DUKAS: Ariane et Barbe-Bleue - À la recherche de la liberté perdue
Liebe Capricciosi!
Ich wollte ja schon lang mal, wenn ich mehr Zeit habe, einen Eröffnungsbeitrag zu dieser Oper schreiben; Zeit habe ich immer noch nicht, aber damit eine Diskussion in Gang kommen kann, werfe ich wenigstens einmal ein paar dürre Zeilen hin:
Paul Dukas' einzige Oper, uraufgeführt 1907 an der Pariser Opèra-Comique, hat von Komponistenkollegen und Dirigenten hohes Lob erfahren. Begeistert äußerten sich u.a. so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Fauré, Schönberg, Berg, Messiaen, Szymanowski,Toscanini und Beecham. Dass sich "Ariane et Barbe-Bleue" auf den Spielplänen trotzdem nicht recht halten konnte, mag sich vielleicht aus den historischen Umständen (Paris im Salome-Wahn) und aus (alles in allem vernachlässigbaren) dramaturgischen Schwächen erklären. Gerechtfertigt scheint es nicht. "Ariane et Barbe-Bleue" ist ein höchst originelles Meisterwerk, das kompositorische Mittel aus ganz verschiedenen Traditionen (Leitmotivtechnik, motivisch-thematische Arbeit, impressionistische Orchestrierung, Verarbeitung von Volksmusik, Strukturelemente der Instrumentalmusik [Variationssätze, Sonatenhauptsatzform u.ä.]) zu einer organischen Einheit zusammenbindet, die bei aller intellektuellen Tiefe auch für ein Laienpublikum ganz unmittelbar an der farbenreichen Oberfläche genießbar ist. Besonders eindrucksvoll ist dabei der erste Akt mit dem Öffnen der sieben Türen, der von Toscanini auch als Orchestersuite ohne die Stimmen von Ariane und der Amme aufgeführt wurde. Die Klimax der siebenten Tür mit ihrem immer weiter anschwellenden "unterirdischen Gesang" entwickelt nicht nur auf Ariane eine eindrucksvolle Sogwirkung. Zu den musikalischen Qualitäten kommt ein eigentlich sehr aktuelles Thema, wobei das wie "Pelléas et Mélisande" auf ein ultrasymbolistisches Schauspiel von Maurice Maeterlinck zurückgehende Libretto sehr viele Deutungsebenen ermöglicht.
Eigentlich handelt es sich bei der gesamten Oper fast um eine einzige Arie der Ariane, mit einzelnen Einwürfen anderer Personen. Die brangänenhafte Amme (La Nourrice) ist fast nur eingeführt, um Ariane eine Gesprächspartnerin im ersten Akt zu geben; sobald Ariane auf die gefangenen Frauen trifft, verliert sie augenblicklich jede Kontur, Bühnenpräsenz und Text. Dafür ist die Partie der Ariane eine wirkliche Herausforderung, mit einem enormen Ambitus und zwei Stunden Dauereinsatz, und man fragt sich, wie Maeterlincks Lebensgefährtin Georgette Leblanc, die zwar eine Gesangsausbildung hatte, hauptsächlich aber als Schauspielerin aktiv war (und die Debussy in der deutlich anspruchsloseren Rolle der Mélisande bekanntlich nicht gut genug war), das bei der Uraufführung eigentlich bewältigen konnte. Vielleicht liegt auch in den enormen Anforderungen an die weibliche Titelpartie ein Grund dafür, dass die Oper relativ selten auf den Spielplänen erscheint. In den letzten Jahren lässt sich allerdings doch ein bescheidener Boom beobachten, wobei auch konzertante Aufführungen nicht selten sind. Angesichts der plastischen Bildhaftigkeit der Musik, der eine Inszenierung sicherlich nur mit Mühe Paroli bieten kann, ist das vielleicht sogar verständlich, wenn auch trotzdem schade.
Fast alle modernen Interpretinnen der Ariane auf den wenigen erhältlichen Aufnahmen hatten jedenfalls ihre liebe Not mit der Partie, meistens mit der hohen Lage. Es gibt daher eigentlich nur eine einzige wirklich empfehlenswerte Einspielung, dies umso mehr, als sie mit der scheinbar völlig unangestrengten Katherine Ciesinski nicht nur die beste Ariane, sondern mit dem Nouvel Orchestre Philharmonique unter Armin Jordan auch die weitaus beste Orchesterleistung und das beste Dirigat aufweist:
Französischsprachige Rezensenten haben beim Erscheinen beklagt, dass die Sängerinnen der Ariane und der Nourrice keine französischen Muttersprachlerinnen seien. Tatsächlich ist eine vorbildlichere Textgestaltung vorstellbar (insbesondere bei der bulgarischen Nourrice, Mariana Paunova), aber in Anbetracht der Alternativen muss man um die hervorragende stimmliche Gestaltung schon froh sein.
Liebe Grüße,
Areios