Verdi, Giuseppe: Rigoletto. Wuppertal Juni 2017

  • Verdi, Giuseppe: Rigoletto. Wuppertal Juni 2017

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    Die Wuppertaler Bühnen spiel(t)en im Opernhaus eine vielbeachtete und hochgelobte Inszenierung von Giuseppe Verdis „Rigoletto“.
    Regisseur Timofej Kuljabin verlegt das Stück mal wieder in die Gegenwart. Das ist heute ja üblich, gelingt aber nur selten so gut wie hier. Aus dem Renaissanceherzogtum Mantua wird ein fiktiver osteuropäischer Kleinstaat, aus demHerzog ein soeben gewählter macht- und sexgeiler Politiker mit einer Vorliebe für perverse sexuelle- und sonstige Spielchen, der sein Land in die Diktatur führen wird und der optisch mehr als nur ein bißchen an Nordkoreas Kim Jong-Un, den Mann mit der schrecklichen Frisur erinnert. Rigoletto ist kein Hofnarr sondern ein mit allen Wasser gewaschener Medienstar mit eigener Politshow der den Steigbügelhalter für den jungen Diktator gibt. Gilda fristet ihr Leben in der geschlossen Abteilung einer Psychatrie und nein: die so oft strapazierte Verlegung einer Opernszene in die Klapse ist hier keine Regiewillkür, sondern schlüssig, zu Herzen gehend und, wenn man näher darüber nachdenkt, die einzig logische Erklärung für Gildas sich durch das ganze Stück ziehende naive Kindlichkeit. Der Vater ist hin- und hergerissen zwischen wirklicher Liebe zu seiner Tochter und Abscheu vor ihrer Erkrankung, was sich unter anderem darin zeigt, daß er die Bilder die Gilda in der Klinik malt liebevoll bewundert, auf der anderen Seite aber im Gespräch mit ihr Hand und Blick kaum vom Smartphone lassen kann. Es gibt in dieser Inszenierung viele kleinere und größere Regieeinfälle die bei aller Tragik des Themas ausgesprochen amüsant sind. Ich werde die Hochrechnung und die Berichterstattung eines Bundes- Landtags- oder sonstigen Wahl in der nächsten Zeit nicht immer mit dem gebotenen Ernst verfolgen können, und das ist eine Nebenwirkung dieser Inszenierung.
    Die Frage, was in des Herzogs Privaträumen mit Gilda geschehen ist, und ob er ihr Gewalt angetan hat, wird hier ambivalent beantwortet: Gilda erscheint mit Handschellen am Handgelenk, wirkt aber eher verwirrt als traumatisiert und hat ganz offensichtlich ihre Sinnlichkeit entdeckt und scheint sie zu genießen. Und genau das ist es, was Rigoletto nicht ertragen kann: eine durch Vergewaltigung traumatisierte Tochter hätte ihn weniger entsetzt, als die Tatsache, daß aus dem irren Kind mit den Buntstiften im Haar eine junge Frau geworden ist, die von den erotischen Vorlieben ihres Verführers fasziniert zu sein scheint.
    Der Schluß der Oper, den man doch zu kennen glaubt, läßt einen fassungslos und schockiert zurück und wird noch lange nachwirken. Da es immerhin sein kann, daß die Inszenierung in einer der kommenden Spielzeiten noch einmal zu sehen sein wird, und der Eine oder Andere hier die Vorstellung besucht, will ich ihn hier nicht verraten.
    Da die Partien, bin in die kleinsten Nebenrollen gut bis herausragen (Ralitsa Ralinova als Gilda und der überragende Pavel Yankovsky in der Titelrolle) besetzt sind, war das ein Abend, der sich auch musikalisch an vielen großen Opernhäusern dieser Welt hören lassen könnte. Ich bin aber froh, daß er hier zu hören ist und nicht woanders.
    Ein Wort noch zu Catriona Morison, die ja vor kurzem den BBC Cardiff Singer of the World Wettbewerb gewonnen hat und hier die Maddalena gibt: daß sie mir stimmlich ausgesprochen gut gefallen hat ist die eine Sache. Eine andere ist, was Regisseuer und Darsteller aus dem Quartett und den darauf folgenden Szenen machen. Etwas Großartiges nämlich.
    Maddalena ist hier keine Tänzerin, sondern Kellnerin im Stammlokal der Partei „Mantua United“.Sie ist bereits bei der Wahlparty im ersten Bild auf der Bühne anwesend und sie hört und sieht so Einiges. Im Quartett flirtet sie nicht, wie sonst üblich, mit dem Herzog, sondern versucht sich verzweifelt in Deeskalation: der Herzog spielt wieder einmal eines seiner perversen Spielchen bei dem eine geladene Pistole die Hauptrolle spielt.
    Am Ende des Quartetts ist Maddalena fix und fertig und froh, daß sie den Kerl erstmal los ist.
    Zunächst.
    Sie erholt sich überraschend schnell und ihr wird klar, daß sie vielleicht eine der wenigen Frauen ist, die dem Herzog gewachsen sind. Sie traut sich die Kraft zu, ihn dauerhaft zu faszinieren und so bittet sie ihren Bruder, den povero giovin zu retten. Nicht weil er grazioso tanto wäre, sondern weil sie die (zweite) Frau an seiner Seite sein will. Eine Maitresse en titre die, bei aller Gefahr, eine nicht zu unterschätzende Macht in die Hand bekommt: Macht über den Herzog mit seiner abartigen Sexualität, Macht über ihren Bruder, der sich das Salär als Securitychef durch Mordaufträge aufbessert und Macht über den Medienaffen Rigoletto, der bis zum Hals in der Patsche steckt sollte Maddalena jemals ins Plaudern kommen.
    Das Alles erzählen Regisseur und Darsteller mit dem guten alten Operntext von 1851 und es wirkt nicht eine Sekunde unglaubwürdig.
    Ob Verdi das Alles gefallen hätte? Keine Ahnung, aber Verdi ist tot und ich nicht. Mir hat es gefallen. Sehr.
    Ein Abend, der mich sehr dankbar zurückgelassen und mir wieder einmal verdeutlicht hat, warum ich lieber in die Oper als ins Fußballstadion gehe.
    Hier die Besetzung der besuchten Vorstellung:
    Herzog von Mantua: Sangmin Jeon
    Rigoletto: Pavel Yankovsky
    Gilda: Ralitsa Ralinova
    Monterone: Lucia Lucas
    Ceprano: Oliver Picker
    Marullo: Simon Stricker
    Borsa: Mark Bowman-Hester
    Sparafucile: Sebastian Campione
    Maddalena. Catriona Morison
    Opernchor der Wuppertaler Bühnen
    Sinfonieorchester Wuppertal
    Dir.: Johannes Pell
    P.S:
    Und ja: da steht im Programmheft wirklich Lucia Lucas, dabei ist der fluchende Monterone nach wie vor ein Kerl, wie sich das gehört.
    P.P.S.:
    Habe ich erwähnt, daß ich den Wuppertaler Opernchor schon sehr lange sehr liebe? Nein? Okay: ich liebe den Wuppertaler Opernchor sehr, und das schon sehr lange.
    Trailer: http://www.wuppertaler-buehnen…pi1%5Bperformance%5D=1107
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    Ein Paradies ist immer da, wo einer ist, der wo aufpasst, dass kein Depp reinkommt...

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