Ludwig van Beethoven: Streichquartett op. 130

  • Joseph Kerman meint meiner Erinnerung nach in seinem Buch zu den Streichquartetten, dass op.130 so "dissoziativ" geraten sei, dass selbst ein Gewaltakt wie die Große Fuge dem Werk zu keiner schlüssigen Einheit mehr verhelfen könne. (Sozusagen der extreme Gegensatz zu dem zyklisch durchkomponierten op.131.)
    Ich finde das zwar nachvollziehbar, aber ein bißchen übertrieben.


    Meine Vermutung ist inzwischen, dass Beethoven hier bewusst die Divertimento-Tradition aufgreifen wollte. Er hatte ja schon ein frühes Streichtrio mit Mozarts KV 563 als Modell komponiert. D.h., wenn man die Ansprüche an eine emphatische Werkeinheit vielleicht auch aufgrund dieses Bezuges etwas herunterschraubt, ist das Stück eben eine "bunte Mischung" (und subtilere motivische Zusammenhänge finden schlaue Leute immer). Die Tonartenfolge ist im Rahmen: B-Dur, b-moll, Des-Dur (IIIb), G-Dur (VI), Es-Dur (IV), B-Dur.


    Die Satztypen in 2-5 entsprechen denen eines Divertimentos oder einer Serenade. Ich hatte vor Jahren schonmal die Idee, dass Beethoven hier Aspekte seiner späten langsamen Sätze quasi getrennt in "Reinform" präsentiert. Während die großen Variationssätze in op.127 und 131 "gesangliche" und "scherzando"-Variationen innerhalb eines Satzes enthalten und op.132 die Choralteile und das tänzerische "Neue Kraft fühlend" als entsprechende Abschnitte, hat man hier zwei kürzere Sätze, von denen der erste nur die durchbrochene Arbeit, die Figurationen in einer doppeldeutigen scherzando-Atmosphäre präsentiert, während man in der Kavatine "reinen Gesang" findet. Auch das findet sich aber schon so ähnlich in Mozart-Serenaden (oder später im Schubert-Oktett): Ein "reines adagio" und ein mäßig gehender (andante/allegretto) Romanzen- oder Variationensatz.


    Der Kopfsatz ist zwar sehr eigenartig, aber schon ein Sonatensatz. Mit langsamer Einleitung, die eigentlich mitsamt der Exposition wiederholt werden soll, und häufiger Abwechslung zwischen adagio und allegro.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Nochmal zu "Abschluss und Höhepunkt" durch Fuge als Finale. Ich war ja früher auch ein starker Verfechter der Fuge als Finale und halte es immer noch für eine plausible Option (allerdings nicht unbedingt besser als die Alternative). Aber was genau hat die Fuge hörbar oder gar "poetisch" mit dem Rest zu tun? Das Viertonmotiv, das den Kern der Fugenthemen bildet, spielt auch in der langsamen Einleitung eine Rolle (wenn es auch nie so deutlich herauskommt wie etwa in op.132). Der Rest ist, wenn überhaupt nachweisbar, sehr subtil und für mich eher nicht hörbar.
    Selbst wenn ein deutlicherer Bogen zum Beginn des Werks geschlagen wird, so entsteht damit noch keine Schlüssigkeit für die Mittelsätze. Es ist eher so wie bei Mahlers 1. (und teils auch 2.) Sinfonie: Die Mittelsätze wirken als Intermezzi und es geht mit dem Finale beinahe komplett von neuem los und bei Beethoven ist selbst der Bogen zum Kopfsatz eher indirekt und "theoretisch".
    Nichts, was sich in dem Quartett vorher zugetragen hätte, bereitet den Hörer auf die klangliche Brutalität der "overtura" und des folgenden ersten Fugenabschnitts vor. Und die Fuge ficht dann auch ihre eigenen Konflikte aus, keine die vorher schon hörbar latent gewesen wären. Man kann das ja fetzig und was weiß ich noch finden. Kein Widerspruch von mir. Aber eine irgendwie (oder gar offensichtliche?!) musikalisch-poetisch schlüssige Abrundung des Werks?

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Und obwohl ich das oben als "pro op.133" angeführt habe, finde ich die Fuge einen ziemlich unvorbereiteten Schock, keinen durch das vorhergehende quasi erzwungenen Kulminationspunkt. Für diese relative Eigenständigkeit spricht außer der späteren Abtrennung und der Erfolgsgeschichte als separates Werk auch der Beginn der Fuge mit der "Overtura". Zugegeben, erfordern auch die beiden anderen genannten Finalsätze eine gewisse Vorbereitung. Aber in diesen Fällen waren die vorhergehenden Sätze gewichtiger und man kann eher die Idee einer durchgehenden latenten Spannung nachvollziehen, die durch das Finale "gelöst" werden muss. Dagegen wirken die Sätze 2-5 in op.130 eher wie die zwar abwechslungsreiche, aber nicht unbedingt einzig zwingende oder gar mit einem poetischen Programm verbundene Folge eines Divertimentos.

    Das finde ich schon eine einleuchtende Sichtweise. Aber trotzdem erscheint mir das Alternativ-Finale traditioneller, konventioneller und unverbindlicher - im Charakter eher ein "Rausschmeißer-Rondo" wie man es von Haydn & Mozart kennt.

    Zitat

    Vom "Gewicht" und vom Umfang her ist das neue Finale nahezu ideal: der zweitlängste Satz, aber "leicht" verglichen mit der Kavatine (und natürlich mit dem Kopfsatz), so dass alle Sätze nebeneinander "leben" können. Bei allem Respekt für die Fuge kann man kaum bestreiten, dass sie droht, den Rest des Werks zu "erschlagen." Weit mehr als vergleichbar umfangreiche Finali wie in op.106 oder op.125.

    Das Alternativ-Finale ist eben sogar leichter, nicht so bedeutungsschwanger wie die anderen Finali der späten Quartette.


    Auf der der anderen Seite muss ich zugeben, dass ich es eigentlich immer mit der Großen Fuge im Hinterkopf gehört habe.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Ich bestreite, dass das Finale "leichter" ist als ein "typisches" Beethovenfinale. Es beginnt in einem sehr "volkstümlichen" Gestus, aber es ist ein ziemlich langer und kein bißchen trivialer Satz. Und es stimmt natürlich, dass mit dem Ersatzfinale traditionell der Kopfsatz der klar gewichtigste Satz wird, gerade auch wegen der relativen Kürze der Sätze 2-5. Aber bei den späten Quartetten zielt außer op.130 mit Fuge (und da habe ich mit dem "Zielen" so meine Schwierigkeiten) nur op.131 auf das Finale. Das von op.131 ist der erste und einzige Sonatenhauptsatz im Werk, aber relativ kompakt. Das ist also ohnehin eine ganz andere Situation, weil dort der traditionelle erste Satz fehlt. In op.127 würden die meisten wohl den Schwerpunkt eher im langsamen Satz sehen, jedenfalls ist das Finale auch eher kurz und "leicht". Bei op.135 kommt es darauf an, wie ernst man "Muss es sein" nimmt. Der schnelle Hauptteil des Finales ist offenbar bewusst "leicht". In op.132 sind Dankgesang und Kopfsatz auch viel länger und gewichtiger als das Finale.
    Die Gewichtsverlagerung auf das Finale gibt es selbstverständlich bei einigen Beethoven-Werken, spätestens ab der 5. Sinfonie (vielleicht schon in Werken wie op.18/6). Aber sie ist keineswegs die Norm, auch wenn sie auf die meisten späten Werke (alle 5 späten Klaviersonaten und die 9. Sinfonie) zutrifft, so bei den Quartetten nur in der op.133-Variante und in op.131. Es ist nicht extrem ungewöhnlich für Beethoven, auch gewichtige Werke mit einem vergleichsweise "leichten" Finale zu beenden. Z.B. op.59, 1+2, Erzherzogtrio, op.127.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ich habe die großeFuge immer als einen ‘Schock’ empfunden, der jeden Rahmen sprengt. Die Kühnheitdieser Komposition verblüfft mich immerwieder, auch nach wiederholtem Hören. Dass man mit ihr – damals wie heute –seine Probleme hat, kann ich gut nachvollziehen. Sie passt als glaubwürdigerSchluss nicht so recht zum Rest des op.130 und darum stört es mich nicht, wenn sie separat gespielt wird.
    Den leichten,nachkomponierten Schlusssatz, habe ichimmer als eine Art hämischen Kommentar Beethovens empfunden: euch gefällt dieFuge nicht? Dann gebe ich euch halt etwas leicht Verdauliches. Jedenfalls istder Kontrast zwischen den beiden Finalsätzen so groß, dass es kaumnachvollziehbar ist, dass man sie für austauschbar halten könnte und deshalbwerde ich weder mit dem einen, noch mit dem anderen Finale so recht glücklich(aber würde, da man sich ja entscheiden muss, die Fuge vorziehen).
    Caeyers in seinerBeethovenbiographie kann wenig Erwiesenes zu der Frage sagen, was Beethovenmotiviert hat, die Fuge zu ersetzen. Finanzielle Gründe, sagt er, waren esnicht, da das Honorar „läppisch“ war. Ein Zugeständnis an denPublikumsgeschmack hält er als Motiv auch für unwahrscheinlich, da es nicht zuBeethovens Charakter passt. Bleibt als plausibelste Vermutung, dass Beethoven schließlichselbst dachte, die Trennung sei sowohl für das op. 130 als auch für die GroßeFugedas Beste.

  • Wenngleich ich mich klar für das Ursprungsfinale positioniere, kann ich die genannten Argumente für das Ersatzfinale durchaus nachvollziehen und in Ansätzen auch teilen. Am Argument, dass die Fuge den "Rest" der Quartetts zu erschlagen droht, ist natürlich etwas dran. Und dass ein "bescheideneres" Finale besser zum Divertimento/Suitencharakter der Sätze 2-5 passt - auch diesen Gedankengang kann ich verstehen.


    Aber erstmal zum nachkomponierten Finale: Es ist natürlich bescheidener und auf den ersten Blick und losgelöst vom Gesamtzusammenhang eher zu den Mittelsätzen passend, aber nach meinem Gefühl wirkt es als Schlusssatz, nachdem in den ersten Sätzen ja doch sehr viel passiert ist, doch eher zu brav, seicht und zu ...nett. Mir geht es da eher wie Abendroth, der das Alternativ-Finale als hämischen Kommentar des Komponisten empfindet. Und, es wurde bereits erwähnt, es ist für Beethoven-Verhältnisse durchaus ein ausgedehntes Finale, aber wegen des ereignisreichen Vorlaufs dennoch zu kurz; auf jeden Fall dann, wenn die Exposition im Eröffnungssatz wiederholt wird und dieser dadurch ein doch ziemlich großes Anfangsgewicht erhält, dass es auszugleichen gilt.


    Die Frage der Gewichtsverhältnisse ist durchaus eine für meine Entscheidung der Wahl des Finalsatzes, die ja eindeutig zugunsten der Fuge ausfällt, wesentliche. Ich empfinde bei op. 130 Ansätze einer gefühlsmäßgen Gliederung in drei Teilen, wobei der erste Satz, ich setze die vom Komponisten nachvollziehbar gewollte Wiederholung der Exposition voraus, durchschnittlich ungefähr 13 Minuten dauert, die Sätze 2 bis 5 zusammen etwa 18 Minuten und die Fuge als Schlusssatz 15 Minuten (grob geschätzte Mittelwerte). Da der erste Satz schon durch Inhalt, Kraft und Ausdehnung ein ordentliches Kaliber darstellt, die Mittelsätze durch die unterschiedlichen Ansätze der Sätze und dem zum Finale hinweisenden tiefergreifenden langsamen Satz ebenfalls sehr gewichtig sind, ergibt sich für mich als logische Konsequenz, zusätzlich zu den befriedigenden Zeitdauernproportionen der drei Teile, die Notwendigkeit eines kraftvollen und markanten Finales. Das Ersatzfinale würde den Anforderungen in dieser Hinsicht überhaupt nicht entsprechen, die Fuge absolut.


    Von den 10 CD-Aufnahmen des op. 130, die ich zu Hause habe, spielen folgende Besetzungen die Kombination "Wiederholung der Exposition im ersten Satz und Große Fuge als Schlusssatz" ein (auch die Fuge als beigefügter Schlusssatz, sodass man selber zusammenstellen kann): Talich Quartett, Hagen Quartett, Ungarisches Streichquartett, Guarneri Quartett und Takacs Quartett.


    Uwe

    Wenn alle ein klein wenig verrückter wären, dann wäre die Welt nicht so durchgedreht.

  • Ich habe die großeFuge immer als einen ‘Schock’ empfunden, der jeden Rahmen sprengt. Die Kühnheitdieser Komposition verblüfft mich immerwieder, auch nach wiederholtem Hören. Dass man mit ihr – damals wie heute –seine Probleme hat, kann ich gut nachvollziehen. Sie passt als glaubwürdigerSchluss nicht so recht zum Rest des op.130 und darum stört es mich nicht, wenn sie separat gespielt wird.
    Den leichten,nachkomponierten Schlusssatz, habe ichimmer als eine Art hämischen Kommentar Beethovens empfunden: euch gefällt dieFuge nicht? Dann gebe ich euch halt etwas leicht Verdauliches. Jedenfalls istder Kontrast zwischen den beiden Finalsätzen so groß, dass es kaumnachvollziehbar ist, dass man sie für austauschbar halten könnte und deshalbwerde ich weder mit dem einen, noch mit dem anderen Finale so recht glücklich(aber würde, da man sich ja entscheiden muss, die Fuge vorziehen).
    Caeyers in seinerBeethovenbiographie kann wenig Erwiesenes zu der Frage sagen, was Beethovenmotiviert hat, die Fuge zu ersetzen. Finanzielle Gründe, sagt er, waren esnicht, da das Honorar „läppisch“ war. Ein Zugeständnis an denPublikumsgeschmack hält er als Motiv auch für unwahrscheinlich, da es nicht zuBeethovens Charakter passt. Bleibt als plausibelste Vermutung, dass Beethoven schließlichselbst dachte, die Trennung sei sowohl für das op. 130 als auch für die GroßeFugedas Beste.

    Gut gesagt! Ich mag beide Finalsätze, finde aber die Fuge wesentlich cooler.


    Ich denke damals gab es wohl auch schon so einen "Art official cage" ...

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • Wenn ich mich recht erinnere, habe ich op. 130 in den letzten ca. 15 Jahren fünfmal im Konzert erlebt - immer mit dem Fugenfinale. Kann sein, dass ich den nachkomponierten Satz zum letztenmal in den 1980ern live gehört habe. Das finde ich etwas einseitig. Irgendwann ist die Finalwahl in Richtung Fuge umgekippt, vermutlich aus zwei Gründen: einmal wegen der wachsenden Vorliebe für tatsächliche oder vermeintliche "Urfassungen". Und zum zweiten, weil musikalische Hochgebirgstouren für Musiker und Zuhörer im Trend liegen, gerade im Kammermusikbereich: wenn man alle Bartók-Quartette an einem Tag oder alle Schostakowitsch-Quartette an zwei Tagen ansetzt, dann ist es das mindeste, op. 130 mit der Fuge zu spielen.


    Es gibt für beide Lösungen Argumente, die hier ja auch schon dargelegt worden sind. Ich mag beide Versionen und sehe keinen Zwang, mich für eine entscheiden zu müssen. Es hat schon seinen Reiz, dass hier - wenn auch vielleicht nicht von Beethoven intendiert - ein Weg zu einer Koexistenz mehrerer Fassungen aufgezeigt wird, was dann später bei Liszt oder Bruckner eine große Rolle spielt.



    Viele Grüße


    Bernd

    .

  • Auch wenn laut Auskunft weiter oben im Thread schon Anfang des 20. Jhds. zuweilen (aber sicher noch eher selten) das Fugenfinale gespielt wurde, habe ich den Eindruck, dass es schon im späten 20. Jhd., ab den 1970ern oder so, zunehmend häufiger wurde als das Ersatzfinale.
    Ich meine aber auch mich erinnern zu können, dass ein Quartett(spieler) mal sagte, sie würden jedenfalls bei Beethovenzyklen das neue Finale spielen, weil das sonst unter den Tisch fiele, während man die Fuge eben auch ganz gut allein spielen kann.


    Das "offizielle" Finale bei einer Einzelaufnahme (wie Hagen) oder gar einer Box (wie Artemis) ganz wegzulassen, finde ich sehr bedauerlich und eigentlich inakzeptabel (zumal es in CD- oder Download-Zeiten auch kein Problem mit der Spieldauer gibt). Diese Praxis legt für mich auch eine grobe Unterschätzung des nachkomponierten Finales nahe, das, selbst wenn zweifellos "leichter" als die Fuge (aber alles ist "leichter" als die Fuge) vollwertiger später Beethoven ist und eben nicht "leichter" ist als die Finali von op.127 oder op.59, schon gar nicht op.74.

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    (B. Pascal)

  • Für Interessierte ein Hinweis : eine Einspielung des Werks + Fuge durch das Koeckert Quartett ist wieder erhältlich . Mitte der 50er nahm das Quartett den ganzen Zyklus für die DG auf . Eine sehr gelungene GA, die ich aber nur von der Platte her kenne. Ihre Mono-Interpretationen klingen in meinen Ohren immer noch besser als viele Stereoaufnahmen . In Asien gab es mal eine Lizenzausgabe als CD , bei uns passiert näturlich bei den kompetenten DG-Erwerbern nichts. Aber da die Rechte frei sind, bitte - nicht mal die sonst so rührigen kleinen Labels haben sich meines Wissens an eine GA getraut . Für mich leider völlig unterschätzt : das Koeckert Quartett . ( Der Angabe 1960 der Scoville Records (Pool Music + Media Service) traue ich nicht; spielt aber keine Rolle ).


    Good taste is timeless / "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?"

  • Das Koeckert Quartett schätze ich sehr, ich habe einige der Original LPs und vor geraumer Zeit aus Japan die Beethoven GA auf CD erwerben können, war gar nicht so unerschwinglich.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Op 130 zählt seit Urzeiten zu meinen absoluten Lieblings-Streichquartetten. Seltsamerweise finde ich keine Aufnahme, die meinen zugegeben strengen Anforderungen ganz gerecht wird:
    - vollständig mit Wiederholungen im 1. und 6. Satz, mit Großer Fuge als Alternativ-Finale
    - hohes technisches Niveau (Intonation, Aufnahmetechnik)
    - war da noch was? ach ja, die Interpretation sollte natürlich auch gut sein.
    - [edit:] Stimmtonhöhe nicht über 443 Hz


    Zu den Wiederholungen ist anzumerken, dass sie gespielt, nicht kopiert sein sollen (wie Takacs, Emerson).
    Zur Stimmtonhöhe: abgesehen von meinem persönlichen Problem mit hohen Stimmungen sehe ich nicht ein, was das bei einem Streichquartett soll, wo ja die Kontrabasslage fehlt. Je tiefer gestimmt, umso sonorer wird der Gesamtklang.
    Seltsamerweise machen viele der modernen Aufnahmen weitere kardinale Fehler: Artemis, Hagen, Quatuor Mosaiques lassen den 6. Satz weg, Gewandhaus, Belcea die Wiederholung im 1. Satz. Endellion höchst auseinander im 6. Satz.
    Was ist los in der Szene?! Kann doch nicht so schwer sein...


    Neulich habe ich es mal wieder mit dem Guarneri Quartet (Philips) versucht. Nein, insgesamt zu behäbig und klanglich zu dick.
    Heute nochmal mit einer der neuesten Aufnahmen, vermutlich auch zum letzten Mal: Quartetto di Cremona


    Weil letztere als noch ganz frische Gesamtaufnahme häufig erwähnt wird und eventuell auf verschiedenen Wunschlisten steht, möchte ich doch mal meine Vorbehalte loswerden:
    1. Satz - wirkt vergleichsweise teilnahmslos heruntergespielt. Die Temporelation finde ich allerdings interessant: Adagio-Viertel entsprechen ziemlich genau den Allegro-Halben, das bedeutet ziemlich zügiges Adagio und nicht sehr schnelles Allegro, geht damit wohl bewusst das Risiko eines kontrastarmen Mittelmaßes ein. Die Chance wäre eine größere Geschlossenheit (lassen wir dahingestellt, ob vom Komponisten intendiert oder nicht). Leider wird diese nicht erreicht. Zu unfertig ist die ganze Konzeption, wie sich im weiteren Verlauf der Aufnahme zeigt. Die Tempokorrelation 1:2 zwischen Adagio und Allegro hat im Übrigen das Petersen-Quartett in einem Konzert mal noch extremer fixiert durchgezogen, ist mithin ein noch höheres Risiko des Scheiterns eingegangen, aber da hat es überzeugend funktioniert.
    2. Satz - geht, aber nichts besonderes
    3. Satz - sehr gut
    4. Satz - nur geradeaus gespielt, tanzt nicht
    5. Satz - selten bei Es-Dur so gelangweilt
    6. Satz - puh, nicht fertig geprobt, viele Intonations- und Zusammenspielprobleme, bei einer Stelle Intonation der Unterstimmen völlig vermasselt; weicher Tonansatz verhindert ein präzises rhythmisches Gefühl, falls es denn intendiert gewesen sein sollte. Erst das Ende wird mit adäquatem Witz gespielt. Wäre gut gewesen, danach nochmal den ersten Teil aufzunehmen...


    Relativ große Hoffnungen setze ich in eine neue (noch nicht erschienene) Aufnahme des Cuarteto Casals: das Volume 1 der gestarteten Gesamtaufnahme hat mich ziemlich begeistert.


    Gruß,
    Khampan

  • Relativ große Hoffnungen setze ich in eine neue (noch nicht erschienene) Aufnahme des Cuarteto Casals: das Volume 1 der gestarteten Gesamtaufnahme hat mich ziemlich begeistert.

    Interessanter Hinweis! Das Cuarteto Casals ist in den nächsten Monaten viel unterwegs, gerade mit Beethoven, auch mit Op. 130/133. Vgl. https://cuartetocasals.com/de/konzerte


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

  • Khampan, was ist mit der Petersen-Studio-Aufnahme und Melos/DG?
    (Für mich ist bei der Hagen-Aufn. das Fehlen des alternativen Finales der einzige Wermutstropfen, sonst finde ich die hervorragend.)
    Vermutlich technisch nicht gut genug, da mit den Schwächen des "späten" Mann et al. JSQ behaftet, aber eine späte Einzelaufnahme des Juilliard SQ schiene mir zumindest überlegenswert (mit Wdh, ohne alternatives Finale). (Dann habe ich noch Orford, aber an die habe ich überhaupt keine Erinnerung mehr, und hier hat man mal das umgekehrte Problem, dass die Fuge auf einer anderen CD (Vol acht) ist. Wiener Musikverein hat unverständlicherweise keine Wdh.


    EDIT: Orford leider anscheinend auch ohne Wdh.


    -> <-

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Lieber Kater,
    danke für die Anregungen!
    Um die Petersen-Aufnahmen mache ich, trotz Sympathie für ihre Interpretationen, einen Bogen wegen des Klangs: alle Aufnahmen, die ich kennengelernt habe, leiden unter einem seltsam spitzen Klang, darüber hinaus sind sie sehr hoch gestimmt, und die 1. Geige spielt in hohen Lagen gerne extra zu hoch, was für mich insgesamt unerträglich wird (freilich mein persönliches Problem), aber wohl Absicht zu sein scheint. Die Aufnahme von op. 130 kannte ich nicht, klingt für mich nach den Schnipseln überraschend gut, allerdings noch immer hoch gestimmt. Also nur für den Notfall...
    Das Stimmton-Problem hatte ich vergessen und ist jetzt in meinen Anforderungskatalog im vorigen Post eingefügt.


    Melos-Quartett - mit dem bin ich sozusagen groß geworden. Ja, nicht schlecht, sogar sehr sympathisch, aber inzwischen lege ich strengere Maßstäbe an die Intonation an.
    Vom Orford String Quartet habe ich noch nie gehört. Klingt gut, leider ohne Wiederholungen.
    Juilliard ohne 6. Satz geht gar nicht. Ups, noch ein Finale-Sünder mehr in meiner Statistik.
    Dass die Große Fuge manchmal auf einer anderen CD steht, würde ich in Kauf nehmen, wenn alles andere passt. Kann man ja selber korrigieren.


    Dank an Gurnemanz für den Link zum Spielplan des Cuarteto Casals. Vergleicht man damit den Release-Plan (Vol 2 dieses Jahr, Vol 3 zum Beethoven-Jubiläum 2020), dann dürfte ziemlich klar sein, dass op 130 dieses Jahr dabei ist. :)
    Lustigerweise gibt es Vol 1 auf dem Marketplace seit kurzem zum Spottpreis. Da muss man gar nicht mehr abwarten und auf eine günstige Komplettbox 2020 spekulieren.
    Zwar falscher Thread hier, dennoch der Link:


    Gruß,
    Khampan

  • Lustigerweise gibt es Vol 1 auf dem Marketplace seit kurzem zum Spottpreis. Da muss man gar nicht mehr abwarten und auf eine günstige Komplettbox 2020 spekulieren.

    So ist es: Deshalb habe ich bereits gestern ohne zu zögern die Bestellknöpfe betätigt und erwarte nun die Katze im Sack. ;)


    :wink:

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    Helmut Lachenmann

  • Relativ große Hoffnungen setze ich in eine neue (noch nicht erschienene) Aufnahme des Cuarteto Casals: das Volume 1 der gestarteten Gesamtaufnahme hat mich ziemlich begeistert.

    Lieber Khampan, interessieren würde mich: Was hat Dich denn "ziemlich begeistert"? Wenn Du antworten magst, evt. dort, wo ich die Neuaufnahme ebenfalls gerade erwähnt habe: Beethoven: Die Streichquartette - Gesamteinspielungen: Empfehlungen der Capricciosi


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


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    Helmut Lachenmann

  • Dank an Gurnemanz für den Link zum Spielplan des Cuarteto Casals. Vergleicht man damit den Release-Plan (Vol 2 dieses Jahr, Vol 3 zum Beethoven-Jubiläum 2020), dann dürfte ziemlich klar sein, dass op 130 dieses Jahr dabei ist.

    Das Cuarteto Casals spielt schon seit längerer Zeit in mehreren Städten komplette Zyklen der Beethoven-Quartette, manchmal innerhalb von zwei Wochen, manchmal über Monate verteilt. Ich habe im Februar drei Konzerte gehört (darunter auch 130/133), fand sie mit Ausnahmen (op. 95) exzellent. Ob aber nun diese Gesamtaufnahme die Erlösung vom Bösen bringen wird, sei mal dahingestellt. Jedenfalls spielen die Casals-Leute die Große Fuge als Finale, das nachkomponierte Finale war bei den zyklischen Aufführungen nicht dabei. Fraglich, ob es aufgenommen wird.


    :wink:

    .

  • Jedenfalls spielen die Casals-Leute die Große Fuge als Finale, das nachkomponierte Finale war bei den zyklischen Aufführungen nicht dabei. Fraglich, ob es aufgenommen wird.

    na dann spare ich mir eben das Geld...
    Ich kann mir allerdings schwer vorstellen dass nochmal jemand so dumm sein kann. Nur, wenn sie's im Konzert nicht spielen, fehlt etwas an praktischer Erarbeitung/Erprobung einer Interpretation. Schlimm genug wenn das Finale zwar drauf wäre aber so unfertig wie bei den Cremonesern. Kann ich mir wiederum schlecht vorstellen, also warten wir's ab.
    :alte1: Khampan

  • Nur, wenn sie's im Konzert nicht spielen, fehlt etwas an praktischer Erarbeitung/Erprobung einer Interpretation.

    Vielleicht haben sie es als Zugabe in ihrem Fundus. Würde ja durchaus passen bei den vielen Beethoven-Konzerten, mit denen sie unterwegs sind.


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


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