Walter Gieseking - Klavier und Schmetterlinge...
Anderenorts wurde angemerkt, daß es noch keinen Thread zu Walter Gieseking gibt. Dem ist leicht abzuhelfen. Hier die aktuellen Beiträge, über die sich bestimmt weiter diskutieren läßt:
Walter Gieseking geriet eigentlich immer mehr an den Rand der Aufmerksamkeit . Sein Debussy und Ravel wurden gelobt , aber sonst ? Seine kompletten Mozart-Sonaten , seine (fast) kompletten Beethoven-Sonaten , sein Brahms , Schubert , Schumann , Grieg , Mendelssohn , die Rachmaninoff - Konzerte mit Barbirolli und Mengelberg , seine Aufnahmen als Kammermusiker - alles irgendwie kaum beachtet , und nur von wenigen geschätzt . Das gilt auch für seinen Bach . Bereits in den 20ern spielte er Stücke aus dem WTK ein , hatte ihn immer im Repertoire , galt als einer der besten Bach - Spieler .1950 nahm er für den Rundfunk beide Teile des WTK auf , entsprechend müssen Abstriche bei der Aufnahmequalität gemacht werden , es war keine Schallplattenproduktion . Und was heraukam , ist schwer zu beschreiben , ich finde es irritierend . eine Berg - und Talfahrt . Mal finde ich es heruntergespielt , um in nächsten Moment verblüfft zu stocken : was macht der da ? Klingt irgenwie - ja , wie ? Ich finde es fesselnd . Das ist keine "große Aufnahme" , mehr Gieseking'scher Alltags-Bach - gespickt mit vielen kleinen Überraschungen - den ich gewiß nicht alle Tage hören muss . Dafür aber schon seit Jahrzehnten hören mag .
zu Giesekings WTK 1 - So geht das also, das alte Testament.
Das ist kein Alltagsbach. Es ist eine fantastisch gute Version. Völlig auf das Minimum reduziert. Das zwingt mich, nein, es erlaubt mir, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nach einer Weile kommt es zum Vorschein.
Auf alles, was stören könnte, ist verzichtet worden.
Pianistisch finde ich nur F Dur und G Dur schwach. Heruntergespielt finde ich nichts. Es ist voller ganz feiner Facetten. Wenn ich die Beschreiben würde, würde ich es totreden. Es ist eine fantastisch gute Version.Berg und Talfahrt - anders gemeint - soll es ja sein. So ist es komponiert. Der Wechsel des Ausdrucks ist so komponiert. Manches versteht man daran nur im Ablauf, im chronologischen Nacheinander oder sogar erst im Nachhinein, im Rückblick. Wie im Leben. Gieseking spielt nur, was da steht.
Alles anzeigenDeine Ohren , meine Ohren . Ich verstehe vieles davon nicht , aber wir hören ja auch mit gänzlich verschiedenem Hintergrund . Aber die Faszination , die von dieser Aufnahme ausgehen kann , hat eben auch individuelle Gründe . -Ich bin bei Gieseking geblieben und hörte ihn mit der Sonate D 894 von Schubert . ( Ich habe eine mit den Davidsbündler Tänzen gekoppelte Ausgabe , die aber nur ohne Bild bei amazon ist ) . Die Aufnahme entstand 1947 für den Rundfunk . 6 Jahre später spielte Eduard Erdmann die Sonate ebenfalls für eine Radioübertragung ein . Mußte ich einfach nachschieben .
https://www.youtube.com/watch?v=AxSEKv96pXQ
Wer mag , kann mit mir Radio hören . Eine Übertragung aus Montevideo im Jahre 1952 . Walter Gieseking spielt ein Recital mit folgendem Programm und eingeschaltetem Fingerpedal :
1. Mozart: Piano sonata n° 11 in A Major K.331 I Andante graziosoII MenuettoIII Alla turca – Allegretto2. Beethoven: Piano sonata n° 30 op. 109 I Vivace ma non troppo — Adagio espressivoII PrestissimoIII Gesangvoll, mit innigster Empfindung. Andante molto cantabile ed espressivo3. Schumann: Symphonic Etudes op. 134. Ravel: Miroirs (‘the eye sees not itself / but by reflection, by some other things.’ Shakespeare, Julius Caesar, act I, Scene 2) I "Noctuelles" ("Moths"). D♭ major. Dedicated to Léon-Paul Fargue.II "Oiseaux tristes" ("Sad Birds"). E♭ minor. Dedicated to Ricardo Viñes.III "Une barque sur l'océan" (in English "A Boat on the Ocean"). F♯ minor. Written for Paul Sordes.IV "Alborada del gracioso" (Spanish: "The Jester's Aubade"). D minor — D major. Dedicated to Michel-Dimitri Calvocoressi.V "La vallée des cloches" ("The Valley of Bells"). C♯ minor. Dedicated to Maurice Delage.Encores:5. Ravel: Jeux d'Eau 6.Ravel: Sonatine – II Mouvement de Menuet
Angeblich hat Gieseking das Wohltemperierte Klavier abends nach langen Unterrichtstagen in Saarbrücken eingespielt, nachdem er es zum großen Teil jahrelang nicht mehr gespielt hatte. Geübt hat er sowieso eher wenig ("Wer badet, hat's nötig, wer übt auch."). Insofern passt das mit dem "Alltags-Bach" schon. Gieseking war wahrscheinlich einer der begabtesten Pianisten seiner Zeit, dem auch das Schwerste leicht fiel. Allerdings hört man an der ein oder anderen "Wurschtigkeit" auch, dass er sich in seiner Freizeit lieber mit Schmetterlingen als mit Klavierspielen beschäftigte.
Danke , das ist mir neu , wundert mich aber bei ihm nicht . Und so genau hat er es auch nicht immer genommen . Aber wer nur die Kreisleriana vom BBC 1953 mit der Aufnahme Anfang der 40er vergleicht , wird sogleich feststellen , daß Schwankungen bei ihm nicht ausblieben , Ungeübt . Schmetterlinge gingen halt vor .
Hier muss ich mich korrigieren. F Dur finde ich nicht pianistisch schwach, sondern tatsächlich heruntergespielt. Aber das ist die einzige Stelle. Hört sich so an als habe er die Konzentration verloren. Im G Dur Präludium verliert er auch kurz die Konzentration und hudelt etwas links.
Es kommt darauf an, von welchem Verstehen du sprichst. Natürlich kann man immer noch mehr lernen.Aber es ging um Herunterspielen, also darum, dass Gieseking dem Werk nicht genug Bedeutung gibt. Ich behalte mir tatsächlich das Recht vor, so einiges verstehen zu dürfen - mein persönliches Verständnis des Werks. Und daran gemessen bin ich zu dem Urteil gekommen, dass er das WTK1 hervorragend spielt. Könnte ich auch ausführlich begründen. Er gibt dem Werk die grösste Bedeutung, die man ihm imho geben kann, nämlich indem er vermeidet es zu offensichtlich mit einer eigenen Interpretation zu belasten. Es ist für das WTK ein sehr interessanter und ich meine passender Ansatz. Man könnte natürlich behaupten, das sei nicht absichtich so von ihm gedacht, sondern er spiele es tatsächlich nur so herunter, weil er es nicht besser wisse.