Orson Welles - das zerstörte Genie

  • Orson Welles - das zerstörte Genie

    * 6. Mai 1915 in Wisconsin - + 10. Oktober 1985 in LA, Kalifornien

    Orson Welles gehört mit Sicherheit zu den herausragendsten und individuellsten Filmemachern in dieser Grenzregion von 'Hollywood' und 'Indepentend'. Nach seinen Erfolgen am 'Mercury Theatre' und mit der legendären Radioproduktion 'The War of the Worlds' von der RKO mit einer 'Carte blanche' für seinen Erstlingsfilm (der gar nicht sein Erstling war) ausgestattet, geriet er in den folgenden Jahrzehnten immer wieder in Konflikt mit der Hollywood-Maschinerie, so dass er später kaum einen noch einen Film dort realisieren konnte, der nicht in irgendeiner Form 'bearbeitet' wurde.

    'Citizen Kane' steht am Anfang seiner Hollywood-Karriere. Ein Film, der von vielen als der beste Film aller Zeiten gewertet wird (American Film Institute, Cahiers du cinéma). Die Briten allerdings (British Film Institute) scherte auch da schon aus und hoben nach 2012 'Vertigo' auf die Spitzenposition. ^^

    Heute als ein künstlerischer Meilenstein anerkannt, war der Film damals an der Kasse ein Flop. Das lag mit Sicherheit auch an der Anti-Kampagne der Hearst-Presse, dessen Herausgeber ziemlich deutlich in dem Film porträtiert wurde.

    Der Flop (trotz Oscar-Nominierungen und Verleihung für das beste Drehbuch) führte dazu, dass schon Welles' zweiter Film 'The Magnificient Ambersons' ziemlich unbarmherzig vom Studio gekürzt wurde. Das selbe Schicksal traf dann u.a. auch 'The Lady from Shanghai' mit seiner damaligen Ehefrau Rita Hayworth, während 'The Stranger' unbehelligt durchging (laut Welles eigener Aussage sein schwächster, allerdings an der Kasse erfolgreichster Film). 'Macbeth', litt zunächst am geringen Budgets (produziert von Republic-Pictures, einem damaligen B-Studio), weist aber dadurch eine interessante Mischung von Shakespeare, Frankenstein und Pappe auf (weit entfernt von seiner nur mit afro-amerikanischen Darstellern besetzten Produktion am Mercury). Erst 10 Jahre später (1958) konnte Welles erneut in Hollywood drehen ('Touch of Evil'), allerdings wiederum nicht ohne Eingriffe seitens der Produzenten.

    Alle anderen seiner 19 mehr oder weniger vollständigen Filme realisierte Welles v.a. in Europa, oftmals über Jahre hinaus, wobei er vielfach das Geld dafür durch seine Schauspielertätigkeit in durchaus manchmal obskuren Filmen ('Ein Kampf um Rom' - Robert Siodmak 1968/69) verdiente.

    Man solle sich bekreuzigen, bevor man seinen Namen ausspreche, sagte einst die Dietrich. Was ist nun das Außergewöhnliche, das Genialische an Orson Welles?

    Welles hat schon mit seinem 'Erstling' 'Citizen Kane' die Filmsprache in unglaublicher Weise erweitert. Dinge, die eigentlich für den Zuschauer von heute völlig normal sind, kamen 1941 quasi einer Revolution gleich, wobei gesagt werden muss, dass Welles sie nicht unbedingt erfand, sondern sie nur perfektionierte bzw. in Verbindung mit anderen ungewohnten Techniken setzte. Dazu gehören die berühmte Tiefenschärfe (Kamera: Gregg Toland), die Untersicht, der Schnitt, die Abwendung von einer chronologischen Erzählweise, der durch das Zeigen einer Decke geschlossene, bedrückende Raum, der spezielle Ton, Überblendungen, Ort- und Zeitsprünge usw. Kurzum, er erfand oder er fand in 'Citizen Kane' eine völlig neuartige Filmsprache, in dem er alle bekannten und unbekannten Stilmittel konsequent und gemeinsam anwendete. Nicht zu vergessen die Plansequenz, die er v.a. in 'Touch of Evil' zur Meisterschaft brachte.

    Alle seine weiteren Filme zeichnen sich durch die Benutzung dieser besonderen Filmsprache aus, wobei man manchmal schon den Eindruck hat, dass er sich doch zu sehr einem selbst auferlegten Standard verpflichtet fühlen würde. Aber das ist selten und kann eigentlich auch vernachlässigt werden. Gerade in seinen großen Filmen stimmen Stil und Inhalt immer überein und erzielen in dieser Mischung aus ganz persönlichem Gebrauch filmischer Mittel und individueller Erzählweise Ergebnisse, die zu den bedeutendsten der gesamten Filmgeschichte zu zählen sind.

    Selbst in ihrer durch 'Hollywood' kastrierten Form bleiben sie Meisterwerke und man kann eigentlich nur 'Trauer tragen', bedenkt man, was hätte sein können, wenn...

    Was würde ich nun empfehlen von diesem wahrlich 'barocken' Künstler? Zunächst einmal ALLES!!!

    Speziell aber dann:

    Citizen Kane
    The Magnificient Ambersons
    The Lady from Shanghai
    Macbeth
    Othello
    Mr Arkadin
    Touch of Evil
    Le procès
    Chimes at Midnight
    The Immortal Story
    F from Fake

    Und natürlich Welles als Schauspieler entweder im Film oder im Hörspiel. Mit seiner Stimme, mit seiner Präsenz auf der Leinwand ist er (fast) immer ein Genuss.

    Welles war ebenso wie Stroheim ein Opfer der Hollywood-Gesetze. Ein unabhängiger Geist, der sich in die 'Höhle des Löwen' begeben hat. Und ebenso wie dieser ist er darin untergegangen. Man kann nur erahnen, was er der Filmwelt hätte schenken können, wenn nicht... Aber ebenso wie bei Stroheim ist das 'kastrierte Etwas', das überlebt hat, etwas zum Niederknien. :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1:

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Fast noch Interessanter als die vollendeten Filme von Orson Welles sind seine zahlreichen unvollendeten Traumprojekte, die zumindest auf dem Papier künstlerisch zum Teil extrem ambitioniert klingen. Hier ging es aber nicht immer nur ums Geld, es gab auch Zeiten im "bösen" Hollywood, da galt Welles als das nonplusultra eines Filmemachers und wurde qausi von allen chauffiert. Der exzentrische Regisseur trägt da mindestens eine Mitschuld an seinen gescheiterten Projekten, Möglichkeiten hatte er zumindest einige.

    Großartig fand ich hier die Netflix-Dokumentation „Sie werden mich lieben, wenn ich tot bin“, welche die Aufarbeitung des lange unberührten Materials von Welles letztem Projekt „The Other Side of the Wind“ beleuchtet, dazu auch das restliche Schaffen. Ein mitreißender Meta-Film! Letzterer wurde in einem Zug gleich mit fertig gestellt, geschnitten, mit einem Score versehen und ist ebenfalls auf Netflix zu sehen. Seit den 1970er Jahren lag „The Other Side of the Wind“ unvollendet in einem Archiv in Paris. Mehrere Hundert Filmrollen hat Welles zwischen 1970 und 1975 mit Aufnahmen gefüllt, Schnitt und Postproduktion kamen allerdings nie zustande. Ein Wahnsinnsprojekt, welches zunächst von einer iranischen Produktionfirma mitfinanziert wurde und welche die Filmrollen nach der iranischen Revolution nicht mehr herausgeben wollte/konnte.

    „Music is a nexus. It's a conduit. It's a connection. But the connection is the thing that will, if we can ever evolve to the point if we can still mutate, if we can still change and through learning, get better. Then we can master the basic things of governance and cooperation between nations.“ - John Williams

  • Das er hofiert wurde , mag ihm recht gewesen sein , aber von allen herumgefahren zu werden , darüber hätte er sich wohl echauffiert .

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Der exzentrische Regisseur trägt da mindestens eine Mitschuld an seinen gescheiterten Projekten, Möglichkeiten hatte er zumindest einige.

    Bei Welles und Hollywood fällt mir immer Stroheim und Hollywood ein. Beide waren geradezu maßlos agierende Künstler, denen eigentlich bewusst sein musste, dass das Produzenten beherrschte Hollywood das auf Dauer nicht akzeptieren würde. V.a. nicht, wenn man nur so gut ist, wie der letzte Film und der nur gut ist, wenn er ein Kassenerfolg war.

    Von daher kann man Welles sicherlich eine Mitschuld an seinem Misserfolg in Hollywood attestieren. Und man kann auch sagen, dass wer sich in die Höhle des Löwen begibt, mindestens darin umkommen kann. Und dass in Hollywood der Box-Office-Erfolg DIE Messlatte war und ist. Nur, was sollte sie sonst machen? Zu der Zeit konnte man nur dort seine künstlerischen Visionen (vielleicht) erfüllen.

    Von daher ist das alles sehr zweischneidig. Künstlerische Kompromisslosigkeit und Studiosystem à la Hollywood vertrugen/vertragen sich einfach nicht. Einerseits hätte man es wissen können, andererseits hätte das System vielleicht auch mal flexibler sein können.

    :wink: Wolfram

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  • Künstlerische Kompromisslosigkeit und Studiosystem à la Hollywood vertrugen/vertragen sich einfach nicht

    Dem würde ich widersprechen, in den 60er bis 80er Jahren war selbst Hollywood einigermaßen wagemutig. Das lag aber auch am offeneren Kinopublikum selbst, heute ist kaum mehr vorstellbar, dass Kubricks "2001" der erfolgreichste Film des Erscheinungsjahres war! Auch "Apokalypse Now" war ein großer Erfolg (Coppola hat hier allerdings auch einen großen Teil seines Privatvermögens als Sicherheit verpfänden lassen, um den Film fertig stellen zu können). Das Ende der großen Autorenfilme wurde durch Michael Ciminos "Heavens Gate" eingeleitet, einer der größten Flops der Geschichte. Danach gab's erstmal keine Carte blanche mehr für Filmemacher. Und heute hat eigentlich nur noch Christopher Nolan unbeschränkte Handlungsmacht für seine Projekte.

    Bei Orson Welles ist eben schon zu betonen, dass er Drehs und begonnene Projekte (über 4!) einfach nicht beendet oder abgebrochen hat. Geld war da nicht (immer) das Problem.

    Meine erste Begegnung mit ihm war übrigens kein Film, sondern dieses immernoch hoch geschätzte Konzeptalbum von "The Alan Parsons Project" mit Welles' wunderbar sonoren Erzählstimme in einigen Titeln:

    „Music is a nexus. It's a conduit. It's a connection. But the connection is the thing that will, if we can ever evolve to the point if we can still mutate, if we can still change and through learning, get better. Then we can master the basic things of governance and cooperation between nations.“ - John Williams

  • The Other Side Of The Wind (2018)

    Großartig fand ich hier die Netflix-Dokumentation „Sie werden mich lieben, wenn ich tot bin“, welche die Aufarbeitung des lange unberührten Materials von Welles letztem Projekt „The Other Side of the Wind“ beleuchtet, dazu auch das restliche Schaffen. Ein mitreißender Meta-Film! Letzterer wurde in einem Zug gleich mit fertig gestellt, geschnitten, mit einem Score versehen und ist ebenfalls auf Netflix zu sehen.

    Ich habe die Möglichkeit gehabt, beide Werke zu sehen.

    Und der Film ist trotz aller nachträglichen Erarbeitung Anderer dennoch ein echter Welles-Film geworden - verzwickt, verwinkelt, durch alle Ebenen springend und doch fokussiert auf eine wichtige Episode im Leben des Protagonisten. Vom Schnitt her erinnerte mich an F For Fake (1973), der ja auch bereits eine mehr essayistische Erzählweise hatte, aber die Form des Dokumentalfilms ausfüllte.

    Selbst im langweiligsten Werk - zugegebenermaßen muß ich da auch The Stranger (1945) nennen - hatte er stets eine optische Konzeption von faszinierender Wirkung zu bieten, die mir sofort vertraut vorkommt; einerseits war er da stark von Gregg Toland (der diesen Stil zum Teil vorher schon in John Fords Der lange Weg nach Cardiff angewendet hatte) und den Filmen eines Carl Dreyer beeinflußt worden, andererseits war es wohl auch seine eigene Sichtweise gewesen, die Figuren in ein optisches Korsett schnürrt.

    Und dann diese Mühelosigkeit, jedes noch so öde Sujet so zu erweitern, daß wirklich Kunst daraus wird - das konnten wirklich nur wenige in der gesamten Filmgeschichte. So einen ollen Kriminalroman wie Badge Of Evil verwandelt er in ein Drama von kolossalen Ausmaßen (gleich seiner eigenen Körperfülle) und schafft mit Touch Of Evil (1958) einen grandiosen Streifen - selbst in der bearbeiteten Kinofassung von 1958 ist der Film stark genug, um zu wirken (allerdings in der dank Welles' Memo intendierten Version von 1998 nochmals deutlich stärker).

    Als Schauspieler hat er aber ebenso seine Spuren hinterlassen - allein diese gesegnete Stimme! Auch wenn nicht alle seine Rollen wirklich interessant waren, seine Präsenz war stets gegenwärtig.

    Einer der wenigen Filmemacher, die man wirklich als Genie bezeichnen kann.

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Dem würde ich widersprechen, in den 60er bis 80er Jahren war selbst Hollywood einigermaßen wagemutig.

    Da gebe ich dir recht. Aus verschiedenen Gründen war das eine zeit des Aufbruchs und des größeren Wagemuts, was ja aber, siehe Cimino, nicht lange allzu lange gedauert hat. Natürlich gibt es heute eine stärkere Einflussnahme des Regisseurs, aber letztlich muss er sich schon auch den Bedingungen beugen. Und die werden ganz massiv vom Erfolg an der Kinokasse bestimmt.

    Meine erste Begegnung mit ihm war übrigens kein Film, sondern dieses immernoch hoch geschätzte Konzeptalbum von "The Alan Parsons Project" mit Welles' wunderbar sonoren Erzählstimme in einigen Titeln:

    Was die Stimme angeht, war auch das meine erste Erfahrung. Und er hatte ja wirklich eine der schönsten Sprechstimmen.
    Grandios ist er hier als Professor Moriaty:

    Und dann diese Mühelosigkeit, jedes noch so öde Sujet so zu erweitern, daß wirklich Kunst daraus wird - das konnten wirklich nur wenige in der gesamten Filmgeschichte. So einen ollen Kriminalroman wie Badge Of Evil verwandelt er in ein Drama von kolossalen Ausmaßen (gleich seiner eigenen Körperfülle) und schafft mit Touch Of Evil (1958) einen grandiosen Streifen - selbst in der bearbeiteten Kinofassung von 1958 ist der Film stark genug, um zu wirken (allerdings in der dank Welles' Memo intendierten Version von 1998 nochmals deutlich stärker).

    Unterschreibe ich alles. Eine recht simple Story wird zu einem geradezu existenziellen Licht- und Schattenspiel, ohne dass der Film und seine Handlung aufgeplustert wirken.

    Einer der wenigen Filmemacher, die man wirklich als Genie bezeichnen kann.

    :top:

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Drehbuch: Joseph Cotton und Orson Welles
    Regie: Norman Foster und Orson Welles
    Produktion: Orson Welles
    Mitwirkende: ... und Orson Welles

    Auch wenn er überall 'die Finger drin hatte', ist es kein typischer Welles und wahrlich nicht einer seiner besten. Wenn man ihn denn überhaupt noch als einer seiner Filme bezeichnen kann. Welles übergab wohl relativ schnell die Regie an Norman Foster, wobei einige Szenen im Film noch von ihm stammen.

    Ich finde es einigermaßen schwer, den Film zu beurteilen, weil die ursprüngliche 91-Minuten-Fassung nur einmal zur Probe gezeigt wurde und er dann auf 68 Minuten gekürzt wurde. Trotzdem hat er atmosphärisch dichte Momente, eine tolle Eingangssequenz und einen (von Welles gedrehten) ziemlich überzeigenden Schluss. Aber es fehlen gerade im Mittelteil wohl entscheidende Minuten, die das Gewebe zwischen den Passagieren besser gezeigt hätten und auch für einen weiteren Spannungsaufbau wichtig gewesen wären.

    Welles, Foster und Cotton selber bezeichneten den Film später als 'private joke'.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Wer ganz viel Langeweile hat, kann sie sich vielleicht mit diesem 3,5 Stunden langen Interview vertreiben.

    https://www.youtube.com/watch?v=1LnuQZ6VD_Y

    Peter Bogdanovich war einer der ersten Filmkritiker in den USA, der sich als Kurator einer Retrospektive im MoMA in den frühen 60iger Jahren für Welles eingesetzt hat. Sieben Jahre später reagierte Welles auf seine Schrift und so entstand eine lebenslange Freundschaft zwischen den beiden. Aus diesem und anderen Interviews und Begegnungen entstand dann in den 90iger Jahren auch ein Buch.

    Dieses überlange Interview ist jedenfalls eine schöne Mischung aus Erinnerungen, Gedanken über Film und Anekdoten.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • 1946 gedreht, 1947 in Frankreich, 1948 US-Premiere.

    Schon diese einfachen Fakten deuten darauf hin, dass es auch mit diesem Orson-Welles-Film Probleme gab. Und in der Tat war es so. Welles hatte sich für seinen nächsten Film (nach dem sogar kommerziell erfolgreichen 'The Stranger') ausgerechnet an Harry Cohn gewandt, den, sagen wir mal, nicht ganz einfachen Chef der Columbia.

    Und zwangsläufig gab es dann Ärger. Sei es, dass Rita Hayworths berühmten langen rotgefärbten Haare einer platinblonden Kurzhaarfrisur weichen mussten, sei es, dass Columbias (und Cohns) Leinwandgöttin nun eine mörderische Femme Fatale spielte, sei es, dass die Dreharbeiten sich verzögerten und das Budget überschritten wurde, sei es, dass der Plot verwirrend war oder auch nur, dass der Film zu lang erschien. Jedenfalls blieben nach einem durch das Studio befohlenen Neuschnitt (Welles schriftlicher Vorschlag wurde ausnahmslos negiert.) von den ursprünglichen 150 Minuten nur noch 87 über.

    Solch eine radikale Verstümmelung übersteht kaum ein Werk, schon gar nicht ein so komplexes und verschlungenes wie dieses hier. So ist der erste Eindruck der eines visuell faszinierenden, aber unglaubwürdigen, verwirrenden, durch psychologische und dramaturgische Sprünge gekennzeichneten Films.

    Aber, wie so oft, täuscht auch hier der erste Eindruck.

    Zunächst einmal ist die 'Lady' ein klassischer FN mit Elementen des Kriminalthrillers angereichert. Es gibt den ahnungslosen Helden mit Vergangenheit, die Femme Fatale, die sich aber erst zum Schluss als 'männermordend' herausstellt ('It's a story about a jerk and a bitch.' - wie Peter Bogdanovich mal sagte.), es gibt den fiesen Anwalt und seinen fast wahnsinnigen Kompagnon als Vertreter der 'anständigen' amerikanischen Gesellschaft, es gibt Betrug und Mord und Verrat und so weiter.

    Aber es gibt v.a. das Spiel mit all diesen Bestandteilen des FN. Der Film ist immer wieder eine groteske und bizarre Anhäufung von Stilen und Stilmitteln, virtuos gehandhabt und durchaus mit Augenzwinkern serviert. Gleichzeitig spielt er mit seiner eigenen Künstlichkeit und den Klischees, die Hollywood verordnete. Als Märchen beginnend mit Kutschfahrt und 'Prinzessin Rosalie', endet er zunächst in einem Theater (Verweis auf '39 Steps'?), um dann dem Hinweis auf die artifizielle Doppelbödigkeit mit der berühmten Spiegelkabinettsszene (radikal zusammengeschnitten) noch einmal die Krone aufzusetzen. Unübersehbar der Hinweis im letzten Bild, dass wir uns in einem 'Playhouse' befunden haben.

    Überhaupt das Spiegelkabinett. Der Held, 'the jerk' erwacht in diesem Vergnügungspark und Traum und Wirklichkeit vermischen sich endgültig. Es kommt zunächst eine längere Traumsequenz, die ganz stark vom deutschen, expressionistischen Stummfilm inspiriert ist. Er erwacht dann und es kommt zum Showdown zwischen ihm, Rita Hayworth und dessen Ehemann. Das ist einerseits so furios gefilmt und andererseits so voll von böser und entlarvender Doppelbödigkeit, dass diese Szene nicht von ungefähr legendär ist. Gegenseitig reißen (zerschießen) sich Elsa und ihr Mann Arthur nicht nur gegenseitig ihre diversen Masken herunter, es ist gleichzeitig auch die Zerstörung des amerikanischen Selbstverständnissen, seiner Mythen und Helden. (Eine erste Bloßlegung davon hatte Welles übrigens zuvor schon mit der Gerichtsszene betrieben.) Und natürlich hat unser 'jerk' keinerlei Mitleid mit der am Boden liegenden, sterbenden Elsa, mit der 'bitch' oder dem Hollywood-Glamour-Girl. Er geht von dannen, durch eine Drehtür hindurch, dessen Schatten ihn fast aufzuspießen scheinen. Das ist nicht nur schräg, wenn man es erzählt, das ist wirklich so sehr mit dem FN spielend!

    Natürlich kann man nur noch einen Torso beschreiben, natürlich weiß niemand mehr, wie der Film einst im Original ausgesehen hat. Aber selbst als Torso ist er noch überwältigend, ist er eben klassischer FN und zudem weit, weit mehr, nämlich ein Film über Film, über ein Genre, eine Gesellschaft, eine Traumfabrik.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Ich bin gerade dabei, mir so Einiges auf BluRay neu zu besorgen, wobei manche Regisseure dabei Vorrang haben und Wellles gehört zweifellos dazu. Also habe ich heute mal wieder den Welles Klassiker gesehen:

    Tja, wo fängt man nun an, ihn zu preisen? Vielleicht damit, dass er für Welles selber nicht der Lieblingsfilm war, dass Peter Bogdanovich, der ja ein ausgemachter Welles-Experte ist, ihn nicht für seinen besten hält und, ich reihe mich jetzt mal ganz bescheiden ein, und ich auch nicht sicher bin, ob mir andere nicht doch noch besser gefallen.

    Aber unzweifelhaft ist wohl seine Bedeutung mindestens für das amerikanische Kino. Überall kann man lesen, wie innovativ Welles Erstling in filmischer Hinsicht ist, wie er dieses und jenes erstmalig ausprobiert und benutzt hat. Das mag stimmen, höchstwahrscheinlich aber findet man irgendwo immer einen Film, der diese technischen wie auch dramaturgischen Ideen bereits benutzt hat.

    Was aber auch völlig egal ist. Viel wichtiger ist die Souveränität, mit der Welles all diese ungewohnten filmischen Mittel einsetzt, wie er gängige Erzählstrukturen aufbricht, wie er alles miteinander vermengt, wie er knapp zwei Stunden dichtestes und immer wieder begeisterndes Kino erschafft.

    Und das als 25-jähriger absoluter Neuling, wobei natürlich nicht die mehr als helfende Hand des Kameramannes Gregg Toland vergessen werden darf. Dieser war es, der ihn in viele Geheimnisse des Filmmachens eingeweiht hat, der seine Visionen umgesetzt hat und der dabei immer neue Wege entdeckt hat. Ähnliches gilt wohl auch für Herman J. Mankiewicz bei seiner oftmals ungetrübten Mitarbeit am Drehbuch.

    Interessant fand ich eine Kritik bei Wikipedia. F.-M. Helmke schrieb bei der 'Filmzentrale.com', dass dies ein von allen bewunderter Film wäre, der aber nicht unbedingt geliebt werden würde, weil es keine positive Identifikationsfigur gäbe und er emotionale Anteilnahme vermissen ließe. Da ist vielleicht sogar etwas dran. Der Film berauscht auf intellektueller Ebene, verliert sich aber möglicherweise zu sehr in technischen 'Kniffen' oder in überwältigenden Einstellungen und vergisst dabei, dass der Zuschauer auch emotional angesprochen werden möchte. Und das nicht nur ab und an.

    Aber das ist Meckern auf höchstem Niveau. Es ist ein absolutes Meisterwerk, geradezu der Geniestreich eines Neulings, einer der einflussreichsten und wichtigsten Filme überhaupt.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • Vielleicht damit, dass er für Welles selber nicht der Lieblingsfilm war, dass Peter Bogdanovich, der ja ein ausgemachter Welles-Experte ist, ihn nicht für seinen besten hält und, ich reihe mich jetzt mal ganz bescheiden ein, und ich auch nicht sicher bin, ob mir andere nicht doch noch besser gefallen.

    Es wäre schön, wenn es wenigstens ein Werk in der Filmgeschichte gäbe, der von allen geliebt, verehrt und bewundert wird - doch das gibt es nicht. Citizen Kane hat halt eine damals erstaunliche Filmästhetik und eine Dramaturgie, die nichts Geniales an sich hat, aber eben nie in einem Hollywoodfilm angewendet wurde. Als Porträt des Bürgers Charles Foster Kane zeigt er halt das Leben eines Menschen, der ein besondere Lebensposition hatte, weil er viel Geld hatte und damit etwas erreichen wollte; und daß er dennoch scheitern kann, wenn er keine Distanz zu sich findet. Alles an diesem Film ist konzentrierter Ausdruck, wie er bis dato kaum möglich war. Das ist sicherlich der Grund, warum der Film zu den großen Meisterwerken des Films gehört.

    Aber ein Film muß sich immer entscheiden, was er eigentlich erzählen will. Daraus ergibt sich aber auch, wie er wirkt. Es ist verständlich, wenn man Citizen Kane bewundert, aber nicht wirklich liebt. Bei mir ist es ganz ähnlich, aber er verliert dadurch trotzdem nichts.

    Gregg Tolands Einfluß ist schon immens, wenn man sich dessen Kameraarbeit bei z.B. Fords The Long Voyage Home ansieht: es ist der gleiche Stil, der auch in Citizen Kane vorkommt, den Welles später generell für sich adaptierte. Und daß ein Mankiewicz größeren Einfluß aufs Drehbuch hatte, überrascht mich da auch nicht. Welles war ein Kompilator, der alle Techniken genial kombinieren und dabei seinen eigenen Stil kreieren konnte. Er tat das, was viele Genies tun: aus der Vergangenheit schöpfen und etwas Neues zusammenstellen. Darin war er wirklich groß.

    Das Bemerkenswerteste ist tatsächlich, daß ein 25jähriger totale künstlerische Kontrolle über ein Projekt hatte und damit zeigte, was möglich ist, wenn geschäftliche Interessen außen vor gehalten werden. Das konnte damals vielleicht nicht gut gehen (und tat es auch nicht), bringt uns dafür aber heutzutage ein Beispiel von filmischer Brillanz, das immer noch ziemlich einmalig ist.

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  • Welles war ein Kompilator, der alle Techniken genial kombinieren und dabei seinen eigenen Stil kreieren konnte.

    Lieber Josquin Dufay, das unterschreibe ich sofort alles.

    Die romantische Idee des einsam schöpfenden Genies trifft natürlich auch auf Welles nicht zu. Im Vorfeld hat er sich ja u.a. x-mal 'Stagecoach' angeschaut und war sich auch sonst Traditionen sehr bewusst. Nur wann er was anwandte, lag natürlich schon in seiner eigenen Kreativität, wobei seine Begründungen oftmals sehr überraschend und einfach waren. Auf die Frage, warum er ständig diese seltsamen Kameraperspektiven wählte, antworte er mit einem Witz: Kommt ein Patient zum Arzt und klagt über seinen Zustand. Der Arzt fordert ihn auf, seinen Tagesablauf minutiös zu schildern. 'Nun, ich stehe auf, dann übergebe ich mich, dann gehe ich ins Badezimmer....' - 'Was, sie übergeben sich jeden Morgen?' - 'Ja, wieso, macht das nicht jeder?' Woraufhin Welles meinte, dass für ihn diese Kameraperspektive einfach normal sei, seine Art, die Welt zu sehen. Da mag Koketterie mitschwingen, aber es beschreibt ihn, wie auch viele andere herausragende Künstler, wohl ganz gut. Sie sehen die Welt halt anders. Und um das ausdrücken zu können, schöpfte er eben aus allem, was vorher schon vorhanden war.

    :wink:Wolfram

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    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Da ich gestern meinen dritten Schuss erhielt, hatte ich mir für heute vorsorglich 'Beine hoch' verordnet und von daher ganz viel Zeit für ein paar Filme von Orson Welles.

    Ich fange mal mit dem hier an:

    (1955)

    Der Film liegt in 9 verschiedenen Schnittfassungen unterschiedlichster Länge vor, wobei keine einzige als Endprodukt von Welles selber stammt. Von daher, wie so oft bei ihm, ist dieser Film nur eine Annäherung.

    Die DVD bietet 93 Minuten, damit die kürzeste Fassung, wobei ich nicht glaube, dass die längeren mehr Sinn in das Geschehen bringen. Die Handlung ist verwirrend, unlogisch, aber v.a. nebensächlich. Fast möchte ich von einem riesigen MacGuffin sprechen, diesem Einfall von Hitchcock einer angedeuteten Sache, die ein Geschehen in Gang setzt, aber eigentlich völlig egal ist.

    Hier ist es ein Mord in Neapel, der den Helden auf die Spur des großen Unbekannten, Mr Arkadin alias Orson Welles bringt. Er versucht ihn aufzuspüren (warum eigentlich), tritt dann in seine Dienste, wird von ihm hintergangen (warum eigentlich) und bringt ihn letztlich zur Strecke. Auf der bleiben vorher schon einige andere, die von Arkadin, der seine Herkunft verschleiern will (warum eigentlich) umgebracht werden. Gleichzeitig beauftragt Arkadin den Helden dieses Geheimnis zu lüften. WARUM EIGENTLICH???

    Die Handlung ist also, wie man vielleicht sieht, völlig verquer, durchgeknallt, verrückt. Aber völlig verquer liegt, glaube ich, derjenige, der irgendeinen Sinn darin finden möchte. Nicht ums Verstehen geht es, sondern um das Fühlen und um das Eintauchen in die schräge Orson-Welles-Welt. Denn der Film ist alles andere als ein Handlungsfilm, sondern eher eine lustvolle Vermengung, eine furiose Farce, ein augenzwinkerndes Spiel mit Orson Welles im Mittelpunkt, grotesk herausstaffiert (und er war ein Meister des Make-Up) als eine Mischung von Gottvater und Satan persönlich.

    Ganz viel Kafka findet sich darin, aber auch Don Quichotte, es gibt Film Noir und die typische Welles-Ästhetik, Slapstick, Surrealismus, manchmal fast Dadaismus und fast schon eine vorweggenommene James-Bond-Parodie. Der Film strotzt von barocker und gleichzeitig ironischer Selbstinszenierung, er ist ein Sammelsurium grotesker Einfälle und Darbietungen, er ist eine große Zirkusvorstellung mit Welles als Magier im Zentrum.

    Robert Arden als Held stolpert stetig wütender und verzweifelter werdend durch diese Geschichte während Welles wie bei 'Hase und Igel' fortwährend rufen kann: Ick bün all hier. Und auf dem Weg dahin, wohin (?) liefern verschiedene Schauspieler ihre Kabinettstückchen, ihre Zirkusnummern ab. Mal weniger eindrucksvoll (Peter van Eyck, Suzanne Flon), mal überwältigend schräg (Akim Tamiroff, Michael Redgrave, Katina Paxinou, Mischa Auer). Ein Kuriosenkabinett zum Niederknien! Aber nicht nur. Bei Katina Paxinou, Karten spielend in einer billigen Kaschemme in Mexiko, behängt wie ein Christbaum, schlägt die Farce plötzlich um und ein Moment tiefen Gefühl scheint durch. Und ergreift um so mehr.

    'Mr Arkadin' ist ein Spiel, nicht mehr, nicht weniger, das aber auf höchsten und lustvollstem Niveau, obwohl auch er letztlich nur ein Torso ist.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Wie muss ein Regisseur, ein 'Auteur' empfunden haben, empfinden, wenn das Werk, dass er in die Welt entlässt, an dem er hängt, dem er unendlich viel Arbeit und Mühen gewidmet hat, mit dem er sein Künstlertum mitteilen wollte, nachträglich von irgendwem ruiniert wird. Vielleicht wie ein Elternteil, dem das Kind vom Jugendamt genommen, in eine Erziehungsanstalt eingewiesen und dort völlig umgekrempelt wird. Gesellschaftsfähig gemacht sozusagen.

    Die von Welles vorgelegte Fassung wurde von RKO völlig verworfen und um ca. 50 Minuten gekürzt. Er selber war damals in Brasilien, erhielt wohl noch die ursprüngliche Fassung zugeschickt, die aber verloren gegangen ist. In Hollywood selber wurden alle eliminierten Teile vernichtet und zum vorliegenden Film ein Happy End nachgedreht. Von daher ist die vorliegende Fassung nur noch ein Rumpf, ein Desaster und hat quasi nichts mehr mit den Intentionen von Welles zu tun. Und trotzdem!!!

    Peter Bogdanovich erzählt, dass Orson Welles, als er damals bei ihm im Haus wohnte, beim Anschauen der 'Ambersons' im TV den Raum verließ. Als er ihn kurz danach in einem anderen Zimmer fand, weinte Orson Welles still vor sich hin. Das war gut 30 Jahre später! Und trotzdem!!!

    Selbst in dieser kastrierten Form ist 'The Magnificient Ambersons' ein Meisterwerk, unabhängig von dem wirklich unsäglichen Schluss. Und das obwohl es erst seit zweiter Langfilm war und er wahrlich keine schlichte Weiterführung von 'Citizen Kane' ist.

    'Amberson' ist eine Art amerikanischer 'Buddenbrooks'. Auch hier geht es wieder u.a. um vergehende Zeit, um den Verfall einstmals errungener Stellungen. Aber es ist sanfter dargestellt und vielschichtiger, weil auf mehr Personen verteilt. Es fehlt die direkte, kritische Sicht auf die Gesellschaft, wohin dagegen nun die Individuen viel stärker in den Vordergrund rücken, weshalb es auch emotionale Identifikationsfiguren gibt.

    Aber wie er diesen Verfall filmisch darstellt, das ist grandios. Mal aus der Distanz beobachtend, mal durch Tiefenschärfe alle Personen gleichzeitig in das Geschehen verwebend, mal durch lange, oftmals sehr lange Kamerafahrten Veränderungen in Zeit und Raum und persönlicher Empfindung deutlich machend, mal durch radikalen Schnitt zur Großaufnahme tiefgreifende Einschnitte zeigend, all das und noch viel mehr ist schon ein Zeichen großer Klasse, das Merkmal eines wirklichen 'Filmemachers', der alle wichtigen Aspekte beim Filmen wirklich beherrschte.

    Zudem verlor er bei diesem an sich großangelegten Film nie den Faden. Das Tempo stimmt, die Dramaturgie, die Umsetzung, von den schauspielerischen Leistungen ganz zu schweigen.

    Irgendjemand sagte mal, dass das 'Abendmahl' von da Vinci, obwohl eine Ruine, das größte Gemälde der Welt sei. Nun gut, über diese absoluten, olympischen Kategorien kann man wahrlich streiten. Ich würde aber trotzdem behaupten, dass 'Greed' von Erich von Stroheim oder 'The Magnificient Ambersons' von Orson Welles, obwohl sie nur noch eine Ruine sind, selbst in dieser Form zu den größten Meisterwerken ihrer Art zählen.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Vorher und da ich, wie gesagt, sehr viel Zeit hatte, habe ich diesen Film beendet:

    Und wieder einmal ein Kind, dass vom Jugendamt in die Erziehungsanstalt geschickt wurde. ;) Nach einer Preview (der originalen Fassung) trat eine Zuschauerin vor eine der oberen Gestalten von Universal, schrie ihn an, dass das der widerlichste Film wäre, den sie je gesehen hätte und ohrfeigte ihn. Nicht nur das, aber vielleicht auch das, bewegte Universal dazu den Film umzuschneiden und ihm neue Szenen hinzuzufügen.

    Zum Glück konnte aufgrund eines 58-seitigen Memos, das Welles sofort danach an Universal schrieb, später wohl eine den Intentionen des Regisseurs relativ nahe Fassung rekonstruiert werden. Auch wenn Welles selber sie nicht mehr gesehen hat, gehen wir mal, hoffnungsfroh, davon aus, dass das, was auf DVD und BluRay vorliegt, seinen Intentionen entspricht.

    Anders als bei 'Mr Arkadin' finde ich die Story von 'Touch of Evil' nicht so verwirrend. Universal und viele andere sahen das damals anders, aber persönlich finde ich die verschiedenen Handlungsstränge eher bereichernd und spannungsfördernd. Wenn bei 'Arkadin' für mich das Spiel im Vordergrund steht, ist es hier eine wahrlich gelungene Mischung aus Inhalt und Form.

    Der Film ist unendlich reichhaltig, aus unterschiedlichster Sichtweise interpretationswürdig, von daher möchte ich mich eher auf einen Aspekt beschränken und zwar auf den der Bewegung. Das ganze Geschehen spielt in einer amerikanisch-mexikanischen Grenzstadt bzw. -region. Es gibt einen permanenten Austausch zwischen den Staaten, den Kulturen (mitsamt den Vorurteilen), es fließt alles ständig hin und her. Manchmal weiß man auch als Zuschauer nicht mehr, wo man sich befindet. Alles ist im Wandel, alles ist unsicher. Und dazu passen die langen Kamerafahrten, es schwimmt alles hin und her, nichts ist sicher, nichts vertraut.

    Schon der legendäre Beginn, eine Plansequenz über mehrere Minuten, technisch unendlich aufwendig, beschert uns, dem Zuschauer, eine Mischung aus Unruhe und heimeligen Glück. Schon hier ist man sich nicht sicher, wo es hingehen soll. Und so geht es eigentlich weiter. Immer ist die Unruhe da, immer die Bewegung, das Schwanken innerhalb des Films und der eigenen Haltung. Die Kamera führt uns in langen Einstellungen mal da hin, mal dort hin, mal sind wir in den USA, mal in Mexiko, mal ist der Gangster Grandi ein 'bad guy', mal finden wir ihn bemitleidenswert, mal ist Hank Quinlan schlichtweg ein Schwein, mal fühlen wir mit ihm. Nichts ist sicher, alles fließt.

    Aber, wie gesagt, das ist nur ein Aspekt. Alles kann man auch ganz anders sehen, zu all dem gibt es noch ganz viele andere Ansatzpunkte. 'Touch of Evil' ist eine unendliche Fundgrube und damit Orson Welles at his best!!!

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • (1965)

    Drei Shakespeare-Verfilmungen mit ihm als Regisseur gibt es von Orson Welles, einen TV-Kaufmann von Venedig in der Regie von Peter Brook, diverse Tonaufnahmen vom Mercury-Theatre und einen kurzen Filmausschnitt seines legendären 'Voodoo-Macbeth' aus Harlem. Welles hat sich sein Leben lang, schon als Heranwachsender, mit dem Barden beschäftigt.

    'Chimes at Midnight' ist nun seine letzte vollständig vorliegende Adaption, zusammengesetzt aus den beiden Teilen von Henry IV., dann Henry V., Richard II. und den Lustigen Weibern von Windsor.

    Und was liegt vor? Eigentlich einmal mehr eine 'Billigproduktion', gedreht in Spanien. Schmales Budget, viel Gedoubel, zerstückelte Nachsynchronisation, Schauplätze, die manchmal nur mit sehr gutem Willen als Englisch durchgehen. Und ein Film, der all das ganz schnell vergessen macht, mit seiner furiosen Tour de Force in den Falstaff-Szenen, der fast klösterlichen Strenge um den alten Henry IV. herum, einer grandios gefilmten Schlachtensequenz, der aber vor allem eine Melange ist, die, streng genommen, kein Shakespeare mehr ist und trotzdem mehr von ihm beinhaltet als so viele andere Filme.

    Welles hat sich ja nie puristisch an den Shakespeare-Text gehalten. Er kürzte stets hemmungslos, zog zusammen, erfand neue Figuren, stellte um, vermischte und vermengte, erschuf sich stets seinen eigenen Shakespeare und das in einer Zeit, in der das nicht unbedingt überall gerne gesehen wurde. Lange vor 'The Complete Shakespeare in 1,5 Hours' oder 'Schlachten' von Luc Perceval.

    Hier aber scheint er mir noch einen Schritt weitergegangen zu sein, weil er in verschiedenen Stücken räuberte, um die Figur des 'Falstaff' ganz prominent in den Mittelpunkt stellen zu können, natürlich mit ihm selber als Interpret. Aber das Ergebnis gibt ihm absolut Recht. Alles, was Shakespeare interessierte und letztlich wohl auch Welles, ist hier enthalten. Verrat und Freundschaft, 'the world is out of joint', Herrscherschicksal, freier Wille, Alter, grotesker Witz und Tragik, Sterben und Tod.

    Gefilmt ist das alles in typischer Welles-Manier, Schwarzweiß natürlich, Tiefenschärfe, schräge Kamerapositionen, Untersicht, überlappende Dialoge, Strukturen als Bildgliederung usw. Aber auch hier ist das wiederum kein Selbstzweck, sondern verdeutlicht in jedem Moment den Inhalt der Szene. Und die sind wirklich fulminant inszeniert und aneinandergereiht. Der Film hat ein wahnsinniges Tempo, genau da, wo es notwendig ist, um dann übergangslos zur Starrheit abzubremsen.

    Ein Wort zu den Schauspieler. Natürlich ist alles um die barocke Figur des Falstaff herum konzipiert und natürlich die barocke von Orson Welles. Aber es ist keine Ein-Mann-Show, die es leicht hätte werden können. Welles war solch ein 'bigger-than-life-Typ', er hätte, wenn er es gewollt hätte, jeden anderen von der Leinwand wegwischen können. Das hat er sich und uns zum Glück erspart, einmal dadurch, dass er großartige Gegenspieler um sich versammelt hat, andererseits dadurch, dass er sie inszenatorisch gleichberechtigt behandelte. Aber trotzdem ist seine Leistung schlichtweg grandios. Man liebt diesen Falstaff, man hasst ihn, man klebt an ihm und man nimmt ihm alles ab, obwohl man ihm nichts glaubt.

    Genauso großartig John Gielgud als Henry IV. Beide haben keine gemeinsamen Szenen, aber auch so wird der enorme Unterschied zwischen beiden deutlich, schauspielerisch wie auch von der Rollenanlage her. Der von Leben und Lust berstende Falstaff gegen den verhärmten, erstarrten, von Schuld geplagten König.

    Ein unendlich schwieriger Part ist Hal, der Kronprinz, der spätere Henry V., muss er doch glaubhaft die Wandlung vom Falstaff-Kumpan zum verantwortungsvollen König mit dem berühmten 'I know thee not old man' bewältigen. Keith Baxter macht das gut, die Momente des 'Erwachens', der Umkehr könnten intensiver, erschütternder sein, aber schließlich muss er sich gegen Welles und Gielgud behaupten, was ihm eigentlich ziemlich gut gelingt.

    Margaret Rutherford als Mrs Quickly ist so gar nicht Miss Marple, sondern zeigt eher durch Understatement ihre große Klasse als Schauspielerin. Sie spielt sich nie in den Vordergrund, aber sie ist trotzdem immer mit in der ersten Reihe in ihren Szenen.

    Jeanne Moreau kommt vielleicht ein wenig zu kurz, für diesen Part ist das schon eine Luxusbesetzung. Und trotzdem bringt sie ihre Klasse als Schauspielerin ein, wirkt in ihrer Rolle nie billig.

    Eine bewundernswerte Besetzung, zumal die Nebenrollen durch die Bank mit glänzenden 'Typen' aufwarten.

    Also auch von daher ein überragender Film und der, den Welles übrigens selber am meisten geliebt hat. 'Chimes at Midnight' ist großer Shakespeare, ist großer Welles und ist für mich im Kosmos der Shakespeare-Verfilmungen ganz weit oben.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

    Einmal editiert, zuletzt von Wolfram (30. November 2021 um 22:38)

  • (1948)

    Knapp zwanzig Jahre älter ist die erste Shakespeare-Adaption auf Film von Orson Welles. Ebenfalls eine Billigproduktion, aber ungleich ärmer an Humor, logisch bei dem Sujet, gedreht in einer großen Halle, mit aus dem Fundus stammenden Western-Kostümen, in Pappmaché-Kulissen, eine Mischung aus 'Sturmhöhe und Frankensteins Braut', wie Welles es selber nannte.

    Ich weiß nicht, warum man sich über Pappmaché so aufregte, bestanden doch damals alle Studioproduktionen v.a. aus diesem Material. Aber es wirkt natürlich schon seltsam oder sagen wir speziell. Aber genau das ist es, was ich an dem Film so mag. Er ist wirklich speziell.

    Man spürt an allen Ecken und Enden das knappe Budget, aber mich persönlich stört das überhaupt nicht. Im Gegenteil, zeigt es doch nur, wie die Kreativität von Welles durch diese Produktionsbedingung angeregt werden konnte. Denn herausgekommen ist ein aberwitziger, archaischer, horrorartiger, expressionistischer 'Macbeth' mit großartigen filmischen Szenen, mit überdimensionalen Schauspielerleistungen - aber auch mit Momenten des Scheiterns. Von daher ist es vielleicht eher ein verzweifelter Versuch sich diesem Drama zu nähern, groß in vielen Momenten, in der Anlage überhaupt, auch in der gewagten Intention, groß aber auch im Fehlen, in der Nichtbewältigung. Ich finde die grundlegende Idee faszinierend, die Ausführung aber nicht immer überzeugend. Vielleicht lag es an den Produktionsbedingungen, vielleicht war Welles noch nicht in der Lage durchgehend mit schmalstem Budget auszukommen, vielleicht war er aber auch noch nicht reif genug.

    Mag es sein, wie es will, für mich bleibt die Wucht entscheidend und überzeugend, mit der er dieses Projekt durchzog und auf die Leinwand brachte. Und diese Wucht finde ich faszinierend.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Nicht gerade ein Höhepunkt der Sinfonik, aber trotzdem unterhaltsam, Blitzsteins "Airborne Symphony" mit Orson Welles als Sprecher (Bernstein dirigiert die New York Philharmonic):

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