VERDI: Un ballo in maschera – Grande e generoso
Meine Lieben,
Unter den von Verdi vertonten Libretti ist der 1859 uraufgeführte "Ballo" sicher eines der gelungensten und eindrucksvollsten, dennoch nicht ganz so wirkungsmächtig in die Breite wie der letztlich abstraktere "Trovatore" oder der "Rigoletto", obwohl die historische Wirklichkeit hier viel näher ist. Politisch barg der Stoff einigen Sprenggehalt, was zu der bekannten Umwandlung des schwedischen Königs in einen amerikanischen Gouverneur führte. Mittlerweile wird aber die schwedische, also ursprüngliche, Fassung ziemlich allgemein als Standard angesehen. Ende der 1980er Jahre war das noch nicht so klar, aber der Umschwung bekam kräftigen Anstoß, insbesondere als Karajan für die Salzburger Festspiele die "schwedische" Version vorbereitete und sie auch noch im Studio aufnahm. Das Ergebnis hat sich nie durchsetzen können, denn Karajans Gesundheitszustand erlaubte keine Spitzenleistung mehr, und auch bei den Mitwirkenden fand sich allerlei auszusetzen. Als Karajan dann kurz vor den Festspielen starb, sprang für die Aufführung binnen weniger Tage Sir Georg Solti ein. 1990 wurde dieser "Ballo" unverändert ins Programm genommen und vom ORF aufgezeichnet. Seit 2005 ist er als als DVD zu haben:
TDK schafft technisch großartige Bildqualität, auch mit dem Ton kann man recht zufrieden sein. Bei Besetzung und Ausstattung fehlt es nicht an klangvollen Namen. John Schlesinger ist ein alter Fuchs, in dessen Personenführung sich seine Routine und sein Können spiegeln, der hier leider aber auch einen Hang zu falschem Hollywood-Aufwand und überflüssiger Spielastik verrät, der den Gesamteindruck zwiespältig macht. Dazu kommt auch ein Bühnenbild (William Dudley), das meist neben wirklicher Ästhetik angesiedelt ist und teilweise bedenklich in Kitsch oder ins Läppische abrutscht (besonders der zweite Akt ist danebengeraten). Wirklich gelungen ist eigentlich nur das erste Bild des dritten Akts. Bei Ulrica tut sich unangenehm viel Überflüssiges, namentlich die Totenbeschwörung, die zwar für sich recht reindrucksvoll gestaltet ist, aber fehl am Platz wirkt. Dasselbe gilt für diverse Turnübungen der Komparserie. Andererseits beeindrucken die Verschwörerszenen oder daß Oscar den Hinweis auf das Kostüm des Königs ausplaudert, weil er zu schnell und zu viel getrunken hat - er wird dann sehr rasch wieder nüchtern.
Daß Renato den König nicht erdolcht, sondern erschießt, entspricht nicht dem Libretto, aber dem seinerzeitigen Geschehen in Stockholm. Warum allerdings der arme Gustavo zwei Kugeln bekommt, vermag ich nicht einzusehen. Wir sind doch in keinem Western! Die Kostüme (Luciana Arrighi) wären sehr gelungen, wären da nicht auch einige Überkandideleien.
Dirigent und Orchester sind dagegen uneingeschränkt zu preisen. Solti, in seinem Auftreten der typische feine Herr mit Kultur, meidet anders als Schlesinger die billigen Effekte und entfaltet trotzdem ein prächtiges Spektrum, dem es weder an Dramatik noch an musikalischer Transparenz fehlt. Ein weiteres Glanzlicht ist natürlich Placido Domingo als Gustavo. Obwohl bereits über seinen Höhepunkt hinaus, singt und gestaltet er noch immer wunderbar. Seine Darstellungskraft, seine Ausstrahlung und seine kultivierte, warme Stimme kommen ideal zur Geltung (kaum glaublich, daß er auf der älteren Aufnahme unter Abbado auch einmal in der Rolle ziemlich enttäuschte). Er allein würde die Anschaffung rechtfertigen.
Ebeno großartig sind Kurt Rydl und der erst voriges Jahr viel zu früh verstorbene Goran Simic als Verschwörerduo. Leo Nucci als Renato verfügte damals noch über eine zwar nicht außerordentliche, aber doch sehr gute Stimme, verleiht seiner Rolle starke Überzeugungskraft (schon allein sein erster Auftritt macht klar, daß dieser Anckarström etwas Verklemmtes an sich hat) und verdient sich die Sympathie des Publikums mit Recht. Sumi Jo garantiert Festspielniveau, aber trotzdem habe ich schon noch überzeugendere Pagen im Ohr.
Für (Dame) Josephine Barstow dürfte diese Amelia etwas zu spät gekommen sein. Schauspielerisch ist nichts einzuwenden, da spürt man viel Erfahrung, aber stimmlich bleibt sie zu sehr konturlos. Im zweiten Akt übertreibt sie das Vibrato, anfangs des dritten Akts hat sie ihre beste Phase und wirkt sehr berührend. Man kann nicht sagen, daß sie schlecht ist, aber sie bleibt einiges schuldig. Ein netter Gag bleibt immerhin, daß Amelia ja laut Textbuch auch eine Engländerin ist. Florence Quivar als Ulrica empfinde ich als durchschnittlich; sie ist wohl auch von der Regie nicht gerade begünstigt.
Fazit: Auch wenn nicht alles gefällt, den Hauch großer Oper(nkunst) spürt man schon. Wenn man die DVD nicht einzeln kauft, sondern in der günstigen Salzburger Dreierbox (mit "Figaro" und "Ariadne"), ist sie die Anschaffung durchaus wert.
Liebe Grüße
Waldi