So etwas ist für mich wirklich nur sehr schwer nachzuvollziehen.
Ja, aber Brandt und Kohl sind nur zwei Beispiele von vielen. Dass Adenauers Staatssekretär Hans Globke als ehemals führender NS-Jurist (u.a. Kommentator der Nürnberger Rassengesetze) treibende Kraft war beim Versuch, die Spandauer Häftlinge vorzeitig freizubekommen, ist ja noch irgendwie in sich stimmig. Aber neben Willy Brandt setzten sich z.B. auch Carlo Schmid, Eugen Gerstenmaier, Karl Carstens und viele andere für Speer ein, sogar britische Parlamentarier und französische Geistliche. Dass er trotzdem seine Haft bis zum letzten Tag absitzen musste, lag allein an den Sowjets. Willy Brandt versuchte auch bei seinem Besuch in Washington im Oktober 1962, Speers Freilassung zu erreichen, und nachdem diese dann 1968 erfolgt war, verhinderte er trotz noch geltendem Spruchkammer-Gesetz ein Entnazifizierungsverfahren, wodurch Speer auch seine beträchtlichen Vermögenswerte behalten durfte. Der Blumenstrauß hatte für Brandt immerhin Folgen: Auf der einen Seite hielten ihm die Ewig-Gestrigen seine Emigration vor, auf der anderen Seite protestierte z.B. Simon Wiesenthal und distanzierte sich auch die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Brandt verzichtete daraufhin auf eine eigentlich vorgesehene Rede zur Pogromnacht im November. Bei einer NDR-Radio-Diskussion zum Thema "Gott vergibt - die Öffentlichkeit nicht. Haben Nazis lebenslänglich?", in deren Mittelpunkt Speer stand, setzten sich u.a. Golo Mann, Helmut Gollwitzer, Dorothee Sölle und sogar der Rabbiner Robert Raphael Geis für den zwei Jahr zuvor entlassenen Kriegsverbrecher ein. Wieder war es lediglich Wiesenthal, der einen Speer-kritischen Standpunkt bezog. Aber sogar er wurde ein paar Jahre später nach einem persönlichen Treffen zum "Speer-Versteher". Speer war weder als Architekt noch als Rüstungsminister so erfolgreich wie als Schöpfer der eigenen Legende. Dass diese zunächst ganz allmählich erodierte und dann schließlich so gut wie vollständig zusammenbrach, hat er nicht mehr erlebt.