F.W. Murnau - der Psychologe
Friedrich Wilhelm Plumpe, bekannt als F.W. Murnau *1888 in Bielefeld - +1931 in Santa Barbara, Kalifornien
1905 geht Murnau nach Berlin, wird dort Schauspieler bei Max Reinhardt, dreht ab 1917 Filme, wechselt 1926 in die USA und stirbt an den Folgen eines Autounfalls 1931 in den USA, wird dann aber in Berlin beerdigt.
So karg diese Lebensstationen, so gering eigentlich sein Oeuvre. 22 Filme hat er gedreht, von denen aber nur 12 mehr oder weniger erhalten sind. Und trotzdem war und ist er einer der einflussreichsten, vielleicht einer der legendärsten Regisseure der Filmgeschichte.
Filmbilder, die legendär geworden sind, die man sofort zuordnen kann, die es zu 'Poster-Ehren' geschafft haben, mit denen Kalender bestückt werden. Der Beitrag des deutschen Films dazu ist aber gar nicht einmal so groß. Der Roboter aus 'Metropolis' natürlich, Marlene Dietrich auf der Tonne sitzend im 'Blauen Engel', vielleicht noch ein, zwei andere und dann natürlich Max Schreck als Nosferatu in Murnaus gleichnamigen Film von 1922.
'Nosferatu' - ein Film, der immer genannt wird, wenn der Name Murnau fällt. Ein Meilenstein des frühen Horrorfilms, aber Murnau war so weit, weit mehr, wobei der Aspekt des 'Horrors' in vielen seiner Filme eine Rolle spielte. Immer wieder bricht er ein, liegt wie ein Schatten auf dem Geschehen oder bestimmt es auch. Aber letztlich ging es Murnau um Anderes.
Murnau studierte den Menschen, studierte ihn in Extremsituationen, an Scheidewegen, in Lebensentwürfen und in deren Scheitern. Und es ging ihm um die Psychologie der Personen, das Wie und Warum des Handelns und wie man dies im Film und mit Film deutlich, sichtbar machen könnte. Wie all die anderen der großen Regisseure der Stummfilmzeit begriff er dabei Film nicht nur als eine andere Form des Theaters, sondern als ein völlig neues Medium mit völlig neuen und neu zu entdeckenden Möglichkeiten. Sein Feld war das Melodrama, der Horror, die klassische Literaturverfilmung, wahrlich weniger die Komödie. Wobei der Horror bei ihm gepaart mit einer 'schwarzen Romantik' deutscher Tradition auftritt. Nicht, dass er entsprechende Sujets verfilmt hätte, aber es scheint immer wieder durch, mal deutlicher im hysterische Anfälle erzeugenden Wehen von Vorhängen, mal weniger in Naturbildern, mal kaum spürbar, höchstens auf Gesichtern oder als ein schlichtes Gefühl, eine Einbildung, die die Protagonisten bedrängt. Aber überhaupt ist sein Werk voll von künstlerischer Anspielungen, ist ein Gemenge unterschiedlichster kultureller Einflüsse.
Murnaus Menschen handeln nicht 'einfach' so. Sie stehen immer in einer großen Tradition der europäischen Kulturgeschichte, sind Erbe davon, Teilhaber daran, offenbaren in ihrem Handeln all das, was über Jahrhunderte zu ihrem Wesen beigetragen hat. In dem Sinne war Murnau kein Radikaler, kein alles über Bord werfender Neuerer, sondern präsentierte mit seinen Menschen und ihrem Schicksal eher eine Summe dessen, was vorher war.
Anders dann aber in seiner Filmsprache. Natürlich konnte er, als er 1917 begann, Filme zu drehen, noch nicht auf eine allzu lange Tradition zurückgreifen. 'Birth of a Nation' war zwei Jahre alt. Abgesehen davon, dass wir nicht wissen, wie seine frühen Filme aussahen, da sie alle verschollen sind, macht aber schon sein erster vollständig erhaltener Film von 1921 deutlich, wie souverän er die damals gängige Filmsprache beherrschte und auch, wie er schon damals mit technischen oder filmischen Neuerungen experimentierte. Drei Jahre später 'entfesselt' er dann die Kamera im 'Letzten Mann'. Dazwischen und danach kann man spüren und v.a. sehen, wie er filmisch experimentierte, die Filmsprache vorantrieb, wie er sie benutzte. Er benutzte sie, das ist wichtig, nicht um einen Effekt zu erzielen, sondern stets, um die Psychologie seiner Personen zu verdeutlichen. Alles dient dem Inhalt, dient dazu Handeln von Menschen, Abgründe im Menschen, seine Verzweiflungen, Triebe, Sehnsüchte, Begierden, Ängste, Freuden usw. zu versinnbildlichen.
Murnau konnte wunderbar Bilder 'komponieren', nutzte das Dekor, die Raumausstattung, die Geometrie des Raums. Er experimentierte mit der Tiefe des Raums, auch und v.a. mit Tiefenschärfe, sah Natur als Ausdruck der Seelenlage. Die Montage wurde ein weiterer Schlüsselmoment seiner Filmkunst. Der Wechsel von Totaler und von Großaufnahme, die Parallelmontage, der 'enthüllende' Schnitt usw., als das verfeinerte er. Bei ihm wurde das expressionistische Spiel mit Licht und Schatten überführt in einen eher naturalistischen Gebrauch. Und er bewegte die Kamera. Zunächst zögerlich, dann immer 'hemmungsloser'. Er entfesselte sie eben.
'Nosferatu', 'Der letzte Mann', 'Faust' - mindestens diese drei großen deutschen Stummfilme zeugen für seine unglaubliche Kunst. Daneben darf man aber nicht 'Tartüff', 'Phantom', 'Schloss Vogeloed' vergessen. Aber all das ist gar nichts, nach meiner unmaßgeblichen Meinung, gegen den Stummfilm aller Stummfilme, gegen 'Sunrise' von 1927. Nicht nur, dass er hier das gesamte Register seines technischen Könnens zieht, nicht nur, dass er eine vielschichtige, tragische, aber durchaus nachvollziehbare Geschichte erzählt, nicht nur, dass sie auch schauspielerisch exzellent umgesetzt wird - nein, 'Sunrise' lässt auf seltsame Weise vergessen, dass es sich eigentlich immer noch um einen Stummfilm handelt. 'Sunrise' ist Abschluss und Beginn zugleich, zieht die Summe der Möglichkeiten des Stummfilms und beendet damit auch diese eigenständige Kunstrichtung und leitet über in eine neue, eben den Tonfilm.
Fazit? Murnau war ein großer Filmregisseur. Warum? Weil er das und das in seinen Filmen zeigte. Alles richtig, alles wichtig. Aber vielleicht ist er v.a. ein großer Filmregisseur, weil er, wie Fellini, den Menschen so sehr in den Mittelpunt stellte, weil alles dem Menschen diente, weil man immer und überall spürt, wie er den Menschen liebte.
Wolfram