Stummfilme mit Live-Musik
Vor wenigen Wochen erlebte ich in der Stadthalle Heidelberg - ich hatte mich kurzfristig und spontan entschlossen hinzugehen - ein ästhetisches Erlebnis besonderer Art - besonders, da es für mich eine Erstbegegnung war und ich auf diesem Gebiet bislang keine eigenen Erfahrungen habe: einen Stummfilm mit Live-Orchester. Derartige Veranstaltungen sind anscheinend in den letzten Jahren wieder beliebter geworden und es hat, wie ich feststellen konnte, schon einen ganz eigenen Reiz, diese Verbindung von Kino und Konzert selbst zu erleben. Die Veranstaltung in Heidelberg war allerdings alles andere als ausverkauft - Sommerzeit!
Es handelte sich um den Stummfilmklassiker Nosferatu. Eine Symphonie des Grauens (Deutschland 1922, Regie: Friedrich Wilhelm Murnau). Über den Film selbst (ich kannte ihn vom Fernsehen) muß ich hier wohl nicht allzuviel verraten: Es handelt sich um einen Film nach dem bekannten Klassiker aller Vampirromane Dracula von Bram Stoker. Im Film heißt der blutsaugende Protagonist Orlok, aufgrund von urheberrechtlichen Streitigkeiten mit den Erben des Dracula-Autors, die, glücklicherweise erfolglos, versucht hatten, alle Filmkopien vernichten zu lassen. Der Film gilt als Klassiker und Urbild aller Horrorfilme bis heute.
Der Soundtrack, der der Heidelberger Aufführung zugrunde lag, entstand erst 75 Jahre nach den Dreharbeiten und stammt von James Bernard (1925-2001). 1955 wurde er vom Musikdirektor der Produktionsfirma Hammer Films entdeckt; für einige Horrorfilme dieser Gesellschaft komponierte er die Filmmusik. Das Programmheft vermerkt, daß Nosferatu die letzte Filmmusik Bernards und damit der krönende Abschluß seines erfolgreichen Schaffens gewesen sei.
James Bernard über seine Musik:
ZitatMurnau nannte den Film 'Eine Symphonie des Grauens', also musste ich eine Filmmusik schreiben, die wie eine Symphonie zusammengehalten wird - das Ergebnis ist ein Netz verschiedener Themen. Die Kraft von Orloks Bosheit muss stark fühlbar sein. Sein Thema ist unnachgiebig und es wird von einer vergrößerten Blechbläsergruppe gespielt: 4 Posaunen, 4 Trompeten und eine Tuba. Ich nahm seinen Namen, um das Thema zu entwickeln - Nos - fe - ra - tu - wie ich es oft in meinen Filmmusiken gemacht habe, zum Beispiel in 'Dracula'. Ellen hat ein romantisches Thema, das von einer großen streichergruppe gespielt wird. Wenn die Krähe ruft, wird Ellens Thema immer wichtiger und zwingt Orloks Thema, zum Thema der Tugend zu werden. Es erreicht seine Finalkadenz erst, wenn sie stirbt.
Mir noch in Erinnerung ist das unbeschwerte, heitere Thema, das den tragischen Held Thomas Hutter (der nach Transsylvanien reist und damit unfreiwillig das Böse in sein Leben holt). An der Erläuterung des Komponisten wird auch deutlich, wie Richard Wagners Leitmotivtechnik bis ins 20. Jahrhundert wirkt. Daß Filmkomponisten sich auch heute noch gern an klassische Vorbilder halten, ist ihnen ja auch schon zum Vorwurf gemacht worden (Trivialmusik?), aber das muß vermutlich differenzierter betrachtet werden: Schließlich hat diese Art von Musik konkrete Rahmenbedingungen und Anforderungen, die sich von "absoluter Musik" unterscheiden. Doch an dieser Stelle möchte ich den Stab gern an die Kenner/innen weiterreichen.
Insgesamt war ich beeindruckt und fasziniert: ein großer Abend war das für mich, weitere Erfahrungen in diesem Genre möchte ich unbedingt machen! Das Philharmonische Orchester der Stadt Heidelberg unter Dietger Holm spielte expressiv und präzise - man merkte, daß die Musiker Lust an ihrer Arbeit hatten.
Der Film für sich genommen hat mich nicht so sehr begeistert, auch wenn ich seine filmhistorische Bedeutung gern anerkenne, aber ich bin nun einmal kein Freund von Horrorfilmen.
Nun ein paar Fragen in die Runde (da ich kein Kenner von Filmmusik bin, möchte ich das Thema möglichst offen lassen):
- Welche Erfahrungen habt Ihr mit Stummfilm-Aufführungen mit Live-Musik?
- Was haltet Ihr allgemein für wissenswert, z. B. über die Geschichte dieser Art von Aufführungen?
- Handelt es sich dabei um eine eher fragwürdige Art von Historismus oder ist es im Gegenteil verdienstvoll und lohnenswert, alte Stummfilme in dieser Weise wiederzubeleben?
- Veranstaltungstips?
- ...?!