'Film noir' oder 'Die Welt ist schlecht'

  • 'Film noir' oder 'Die Welt ist schlecht'

    'Le Film Noir', 'The Psychological Thriller', 'Die Schwarze Serie' - ein Topos der Filmgeschichte. Der Begriff ist klar, allgemein bekannt und jeder weiß in etwa, was damit gemeint ist.

    Aber genau da geht es schon los. Der FN (ich nehme jetzt einmal den französischen Begriff) war nie ein exaktes Genre, sondern eher eine Welle, etwas, was bestimmte amerikanische Filme der 40iger, 50iger Jahre miteinander verband. Aber vielleicht auch schon Filme der 30iger, vielleicht sogar auch solche aus England, Frankreich oder Deutschland.

    So wie die 'Nouvelle Vague' eigentlich keinen genauen Beginn hat, weil es ja all die Vorläufer gibt, so kann man den FN auch nicht auf einen ersten Film festlegen und schon gar nicht das Ende definieren. Allgemein wird wohl 'The Maltese Falcon' (John Huston) als Beginn und 'Touch of Evil' (Orson Welles) als Ende der klassischen, amerikanischen Zeit angesehen. Aber diese Eingrenzung bringt einen nur bedingt weiter. Wichtiger sind dann wohl spezifische inhaltliche Merkmale.

    Zunächst (und Ausnahmen bestimmen im Fall des FN immer die Regel) handelt es sich um ein amerikanisches Filmphänomen, was aber natürlich Vorläufer hatte. Die Masse der Filme, die der FN zugeordnet wird, entstand in Hollywood in den 40iger und 50iger Jahre im Zusammenhang mit dem II. Weltkrieg. Dieses Phänomen, diese Welle hatte Gemeinsamkeiten (und auch hier wieder die Sache mit der Regel und den Ausnahmen):

    - Krimi, Gangsterfilm, Thriller
    - Schwarz-Weiß-Fotografie
    - harte, klare Lichtregie mit viel Licht und Schatten
    - Untersicht, Tiefenschärfe, schräge Kamerawinkel, bizarre Effekte
    - urbanes Umfeld
    - oft ein Detektiv
    - Frauen ist nicht zu trauen
    - mindestens ein Mord
    - gerne Rückblenden
    - Erzähler aus dem Off
    - Perspektivlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, soziale Determinierung
    - Korruption, Angst, Entfremdung, Amoralität,
    - Pessimismus
    - Gesellschaftskritik, Kapitalismuskritik, Zweifel am 'amerikanischen Traum'

    Der Film Noir war kein radikaler Bruch mit dem klassischen Hollywood à la MGM, sondern eher ein schleichender Prozess, etwas, was durch die politischen Umstände bedingt war. Einerseits kamen nach 1933 sehr viele vom deutschen Expressionismus geprägte Filmschaffende in die USA, andererseits konnte die nach dem Börsenkrach 1929 entstandene Welle von Screwball-Komödien und Musicals mit der sozialen Wirklichkeit während des New Deal nicht mehr mithalten. Dazu kam dann der Ausbruch des II. Weltkriegs und der Eintritt der USA 1941. Das genau war der Zeitpunkt als Hollywood, jedenfalls ein Teil davon, unter dem Einfluss gerade auch deutschsprachiger Emigranten und amerikanischer Autoren eine ganz andere Sicht auf die Realität erleben musste. Die Welt war aus den Fugen. Im Angesicht einer wirklich realen Bedrohung oder einer als solche empfundenen, verlangte das Publikum einerseits 'wirkliche' Menschen und andererseits das Abbild der eigenen, alltäglichen Wirklichkeit. Und Hollywood bediente das natürlich. 'Never change a winning team' - als sich zeigte, dass diese Art von Filmen Erfolg hatte, brach eine wirkliche Welle los.

    Der Film Noir hat eine ganze Reihe von filmischen Meisterwerken hinterlassen und hat, wenigstens für eine gewisse Zeit, das klassische Hollywood ein wenig entzaubert. Plötzlich brach eben die Realität ein in die Traumfabrik (was man auch immer unter Realität verstehen möchte) und es nahte die große Stunde mancher Emigranten, die ihre eigene Prägung mit einbringen konnten. Und zusammen entstanden Filme (ok, von höchst unterschiedlicher Qualität) die in neuer, für Hollywood ungewohnter Weise Realität und Zeitgeschehen reflektierten. Zeit- und schicksalsbedingt zwar in extrem negativer Weise, aber damit immer noch mehr am wirklichen Leben als die 'Traumfabrik' sonst versprach.

    Der FN war natürlich nicht nur auf die USA beschränkt. Ansätze, Ähnlichkeiten finden sich in vielen Ländern. 'The Third Man', 'Odd Man Out', 'Pépé le Moko', 'Les Diaboliques', 'Nachts, wenn der Teufel kam' und viele andere bedienten sich mehr oder weniger stark an Formen und Inhalten des FN. Aber auch nachfolgende Generationen von Regisseuren waren vom FN begeistert, wurden von ihm beeinflusst. Truffaut, Godard, Fassbinder, Hitchcock, Fuller usw.

    Was nun unbedingt sehen? Der FN ist äußerst vielfältig und wahrlich auch sehr unterschiedlich in der Qualität. Die frühen US-Filme von Fritz Lang z.B. ('Fury', 'You Only Live Once'), die darauf hinführen, weil sie die expressionistische Kameraführung und Lichtregie hatten, die dann für den FN so wichtig wurden und dann natürlich die großen Meisterwerke:

    - The Maltese Falcon (John Huston)
    - Double Indemnity (Billy Wilder)
    - The Killers (Robert Siodmak)
    - Touch of Evil (Orson Welles)

    Und all die Filme dazwischen und die sind Legion. All die entsprechenden Filme von Hitchcock, Hawks, Walsh, Huston, Litvak, Welles, Dmytryk, Hathaway, Siodmak, Ulmer, Negulesco, Curtiz, Mann, Ray, Preminger, Wyler, Losey, Fuller, Dassin und so weiter und so fort. Das halbe Hollywood hat zu dieser Welle beigetragen und damit zwischen Bewältigung der Weltwirtschaftskrise und Eisenhower/McCarthy-Ära zu einem markanten, weitreichenden und bedeutenden Abschnitt Hollywoods beigetragen.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Super Thread ! :top: :top: :top: :top: :top: :top: :top:

    - Korruption, Angst, Entfremdung, Amoralität,
    - Pessimismus
    - Gesellschaftskritik, Kapitalismuskritik, Zweifel am 'amerikanischen Traum'

    .. und dabei ohne Trugbild vom „guten Kapitalismus“; zudem wird gegen bürgerlichen Staat & seinen exekutiven Einrichtungen - mehr oder weniger diskret - coole Arschkarte gezückt.....
    ... zuerst auf Schirm kommt einen Aldrichs Rattennest/Kiss Me Deadly

    https://www.youtube.com/watch?v=ss4AF91KOFw
    komplett: https://www.youtube.com/watch?v=ss4AF91KOFw
    Knallharter Mike Hammer funzt als mega-sturer Ego-Nerd gegen böse Buben, baut dabei auch tödlichen Scheiß…

    vielleicht auch schon Filme der 30iger, vielleicht sogar auch solche aus England, Frankreich oder Deutschland.

    Clouzots Rabe/Le Corbeau

    oder
    Costa-Gravas Mord im Fahrpreis inbegriffen (Compartiment tueurs)
    https://www.youtube.com/watch?v=00MHlHHGUaE
    (ohne DVD Bildchen :( :( )

    eine Reihe später verzapfte mega-fetzige Krimis in Farbe docken m.E. an Film noir an . z.B.

    Altmans Der Tod kennt keine Wiederkehr/The Long Goodbye oder
    Rosenbergs Unter Wasser stirbt man nicht/The Drowning Pool……………..

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Ich erinnerer mich dunkel an diese Serie hier, die ich wohl teilweise in 1986 bei meiner Ankunft in UK gesehen haben muss. Würde ich gerne mal wieder sehen.

    "The British miniseries The Singing Detective (1986), written by Dennis Potter, tells the story of a mystery writer named Philip Marlow; widely considered one of the finest neo-noirs in any medium, some critics rank it among the greatest television productions of all time."

    https://en.wikipedia.org/wiki/Film_noir

  • .. zuerst auf Schirm kommt einen Aldrichs Rattennest/Kiss Me Deadly

    Interessanter Tipp. Den habe ich gleich bestellt. 1953 und dann FSK18! Da muss aber was kommen. ^^

    Clouzots Rabe/Le Corbeau

    Ist auch auf meiner Liste. Vielleicht verschiebe ich ihn aber auch noch in Richtung Wunschzettel. ;)

    ch erinnerer mich dunkel an diese Serie hier, die ich wohl teilweise in 1986 bei meiner Ankunft in UK gesehen haben muss. Würde ich gerne mal wieder sehen.

    Das war doch dieser Detektiv mit der Hautkrankheit oder so. Erinnere mich nur noch dunkel, aber die Reihe lief mal im III. Programm.

    :wink: Wolfram

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    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • eine Reihe später verzapfte mega-fetzige Krimis in Farbe docken m.E. an Film noir an . z.B.

    Altmans Der Tod kennt keine Wiederkehr/The Long Goodbye oder
    Rosenbergs Unter Wasser stirbt man nicht/The Drowning Pool……………..

    Eigentlich ist es wirklich nicht möglich, den FN zeitlich einzugrenzen. Man hilft sich dann mit der 'klassischen' Phase und fasst diese Filme dann als 'Neo-Noir' zusammen. Farbe ist für mich beim FN wirklich komisch, aber das ist vielleicht persönlicher Geschmack. Ansonsten sind es wohl einfach die ganzen inhaltlichen Übereinstimmungen, die einen Film zu einem 'Noir' machen, die ja aber auch nicht immer alle zutreffen müssen. Von daher ist das wirklich eine unendlich ausufernde Welle.

    :wink: Wolfram

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  • Bei mir ging heute erst einmal mit diesem weiter:

    George Marshall inszenierte diesen Vertreter des FN, der schon ein wenig 'aufgeweichter' daherkommt. Die Rollen von Gut und Böse sind eigentlich ziemlich schnell verteilt. Der böse Clubbesitzer und sein böser Geschäftsführer und der schleimig-fiese, also böse Hausdetektiv und natürlich die böse Ehefrau, die trinkt und sich einen Geliebten hält. Das muss bestraft werden und wird es dann auch. Dann die gute Polizei, die aber halt zu Beginn noch nicht so richtig durchblickt. Und dann natürlich die beiden anständigen Helden, um die der ganze Film einfach herumgebaut wurde: Alan Ladd und Veronika Lake (leider ohne ihre sensationelle Frisur).
    Von den bestimmenden Figuren erfährt man eigentlich recht wenig, nur wenn sie einen schwarzen Schatten in ihrem Lebenslauf haben. Man muss aber auch nicht mehr wissen, weil sie dafür eigentlich alle viel zu uninteressant sind.
    So rollt das Geschehen ziemlich schematisch ab, Ladd versucht die ganze Zeit seine Unschuld zu beweisen, die man auch nie in Zweifel zieht. Lake unterstützt ihn dabei und das Zusammenspiel der beiden in ihrem letzten gemeinsamen Film, wenn ich es recht sehe, ist schon bald das Interessanteste, was auch den wirklich schönen Dialoge von Raymond Chandler zu verdanken ist.
    Ansonsten ist es ein routiniert inszenierter Gangsterfilm ohne all die Zwischentöne, die einen wirklich FN so interessant macht.

    :wink: Wolfram

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  • Bevor 'was Neues eintrudelt, muss ich noch auf meinen Bestand zurückgreifen, der gar nicht so gering ist, immer abhängig davon, welche Kategorien man anlegt.

    Aber ich habe gedacht, ich kehre heute mal zum Anfang zurück:

    John Hustons Regiedebüt und nach Meinung ganz vieler Kritiker der Beginn der klassischen Phase des FN. Über solche Festlegungen kann man immer streiten, aber er ist, 1941 gedreht, mit Sicherheit der erste große Klassiker dieser Stilrichtung.

    Und das mit Recht, denn er vereinigt nicht nur die wesentlichen Merkmale des FN in sich, sondern Huston gebraucht sie auch dermaßen virtuos, hält den Spannungsbogen immer aufrecht, ohne dass er 'billig' werden würde, führt die vier Hauptpersonen zu beeindruckenden und dem Stoff adäquaten schauspielerischen Leistungen und würzt den Film mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors, dass es einfach nur eine Lust ist. Natürlich ist man heute viel radikaler, vielleicht auch plakativer im Einsatz der Mittel. Aber wer noch einen Sinn für die leiseren Töne hat oder die dezenteren, wird diesen Film lieben (müssen).

    Rühmen könnte man nun neben den Schauspielern die Lichtgestaltung, die Kamera, die Ausstattung, auch die Musik. Rühmen könnte man die Bildkompositionen, die Dialoge, die Dramaturgie. Rühmen v.a. auch den Mut und die visionäre Kraft, mit der sich Huston gegen alle Hollywood-Konventionen behauptet und durchgesetzt hat. Am Stärksten ist aber vielleicht doch der Eindruck, dass man mit diesem Film auch einer Geburtsstunde beiwohnen kann, dass mit ihm in Hollywood ein neues Kapitel aufgeschlagen wurde und dass Film und gesellschaftliche Realität sich endlich wirklich begegneten.

    :wink: Wolfram

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  • Was fehlt bei You Only Live Once (Lang, 1937)?
    Auch Le Quai des brumes (Carné, 1938) und Le Jour se lève (Carné, 1939) kenne ich unter diesem Label.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Was fehlt bei You Only Live Once (Lang, 1937)?

    Keine Ahnung, den Film habe ich bislang noch nicht gesehen. Ich denke aber, er steht eher in der Tradition der 'Gangsterfilme' der frühen 30iger Jahre.

    Auch Le Quai des brumes (Carné, 1938) und Le Jour se lève (Carné, 1939) kenne ich unter diesem Label.

    Beide werden allgemein eher unter poetischen Realismus eingeordnet, was für mein Empfinden es auch besser trifft. Hier fehlt wohl v.a. die grundsätzlich pessimistische Weltsicht, die Kälte, die die Menschen umgibt, die Gier nach Geld, die das ausschlaggebende Motiv häufig ist und die sich schon sehr von dem Streben nach einem einigermaßen anständigen Leben unterscheidet. Bei 'Quai des brumes' ist der Auslöser ja eigentlich seine Desertation aus der Kaserne (keine Fahnenflucht innerhalb eines Krieges), also etwas, was man durchaus nachvollziehen kann und was ihn moralisch eigentlich nicht diskreditiert. Aber genau das setzt dann ja seinen Absturz in Gange, weil die Umstände es erzwingen, nicht seine von Beginn an vorhandene Gier oder sein Verfallensein an eine 'femme fatal'.

    :wink: Wolfram

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  • Keine Ahnung, den Film habe ich bislang noch nicht gesehen. Ich denke aber, er steht eher in der Tradition der 'Gangsterfilme' der frühen 30iger Jahre.

    Und inwiefern stünde der film noir nicht in der Tradition der Gangsterfilme der frühen 30er? Aber schau Dir mal den Lang an ...

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  • Und inwiefern stünde der film noir nicht in der Tradition der Gangsterfilme der frühen 30er?

    Natürlich steht er auch in dieser Tradition, genauso wie der deutsche Film-Expressionismus der 20iger ihn beeinflusst hat. Der FN ist ja keine Neugeburt, sondern er hat Vorläufer, auch wenn er völlig neue Akzente setzt.

    Wenn ich den klassischen Gangsterfilm und auch einen seiner Vorläufer, Regeneration von Raoul Walsh von 1915 richtig erinnere, geht es diesem Genre eher um die sozialen Ursachen eines Phänomens. Warum wird jemand zu einem Gangster, einem Bandenmitglied? Weil seine Herkunft, seine Erziehung, die Chancen, die ihm das Leben bietet, weil all das ihn geradezu dahin drängt. Der klassische FN-Held kommt aus einer anderen Schicht, scheitert aber, weil er sich z.B. völlig der Gier nach Geld hingibt und damit zu einem Beispiel für einen enthemmten Kapitalismus wird. FN ist immer wieder auch Kritik am Wirtschaftssystem und dessen Auswirkungen auf den Menschen. Der Gangsterfilm dagegen untersucht eher die sozialen Ursachen von Kriminalität. Während dieser immer auch noch Verständnis aufbringt, findet man das im FN weniger. Die Sicht ist negativ und durchaus auch zynisch.

    Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. ;)

    :wink: Wolfram

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  • Dmytryks Mord, mein Liebling/Murder, My Sweet (1944)
    https://archive.org/details/1944-m…d-dmytryck-vose
    fetzt als FN-Krimi, doch leider am Ende zu versöhnlerisch :( .

    Fahr zur Hölle, Liebling Farewell, My Lovely (1975) von Richards
    https://www.youtube.com/watch?v=s7tfQVsxC3Y
    sowie Michael Winners Remake von Hawks Tote schlafen fest/The Big Sleep (1946) mit Titel Tote schlafen besser/The Big Sleep (1978)
    https://www.youtube.com/watch?v=jCwOgxYBJ6c
    kommen – trotz Farbe - viel mehr fn-iger rüber :thumbup: , als beide SW-Krimis aus 40zigern (beide dennoch durchaus spannend und geil gemacht :jaja1: ), weil Neo-Chosen cooler + lakonischer fabriziert.
     
     
    Außerdem agiert Robert Mitchum als Schnüffler Marlowe abwechslungsreicher, präsenter ..... :thumbup: :thumbup:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • 'Fahr zur Hölle, Liebling' erinnere ich noch, so halbwegs, halt vor langer, langer Zeit mal gesehen. Ich weiß nur, dass er mich damals sehr begeistert hat, ähnlich wie 'Chinatown', der ja auch, trotz Farbe, ganz in auf der Linie des klassischen FN liegt. Aber vielleicht sollte/muss ich mir den Film mit Mitchum mal wieder anschauen.

    'The Big Sleep' in der Originalversion kommt morgen erst dran. Bislang hat mich der Film atmosphärisch immer sehr fasziniert, inhaltlich fand ich ihn aber durchaus verwirrend. Mal sehen wie ich ihn nun sehe.

    :wink: Wolfram

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  • Heute gab es eine von Wikipedia einmal mehr als FN gekennzeichneten Film, den ich so gar nicht da einordnen würde.

    Möglich, dass dieser Film nicht nur von Wikipedia immer wieder gerne dem FN zugerechnet wird, aber er weist eigentlich überhaupt keine spezifischen Merkmal diesbezüglich auf.
    Natürlich ist Bacall eine Frau mit Geheimnis, zunächst einmal und natürlich ist Bogart der 'Lonesome Wolf', aber beide sind doch eigentlich 'Pfundskerle'. ^^ Aber das war's dann eigentlich auch schon. Natürlich agiert Bogart des Geldes wegen, aber doch nur, um Bacall zu helfen. Natürlich gibt es die negativen Charaktere. Diese handeln aber nicht quasi als Konkurrenz, weil sie auch an den Geldtopf wollen, sondern, weil es Vichy-Leute sind, die die Nazis unterstützen. Ansonsten fehlt wirklich jedes Merkmal. Was aber nicht fehlt, ist die Parallele zu 'Casablanca'. Das ist aber auch kein FN-Film, sondern, genauso wie 'To Have and Have Not' ein romantischer Liebesfilm mit Zeitbezug in exotischer Kulisse.

    Was aber nichts daran ändert, dass er glänzend inszeniert ist und dass er erstmalig das Paar Bogart und Bacall auf die Leinwand bringt und die beiden zusammen sind wirklich eine Sensation und heben den Film noch einmal eine Stufe höher. Und vielleicht kann man, wenn man will, an ihm auch studieren, was eigentlich einen richtigen FN-Film ausmacht. So einen hatte ich nämlich genau davor gesehen.

    :wink: Wolfram

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  • Billy Wilders früher Geniestreich:

    Hier sind wirklich alle Zutaten drin, die FN ausmachen und werden mit einer überwältigenden Zwangsläufigkeit dargereicht.

    'Ich habe es des Geldes wegen gemacht. Ich habe es einer Frau wegen gemacht. Ich habe das Geld nicht bekommen. Ich habe die Frau nicht bekommen.'

    So einfach ist MacMurrays Resümee und eigentlich ist das der Kern des FN. Das muss nun nur noch gewürzt werden mit den 'üblichen Verdächtigen', sprich mit den üblichen Zutaten. Wir haben, wenigstens am Rande, das urbane Milieu, die Ambivalenz der Figuren, die sich dann aber immer für das Negative entscheiden, die (Achtung Zensur!) unterschwellige und nur angedeutet Sexualität, die eher Ausdruck von Begierde als von Liebe ist, der Zynismus und die Amoralität, die gar nicht in Frage gestellt wird. Gleichzeitig auf der formalen Seite gibt es da eben die harte Licht-Schatten-Ausleuchtung, das Spiel mit Schatten, aus dem deutschen Existenzialismus kommen, das die dramatischen Situationen noch einmal untermauern soll.

    Es gibt aber auch immer den einen moralischen Pfeiler (hier Edward G. Robinson), der sich zwischen alle Stühle begibt, aber trotzdem sozusagen die Fackel noch aufrecht hält. Und der am Ende triumphiert, auch wenn das eher ein Pyrrhus-Sieg ist, denn der Film ist auch einer über unausgesprochene Männerfreundschaft. Robinson bringt MacMurray zu Fall, erhält damit die Ordnung aufrecht und verliert seinen womöglich einzigen Freund. Das System setzt sich durch, der Mensch verliert trotzdem.

    50% des Erfolgs eines Films hängt vom richtigen Casting ab. So oder so ähnlich lautet eine Hollywood Maxime. Und es zeigt auch die Qualitäten eines Regisseurs, wenn er gegen das Image besetzt bzw. wenn er Widerstände bei Schauspielern überwinden konnte. Stanwyck, MacMurray, Robinson waren alle eine ungewöhnliche Wahl, aber es funktioniert. Stanwyck mit blonder Perücke ist grandios als letztendlich billige Verführerin, falsch bis auf die Knochen. Grandios alleine in der Mordszene, in der die Kamera nur auf ihrem Gesicht verharrt und man einen ganz feinen Zug des Triumphes mehr erahnen als sehen kann. MacMurray, Star vieler leichter Unterhaltungskomödien beweist sich plötzlich als ernstzunehmender, dramatischer Schauspieler und Robinson spielt gegen sein Image als 'Little Cesar' und wird plötzlich zu einem Charakterdarsteller. Ohne dieses Trio würde der Film wirklich viel an Wirkung verlieren.

    So bleibt er aber als ein spannungsgeladenes Psychodrama, der aber eigentlich nichts an seiner Wirkung über all die Jahrzehnte verloren hat. Weil er klar und deutlich menschliche Abgründe schildert, Abgründe, die keiner Mode und keiner zeitgeschichtlichen Veränderungen unterworfen sind.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Natürlich steht er auch in dieser Tradition, genauso wie der deutsche Film-Expressionismus der 20iger ihn beeinflusst hat. Der FN ist ja keine Neugeburt, sondern er hat Vorläufer, auch wenn er völlig neue Akzente setzt.

    Wenn ich den klassischen Gangsterfilm und auch einen seiner Vorläufer, Regeneration von Raoul Walsh von 1915 richtig erinnere, geht es diesem Genre eher um die sozialen Ursachen eines Phänomens. Warum wird jemand zu einem Gangster, einem Bandenmitglied? Weil seine Herkunft, seine Erziehung, die Chancen, die ihm das Leben bietet, weil all das ihn geradezu dahin drängt. Der klassische FN-Held kommt aus einer anderen Schicht, scheitert aber, weil er sich z.B. völlig der Gier nach Geld hingibt und damit zu einem Beispiel für einen enthemmten Kapitalismus wird. FN ist immer wieder auch Kritik am Wirtschaftssystem und dessen Auswirkungen auf den Menschen. Der Gangsterfilm dagegen untersucht eher die sozialen Ursachen von Kriminalität. Während dieser immer auch noch Verständnis aufbringt, findet man das im FN weniger. Die Sicht ist negativ und durchaus auch zynisch.

    Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. ;)

    :wink: Wolfram

    hm, komisch, im eröffnungsbeitrag war "soziale determinierung" eigenschaft des film noir, jetzt eher für den gangsterfilm im gegensatz zum film noir?
    ?(
    kennst du "They Live by Night" (ray, 1948)?

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  • hm, komisch, im eröffnungsbeitrag war "soziale determinierung" eigenschaft des film noir, jetzt eher für den gangsterfilm im gegensatz zum film noir?

    Du hast recht, da steht der Begriff und ich habe das sicherlich falsch ausgedrückt. Mit der sozialen Determinierung meinte ich eher, dass mehr oder weniger alle Personen durch das Gesellschaftssystem, in dem sie leben, korrumpiert werden, durch alle Schichten hindurch. Im Gangsterfilm wird dagegen eher deutlich, dass es Möglichkeiten gibt, die Verhältnisse zu ändern, wenn man früh genug durch soziale Programme eingreifen würde. Der Gangsterfilm erlebt nicht umsonst eine erste Blüte in den USA nach dem Börsenkrach und parallel zum New Deal, während der FN indirekt den II. WK reflektiert und nach dem Auslaufen des New Deals um 1938 entsteht, der sicherlich große soziale Nöte gemildert hat, aber an das Gesamtsystem nicht herangegenagen ist.

    ennst du "They Live by Night" (ray, 1948)?

    Den Erstling von Nicholas Ray? Nein, leider bislang noch nicht.

    :wink: Wolfram

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    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Heute nun einen der großen Klassiker des Film Noir:

    Nach dem großen Erfolg des Duo Bogart-Bacall musste natürlich nachgeschoben werden. Und so gab es im Jahr darauf erneut die Paarung, wobei Bacalls Rolle als Negativ- oder Positivcharakter länger in der Schwebe bleibt.
    Aber eigentlich bleibt hier alles in der Schwebe. Wenn die Anekdote stimmt, dass Howard Hawks sich an Raymond Chandler mit der Frage wandte, wer denn nun den Chauffeur umgebracht hat und dieser antwortete 'No idea.', dann sagt das einiges über den Film aus.
    Genauso wie die Tatsache, dass sich die Filmkritiker in der Bewertung eigentlich nicht so richtig einig sind. Fest für mich steht, dass es ein glänzendes Beispiel für den FN isst, auch wenn er nicht alle Ingredienzien wie noch 'Double Indemnity' beinhaltet. 'Die hoffnungslose Gesellschaft in einem düsteren Großstadtdschungel' ist hier permanent präsent. Zudem durchzieht den ganzen Film diese typische FN-Atmosphäre aus Licht und Schatten (meistens eher Schatten ^^ ), von berechtigtem Misstrauen gegen jedermann, von Korruptheit und moralischer Verworfenheit.
    Und trotzdem ist dem allem viel zu viel getan. Manchmal beschlich mich beim Schauen die Idee, dass die Autoren (Faulkner und Furthman, Leigh Bracketts Entwurf wurde größtenteils verworfen) beim Drehbuchschreiben sagten: Ach Gott, das nehmen wir auch noch mal, wie wär's noch mit dem Schlenker, das hatten wir noch gar nicht.
    Der ganze Film ist so vollgestopft mit Verwicklungen, als hätte sie sich aus dem Katalog: 'Was gehört zu einem guten Film Noir' massenhaft bedient. Herausgekommen ist keine reine Parodie, sondern eine ganz schräge Mischung aus grandiosem Krimi und sehr verstecktem Augenzwinkern. Wenn man den Film so sehen will. Wenn nicht, bleibt für mein Empfinden nur ein atmosphärisch unglaublich dichter und spannender Krimi, der aber eigentlich keinen Sinn ergibt.
    Anders als Amfortas empfinde ich Humphrey Bogart als einen fantastischen Marlow genauso wie im 'Malteser Falken'. Ups, und genau da haben wir die Crux, denn da verkörpert er natürlich Sam Spade. Beide spielt er toll, aber irgendwie auch so ähnlich, dass ich sie auseinanderhalten kann. Bogart ist grandios, aber er ist eben immer eher Bogart, spielt eher Typen (in diesen FN's) als wirkliche Charaktere, womit er John Wayne in vielen Filmen ähnelt. Aber das macht er einfach überwältigend.
    Howard Hawks tat gut daran, Bacall und Bogart nicht noch einmal zusammen zu casten. Wenn in 'To Have and Have Not' das Neuartige noch reizte, wenn man spürte, dass sie da im realen Leben eine große Liebe anbahnte, so wiederholen sie hier, sie versuchen es zumindest, das noch einmal. Es knistert immer noch, aber hat nicht mehr die Frische der ersten Begegnung. Zu viel ist Wiederholung, anbahnende Routine. Und trotzdem, die jeweiligen Aufeinandertreffen der beiden gehört zu den Höhepunkten des Films.
    Also insgesamt ein komischer Film. Atmosphärisch dicht, spannend, sehr gut anzuschauen, verwirrend, konstruiert, zu viel des Guten.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Edward Robinson war einer der wichtigsten Schauspieler des Film noir. Gibt kaum Filme mit ihm, die nicht spannend ist. Eigentlich sehr schade, dass dieses Genre fast verschwunden ist.

    Gib dich nicht der Traurigkeit hin, und plage dich nicht selbst mit deinen eignen Gedanken. Denn ein fröhliches Herz ist des Menschen Leben, und seine Freude verlängert sein Leben.

    Parsifal ohne Knappertsbusch ist möglich, aber sinnlos!

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