'The music of the spheres', die Sehnsucht, das verzweifelte Verlangen danach - vielleicht das große Thema dieses Dramas.
1595 möglicherweise in einer privaten Aufführung erstmals gespielt, 1597 gedruckt und öffentlich 1601 im Globe -Theater aufgeführt. Eine direkte Quelle war die 'Englische Chronik' oder richtig 'Chronicle of England, Scotland und Ireland' von Raphael Holinshed aus dem Jahre 1587, wobei gleichzeitig starke Bezüge zu Christopher Marlowe und seinem 'Edward II.' (dem historischen Urgroßvater von Richard II.) bestehen.
Das Stück behandelt die letzten Lebensjahre Richards. Es beginnt mit einem Streit zwischen Henry Bolingbroke, seinem Vetter und späteren Henry IV. und Thomas Mowbray. Richard verbannt beide ohne das Ergebnis eines Zweikampfes abzuwarten. Während Henry im Exil ist, vergreift sich der König an den Besitztümern seines Onkels John of Gaunt, dem Vater des Verbannten. Dieser stirbt, was Henry dazu bringt, aus dem Exil zurückzukehren und gegen den König zu kämpfen. Richard muss sich ergeben, übergibt die Krone an Henry, wird in den Tower gebracht und dort ermordet.
Das Stück gehört zu den Historien und beschreibt einmal mehr den (verdienten) Niedergang der Plantagenets, der Königsfamilie, die dann von den Tudors abgelöst wurde. Richard ist schwach, kann seine königlichen Aufgaben nicht erfüllen und bedient sich zudem am Vermögen seiner Untertanen, um ein hedonistisches Leben mit seinen Günstlingen führen zu können.
Aber das ist nur die Handlungsebene. Von vielen Kritikern wird bemängelt, dass es wenig Tat und viel Gerede gibt, dass es eigentlich ein Stück zum Lesen und nicht zum Aufführen sei. Da mag es dran sein, das mag die Crux des Stückes sein, es ist aber auch der große Vorteil, es ist das, was es so unnachahmlich macht.
Vielleicht ist es gar nicht verwunderlich, dass 'Richard II.' in Deutschland nie richtig populär wurde, anders als im Vereinigten Königreich oder in den USA. Denn es ist reine Poesie, was uns da entgegen scheint und was in der Übersetzung nicht so zum Leuchten kommen kann wie im Original. Richard in seinen Monologen (und es gibt einige davon) bezieht sich nicht nur, wie auch andere Personen im Stück, immer wieder auf Musik, auf eben die kosmische Ordnung, die 'music of the spheres', er spricht sie auch. Richards Rolle ist geprägt von einer lyrisch-musikalischen Qualität, die im Werk Shakespeares fast ihresgleichen sucht. Seine Rolle als König kann er nicht ausfüllen, die verrät er, in der scheitert er, denn Richard bewegt sich immer mehr in einer anderen Welt. Je mehr die Welt um ihn herum seine Idee von ihm als König bedrängt und gefährdet, je tiefer erforscht er sein eigenes Sein, seine Gefühle, seine Seelenzustände. Und das, was er dort findet, kann er nur in einer lyrisch-musikalischen Weise, kann er eigentlich nur als Gesang äußern. Vielleicht immer in der verzweifelten Hoffnung, den richtigen Klang zu finden, der ihn dann mit dieser kosmischen Ordnung verbinden wird.
'Richard II.' hat ich immer begeistert, weil es dieses Gedicht von überwältigender formaler Schönheit ist, trotz der blutigen und oftmals widerwärtigen Handlung. Richard selber ist wahrlich kein Heiliger und es ist die Frage, ob er selber wirklich seine inneren Entdeckungen annehmen kann oder ob er nicht doch v.a. sich dem Selbstmitleid hingibt. Aber immerhin wagt er diesen Weg und seine lyrische Sprache, seine Gesänge geben uns einen Hinweis darauf, dass er sich dem annähert, zu dem er wohl gelangen möchte.
Aber kann man das aufführen? Es braucht natürlich, will man diese Ebene, diese 'music of the spheres' wirklich einen Publikum nahebringen, einen Schauspieler, der Verse singen kann, ohne dass sie gesungen klingen, dessen Timbre von außergewöhnlicher Schönheit ist, dessen Sprachrhythmus, Atembeherrschung, Betonung keinen Bruch in der Linie hervorrufen, der aber trotzdem die Ausdrucksfähigkeit besitzt, die emotionale Tiefe dieser Person 'über die Rampe zu bringen'. Es geht wohl immer besser, aber ich kenne niemanden, der das alles so sehr in sich vereinigt hat wie John Gielgud. Von ihm gibt es mehrere Versionen der großen Monologe, aber auch eine Gesamtaufnahme im Audioformat.
'Richard II.', so gesprochen, offenbart die unendliche Schönheit der Sprache Shakespeares, die aber nie Selbstzweck ist, sondern immer der verzweifelte Versuch, die Einheit der kosmischen Ordnung zu erlangen.
Wolfram