Strawinsky, Igor: Symphony of Psalms bzw. Psalmensinfonie
Vokalwerk oder Sinfonie?
Psalmensinfonie heißt das Werk, weil darin Texte aus den Psalmen 38, 39 und 150 vertont sind (Zählung nach der Vulgata). Dem Rest des Namens nach ist es eine Sinfonie. Doch der Komponist selbst wies auf den Zwitterstatus zwischen Chorwerk und Sinfonie hin: „It is not a symphony in which I have included Psalms to be sung. On the contrary, it is the singing of the Psalms that I am symphonizing.”
Komponiert ist es für Chor und Orchester. Strawinsky zum Verhältnis der beiden Klangkörper: "the two elements are on an equal footing, neither outweighing the other".
Was ist “sinfonisch” an dem Werk? Abermals der Komponist zu seinen Absichten: ” … to create an organic whole without conforming to the various models adopted by [symphonic] custom, but still retaining the periodic order by which the symphony is distinguished from the suite." (“Periodic” ist hier wohl am besten mit “zyklisch” zu übersetzen.)
In diesem Zusammenhang mag es interessant sein, dass Strawinsky einem seiner früheren Werke den Title „Symphony of Wind Instruments“ gab – nicht etwa „Symphony for Wind Instruments“. Darauf angesprochen, entgegnete er, er habe das Wort „Symphony“ in seiner ursprünglichen Bedeutung verwendet, also „Zusammenklang“, und nicht etwa als Formbezeichnung eines meist viersätzigen Werkes mit bestimmten vordefinierten Satztypen. – Ich meine, dass dieses Verständnis des Wortes auch hier wesentlich besser passt als das konventionelle. Gewichtiger Kopfsatz, Sonatensatzhauptsatzform, Menuett oder Scherzo, alles das gibt es bei der Psalmensinfonie. Auch das ” … it is the singing of the Psalms that I am symphonizing.” wird so m. E. einleuchtend.
Anlass der Komposition und persönlicher Hintergrund des Komponisten
Sergei Kussewizky (Koussevitzky) erteilte Igor Strawinsky den Auftrag zu einem symphonischen Werk für die Jubiläumssaison 1930/31 des Boston Symphony Orchestra, welches seinen 50. Geburtstag feierte. Der Komponist ließ später wissen, dass Kussewizky eigentlich mit einem eher populären Orchesterwerk ohne Chor gerechnet hatte. Jedoch hatte er schon länger den Plan zur Vertonung von Psalmen für Chor und Orchester. Möglicherweise gab Strawinsky dem Werk nur deswegen den Namen „Symphony of Psalms“, um dem Auftrag zu entsprechen. Denn mit einer klassisch-romantischen Sinfonie hat es nicht viel zu tun außer der vom Komponisten genannten zyklischen Form.
Strawinsky war im Grunde ein tiefreligiöser Mensch. Er wurde kurz nach seiner Geburt getauft und wuchs in der russisch-orthodoxen Kirche auf. Im Alter von vierzehn oder fünfzehn Jahren kehrte er dieser den Rücken. Als der Komponist jenseits der vierzig war, geriet er in eine spirituelle Krise. Nach seinem Umzug nach Nizza im Jahr 1924 befreundete er sich mit Vater Nicholas, einem russisch-orthodoxen Priester, erneuerte seinen Glauben und trat 1926 wieder der Kirche seiner Kindheit bei. Robert Craft ließ wissen, dass der Komponist täglich betete, auch zu Beginn und nach Ende des Komponierens, und auch, wenn er mittendrin in Schwierigkeiten geriet.
Die Widmung der Partitur lautete:
This Symphony composed
to the glory of GOD
is dedicated to the
“Boston Symphony Orchestra”
on the occasion
of its fiftieth anniversary
Daten und Zahlen
Die Psalmensinfonie hat drei Sätze, die attacca gespielt werden. Sie sind nur mit römischen Ziffern und einer Metronomangabe überschrieben: I Viertel = 92, II Achtel = 60, III Viertel = 48.
Das Werk dauert ca. 21 bis 24 Minuten. Die Länge der Sätze nimmt quasi exponentiell zu: Der zweite Satz ist ungefähr doppelt so lange wie der erste, der dritte rund doppelt so lange wie der zweite.
Besetzung
5 Flöten (5. auch Piccolo), 4 Oboen, Englischhorn, 3 Fagotte, Kontrafagott,
4 Hörner in F, Piccolo-Trompete, 4 Trompeten in C, 3 Posaunen, Tuba,
Pauken, große Trommel,
2 Klaviere, Harfe,
Celli, Kontrabässe,
vierstimmiger gemischter Chor.
Auffällig ist der Verzicht auf Klarinetten, vor allem aber auf Violinen und Bratschen. Der Klang ist entsprechend bläserlastig, stellenweise durch die Klaviere gefärbt, oft spröde.
In der Partitur schreibt Strawinsky: „The choir should contain children’s voices, which may be replaced by female voices (soprano an alto) if a children’s choir is not available.“ – Er schreibt auch vor: “The words of the Psalms are those of the Vulgata and should be sung in Latin.”
Das Werk wurde satzweise von hinten nach vorne komponiert. Der dritte Satz war am 27. April 1930 fertig, der zweite am 17. Juli 1930 und der erste am 15. August 1930, Maria Himmelfahrt.
Uraufführung: 13. Dezember 1930
Société Philharmonique des Bruxelles
Ernest Ansermet
Amerikanische Erstaufführung: 19. Dezember 1930
Chor der Cecilia Society (Einstudierung: Arthur Fiedler)
Boston Symphony Orchestra
Sergei Kussewizki
Erstaufnahme: 17./18. Februar 1931
Alexis Vlassay Choir
Orchestre des Concerts Straram
Igor Strawinsky