Ich würde doch davon ausgehen, daß z.B. die primäre Form der Rezeption des WTK für einen Musiker die war und ist, daß er es selber und für sich spielt, da mögen denn auch mal ein oder wenige Personen mithören.
Davon würde ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen nicht ausgehen. Die mehr oder minder unterschwellige Interaktion mit dem Publikum spielt eine erstaunlich große Rolle (das ist einer der Gründe dafür, dass ich Konzertmitschnitte gegenüber Studioaufnahmen beim Erwerb von Klangkonserven bislang fast immer bevorzugt habe). - -
Vielleicht sollten sie auf das erzwungene Auftrittsverbot öfter mit Stille antworten, statt sich massenhaft und ohne erkennbaren Widerspruch auf digitale Ersatzformate zu stürzen. Der Wert einer Sache wird oft erst dann so richtig bewusst, wenn sie nicht mehr vorhanden ist. Das wird im Falle der Musik durch Streamings usw. unterlaufen, mit der möglichen Folge, dass aus den ursprünglich als Notlösung gedachten Formaten ein "Normalfall" wird, der es zum Beispiel in Zukunft schwerer machen dürfte, für die Finanzierung "analoger" Konzerthäuser zu argumentieren, wenn sich doch scheinbar gezeigt hat, dass es ein simples Aufnahmestudio auch tut. Vor allem aber ist Musik ein bidirektionaler kommunikativer Vorgang zwischen Musikern und Zuhören, auch wenn letztere scheinbar nur still dasitzen. Die digitalen Ersatzformate ohne Publikum können diesen zentralen Aspekt nicht erfüllen, was allerdings umso weniger auffallen dürfte, je mehr die Musiker selbst durch ihr Verhalten signalisieren, dass sie ihn für entbehrlich halten. Statt dessen versichern sich alle gegenseitig, dass an der digitalen Konzertzukunft sowieso nichts mehr zu ändern sei und man ja durch die Krise die großartige Möglichkeit hätte, endlich auf den Zug der Zeit aufzuspringen.
Ich bin ja selten einer Meinung mit Christian Köhn und verzichte mittlerweile aus diesem oder jenem Grund normalerweise auf eine Reaktion, wenn er einen mich grundsätzlich tangierenden Beitrag veröffentlicht, aber in diesem Fall spricht er mir tatsächlich aus der Seele: Die infolge der "Pandemie" zu beobachtende allgemeine Flucht der Musiker in die Digitalität halte ich für höchst problematisch - wenn nicht gar heillos. In der Tat wird oft so agiert, als sei das an allen Ecken und Enden ins Kraut sprießende Hantieren "online" ein nahezu vollwertiger Ersatz für das direkt von Person zu Person gelebte Leben. Die reale persönliche Begegnung wird mehr und mehr entwertet. Alles in allem gewinnt das (zeitlich viel weiter gefasste, in gewisser Hinsicht sogar immer wiederholbare) Surrogat die Oberhand über die wirklich gegenwärtige Gegenwart....
Herzliche Grüße
Bernd