Rückgrat der Musikgeschichte - Versuch einer Beschreibung

  • Da der Thread "Rückgrat der Musikgeschichte" heißt und nicht "meine 5 Lieblinge" gehe ich jetzt nicht auf das Lieblingsmusiker-Thema ein.


    Ingos Auswahl von Bach und Beethoven ist ja auch nicht nur eine zufällige auf persönliche Vorlieben zurückzuführende sondern ein Symptom unserer Musikgeschichts-Geschichte. Bach überschattet alles vor ihm (600 Jahre mehrstimmige Musik) und Beethoven alles nach ihm (200 Jahre "klassische" Musik), was weniger mit konkurrenzloser Genialität als mit dem, was im 19. Jahrhundert passiert ist, zu tun hat, also mit der Verklärung der Vergangenheit und dem Geniekult. Dass Bach aus dem Bereich "Alte Musik" und "kontrapunktische Künste" zum Idol wurde, ist nicht so verwunderlich, da er für seine Generation sehr untypisch war mit der Komplexität und Dichte seiner Musik ("schwülstig"/"überladen"), die anderen großen Kontrapunktiker aber einer Phase entstammen ohne Akzentstufentakt und Funktionsharmonik (Renaissancemusik), die zu entlegen war, um für die klassisch-romantische Epoche als Vorbild zu taugen. Beethoven wieder war für die nächsten Generationen der "Gigant", man stellte sich quasi gleich selbst in seinen Schatten.


    Diese missliche Lage mit den 2 "Überschattern" hat sich leider nicht so ganz wieder korrigieren lassen, da Rezeptionsgeschichte auch nicht rückgängig zu machen ist. Allerdings bilden Bach und Beethoven somit kein Rückgrat sondern ein Scheuklappenpaar, wegen dieser zwei Komponisten sieht man die Musikgeschichte nicht mehr. Ein "Rückgrat" jener müsste wesentlich mehr Wirbel aufweisen, auch mehr als meine kleine Auflistung oben. Komponisten wie Telemann und Liszt müssten auch dort sitzen. Mit persönlichen Vorlieben (amfortas-Liste) hat das nichts zu tun.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Ingos Auswahl von Bach und Beethoven ist ja auch nicht nur eine zufällige auf persönliche Vorlieben zurückzuführende sondern ein Symptom unserer Musikgeschichts-Geschichte. Bach überschattet alles vor ihm (600 Jahre mehrstimmige Musik) und Beethoven alles nach ihm (200 Jahre "klassische" Musik), was weniger mit konkurrenzloser Genialität als mit dem, was im 19. Jahrhundert passiert ist, zu tun hat, also mit der Verklärung der Vergangenheit und dem Geniekult. Dass Bach aus dem Bereich "Alte Musik" und "kontrapunktische Künste" zum Idol wurde, ist nicht so verwunderlich, da er für seine Generation sehr untypisch war mit der Komplexität und Dichte seiner Musik ("schwülstig"/"überladen"), die anderen großen Kontrapunktiker aber einer Phase entstammen ohne Akzentstufentakt und Funktionsharmonik (Renaissancemusik), die zu entlegen war, um für die klassisch-romantische Epoche als Vorbild zu taugen. Beethoven wieder war für die nächsten Generationen der "Gigant", man stellte sich quasi gleich selbst in seinen Schatten.

    Ein guter Versuch, ein an Kriterien überprüfbares "Rückgrat" zu entwerfen - natürlich eine klare Alternative zur Präsentation persönlicher Vorlieben. Finde ich plausibel.


    Wenn ich eine Liste von Komponisten erstellen sollte, die ich für musikgeschichtlich am bedeutsamsten halte, ergäbe das eine andere LIste als eine, die meine persönlichen Favoriten enthielte, trotz einer nicht kleinen Schnittmenge.


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

  • Scheuklappensicht besteht bei Beethoven ja vor allem auch innerhalb seines Gesamtwerks, denn der allgemeine Publikumsgeschmack verbindet ihn vor allem mit seinen Sinfonien, in erster Linie mit ta-ta-ta-taaaaaaaaaaaaaaaaaaa....

    in eingeschränkter Weise dann noch mit den "Namens"-Klaviersonaten Mondschein, Pathètique und Appassionata. Aber schon bei op. 106 rümpfen viele die Nase, und den Streichquartetten, vornehmlich den späten, wo ich persönlich die Krone seines Schaffens sehe, geht die Mehrheit aus dem Weg. Da hat er mMn schon gewaltige Pflöcke eingeschlagen und einen schwer übertreffbaren "Rückgratwirbel" geformt.

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Ein sinnvolles musikgeschichtliches "Rückgrat" der Generationen unmittelbar vor Bach könnte so "beschrieben" werden:


    Zentraler fruchtbringender Gegensatz des ausgehenden 17. Jahrhunderts zwischen dem "französischen Stil" und dem "italienischen". In Frankreich absolutistisch beherrschend Lully, untypischerweise noch bis 50 Jahre nach seinem Tod dominierend, lediglich Charpentier konnte in geistlichen Werken zu ähnlicher Anerkennung aufsteigen. Das klassisch-züchtige Ideal, das bei Lully insbesondere in enger Unterwerfung unter die Dichtung gelang, konnte Couperin in Charakterstücken fortführen, ehe Rameau zeigen konnte, dass Lullys Zeiten nicht ewig währen sollten, insbesondere durch mehr Fokus auf die Harmonik.


    Couperin bereits setzte Corelli als Hauptvertreter des italienischen Stils neben Lully, und portraitierte die italienische Musik mit ihren harmonischen Grobheiten in seinem Tombeau, was merkwürdig ist, da Corelli verglichen mit den folgenden Generationen ebenso wie Lully ein Klassizist ist und besonders durch seine Kunst der Austariertheit und der Verarbeitung und Materialökonomie bzw. des Zusammenhalts eine ganz wichtige Rolle für die Instrumentalmusik spielt, neben ihm schaffte zeitgleich Biber ähnliches. Corelli wurde bald von Vivaldi als einflussreichstem Instrumentalmusikkomponisten abgelöst, dessen Konzertform nicht zufällig im Lehrbuch steht. Im Vokalmusikbereich gibt es vor Metastasios Reformtendenzen eher keine so ganz strahlenden Lichtgestalten in dieser Zeit, Stradella mit der Concerto-Grosso-Entwicklung zuerst in Arien, A. Scarlatti als Haupt-Neapolitaner und Steffani als Exportgenie und Kammerduett-Meister mögen dem abhelfen.


    In Deutschland wird gewissermaßen Bach vorbereitet ... die Orgelmusik findet in Buxtehude den Hauptvertreter des Stylus Phantasticus, auf den Pachelbel folgt. Die Hauptaufgabe der Deutschen (außer Bach vorzubereiten) nimmt dann Telemann vorbildlich wahr, den italienischen mit dem französischen Stil auf das phantasievollste zu vereinen. In der Oper ist sein Haupt-Konkurrent Keiser.


    England fährt mit Purcell sein insulares Spezialprogramm, bevor es von Händel annektiert wird. Spanien wird von D. Scarlatti erfunden.


    OK, die Argumentation wird gegen Ende etwas unernsthaft, aber so etwa könnte man ein Musikgeschichts-Rückgrat aus Komponisten montieren.

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  • Rückgrat der Musikgeschichte … Musikgeschichte als Wirbeltier … also doch irgendwie etwas, was der Musikgeschichte Halt gibt, sie stabilisiert, Erschütterungen abfedert und was sie, wenn es zerbrechen sollte, nahe an den Untergang brächte, oder wie?


    Meine erste Vermutung aufgrund der Formulierung „Rückgrat“ war ja, dass so etwas wie die entscheidenden Innovationsträger für die Entwicklung der abendländischen Kunstmusik gesucht seien. Also bei Beethoven ein klares „Ja“, der mit seinen Sinfonien die Gattungsgeschichte eine ganze Zeit lang beeinflusste. Und bei Mozart eher „Nein“ – ohne die da-Ponte-Opern, ohne die Haydn-Quartette, ohne die späten Sinfonien wäre vielleicht nichts wesentlich Anderes passiert.


    Bach wäre auf einer solchen Liste von Innovationsträgern freilich schon fraglich – wegen des Wohltemperierten Klaviers vielleicht noch am ehesten, seine Orgelwerke und Kantaten (und vieles andere) war für die Generationen unmittelbar nach ihm vielleicht nicht ganz so interessant. Aber ok, mit der Bach-Renaissance ab Mendelssohn dann wieder …


    Vielleicht wäre Johann Joseph Fux für eine solche Liste wichtiger als Felix Mendelssohn Bartoldy, Webern wichtiger als Brahms. Andererseits: Julius Reubke war in seiner Orgelsonate höchst innovativ, hat wegen zu frühem Ableben aber leider keine Nachahmung, geschweige denn Weiterentwicklung gefunden. Schwierig.


    Nach diesen ersten Gedanken denke ich weiter und bekomme eine Idee von der Größe der Aufgabe. Warum hat nicht eigentlich ein angesehener Musikwissenschaftler diese Aufgabe längt beantwortet? Es geht ja vielleicht weniger um eine Kanondiskussion als um eine Entwicklungsgeschichte. Ich lese nochmal die ersten Beiträge und versuche, die Art des geschriebenen Wortes und die Gedankenführung mit der Komplexität der Aufgabenstellung zur Deckung zu bringen. Ich drücke alle Daumen beim Angehen der Letzteren! An derjenigen Stelle, wo Freddie Mercury als Parallele zu Tschaikowsky wahrgenommen wird, war ich allerdings auf Anhieb erst einmal raus … Parallelen haben etwas gemeinsam (Richtung) und etwas nicht gemeinsam (sie sind i. A. voneinander verschieden, und zwar genau dann, wenn sie nicht gleich sind; und in euklidischer Geometrie haben sie keinen gemeinsamen Punkt).


    Gemeinsam: Beide sind nicht heterosexuell, beide komponierten Musik, deren (stellenweise) Gefühligkeit nicht jede(n) zur weiteren Auseinandersetzung motiviert, beide starben vor der Zeit.


    Nicht gemeinsam: Tschaikowsky komponierte alleine, Farrokh Bulsara hatte die ganze Gruppe als Korrektiv. Wie wichtig das war, erkennt man daran, dass seine Soloprojekte nicht an die Erfolge von Queen heranreichten – auch dann nicht, als er schon bekannt war. Tschaikowsky komponierte Musik, die meist länger als sechs Minuten dauerte.


    Vergleichen kann man freilich alles, und auch zwischen Boris Becker und Uli Hoeneß würde man Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten finden, wenn man sucht. Aber nach zwei, drei Minuten isses vorbei, und es bleibt die Frage, ob der Vergleich unser Verständnis der beiden Vergleichsobjekte vertieft hat oder eher ein netter Zeitvertreib war. Fußball und Tennis … Mannschaftssportart versus Einzelkämpfer … Erfolg versus Misserfolg …


    Darüber hinaus finde ich, dass, wenn überhaupt, nicht Komponisten das Rückgrat der Musikgeschichte sind, sondern ihre Werke. Nicht Beethoven hat die Musikgeschichte beeinflusst, sondern seine 5. und 9. Sinfonie. Die „Musik zu einem Ritterballett“ WoO 1 ist wohl ebenso folgenlos geblieben wie seine Klavierquartette.


    Darüber hinaus finde ich, dass die zeitgeschichtlichen Umstände mindestens ebenso viel beitrugen. Griechische Proportionslehre führte mal zur Bevorzugung von Intervallen mit kleinen numerischen Verhältnissen. Trompeten waren mal dem Lobe Gottes und dem Ruhm eines Souveräns vorbehalten. Der Vorabend der Französischen Revolution hat Mozarts Figaro beeinflusst, ihr Nachklapp Beethovens Fünfte. Die Heldenverehrung des 19. Jhd. hat in sinfonischen Durchbruchsdramaturgien ihren Niederschlag gefunden (zumindest hatten beide gleiche Wurzeln), die Dialektik fand ihren Widerpart in der Sonatenhauptsatzform …


    Dann lese ich wieder, dass es um eine „Quintessenz der laufenden Musikgeschichte“ ginge. Hm. Aus Sicht der jeweiligen Zeitgenossen (wo sind dann Johann Christian Bach und Meyerbeer?) oder aus unserer Rückschau (die in 50 Jahren vielleicht wieder mit anderen Präferenzen daherkommt)?


    Dann hat Knulp dankenswerterweise die Vermutung, es ginge um "Die Zentralgestirne meines musikalischen Kosmos" in den Raum gestellt und den Thread damit höchst verdienstvoll und in entscheidender Weise vor einer Ridikülisierung bewahrt. Sein finaler Appell „Schreibt doch einfach brainstormingartig die fünf für euch bedeutendsten Komponisten plus Musiker (nicht nur Klassik auf).“ Finde ich spontan gut. Aber was heißt das – „für mich bedeutend“? Der Komponist, für den ich insgesamt das meiste Geld ausgegeben habe (CDs, Bücher, Konzerte, …)? Der Komponist, für den ich insgesamt am meisten Zeit investierte? Der Komponist, den ich zwar für den allerbedeutendsten unter den bedeutenden Komponisten halte, dessen Musik ich aber persönlich gar nicht so gerne höre? Der Komponist, den ich vor zwei Monaten für mich entdeckte und der seitdem Dreh- und Angelpunkt meiner Beschäftigung mit Musik ist?


    Rosamunde bringt die Wichtigkeit eines geordneten Hormonhaushalts für die künstlerische Potenz ins Spiel.


    Ingo teilt dankenswerterweise seine musikalische Vita mit uns (wie interessant!) und resümiert in dem Anspruch, „daß ich jede Art von Musik unvoreingenommen annehme“. Sehr schön! Aber ist nicht gerade der Versuch, ein Rückgrat der Musikgeschichte zu erstellen, das genaue Gegenteil von unvoreingenommenem Annehmen? Ist nicht das Rückgrat eben das Gerüst der Musikgeschichte, mit dem die verschiedensten Werke verbunden sind? Ist ein solches Rückgrat denn nicht vor allem eins: Eine Hilfe beim Einordnen, Kategorisieren, Wiedererkennen von Wesensmerkmalen? Für mich – und auch ich nehme mir das Recht auf eine Meinung mal heraus, wohl wissend, dass „Meinung“ und „Ahnung“ nicht immer dasselbe sind – jeder darf die Meinung vertreten, dass zwei mal zwei gleich fünf ist, darf dann aber nicht erwarten, dass andere ihm Ahnung vom Rechnen zubilligen –, und sage: „Rückgrat“ und „unvoreingenommenes Annehmen“ passen für mich nicht zusammen.


    Darum die Frage: Ist die Absicht des Threads, sich mal allgemein über Musik zu unterhalten (und das beabsichtigte Opus Magnum eines „Rückgrats der Musik“ dann im stillen Kämmerlein zu erschaffen), oder geht es darum, dasselbe Rückgrat hier als Gemeinschaftswerk zu erbauen oder geht es zunächst um Klärung der Frage, worum es in diesem Thread gehen soll?

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Darüber hinaus finde ich, dass, wenn überhaupt, nicht Komponisten das Rückgrat der Musikgeschichte sind, sondern ihre Werke. Nicht Beethoven hat die Musikgeschichte beeinflusst, sondern seine 5. und 9. Sinfonie. Die „Musik zu einem Ritterballett“ WoO 1 ist wohl ebenso folgenlos geblieben wie seine Klavierquartette.

    Ja, daß man eine Einschätzung nur anhand von Werken an sich virnehmen kann ist zweifelsohne richtig. Dennoch kann man im zweiten Schritt schon deren Erschaffer, insbesondere wenn es bei demselben eine Häufung von solchen Werken gibt als Ausgangsquelle auch einordnen.


    Das mit den Schnittmengen weiter oben erwähnt finde ich insofern interessant, als daß man darüber vielleicht ein wenig mehr die subjektiven Geschmäcker rausfiltern kann.

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
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  • Rosamunde bringt die Wichtigkeit eines geordneten Hormonhaushalts für die künstlerische Potenz ins Spiel.

    eines ungeordneten. wohl eher.

    ohne Muse sei schlecht fürs Rückgrat, wurde lange gelehrt.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Ingo teilt dankenswerterweise seine musikalische Vita mit uns (wie interessant!) und resümiert in dem Anspruch, „daß ich jede Art von Musik unvoreingenommen annehme“. Sehr schön! Aber ist nicht gerade der Versuch, ein Rückgrat der Musikgeschichte zu erstellen, das genaue Gegenteil von unvoreingenommenem Annehmen? Ist nicht das Rückgrat eben das Gerüst der Musikgeschichte, mit dem die verschiedensten Werke verbunden sind? Ist ein solches Rückgrat denn nicht vor allem eins: Eine Hilfe beim Einordnen, Kategorisieren, Wiedererkennen von Wesensmerkmalen? Für mich – und auch ich nehme mir das Recht auf eine Meinung mal heraus, wohl wissend, dass „Meinung“ und „Ahnung“ nicht immer dasselbe sind – jeder darf die Meinung vertreten, dass zwei mal zwei gleich fünf ist, darf dann aber nicht erwarten, dass andere ihm Ahnung vom Rechnen zubilligen –, und sage: „Rückgrat“ und „unvoreingenommenes Annehmen“ passen für mich nicht zusammen.

    Auch das kommt erschwerend dazu.


    MBs Bemerkung zu Anfang seiner sehr ausführlichen die Diskussion hier gut vorantreibende Ausführung mit der Vergänglichkeit von "Wirbeltieren" als Lebensform zweifelt die Eignung für den Zweck als Analogie für die Ausmachung möglicher den Zusammenhalt und deren Evolution dienenden Werken nebst Erschaffern mehr an als die Analogie mit den "Zentralgestirnen".


    Nun sehe wer wie es möchte, was hier eben nicht gefragt ist, ist es eine bloße Nennung von Lieblingsmusikern hier anzubringen. Das haben auch Alle hier berücksichtigt.


    Schade ist es, daß unsere Grundgesamtheit hier einfach recht dünn ausfällt, will man eine statistisch belastbare Schnittmenge ausmachen.


    Aber, was wir hier schon tun können ist, daß jeder der gerne möchte hier auch seine bisherige kumulative Rezeption von Musik schildert. Mal schauen, ob man vielleicht damit ein bisschen Licht neben Bach und Beethoven hier sehen kann.


    Freut mich überaus, die Beteiligung hier bereits jetzt, top !

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  • Aber, was wir hier schon tun können ist, daß jeder der gerne möchte hier auch seine bisherige kumulative Rezeption von Musik schildert.

    Lieber Ingo, darf ich fragen, was Du mit einer "kumulativen Rezeption" meinst? Da ich bisweilen mit einem Meteorologen zusammenarbeite, musste ich erst einmal alle wolkigen Assoziationen beseite schieben und habe die Bedeutung recherchiert: "sich anhäufend", wenn meine Recherche stimmt.


    Was meinst Du mit einer "sich anhäufenden Rezeption" - den ganzen Haufen des Rezipierten, also so etwas wie die Summe aller Hörerlebnisse (so denn klar ist, was damit wiederum gemeint sein könne) oder etwas anderes, etwa eine Rezeption, die sich vor dem Hintergrund von einem vorher gebildeten Haufen ereignet?

    Mal schauen, ob man vielleicht damit ein bisschen Licht neben Bach und Beethoven hier sehen kann.

    Wer immer "man" ist - so wir denn alle keine Vampire oder sonstige lichtscheues Gesindel sind und "Licht" darum positiv konnotieren, fiele mir ab dem Gregorianischen Choral über die Notre-Dame-Schule bis ins 21. Jhd. Licht in allen Intensitäten und Wellenlängen ein, die in der Musikgeschichte zu bestaunen wären ...

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  • Also ich empfinde meine bisherige Rezeption von Musik schon anhäufend (kumulativ). Und da haben sich neben Bach und Beethoven eben, wohl auch vielleicht bedingt durch meine langjährigen Hörerfahrungen noch die drei anderen Musiker mit einem Großteil ihrer Werke als geeignet über die Zeit festgesetzt. Hatte dabei für mein Befinden im Nachhinein auch einige Verblendungsversuchungen widerstehen müssen, damit ich nun unvoreingenommen weiter entdecken um mich dann umgassend dran erfreuen zu können.


    Nebenbemerkung als Reaktion auf weiter oben Geschriebenem, natürlich leider auch aus sehr subjektiver eben überwiegend auch auf langjähriger Hörerfahrungen beruhend:


    @ Wellingtons Sieg: Tja, von Beethoven gibt es Einiges, was mir persönlich gar nicht gefällt, dieses Stück gehört im Prinzip dazu, obwohl als Zapfenstreichmusik hat das sogar schon auch was. Beethoven und auch Prince haben ein dermaßen breites Spektrum an Stilarten in ihren Werken, sodaß auch bei Prince's Output mir Einiges bisher nur Kopfschütteln bereitet. :neenee1:


    @ Solowerk vom Queen - Frontman: Ja, zusammen mit Queen gab es da eine sehr fruchtbare Gruppensynergie, ein bisschen vergleichbar mit den Beatles. Allerdings möchte ich schon zwischen beiden Bands entscheidend differenzieren:


    Ohne John Winston Lennon hätte es die Beatles als ultimative DIE BAND oder auch FAB FOUR niemals in dieser besonders erfolgreichen und maßgeblich innovativen Form gegeben, Queen hätte auch mit einer anderen charismatischen Frontperson entstehen können, wie beispielsweise Pink Floyd, einer stützgewebeschaffenden Band ohne rausragendem Frontman (Roger Waters und David Gilmour sind da gleichwertig).


    Nun, gemessen an ihren Werken, aber bei Lennon zusätzlich persönlich von mir auch gemessen an Solosongs wie Imagine und Love steht er bei mir auf meiner zugegeben extrem kurzen Liste.


    Ich weiß, folgendes wird wieder Einigen hier möglicherweise nicht gefallen: Trotz vieler Versuche schafft es sogenannte "Neue Musik" bei mir einfach nicht meinem Bedürfnis nach Musik als Kunstgenuss mit nachhaltigem Hörgefallen aufzuwarten. Obwohl gerade in letzter Zeit beginne ich auch dabei interessiert mehr zu entdecken - Nonos Musik beispielsweise fasziniert mich von Mal zu Mal immer mehr :)

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  • Wer immer "man" ist - so wir denn alle keine Vampire oder sonstige lichtscheues Gesindel sind und "Licht" darum positiv konnotieren, fiele mir ab dem Gregorianischen Choral über die Notre-Dame-Schule bis ins 21. Jhd. Licht in allen Intensitäten und Wellenlängen ein, die in der Musikgeschichte zu bestaunen wären ...

    so sieht es aus, dennoch gibt es da schon einige Musik - Erschaffer, die die Evolution mit ihren Werken entscheidend vorangetrieben haben, was sich künftig auch hoffentlich vergleichbar fortsetzen wird.


    Darüber können wir hier gerne weiter sinnieren, vielleicht wirklich auch mittels einer Art Gegenüberstellung mit persönlich gereiften Musikerfahrungsberichten.

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  • Es scheint Dir ja nicht vorstellbar zu sein, dass es Leute gibt, die nicht 5 Lieblingsmusiker pflegen, sondern hunderte bis tausende Komponisten schätzen und "als geeignet über die Zeit" einstufen. Da ist dann eben viel mehr "kumuliert" als bei Dir.

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  • so sieht es aus, dennoch gibt es da schon einige Musik - Erschaffer, die die Evolution mit ihren Werken entscheidend vorangetrieben haben, was sich künftig auch hoffentlich vergleichbar fortsetzen wird.

    Das "entscheidende Vorantreiben" ist nicht das einzige Kriterium - so hat Torelli im Bereich des barocken Konzerts die Entwicklung "entscheidend vorangetrieben", wurde aber sehr bald von Vivaldi überschattet. Händel, der zu den Berühmtesten überhaupt gehört, ist weniger Innovator als Vollender.

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  • Wirbelsäulenprobleme
    Einer Partei mit Kreuzproblemen ist mit der besten rhetorischen Wirbelsäule nicht zu helfen
    www.derstandard.at

    :versteck1:

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  • Meine erste Vermutung aufgrund der Formulierung „Rückgrat“ war ja, dass so etwas wie die entscheidenden Innovationsträger für die Entwicklung der abendländischen Kunstmusik gesucht seien. Also bei Beethoven ein klares „Ja“, der mit seinen Sinfonien die Gattungsgeschichte eine ganze Zeit lang beeinflusste. Und bei Mozart eher „Nein“ – ohne die da-Ponte-Opern, ohne die Haydn-Quartette, ohne die späten Sinfonien wäre vielleicht nichts wesentlich Anderes passiert.

    Dem kann ich nicht folgen. Sicher war Mozart nicht so "revolutionär" wie Beethoven, aber ich würde ihn trotzdem als Innovationsträger ansehen. Die von Dir genannten Opern, Quartette und Sinfonien sind doch eindeutige Kulminationspunkte der Musikentwicklung. Im Prinzip hat Mozart mit Stücken wie der Jupiter-Sinfonie das Tor zur ernsten "Kunstmusik" aufgestoßen, das dann mit Beethoven endgültig seine Verankerung im Musikbetrieb erfuhr.


    Man muss auch die Klavierkonzerte erwähnen, die eine enorme Entwicklungskurve zeigen, wiewohl ja schon das relativ frühe KV 271 eine revolutionäre Neuerung bringt mit dem Solo-Einsatz des Klaviers zu Beginn des ersten Satzes. Beethoven hat das in seinem op. 58 dann sicher noch wesentlich vertieft, aber ganz allgemein gesehen wäre Beethoven sicher nicht der geworden, wenn nicht zuvor Mozart gewesen wäre (und natürlich auch Haydn!).


    Und auch die Streichquartette und zwar nicht nur die 6 Haydn-Quartette, sondern auch die späten, und zusätzlich die Quintette KV 515 und 516 sind doch unvergleichliche Edelsteine. Ebenso das zwar "Divertimento" genannte Streichtrio KV 563, das aber mMn meilenweit von Gebrauchs- und Unterhaltungsmusik entfernt ist (also nicht zum "Divertieren"). Bei Streichtrios und -quintetten hat Beethoven ja kaum Vergleichbares geliefert, und sich dafür dann voll auf die Quartette konzentriert.


    Und noch einmal wg. "Innovationsträger": Niemand weiß, was und vor allem wie Mozart noch weiter komponiert hätte, wenn er nicht im frühen Alter von 35 Jahren verstorben wäre. Andere seiner Kollegen haben in dem Alter erst richtig angefangen....


    Also, ganz egal wie man nun das "Rückgrat" definiert oder sieht, aber Mozart ist da ein unverzichtbarer und ganz wichtiger "Wirbel", und auch nicht nur eine Art Fußnote zu Beethoven, wie es weiter oben von Ingo Richter gesehen wurde. Ich denke, das muss jeder anerkennen, auch der, der nicht der große Mozart-Fan ist. Ich finde ihn jedenfalls einen der wichtigsten Komponisten überhaupt, vor allem auch wegen seiner Universalität. Da müssen bei mir "Schmalspurkomponisten" (was das Genre anbelangt) à la Mahler oder auch Wagner nach hinten treten.

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  • Oh, ich habe da den Eindruck, dass ich gründlich missverstanden wurde. Das liegt wohl daran, dass ich mich sehr unglücklich ausgedrückt habe. Ein Reparaturversuch ...

    Die von Dir genannten Opern, Quartette und Sinfonien sind doch eindeutige Kulminationspunkte der Musikentwicklung. Im Prinzip hat Mozart mit Stücken wie der Jupiter-Sinfonie das Tor zur ernsten "Kunstmusik" aufgestoßen, das dann mit Beethoven endgültig seine Verankerung im Musikbetrieb erfuhr.

    Der Behauptung, Mozart hätte die Tür zur "ernsten Kunstmusik" aufgestoßen, mlöchte ich widersprechen und rufe in den Zeugenstand:

    - Perotin: Viderunt omnes

    - Dufay: Nuper rosarum flores

    - Monteverdi: Orfeo

    - Bach: Matthäus-Passion


    Und was Du "Musikbetrieb" nennst, bitte ich Dich zu erläutern ... was soll das sein?


    Meiner Meinung nach ging es um Innovation - aber ich habe ja auch gefragt, worum es in diesem Thread eigentlich gehen soll.


    Im Sinne von Innovation und Nachfolge halte ich Mozart in der Tat von geringerer Wichtigkeit. Wer hätte, ausgehend von der Jupiter-Sinfonie, das Konzept derselben weiterentwickelt? Ich glaube, da war Haydn mit seinen späten Sinfonien doch wesentlich einflussreicher. Komponiert wurde KV 551 im Jahre 1788, doch erst im Jahre 1810 gedruckt - wie soll es da noch vor dem Hintergrund des sich seinerzeit schnell wandelnden Geschmacks Einfluss ausgeübt haben?

    aber ganz allgemein gesehen wäre Beethoven sicher nicht der geworden, wenn nicht zuvor Mozart gewesen wäre

    Kannst Du das belegen? Welche Werke Mozarts haben Beethoven wie beeinflusst?

    Und noch einmal wg. "Innovationsträger": Niemand weiß, was und vor allem wie Mozart noch weiter komponiert hätte, wenn er nicht im frühen Alter von 35 Jahren verstorben wäre. Andere seiner Kollegen haben in dem Alter erst richtig angefangen....

    Die Frage, was Mozart hypothetisch noch komponiert haben könnte, spielt für die Fragestellung wohl keine Rolle.

    Also, ganz egal wie man nun das "Rückgrat" definiert oder sieht, aber Mozart ist da ein unverzichtbarer und ganz wichtiger "Wirbel",

    Kommt drauf an, wie man Rüpckgrat definiert - auf Grundlage heutiger Verkaufszahlen oder auf Grundlage nachweislich wirksamer Innovation.

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  • Welche Werke Mozarts haben Beethoven wie beeinflusst?

    Ist diese Frage wirklich erst gemeint? Falls ja, will ich gern ein konkretes Werk nennen: Ohne Mozarts "Zauberflöte" gäbe es keinen "Fidelio". Zumindest nicht so, wie es ihn gibt, nämlich erheblich beeinflusst von (laut Beethoven) "Mozarts größtem Werk". Den Menschheitsbegriff fand er dort ebenso vor wie das aufklärerische Gedankengut, das nicht nur seine einzige Oper stark beeinflusst hat, sondern natürlich auch seine Instrumentalmusik.

    Beste Grüße vom Stimmenliebhaber

  • Ist diese Frage wirklich erst gemeint? Falls ja, will ich gern ein konkretes Werk nennen: Ohne Mozarts "Zauberflöte" gäbe es keinen "Fidelio". Zumindest nicht so, wie es ihn gibt, nämlich erheblich beeinflusst von (laut Beethoven) "Mozarts größtem Werk". Den Menschheitsbegriff fand er dort ebenso vor wie das aufklärerische Gedankengut, das nicht nur seine einzige Oper stark beeinflusst hat, sondern natürlich auch seine Instrumentalmusik.

    Ja, die Frage ist ernst gemeint.


    Wo hat Beethoven gesagt, dass der Fidelio von der Zauberflöte beeinflusst wurde?


    Den Menschheitsbegriff und das aufklärerische Gedankengut gab es ja auch ohne Zauberflöte. Insofern ist mir die Beeinflussung gar nicht klar.


    Wenn die Beeinflussung der Zauberflöte vor allem aufs Libretto wirkte, nun ja, dann ist schon fraglich, in wie weit sie Beethovens Komposition prägte. ("Warum steht diese Arie in dieser Tonart, warum hat sie diese Form, ...")


    Dass Beethoven als Kind seiner Zeit von der Geistesgeschichte seiner Zeit geprägt war - geschenkt. Das gilt für jeden Komponisten.

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  • Mauerblümchen

    Ich erspare mir Deine Antwort zu zitieren, damit es überschaubar bleibt. Mit "ernster Kunstmusik" (vielleicht auch unglücklich beschrieben) und dem nachfolgenden "Musikbetrieb" meinte ich, dass es doch erst zu Beethovens Zeit bürgerliche Konzerte für "jedermann" gab, wie wir sie heute haben. Mozart hat ja auch viel Gebrauchsmusik geschrieben, Serenaden etc, die zu festlichen Gelegenheiten gespielt wurden, wo man aber nicht ernst im Anzug mit Krawatte saß, sondern nebenher redete und auch Speisen zu sich nahm. Ich bin nun kein Musikhistoriker, um den Umschwung zeitlich genau festmachen, aber nach meinem Gefühl war das eben sozusagen mit dem Übergang Mozart - Beethoven. So meinte ich das mit dem Tor aufstoßen durch die Jupitersinfonie. Und ich will da Haydn mit seinen späten Sinfonien nicht ausschließen.


    Zu Dufay und Perotin kann ich nichts sagen, das sind bei mir zugegebenermaßen weiße Flecken auf der Musiklandkarte. Die Bachsche Matthäuspassion ist natürlich ein ernstes Werk, aber die Bachrezeption setzte, wie Du selbst geschrieben hast, eigentlich erst mit Mendelssohns Wirken ein.


    Mein Beitrag sollte eigentlich auch ausdrücken, dass nach meiner Meinung ein musikalisches Rückgrat oder die Musikgeschichte und -entwicklung, wie immer man das auch versteht, nicht nur durch Innovationen definiert ist. Und das hat doch auch nichts mit Verkaufszahlen zu tun.

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