel und Paris gegeben.
Ich habe, no na, dieses Konzert nicht gehört. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Kozena und Haim wirklich harmonieren. Unsere Feenkönigin hat das ja auch, zumindest habe ich das so gelesen, sachte angedeutet. In Wien kann ich diese Paarung und dieses Programm leider nicht hören (zumindest habe ich in keinem der Vorschauen von Konzerthaus oder Musikverein so einen Abend gesehen) und Brüssel oder Paris - ich würde beide Städte gerne wieder besuchen - sind mir für ledglich ein Konzert zu weit.
Der Dresdner Rigoletto, den der inzwischen verstorbene Nikolaus Lehnhoff 2008 an der Semperoper in Szene setzte, dürfte einem breiteren Publikum bekannt sein*, da die Inszenierung einst im TV zu sehen war und dann auf DVD veröffentlicht wurde. Ich hatte offenbar immer Wichtigeres zu tun, als mir diesen Rigoletto anzusehen. Gestern habe ich das endlich nachgeholt – es war die 43. Aufführung seit der Premiere – und es war, vor allem musikalisch, eine sehr erfreuliche Begegnung: , von der ich hier kurz berichten möchte. Während Bühne, Kostüme, Beleuchtung (letztere ein großes Plus dieser Inszenierung) frisch und zeitlos wirkten
– das quietschgrüne Narrenkostüm könnte es noch zu Kultstatus bringen
– hat die Personeninteraktion vielleicht in all den Jahren etwas an Intensität eingebüßt
. Aber vielleicht ist es auch Absicht, da das Konzept insgesamt auf Stilisierung ausgelegt ist sowie auf das Aufdecken menschlicher Nichtbeziehungen. Am Werk waren jedenfalls unter anderem:
Ivan Magrì (Duca di Mantova), Markus Marquardt (Rigoletto), Tuuli Takala (Gilda), Georg Zeppenfeld (Sparafucile), Tichina Vaughn (Maddalena), Angela Liebold (Giovanna), Michael Eder (Monterone) et al.
Musikalische Leitung – Lorenzo Viotti
Inszenierung – Nikolaus Lehnhoff
Bühnenbild – Raimund Bauer
Kostüme – Bettina Walter
Ein ganz merkwürdiges Rollenporträt lieferte der Sänger des Duca, Ivan Magrì, dem praktisch nur ein Gesichtsausdruck und wenige Hand-Gesten zur Verfügung standen. Wollte er sich selbst, einen italienischen Tenor also, damit aufs Korn nehmen? In diesem Sinne war sein Gestaltung bzw. Nichtgestaltung konsequent und unterhaltsam, zumal er die Partie stimmlich sehr souverän über die Rampe brachte, mit viel wechselstromartig prickelndem Schmelz und protzig langen Spitzentönen. Zu diesem parodistisch geprägten Eindruck passte dann auch sein extralanges Verweilen bei den Schlussvorhängen, garniert mit vielen symbolischen Handküssen in Richtung Publikum, also diesen hier:
– drollig! Ein attraktiver Tenor im Übrigen, so wie auch die anderen Hauptakteure typenmäßig großartig zu ihren Rollen passten. Zum Beispiel die äußerst hübsche, sehr junge Tuuli Takala als Gilda, eine Mischung aus Schneewittchen und Elfe mit einem warm grundierten Sopran, der in der Höhe kühler und klar wie Bergkristall wird. Eine anrührende Erscheinung mit Tendenz zur Kunstfigur, was kohärent ist zu einer Besonderheit dieser Inszenierung, nämlich Gildas Überhöhung zur Heiligen am Schluß
. Einen großartigen Abend lieferte auch Markus Marquardt als Rigoletto, den er weniger als abgeranztes bösartiges Monster
als vielmehr als von Anfang an Mitleid erregendes
äußerlich und vor allem innerlich schwer verletzes Geschöpf darstellte – habe ihn schon in vielen Rollen gehört, aber der Rigoletto scheint ihm richtig gut in der Kehle zu liegen. Es ließ so viele Nuancen hören, so viele Abstufungen in der Lautstärke und in der Stimmfarbe
– ob sein doch sehr individuelles, eher helles Timbre nun zum Rigoletto passt oder nicht, ist letztlich eine müßige unbeantwortbare (Geschmacks-)Frage. Ein besonderes Leckerli
war (wie auch schon in der Premierenserie) Georg Zeppenfeld als schönstimmiger raffinierter Sparafucile – und dann diese rattenartige Leder-Aufmachung, auch das war richtig kultig. Am Pult stand ein blutjunger Mensch (Lorenzo Viotti), der eine, mit wenigen Abstrichen, gute Balance zwischen Orchester und Singstimmen herstellte und zusammen mit den Sängern von Gilda und Rigoletto den stärksten Applaus einheimste. Insgesamt waren es sieben Minuten Schlussapplaus:
, was angesichts beachtlich vieler leerer Plätze recht ordentlich war
.
* Was bedeutet nun das Sternchen? Gestern nach der Vorstellung habe ich ein bisschen nach Meinungen zur Premierenserie gegoogelt und habe u.a. diese lange unterhaltsame Diskussion in einem umstrittenen Nachbarforum mit vielen bekannten Avataren und Nicknames
gefunden: RE: RIGOLETTO in Dresden mit Lucic, Damrau und Florez
Und hier noch eine Meinung zur aktuellen Serie (allerdings eine Vorstellung zwei Tage früher betreffend): Dresden / Semperoper: „RIGOLETTO“ – 17.2.2017 (Online-Merker)
Amaryllis
Meinen besonderen Dank, liebe Amaryllis, für die Besprechung der Leistung dieser jungen finnischen Ausnahmesängerin. In ihrer doch recht kurzen Engagementszeit in Dresden hat sie bereits das gesamte ihr geeignete Repertoire erarbeitet.
Eine ihrer Glanzleistungen war der Waldvogel im Siegfried mit Christian Thielemann.
Nun hoffen die hiesigen Opernfreunde, dass uns Tuuli Takala als Ensemble-Mitglied lange erhalten bleibt und nicht zu schnell im internationalen Geschäft untertaucht.
Lieber thomathi, mir ist Tuuli Takala erst letzten Dezember erstmalig zu Ohren gekommen, da war sie die stratosphärische Olympia im neuen Dresdner "Hoffmann". Bin ebenfalls gespannt, wo ihr Weg so hinführt, nicht nur geografisch sondern auch rollenfachmäßig.
Nachdem ich im Januar in Dresden meine ersten beiden Live-Siegfriede erlebt habe, ist der Siegfried in meinem persönlichen Wagner-Ranking sozusagen von Null auf Hundert durchgestartet und es war einfach zu verlockend, gleich noch einen Leipziger Siegfried nachzulegen. Die Vorstellung war sehr schlecht gebucht, es klafften große Lücken im Parkett. Glück für mich, denn ich plane ja gern kurzfristig. Vorausschicken muss ich noch, dass ich den aktuellen Leipziger Ring bis auf die Walküre nicht kannte und kenne, also kein Bild von der Schlüssigkeit des Gesamtkonzeptes habe. Jedenfalls ist die Regisseurin Rosamund Gilmore auch oder vor allem Choreografin und das bedeutet in dem Fall, dass neben den Sängern auch ca. ein Dutzend Tänzer beschäftigt sind. In der Siegfried-Inszenierung fand ich Selbige durchaus an sinnvollen Stellen eingesetzt. Zum einen symbolisieren sie Siegfrieds Entwicklung, indem sie sich von gesichts- und geschlechtslosen Hatifnatten-artigen Gestalten (Vorspiel) zu menschlichen Wesen, an denen sozusagen alles dran ist (Schlussszene), wandeln. Weiterhin begegnet Siegfried z. B. nicht nur der Stimme des Waldvogels sondern auch dessen tanzendem Alter Ego, Fafner ist ein multiples Wesen, dessen tanzende Komponenten effektvoll ihr Leben aushauchen. In der Summe sind das alles schöne Ideen und auch rein atmosphärisch-optisch fand ich diesen Siegfried gelungen. Was die Herausarbeitung der Charaktere betrifft, blieb ich an einigen Stellen ratlos. Das betrifft zum Glück nicht die Titelfigur, deren Erwachsenwerden glaubwürdig – soweit das bei der schrägen Story möglich ist - herausgearbeitet ist. Andreas Schager, der lautstark gefeiert wurde, war als "Gesamtpaket" aus Stimme und Bühnenerscheinung großartig. Nun hatte ich aber in Dresden zweimal Stephen Gould in der Rolle gehört und ginge es rein nach akustischen Gesichtspunkten, würde ich letzterem den Vorzug geben, sowohl was Textverständlichkeit als auch Stimmschönheit sowie differenzierte Gestaltung angeht. Was (enorme) Durchschlagskraft und Kondition betrifft, sind beide Sänger wohl in der gleichen Spitzenliga, da kann man einfach nur den Hut ziehen und staunen. Als problematisch empfand ich die regieseitige Zeichnung von Mime und dem Wanderer. Letzterer blieb szenisch emotionslos und blass und Egils Silins sang die Rolle gut, womöglich sehr gut, aber ohne Charisma. Andere Zuhörer mögen es anders empfunden haben, aber zu mir sprang da überhaupt kein Funke über. Ich könnte nicht einmal sagen, was schlecht oder unschön oder gar falsch war, nur blieben sämtliche Begegnungen des Wanderers aseptisch. Anders ungewöhnlich wirkte die Figur des Mime, der hier ein fragiler genervter Zwerg ist – tasächlich war der Darsteller der Partie Dan Karlström, klein und leicht (auch stimmlich, ein heller Tenor, gut gestaltend, aber nicht superdurchlagskräftig), so dass ihn Siegfried mal eben hochheben konnte – und offen lässt, wieso er eigentlich so böse wird und seinen Ziehsohn vergiften will. Dafür punktet die Produktion mit der vermutlich schwer zu inszenierenden Schlussszene zwischen Siegfried und Brünnhilde, wobei Elisabet Strid eine sehr attraktive Brünnhilde war, die vor allem in den lyrischen Passagen wunderbar rüberkam. Nicht unerwähnt lassen möchte ich noch die neckische Idee, dass Erda (passend zu den Leipziger Wave-Gothic-Treffen??) als eine Art Gothic-Nixe hergerichtet ist und die Sängerin dieser Rolle, Nicole Piccolomini, eine etwas archaische und vor allem umwerfend dunkel timbrierte Stimme hören ließ.
Ich saß neben einem Herren mit offenbar Jahrzehnte währender Opernerfahrung. In irgendeiner Weise muss ich jungfräulich ausgesehen haben, denn er fragte mich, ob das mein erster Siegfried wäre. Nein, mein dritter, antwortete ich. Bei ihm wären es wohl zwanzig gewesen über all die Jahre, schätze er ab. Und, wie schneidet der heutige im Vergleich ab, wollte ich wissen. Gut, meinte er – ich denke, das kann man so stehen lassen, ohne Hintergedanken, im besten Sinne des Wortes gut.
Dirigent ... Ulf Schirmer
Inszenierung/Choreografie ... Rosamund Gilmore
Bühne ... Carl Friedrich Oberle
Kostüme ... Nicola Reichert
Siegfried ... Andreas Schager
Mime ... Dan Karlström
Der Wanderer ... Egils Silins
Alberich ... Jürgen Linn
Fafner ... Rúni Brattaberg
Erda ... Nicole Piccolomini
Brünnhilde ... Elisabet Strid
Waldvogel ... Danae Kontora
Gewandhausorchester Leipzig
Danke,liebe Amaryllis für den Vergleich der Siegfriede von Dresden und Leipzig.
Was die Buchungsauslastung betrifft, hat natürlich die Semperroper klar den Vorteil, dass erhebliches Besucher-Potential aus Wien, Müchen usw. rekrutiert ist.
Irgendwann muss ich mir doch den Leipziger Ring ermöglichen. Derzeit liegen aber bereits Götterdämmerung, Decker-Ring, Tosca und der Leipziger Parsifal im Kartenstapel. Dazu eine Unmenge Konzerte.
Ein wenig vermisst habe ich in deinem Beitrag den Vergleich der Dirigate von Schirmer und Thielemann.
Wir hatten vor einigen Tagen in der Wagner-Begegnungsstätte Graupa eine Diskussion über die Nachfolger des "Großen Dirigenten" Ernst gans Edler von Schuch mit einer seiner Enkelinnen, weil in der Schuch-Ausstellung neben Konwitschny (nicht dessen Sohn Peter), Masur auch Christian Thielemann und Ulf Schirmer, aber eben nicht Herbert Blomstedt aufgeführt waren.
Der Kurator des Ausstellung hat aber seine Wahl regelrecht verzweifelt verteidigt.
Lieber thomathi, ich habe bewusst nichts zu den Dirigaten gesagt. Erstens höre ich ganz stark Singstimmen-orientiert und zweitens beschäftige ich mich ja noch nicht so lang mit dem Siegfried. Grundsätzlich war ich von beiden Lesarten angetan, kann das aber nicht im Detail beschreiben. Bei meiner Lieblingsstelle, dem Vorspiel zum dritten Akt, hatte Thielemann die Nase vorn, das war so unglaublich toll, dass ich sonstwas geben würde, diese zwei Minuten nochmal genauso zu erleben! Aber das allein ist natürlich kein Qualitätsmerkmal.
Nein, das ist kein Aprilscherz ( die Alt-Caprricci verstehen ) : ich habe zum 1. Mal Wagners Fliegenden Holländer gesehen und gehört, der in unseren Breiten "Das Geisterschiff" heisst und die Inszenierung hat diesen sehr frei übersetzten Titel beim Wort genommen. Ich bin eigentlich mehr aus Zufall da rein geraten, die Oper war schon lange ausverkauft, ich hatte sie natürlich nicht in mein Abo genommen und dann heute Abend eine Stunde vor Aufführung eine zurückgegebene Karte bekommen, während ich Karten für Nabucco umtauschen musste. Da es sich um die Lieblingsoper meines Grossvaters handelte und Sentas Ballade meine allererste Opernarie war, die ich mir mit 11 Jahren selbst beigebracht habe, bin ich aus Nostalgie halt hingegangen und wurde sehr angenehm überrascht. Das Meer als Metapher hat eindeutig die Hauptrolle gespielt aber hier trotzdem die (menschliche) Besetzung (etliche aktive Zombies und Geister stehen leider nicht auf der Liste):
Le Vaisseau Fantôme [Der fliegende Holländer]
de Richard Wagner (1813-1883)
Opéra romantique en 3 actes, 1843
Livret du compositeur
Direction musicale Eivind Gullberg Jensen
Mise en scène Alex Ollé / La Fura dels Baus
Assistante à la mise en scène Sandra Pocceschi
Décors Alfons Flores
Costumes Josep Abril
Lumières Urs Schönebaum
Vidéo Franc Aleu
Chef de choeur Yves Parmentier
Chef de chant Nicolas Chesneau
Avec
Der Holländer Simon Neal
Daland Patrick Bolleire
Senta Elisabet Strid
Erik David Butt Philip
Mary Deborah Humble
Der Steuermann Yu Shao
Orchestre national de Lille
Choeur de l’Opéra de Lille
Weder die Sänger noch der Dirigent sind mir bekannt und da ich keine Vergleichsmöglichkeiten habe und diese Oper wie gesagt, noch nie gesehen habe, sag ich mal, dass die musikalische Seite ordentliches Mittelmass war und für Franzosen wirklich exotisch ist. Richtig schlecht, weil ständig falsch gesungen, fand ich den Holländer. Im Duett mit einer phantastischen Senta, die alle meine Vorurteile gegen Wagner-Rollen widerlegt hat, war das besonders unangenehm. Entweder war er bei dieser 3. Aufführungschon ko oder die Rolle ist nichts für ihn, jedenfalls war das intonationsmässig eine Zumutung und der Beifall fiel auch , obschon er als Letzter kam und das Publikum sehr jubelfreudig war, mässig aus. Die Senta von Elisabet Strid war so kraftvoll wie lyrisch zart und ganz und gar keine Opfer-Frau. Sie wusste genau was sie wollte und warum sie es wollte, der Vater hat halt zufällig das Gleiche gewollt, wenn auch aus ganz anderen Motiven. Die beiden Tenöre haben ihre Sache weit besser gemacht als die Baritone (wobei Daland wenigstens nicht falsch gesungen hat) und ich war überhaupt erstaunt über die schöne Melodik und vor allen Dingen die angenehme Kürze dieser Oper. Wenn ich an meine grauenhaften Erfahrungen mit dem Ring denke, war das hier richtig schön. Was nciht nur an dem Senta-Genuss sondern auch an der tollen Inszenierung aus Katalonien liegt. Angeblich sollte das Ganze laut Regisseur in einem der schrecklichsten Häfen der Welt spielen in Chittagong (keine Ahnung wo das sein soll.....), aber das war eigentlich unwichtig. Der Hauptakteur in dieser Inszenierung war wie gesagt das Meer und durch eine tolle Videoprojektion glaubte man sich mitten drin . Schon bei der Ouvertüre gingen das Meer und die Naturgewalten im Einklang mit der Musik und irgendwie war das kein bisschen kitschig oder plakativ sondern sehr suggestiv. Ausser dem Meer und dem Strand gab es noch ein riesiges verrostestes Geisterschiff, mit einer Leiter wie ein Baukran und einem überdimensionalen Anker, mehr war nicht, aber das reichte vollkommen aus um eine surrealistische und furchterregende aber gleichzeitig sehr zeitgemässe Atmosphäre zu erzeugen. Die schwarze Romantik sozusagen ins 21.Jh übertragen. auf dem Geistesschiff gab es auch Umtote und Zombies, die aber ebenfalls nicht kitschig wirkten, das ist wahre Regie- und Dekorkunst, sowas hinzukriegen. chapeau!!!!
Ab und an, bei den lyrischen Passagen, war das Meer auch mal sanft und ruhig, aber die Getriebenheit, das Ausgeliefertsein, die Heimatlosigkeit und das Düstere der Spätromantik waren sehr präsent, wenn auch in einer modernen Variante, in der die Industrialisierung immer gegenwärtig war. Mehr fällt mir im Moment nicht dazu ein, für Operntelegramm reicht das auch sicher...... sollte jemand Fragen haben, nur zu. Hatte jedenfalls heute morgen noch nicht geglaubt, dass ich heute Nachmittag Wagner sehen und mögen würde.......... das muss wohl am Datum liegen.......
Gar nicht schlecht: Mozarts Titus als Tieroper!
An meine erste Begegnung mit dieser Oper vor gefühlt mindestens 15 Jahren habe ich nur sehr vage Erinnerungen. Also war es Zeit für eine Auffrischung. Die aktuelle Inszenierung an der Semperoper stammt von 2012 und ist richtig neckisch. Titus als halber Raubvogel, Vitellia als Füchsin, Sesto als Dackel, die Römer sind zweilichtige Reptilien, Publio ein fürchteinflößender Salamander, dazu eine übergroße stumme Wanze – das passt doch alles wie die Faust auf's Auge. Weniger zwingend, aber niedlich: Annio als Rentier und Servillia als Huhn. Zum (oratorisch inszenierten) Ende hin werden die Tierkostüme und Maskierungen mehr und mehr abgelegt, auch die Bewegungen werden menschlicher, eigentlich logisch, denn würde es ein solches lieto fine im Tierreich geben können? Alles in allem ein gut funktionierendes Konzept, sicher ob der spezifischen Tierbewegungen nicht ganz einfach für die Sänger umzusetzen (dafür ein Extralob), das zumindest keine Langeweile aufkommen lässt.
Aber auch mit dem Hauptjob der Sänger, dem Singen, lief es sehr gut. Richtig begeistert hat mich Anke Vondung als Sesto, sie wurde auch mit dem meisten Beifall bedacht, zu Recht, wie ich meine. Dass sie einen wunderschön timbrierten Mezzosopran hat, davon konnte ich mich schon mehrmals überzeugen (u.a. Olga in Eugen Onegin, Titelrolle im Giulio Cesare), aber in der Partie des Sesto konnte sie so richtig brillieren. Véronique Gens gab die fuchsige Vitellia mit Rafinesse und facettenreich, verließ dazu auch öfters die reine Schönklangregion. Fand ich aber in Ordnung. Ähnliches würde ich zum Sänger der Titelrolle, Benjamin Bruns, sagen. Ab einer gewissen Lautstärke bekam sein an sich angenehm klingender Tenor einen etwas unedel-metallischen Beiklang. Vielleicht ein Belastungseffekt, denn die Titelpartie wurde (sehr?) kurzfristig umbestzt, ursprünglich war Giuseppe Filianoti vorgesehen (sagt mir nichts).
In der Summe ein schöner Abend, auch die anderen drei Sänger und der reptilische Chor machten ihre Sache sehr gut; orchestral kamen mir die Tempi ein bisschen einförmig vor. Aber das kann an meiner Werkunkenntnis liegen. Leider soll die Produktion nach zwei weiteren Aufführungen im April ins Nirwana geschickt werden. Vielleicht sollte ich mich nochmal zu den Mozart'schen Viechern aufraffen – bekommt man schließlich nicht alle Tage zu hören und zu sehen.
Musikalische Leitung ... Paul Daniel
Inszenierung ... Bettina Bruinier
Bühnenbild ... Volker Thiele
Kostüme ... Mareile Krettek
Tito Vespasiano ... Benjamin Bruns
Vitellia ... Véronique Gens
Servilia ... Elena Gorshunova
Sesto ... Anke Vondung
Annio ... Jelena Kordić
Publio ... Martin-Jan Nijhof
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
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PS: Ich freue ich mich immer sehr, wenn hier im Operntelegramm jemand schreibt, egal wie ausführlich oder kurz – zuletzt besonders über FairyQueens (teilweisen) Friedensschluss mit einer der zwei sogenannten Schweinshaxen
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Leider bin ich momentan schreib- und forenmüde und letzten Sonntag habe ich in der Oper ständig auf die Uhr geschaut, was ich sonst nie tue (außer zur Messung der Applauslänge). Möglicherweise bin ich also auch opernmüde, wie schrecklich! Das Ganze ereignete sich bei einem selten gespielten Stück, Busonis "Doktor Faust", das aktuell in einer Neuinszenierung von Keith Warner in Dresden zu sehen ist – Premiere war am 19.03.2017 – und überwiegend positiv besprochen wurde. Die Suche im Capriccio-Forum ergab, dass einige Mitglieder diese unvollendet gebliebene Oper, für die es zwei verschiedene Komplettierungen gibt, in ihre Top-15 aufgenommen haben, also muss doch etwas dran sein. Aber es braucht wohl mehrere Begegnungen, um mit dem komplexen und spröden Stück, das weniger auf Goethe sondern mehr auf das ältere Puppenspiel zurückzuführen ist, warm zu werden.
Keith Warner setzt das eher kaleidoskopartige Werk, soweit ich das beurteilen kann, geradlinig in Szene, als großes Spektakel quer durch die Jahrhunderte mit vielen Gimmicks (Faust mit Rasta-Locken, das Zauberbuch als Laptop...), manche wirklich originell, andere plakativ. Nur scheint das Libretto, zumindest auf den ersten Blick, eine Kopfgeburt zu sein. Zumindest in dem Sinne, dass die Personen keinen individuellen Tiefgang erhalten, sondern mehr Ideen oder Prinzipien repräsentieren. Das macht es für die beiden Hauptrollensänger, also die Interpreten von Faust und Mephisto, die überproportional viel zu singen haben, Mephisto auch noch in einer z.T. skurril hohen (teuflischen ) Tessitura, trotz großem singschauspielerischen Engagement schwer, ihren Figuren echtes Leben einzuhauchen.
Es wird viel Personal gebraucht, teilweise in Doppelrollen:
Musikalische Leitung ... Tomáš Netopil
Inszenierung ... Keith Warner
Bühnenbild ...Tilo Steffens
Kostüme ... Julia Müer
Doktor Faust ... Lester Lynch
Mephistopheles / Ein Nachtwächter ... Mark Le Brocq
Herzogin von Parma ... Manuela Uhl
Herzog von Parma / Megäros ... Michael König
Wagner ... Michael Eder
Zeremonienmeister / Gravis ... Magnus Piontek
Soldat, des Mädchens Bruder / Naturgelehrter ... Sebastian Wartig
Ein Leutnant / Beelzebuth ... Jürgen Müller
Erster Student aus Krakau ... Eric Stokloßa
Zweiter Student aus Krakau ... Bernhard Hansky
Dritter Student aus Krakau ... Allen Boxer
Theologe / Levis ... Tilmann Rönnebeck
Jurist / Asmodus ... Stephan Klemm
Erster Student aus Wittenberg ... Gerald Hupach
Zweiter Student aus Wittenberg ... Khanyiso Gwenxane
Dritter Student aus Wittenberg ... Alexandros Stavrakakis
Vierter Student aus Wittenberg / Tenorsolo ... Aaron Pegram
Fünfter Student aus Wittenberg ... Benjamin Glaubitz
Der Schüchterne ... Martin Schubert
Erste Frauenstimme ... Roxana Incontrera
Zweite Frauenstimme ... Angela Liebold
Dritte Frauenstimme ... Elisabeth Wilke
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
Erschwerend kam hinzu, dass der Sänger des Faust, Lester Lynch, eine in meinen Ohren sehr unangenehme Stimme hat; ausgeprägtes Vibrato in allen Lagen und Lautstärken, für mich enervierend, für andere Zuhörer, wie ich Pausengesprächen entnahm, wunderbar. Wonneschauer entlang der Wirbelsäule wie im Whirlpool hätte diese Stimme bei ihr induziert, so eine Dame zu ihrer Freundin. So verschieden sind sie eben, die Geschmäcker. Da gefielen mir Marc Le Brocq, der die Teufelsrolle bis auf einen etwas abenteuerlichen Einstieg (hasste auch Busoni die Tenöre?) sehr gut ausfüllte und Manuela Uhl als attraktive Herzogin von Parma schon besser. Letztere sang zwar mehr Vokalisten als Text, aber mit einer frischen kühlen Stimme ohne Höhenschärfe.
Überhaupt, wenn ich so recht überlege, kam Faust gar nicht so sehr als Gelehrter rüber, sondern letztlich als einer, der ständig Liebe sucht und die Konsequenzen nicht tragen will. D.h., am Ende doch, denn es wurde der Schluss von Antony Beaumont gespielt und in dieser Fassung gibt es eine Art Happy End. Faust bekennt sich nach viel Wirrwarr endlich zu seinem Kind und lebt somit in gewisser Weise weiter.
Hier eine von mehreren Online-Kritiken – diejenige, der ich am meisten zustimmen würde:
https://www.nmz.de/online/ferr…an-der-semperoper-dresden
Wie gesagt, die meisten anderen Besprechungen sehen es positiver. Bisher habe ich allerdings keine Kritik gefunden, die jemand, der offensichtlich vertraut mit dem Werk ist und Vergleiche ziehen kann, verfasst hätte. Das wäre natürlich sehr interessant gewesen...
Amaryllis
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