Walldorff's Gedenkblätter

  • 29.05.1897 - Geburtstag von Erich Wolfgang Korngold


    Die folgende, hier um c. die Hälfte gekürzte Rezension erschien am 15.04.1916 in der (Wiener) 'Neue(n) Freie(n) Presse'. Der Verfasser Leopold Schmidt >1860/1927< 'erlangte (lt. wikipedia.org) als Musikkritiker beim 'Berliner Tageblatt' seit 1897 eine führende Rolle'.


    In München hat die UA der beiden Korngoldschen Opern 'Violanta' und 'Der Ring des Polykrates' stattgefunden. Dem jungen Erich Wolfgang mögen andere beratend zur Seite gestanden haben - bezeichnend bleibt es doch, daß er sich an das glutvolle Renaissancedrama Hans Müllers gemacht hat und gleichzeitig dem ernsten ein heiteres Werk folgen ließ: daraus spricht großes Selbstvertrauen, und nur eine reiche Phantasie konnte das Bedürfnis fühlen, sich gleich beim erstenmal in kräftigen Gegensätzen zu betätigen. Daß die Isarstadt einem ungewöhnlich jungen Dramatiker Gastrecht gewährte, war nicht das erstemal: gleichfalls München war es gewesen, wo der Jüngling Mozart 1775 seine 'Finta giardiniera' und 1781 seinen 'Idomeneo' zur Aufführung brachte.


    Unbezweifelbar sind die seltsame Frühreife des Achtzehnjährigen, seine schier unheimliche Herrschaft auch über die kompliziertesten Mittel der Kompositionstechnik. Offensichtlich hat Richard Strauß den stärksten Einfluß gehabt - (z. B.) verzichtet (K.) auf leitmotivische Arbeit, verwendet das musikalische Symbol mehr wie (dieser) -, auch Schillings, ein wenig Debussy und von den Italienern Puccini haben Pate gestanden; direkte Anklänge oder Entlehnungen sind aber, auffällig genug, nirgends nachzuweisen.


    K. liebt es, in seinen Akkordbildungen von dem althergebrachten Terzensystem abzuweichen. Reichlich verwendet er alterierte Akkorde - sie genügen ihm aber nicht: nach Art des Motivs der silbernen Rose im 'Rosenkavalier' setzt er verschiedene Tonarten nebeneinander; daher die häufigen Sekunden und Sekundfortschreitungen, die das Ohr zunächst befremden, deren Wirkung aber durch den verschiedenen Klangcharakter der Instrumente gemildert wird. Und bei näherer Prüfung zeigt sich - als Ursache so kühner Kombinationen - überall ein äußerst feines Hören, in das man sich hineindenken kann. Möglich sogar, daß Korngolds Tonvorstellungen unbewußt von dem nach Ansicht mancher Modernen latent in unserer Musik vorhandenen Vierteltonsprinzip beeinflußt sind. Daß (diese) sich in einer völlig freien, vom Wortakzent abhängigen, Rhythmik bewegen, der jungen Komponist sich nicht an die 'Verwandtschaft' der Tonarten, nicht an das Verbot der Quint= und Oktavparallelen kehrt, versteht sich nach alledem von selbst.


    K. stehen alle Ausdrucksformen des Dramas zu Gebote: mit der Sicherheit eines erfahrenen Bühnenpraktikers verschmelzt er geschickt die symphonisch aufgebaute Szene, das Orchesterintermezzo, die geschlossene Kantilene, deklamatorische(n) Stil und de(n) dramatische(n) Aufschrei der Veristen. Kleine Irrtümer in der Instrumentation wiegen nicht allzu schwer. Die Theatralik der 'Violanta' hat ihn zu krassen Effekten in Blechbläsern und Schlagzeug verführt, zu einer stellenweise allzu dicken Instrumentierung, unter der zuweilen Singstimmen und Wortdeutlichkeit leiden. Insbesondere ist die Verdoppelung der Kantilene im Orchester und die etwas unvorsichtige Art im Gebrauch der Hörner zu beanstanden. Was will das aber besagen gegenüber dem Charakterisierungsvermögen dieser Partitur - nirgends sind tote oder matte Stellen, alles hat Farbe und Leben. Man beachte, mit welch sicherer Hand das Ganze wie die einzelnen Szenen aufgebaut sind, wie für Steigerungen gesorgt, (wie) Licht und Schatten verteilt ist. K. beherrscht scheinbar spielend, was für Opernkomponisten gewöhnlich das Schwerste ist: die Durchdringung von Stoff und musikalischer Form, der dramatische Atem, die Kunst der großen Linie.


    Soll ich beide Werke vergleichen, so scheint mir der 'Polykrates' das in sich abgerundetere, (die) 'Violanta' aber die noch stärkere Talentprobe ((zu sein.)) Interessant zu sehen ist, wie K. sich zu jedem der beiden Stoffe verhalten hat: dort dunkle Farben, wildbewegte glutvolle Tonsprache, hier Behaglichkeit und Frohsinn, zarte lichte Gebilde. In beiden Werken versäumt K. nicht, den Lokalton - nächtliches Venedig ((resp.)) bürgerliche Atmosphäre der dt. Kleinstadt - anklingen zu lassen. Gleich die Eingangsszene in der 'Violanta' ist keck und sicher entworfen: aufschäumende Lustigkeit, schattenhafte Gestalten, der Gesang der Gondoliere, das verhängnisvolle Lied der Masken - alles ist zu einem buntschillernden, wirkungsvoll geformten Ganzen vereinigt. Charakterlich unterschieden sind die einzelnen Gestalten, der verliebte Diener, der lebenslustige Maler, der ehrenfeste Soldat. In der Violanta selbst war dem Komponisten die schwerste Aufgabe gestellt: die brüchige Psychologie dieser Frauengestalt künstlerisch zu rechtfertigen, hätte auch ein reifer Meister schwerlich vermocht. Korngolds Musik erfaßt immerhin, was menschlich wahr, scharf charakteristisch an ihr ist.


    Im 'Polykrates' erfreuen neben durchsichtiger, wohlklingende(r) Instrumentation die über die Partitur verstreut(en), vortrefflich gearbeiteten Ensemblesätze. In diesen Scherzi von rhythmisch und harmonisch klarer Bestimmtheit sprudelt frisches und natürliches Leben. Am meisten überrascht die Sicherheit, mit der der gefällige und doch feine Ton der echten Spieloper getroffen und festgehalten ist. Nur mit der Schlußpointe hat sich der Komponist nicht so glücklich wie im übrigen abzufinden gewußt: da steht ein an sich schönes, motivisch entwickeltes Quartett in Es, das etwas stilfremd aus dem Rahmen fällt.


    zit. v. anno.onb.ac.at

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 05.06.1898 - Geburtstag von Frederico Garcia Lorca


    Im Rahmen seiner (im mittlerweile auf ARD-Alpha umbenannten Nischenkanal BR-Alpha ausgestrahlten) Sendereihe Klassiker der Weltliteratur behandelte ihn Tilmann Spengler am 29.07.2011 (Wiederholung am 26.08.2013) - hier die walldorff'sche Nacherzählung.....


    Zumindest in den c. letzten 20 J. vor Beginn der Franco-Diktatur gab es in Spanien modernistische Kunstströmungen, die es verdienen dürften, solchen in Italien, Frankreich und Deutschland an die Seite gestellt zu werden; unser heutiges Geburtstagskid darf hier sicher ebenso genannt werden wie z. B. Salvador Dali, Luis Bunuel oder Manuel da Falla....


    Garcia Lorca sen. scheint einer der führenden 'andalusischen Zuckerbarone' seiner Zeit gewesen zu sein, die Mutter - eine offenbar mehr als durchschnittlich begabte, Beethoven und Chopin favorisierende Pianistin, scheint den heranwachsenden Frederico derart inspiriert zu haben, dass dieser, jedenfalls kurzfristig, eine klavieristische Laufbahn ernsthaft erwogen haben soll. Der Elfjährige war mit den Eltern vom Land nach Granada gezogen, damals vielleicht die südwesteuropäische 'Multikulti - Metropole: seit Jahrhunderten hatten sie römische Invasoren, christliche Missionare, Juden und Araber geprägt - wobei sich Perioden friedlichen Zusammen- (od. jedenfalls Nebeneinander-) lebens mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen, einschließl. gelegentlicher Bücherverbrennungen u. ä.. abgewechselt hatten. Anders gesagt war eine Sozialisation in Granada für einen wachen Geist wie den jungen G. L. nichts anders als '(sehr) praktischer Geschichtsunterricht...


    Der 24jährige, inzwischen mit da Falla befreundet, unterstützte diesen bei der Vorbereitung eines 'Flamenco'-Bewerbs. Kein geringer Teil von uns Mitteleuropäern halten besagten Flamenco wohl für etwas originär Spanisches: ein grandioser Irrtum; wir haben es hier mit einem einzigartigen Konglomerat aus (v. a.) nordafrikanischen, indischen und byzanthinischen Einflüssen zu tun... G. L. beeindruckten die von steter Schwermut begleiteten Klänge tief und nachhaltig - man geht wohl nicht fehl, behauptet man über seine 'späte' Trilogie des bäuerlichen Lebens (bestehend aus den Stücken 'Yerma', 'Bodas des Sangre >dt. 'Bluthochzeit'< und 'La Casa de Bernarda Alba', dass in ihnen 'der Geist des Flamenco' stecke; immer ist von Individuen die Rede, denen ein Ausbrechen aus den ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Rollen nicht möglich ist, immer ist die Grundstimmung mindestens schwermütig, nicht selten düster.


    Glaubt man dem Wikipedia-Eintrag zu 'Yerma', so hat sich T. S. bezüglich besagter Trilogie geirrt... 'La Casa' ist demnach mitnichten dessen Betandteil. Zwar habe G. L. in der Tat eine solche Dramenfolge geplant - zur Niederschrift eines dritten Teils (nach 'Yerma' und 'Bodas de Sangre') kam es indes nicht mehr.....


    Bereits der 30jährige war 1928 (im selben J. hatte er auch ein Studium der Philosophie und Literaturwissenschaft abgeschlossen) mit einem - dt. 'Zigeunerballaden' genannten - Gedichtband zu dem andalusischen Nationaldichter geworden; allerdings würde man seinem Oeuvre nicht gerecht, unterteilte man es strikt in Lyrik und Dramatik - meinte doch G. L. sinngemäß, dass eine jede Dramatik 'nichts wert' sei, die nicht als 'in Worte, Handlung und Gesten übersetzte Lyrik' gesehen od. gelesen werden könne!


    Im Auftrag der provisorischen republikanischen Regierung tourt er mit einer überwiegend aus Studenten bestehenden Schauspieltruppe, v. a. eigene Stücke und solche von Lopez de Vega aufführend, durch entlegene, oft noch stark von Analphabetismus geprägte, spanische Provinzen. Selbstredend ist eine derart großherzige Persönlichkeit den Franco-Faschisten schon früh ein Dorn im Auge - daß er bereits Wochen nach Bürgerkriegsbeginn standrechtlich erschossen worden ist, ist immer mal wieder angezweifelt worden, denn sein Leichnam ist nie gefunden worden.....


    G. L. hat viele Komponisten zu unterschiedlichsten Werken inspiriert - erwähnt seien Francis Poulencs 'zum Gedenken an F. G. L.' 1943 geschriebene, 1949 revidierte (u. Ginette Neveu gewidmete) Violinsonate, Luigi Nonos 'Tre Epitaffi per F. G. L.' (die UA dirigierte Bruno Maderna 1952 in Darmstadt) und Shostakovichs vorletzte Sinfonie, die mit zwei G. L. - Vertonungen beginnt. Unter den Opern seinen hier Udo Zimmermanns (1982 für Schwetzingen komponierte) 'wundersame Schustersfrau' und natürlich Wolfgang Fortners 'Bluthochzeit' genannt. Deren Komponist Giselher Klebe sei (Eintrag v. user musikwanderer am 18.10.2011 auf tamino-klassikforum.at) nach längerer Beschäftigung mit der literar. Vorlage zur Einsicht gelangt, dass hier 'die Schauspielkunst nicht mehr ausreicht, um() die Tragödie zu Ende zu singen'.

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  • 07.06.1843 - Todestag von Friedrich Hölderlin


    Voila einige Sätze aus den H. - Briefe des Jahres 1796 sowie aus den beiden Briefen unmittelbar vor resp. nach diesem Zeitraum.... - so nicht anders angegeben, ist der Absendeort Frankfurt, ist der Adressat Friedrichs um sechs J. jüngerer Halbbruder Karl.


    den vorlezten Dez. 95 Liebste Mutter! Nun fühle ich erst den Werth der ruhigen glüklichen Tage, die ich bei Ihnen genoß. Von meiner hiesigen Lage kan ich noch nichts sagen. Nehmen Sie damit vorlieb, daß ich Sie von meiner glüklichen Ankunft versichern kann. Ich brauche guten Muth und such' ihn mir zu geben, so gut ich kann. Aber ich fühl' es wohl, ich bin so stark nicht mehr, wie vor zwei Jahren.

    Werden Sie nur heiter, liebste Mutter! Ich werfe mir's sonst vor, ich denke, Sie fühlten das Unangenehme des Lebens weniger, hätten Sie mehr Freude an mir. Wenn nur Ihre Gesundheit sich bald bevestiget.


    Mein Karl soll eben seine Einsamkeit ertragen, wie ich sie auch ertragen will. Es ist doch besser, in der Schreibstube einsam zu seyn, als unter dem unbedeutenden Lärme der Menschen, die einen nichts angehn.


    15. Jan. 96. Wohl weiß ich, daß es Zeit wäre, mich durch Neuheit weniger beunruhigen zu lassen; aber wieder mußte ich finden, daß das Unbekannte für mich sehr leicht mehr wird, als es wirklich für mich seyn kann, daß ich bei jeder neuen Bekanntschaft von irgend einer Täuschung ausgehe, daß ich die Menschen nie verstehen lerne, ohne einige kindische Ahndungen aufzuopfern.


    Noch mehr werde ich mich wohl daran gewöhnen, mit Wenigem fürlieb zu nehmen und mein Herz mehr darauf zu richten, mich der ewigen Schönheit durch eignes Streben und Wirken zu nähern - als daß ich etwas vom Schiksaal erwartete. Wohl hast Du recht, daß man die fröhlichen Stunden des Lebens nicht von sich weisen soll, daß auch das Lachen, was doch sicher kein hohes Glük ist, gut sei für den Menschen; aber Du fühlst wohl auch, daß sich das nicht leicht lernt. Ohnediß bin ich wie ein alter Blumenstok, der schon einmal (mit Scherben auf die Straße gestürzt) seine Wurzel verlezt hat - und nun durch ausgesuchte Pflege vom Verdorren gerettet, aber doch hie und da noch welk und krüpplig ist.


    ((An Immanuel Niethammer)) 24. Februar Mein verehrungswürdiger Freund! Die neuen Verhältnisse, in denen ich jezt lebe, sind die denkbar besten. Ich hoffe, meinen Geist - der durch fruchtlose Bemühungen zerstreut und geschwächt wurde - wieder zu sammeln und zu kräftigen. Aber der Nachhall aus Jena tönt noch zu mächtig; verschiedene Linien verschlingen sich in meinem Kopf, und ich vermag sie nicht zu entwirren. Deinen Umgang vermisse ich. Du bist noch heute mein philosophischer Mentor, und Dein Rath, ich möge mich hüten vor Abstractionen, ist mir so theuer wie früher. Schelling sah ich vor meiner Abreise. Wir sprachen nicht immer accordirend miteinander, waren uns aber einig, daß neue Ideen am deutlichsten in der Briefform dargestellt werden können.


    Meine philosophischen Briefe werde ich 'Über die ästhetische Erziehung des Menschen' nennen, werde darin von der Philosophie auf Poesie und Religion kommen. Ich will das Prinzip finden, das vermögend ist, den Widerstreit - zwischen Subjekt und Objekt, unserm Selbst und der Welt, auch zwischen Vernunft und Offenbarung - verschwinden zu machen, in intellectualer Anschauung, ohne daß unsere praktische Vernunft zu Hilfe kommen müßte. Dafür bedürfen wir ästhetischen Sinn.


    im März. 96. Ich wundere mich nicht, daß Du so lange nicht schriebst. Uns wiegt doch die ewige Ebb' und Fluth hin und her, und indeß der Brief ankommt, den wir schrieben, hat sich das Laid, das wir klagten, in Freude, oder die Freude, die wir mittheilten, in Laid verwandelt. Und so ist's mehr oder weniger mit den meisten Äußerungen unseres Gemüths und Geistes. Selbst Unvergängliches wird zum Schatten und kehrt nur zu seiner Zeit, wie Herbst und Frühling lebendig in uns zurük. Das ist's, warum ich nicht gerne schreibe.


    Du willst Rath für Dein Herz, Lieber! Ich kann Dir nichts sagen, als was ich Dir schon einmal sagte; findest Du, daß das liebliche Geschöpf unter allem, was lieben kan, Deinem Wesen am nächsten ist, dann lache der Klugheit ins Angesicht und wags im Nahmen der heiligen Natur, vor der das Menschenwerk, die bürgerlichen Verhältnisse, so wenig gelten, als unsre Regeln von Anstand und Schiklichkeit vor den Kindern. Ist es aber blos ein Behelf Deines verlassenen Herzens, mehr ein Kind der Not, dann freilich würd' ich um Dich trauern, wenn Du Deine ruhige Heiterkeit aufs Spiel seztest. Sei glüklich, Lieber! und nehm es gedultig an, wenn bei großer Freude großer Schmerz ist!


    Du willst, schreibst Du mir, Dich mit Aesthetik beschäfftigen. Man kann freilich auch von oben hereinsteigen (muß es in so fern immer, als das reine Ideal alles Denkens und Thuns uns überall gegenwärtig seyn muß), aber in seiner ganzen Vollständigkeit und Klarheit kann es doch nur erkannt werden, wenn man durchs Labyrinth der Wissenschaft (z. B. Rechtlehre in reinem Sinn, Moralphilosophie p. p.) durchgedrungen ist.


    ((An Cotta)) 15. Mai Ihre gütige Zuschrift hat mich bestimmt, den Hyperion noch einmal vorzunehmen und in Einen Band zusammenzudrängen. Indeß ich Ihnen das Manuscript geschikt, war dieser Wunsch einigemal in mir entstanden; ihre Äußerung über die Ausdehnung des Werks waren mir also keineswegs unangemessen; um ein Verhältniß in die Theile zu bringen, muß ich nun aber auch den Anfang abkürzen.


    2. Jun. Dein lezter Brief hat mir unendliche Freude gemacht. Dein Ringen und Streben macht Deinen Geist immer stärker und gelenker. Wer die Wahrheit liebt (wessen Herz sich erhebt über den ängstlichen, egoistischen Gesichtskreis, in dem die meisten heranwachsen), wird sie finden, wessen Gemüth nicht bornirt ist, dessen Geist ist es im eigentlichen Sinne gewiß auch nicht.


    Diß ist denn auch die wahre Gründlichkeit: vollständige Kenntniß der Theile, die wir begründen und in Eins zusammen begreifen müssen - und tiefe (bis ans äußerste Ende des Wissens durchdringende) Kenntniß des Begründenden und Begreifenden. Die Vernunft legt den Grund mit den Gesezen des Denkens und Handelns (insofern bezogen auf den allgemeinen Widerstreit im Menschen, nämlich den zwischen Streben nach Absolutem und Streben nach Beschränkung), der Verstand begreift. Sei ein Mann und siege. Die Knechtschaft, die in Jugend und Mannesalter von allen Seiten auf Herz und Geist hineindringt, die Mishandlung und Erstikung unserer edelsten Kräfte, giebt uns auch das herrliche Selbstgefühl, wenn wir dennoch unsere besseren Zwecke durchführen.


    Du mußt Dir selbst leben können, ehe Du für Andere lebst. Aus dieser Rücksicht schlag' ich Dir - gegen meine sonstigen Äußerungen - vor, daß Du eine Universität besuchst. Du magst ein Fach ergreifen, welches Du willst; ich bin gewiß, Du wirst es darinn bei Mittelmäßigkeit nicht wirst bewenden lassen, und Männer, die mehr als mittelmäßig, sind eben ihrer Seltenheit wegen jezt überall äußerst gesucht. In jedem Fall kannst Du Hofmeister werden, so wie ich, und all' die Lumpereien des geistlichen und politischen Deutschland auslachen, so wie ich.


    Ich hoffe diesen Sommer mehr zu thun, als bisher. Der Trieb, aus unserm Wesen etwas hervorzubringen, was zurükbleibt, wenn wir scheiden, hält uns doch eigentlich einzig an's Leben vest. Freilich sehnen wir uns oft, aus diesem Mittelzustand von Leben und Tod überzugehn in's unendliche Seyn der schönen Welt, in die Arme der ewigjugendlichen Natur. Aber es geht ja alles seine stete Bahn - warum sollten wir uns zu früh dahin stürzen, wohin wir verlangen.


    ((An Schiller)) Cassel. d. 24 Jul. Verehrungswürdiger Herr Hofrath, man sagt mir, Sie sind gesünder, und das ist ein Trieb mehr für mich, zu ihnen zu wallfahrten und Sie zu sehen.. Aber bis dahin muß ich noch einige Monathe geduldig seyn. Ich bin jezt auf der Flucht mit der Familie, mit der ich seit vorigem Winter in Frankfurt sehr glüklich lebe. Es sind wirklich seltne Menschen - und umso schäzbarer für mich, weil ich sie zu so rechter Zeit fand, weil einige bittere Erfahrungen mich gegen Verhältnisse aller Art hatten mistrauisch gemacht.


    Ich wollte Sie einmal wieder um Ihre Meinung fragen über manches, was mich jezt beschäftigt, wollte durch allerhand Umwege ein paar freundliche Worte mir von Ihnen erbeuten, bin aber genöthigt, abzubrechen.


    Cassel. d. 6. Aug. Ich lebe hier seit drei Wochen sehr glüklich. Wir reisten ziemlich nahe dem französischen Kanonendonner, doch noch immer sicher genug. Mad. Gontard beschloß, sich einige Zeit hier aufzuhalten. Der hiesige Augarten und der weiße Stein haben Anlagen, die unter die ersten in Deutschland gehören. Die Gemäldegallerie und einige Statuen im Museum machten mir wahrhaft glükliche Tage.


    13. Oct. Von Kassel reisten wir nach Westphalen, durch wilde schöne Gegenden, über kahle Berge, schmuzige, unbeschreiblich ärmliche Dörfer. In ((Bad Driburg)) lebten wir sehr still, denn wir wohnten unter herrlichen Bergen und Wäldern und machten unter uns selbst den besten Cirkel.


    Wahrscheinlich wohnten wir nur eine halbe Stunde von dem Thale, wo Hermann die Legionen des Varus schlug. Ich dachte an den schönen Maitagnachmittag, wo wir bei einem Krug Obstwein zusammen die Hermannsschlacht lasen. Das waren doch immer goldne Spaziergänge, Lieber, Treuer! Philosophie mußt Du studiren, und wenn Du nicht mehr Geld hättest, als nöthig ist, um eine Lampe und Öl zu kaufen - und nicht mehr Zeit, als von Mitternacht bis zum Hahnenschrei.


    Unsere Messe ist dißmal sehr leer. Wenn nur Würtemberg und meine theure Familie vor neuen Ungelegenheiten gesichert ist! Ich mag nicht viel über den politischen Jammer sprechen. Ich bin seit einiger Zeit sehr stille über alles, was unter uns vorgeht. - - - > > >

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

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    24. Oct. Liebster Hegel! Vorgestern kömmt ganz unvermuthet HE. Gogel und sagt, wenn Du noch frei seiest und Lust zu diesem Verhältniß hättest, würd' es ihm lieb seyn. Du würdest zwei gute Jungen von 9-10 J. zu bilden haben, würdest durchgängig ungenirt in s. Hauße leben können, würdest mit den ökonomischen Bedingungen sehr zufrieden seyn. Alle Messe wirst Du ein sehr beträchtlich Geschenk bekommen. An HE u. Fr. Gogel wirst Du unbefangne, vernünftige Menschen finden, die gröstentheils sich selbst leben, weil sie und besonders die Frau sich mit den Frankfurter Gesellschaftsmenschen, ihrer Steifigkeit, Geist- und Herzensarmuth nicht befassen mögen.


    Wenn Du hierherkömmst - ein Mensch, der unter ziemlich bunten Verwandlungen seiner Lage und seines Karakters dennoch mit Herz, Gedächtniß und Geist Dir treu geblieben ist und dem zu seiner schönen Lage nichts fehlt, als Du: dieser Mensch wohnt gar nicht weit. Wirklich, Lieber, ich bedarf Deiner und glaube, daß Du auch mich wirst brauchen können.


    20. Nov. Liebster Hegel! Die Höllengeister, die ich aus Franken mitnahm und die Luftgeister mit den metaphysischen Flügeln, die mich aus Jena geleiteten, haben mich verlassen, seitdem ich in Frankfurt bin. So bin ich Dir noch etwas brauchbar. Ich sehe, daß Deine Lage Dich auch ein wenig um den wohlbekannten immerheitern Sinn gebracht hat. Siehe nur zu! So manchmal bist Du, wenn mein Gemüth mich zum dummen Jungen machte, mein Mentor gewesen - und wirst's noch manchmal seyn müssen. Brüderlich wollen wir Müh' und Freude theilen, alter Herzensfreund!


    ((An Schiller)) 20. Nov. Verehrungswürdigster! Ihr gänzlich Verstummen gegen mich macht mich wirklich blöde, und ich muß irgend eine Kleinigkeit vorschützen können, wenn ich mich dazu bringen soll, Ihnen meinen Nahmen wieder zu nennen. Diese Kleinigkeit ist dißmal die Bitte, daß Sie die unglücklichen Verse, die in Ihrem dißjährigen Allmanache keinen Plaz finden konnten, mir wieder zur Durchsicht geben möchten.


    Möchten Sie es doch nicht für verlorne Mühe halten, Ihr Urtheil beizusezen, denn auch hierinn kan ich alles leichter ertragen, als ihr Stillschweigen. Noch sehr gut erinnere ich mich jedes kleinsten Zeichens Ihrer Theilnahme an mir. Haben Sie Ihre Meinung geändert? Haben Sie mich aufgegeben?


    20. Nov. Liebste Mutter! Wo in der Welt vermißt man gerne seine Mutter und solch einen Bruder. Sie können es also wohl glauben, daß es mir nicht leicht wird, den günstigen ehrenhaften Ruf meiner guten Mitbürger unbenüzt zu lassen. Aber es wär doch nicht dankbar, ein Haus zu verlassen, dem ich bisher nicht einen Zehendtheil der schönen Freundschaft, die ich täglich erfahre, vergelten konnte - gerade in einem Zeitpunkt, wo mein hoffnungsvolle(r) Zögling anfängt, mein Herz und meinen Unterricht eigentlicher zu verstehen. Ob ein anderer ihm gerade das seyn würde, was ich ihm seyn kann, ist ungewiß.


    Ferner müßt' ich fürchten, daß meine Gesundheit, von der ich meinen Geist und Karakter so sehr oft abhängig fühlen mußte, ihr gewonnenes Gleichgewicht wieder verliere könnten. Sie wissen, liebste Mutter, wie ich über den Sommer, den ich in Nürtingen zubrachte, körperlich und darum gröstentheils auch am Gemüthe litt. Ich bin jezt völlig hergestellt. Würd' es wohl so bleiben können bei einem so unruhigen Amte? 40 Knaben nach reinen Grundsäzen und mit anhaltend belebendem Eifer zu erziehen, ist wahrhaftig eine Riesenarbeit.


    Freuen wird Sie die Nachricht, daß einer meiner schäzbarsten Universitätsfreunde, Hegel aus Stutgard, zu Anfang des nächsten Jahrs durch meine Vermittlung in eine der glüklichsten hiesigen Familien als Hofmeister kommen wird. Könt' ich doch meinen Karl auch in die Nähe bringen, auf einige Zeit. Aber das darf ich vor Ihnen nicht laut sagen.


    ((unleserl.)) Nov. Du hast schön und äußerst richtig das Feuer jugendlicher Thätigkeit, die in's Unendliche geht, mit der Einschränkung derselben auf ein freies häusliches Leben gepaart. Darinn bestehet alle Lebensweisheit, daß wir uns nicht zu sehr ausdehnen und nicht zu sehr konzentriren - und ein Mensch, der bei ausgebreitetem Geiste, doch mit einfachem Herzen seinen eignen Boden pflanzt, scheint mir nach allem, was ich gedacht und erfahren, der glüklichste und der menschlichste, also der vollkommenste, zu seyn.


    Wir wollen uns also trösten, bis auf bessere Zeit, die Du dann doppelt kräftig und glüklich benüzen wirst, weil Du sie durch Entbehren schäzen gelernt hast. Du hast bisher mit Deiner Lage wie ein edler Kämpfer gerungen: thue es noch eine Weile, und die schlimmste Periode wird überstanden seyn.


    ((An Johann Gottfried Ebel)) 10 Jan. 97 Mein Theurer! Lange zögerte ich mit einer Antwort auf Ihren ersten Brief, weil mir kein Moment reich genug war, um Ihnen alles zu sagen, was ich wünschte. Es ist nicht Jedermanns Sache, sich für Wahrheit und Gerechtigkeit so zu interessiren, daß man sie auch da siehet, wo sie nicht ist; auch ist's ein schöner Instinkt des Menschen, manches, was nicht unmittelbar sein Stoff ist, fröhlicher anzusehen.


    Wohl kann man mit Gewißheit sagen, daß die Welt noch nie so bunt aussah, wie jezt. Sie ist eine ungeheure Mannigfaltigkeit von Kontrasten und Widersprüchen. Altes und Neues! Kultur und Roheit! Bosheit und Leidenschaft! Egoismus im Schaapelz, Egoismus in der Wolfshaut! Aberglauben und Unglauben! Knechtschaft und Despotism! unvernünftige Klugheit, unkluge Vernunft! geistlose Empfindung, empfindungsloser Geist! Geschichte, Erfahrung, Herkommen ohne Philosophie, Philosophie ohne Erfahrung! Energie ohne Grundsäze; Grundsäze ohne Energie! Strenge ohne Menschlichkeit, Menschlichkeit ohne Strenge! heuchlerische Gefälligkeit, schaamlose Unverschämtheit! altkluge Jungen, läppische Männer! - Man könnte die Litanei von Sonnenaufgang bis um Mitternacht fortsezen und hätte kaum ein Tausendtheil des menschlichen Chaos genannt.


    Fast ist es nicht möglich, unverhüllt die schmuzige Wirklichkeit zu sehen, ohne selbst darüber zu erkranken. Ich weiß, es schmerzt unendlich, Abschied von einer Stelle zu nehmen, wo man alle Früchte und Blumen der Menschheit in seinen Hoffnungen wieder aufblühen sah. Aber man hat Sich und wenige Einzelne, und es ist schön, in ((diesen)) und sich selbst eine Welt zu finden.


    Notwendig muß jede Gährung und Auflösung zur Vernichtung führen - oder zu neuer Organisation. Viel Bildung - noch unendlich mehr 'bildsamer Stoff' -, Kindheit des Herzens, Männlichkeit des Geistes, Gutmütigkeit und Fleiß sind die Elemente, woraus ein vortreffliches Volk sich bildet.


    zit. v. digital.wlb-stuttgart.de  

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  • 13.06.1810 - Todestag von Johann Gottfried Seume


    Von seiner autobiographischen Schrift Spaziergang nach Syrakus i. J. 1802 --- Tante Wiki nennt sie ''eigenwillig, politisch, kritisch, alltagsnah''; (!!wäre ich ein sehr politischer motivierter Opernregisseur, würde ich vermutl. recht regelmäßig zumindest mal hineinsehen!!) --- habe ich bereits vor einigen J. eine (erheblich gekürzte) 'Vorleseversion' erstellt; daraus i. F. einige Passagen.....


    Lieber Leser, den Gang, den ich hier erzähle, machte ich voriges Jahr. Vielleicht erfährst Du hier wenig oder nichts neues; die Vernünftigen wissen das alles längst. Aber es wird doch meistens entweder gar nicht oder nur sehr leise gesagt, und mich däucht, es ist nothwendig, dass es nach und nach auch laut und fest und deutlich gesagt werde, wenn wir nicht in Ewigkeit Milch trinken wollen.


    Sollte ich in den Ton der Anmasslichkeit gefallen seyn, thut es mir leid; es ist aber - ohne Verrath der Sache - unmöglich, bey gewissen Gegenständen die schöne Bescheidenheit zu halten. In Romanen hat man uns lange genug alte und nicht mehr geläugnete Wahrheiten dichterisch eingekleidet. Ich tadle dieses nicht, doch sollten wir endlich auch beginnen, die Sachen ernsthaft geschichtsmässig zu nehmen, ohne Vorurtheil und Groll, ohne Leidenschaft und Selbstsucht.


    Als ich als ein junger Mensch von 18 J. von der Akademie in die Welt hinein lief, fand man bey Untersuchung, dass ich keinen Schulfreund erstochen, kein Mädchen in den Klagestand gesetzt und keine Schulden hinterlassen - die wenigen Thaler Schulden den Tag vor der Verschwindung sogar noch bezahlt - hatte; nun konnte man den Grund der Entfernung nicht entdecken, hielt mich für melancholisch verwirrt, liess mich sogar zur Nachsuchung in öffentliche Blätter setzen. Dass ein Student den Tag ehe er durchgeht, seine Schulden bezahlt, schien ein starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse den Philantropen die Betrachtung über diesen Schluss, der eine sehr schlimme Meinung von der Sittlichkeit unserer Jugend verräth.


    Man hat getadelt, dass ich unstet und flüchtig sey: es hielt mich keine höhere Pflicht. Dass ich einige J. über dem Druck von Klopstocks Oden sass, ist wohl nicht eines Flüchtlings Sache. Man wirft mir vor, dass ich kein Amt suche: zu vielen Aemtern fühle ich mich untauglich; und es gehört zu einen Grundsätzen, dass ich glaube, der Staat müsse Männer suchen für seine Aemter. Man hat es missbilligt, dass ich den Russischen Dienst verlassen habe. Ich kam durch Zufall hin, durch Zufall weg, bin schlecht belohnt worden - das ist wahrscheinlich auch Zufall - und noch zu gesund an Leib und Seele, um mir darüber eine Suppe verderben zu lassen. Jetzt will ich leben, so gut und ruhig man ohne einen Pfennig Vorrath leben kann; gewiss wird es gehen, wie es bisher gegangen ist, denn ich habe keine Ansprüche, keine Furcht und keine Hoffnung.


    Was ich hier in meiner Reiseerzählung gebe, wirst Du, lieber Leser, schon zu sichten wissen. Ich stehe für alles, was ich selbst gesehen habe, in so fern ich meinen Ein- und Ansichten trauen darf. Nichts habe ich vorgetragen, was ich nicht von ziemlich glaubwürdigen Männern wiederholt gehört hätte. Leipzig 1803. Seume.


    Den 9ten Dec. 1801 Oft wehte mich eine kalte, dicke Luft an, kam ich nahe einer Residenz; ich kann nicht sagen, dass Dresden diesmal eine Ausnahme gemacht hätte. Man trifft viele trübselige Gesichter; viele scheinen auf irgend eine Weise zum Hofe zu gehören. Vom Hofe sollte ''Höflichkeit'' kommen, aber 'Hof' heisst oft nur ein Ort, wo man keine solche mehr findet. Ungezogenheit ist am meisten unter dem Hofgesinde zu Hause, dass sich dadurch für die Mißhandlungen schadlos zu halten sucht, die es von der Willkür der Herren erfahren muß.


    Heute früh wurde ich durch Kanonendonner geweckt. Beym Aufstehen erfuhr ich, dass dem Haus 'ein Prinz geboren' war; vielleicht macht der Herr in seinem Leben nicht wieder so viel Lärm als bey seiner Ankunft auf unserem Planeten. Zum Glück sind die Fürsten dieses Hauses seit mehr als 1 Jh. meist Kinder des Friedens.


    Meine 'Sorglosigkeit' in Sachen der Kunst kennst Du; was soll ich Laie im Heiligthum? Über manche Kunstwerke habe ich meine ganz eigenen Gedanken, die mir schwerlich ein Antiquar mit seiner Ästhetik austreiben wird.


    Bis Losowitz ist der deutsch - böhmische Dialekt ziemlich angenehm, gurgelt die Worte nicht halb so dick hervor wie der gebirgische in Sachsen. Rundum schien mir der Boden außerordentlich fruchtbar, und ich hoffte, einen beträchtlichen Grad von Wohlstand zu finden. Meine Erwartung wurde traurig getäuscht: die Dörfer waren arm, die Bauernhäuser leer und verfallen, die Einwohner schlichen so niedergedrückt herum, als ob sie noch unter dem härtesten Joch der Sklaverei zögen.


    Mich deucht, schon andere haben angemerkt, dass die Straße von Prag nach Wien die vielleicht befahrenste in ganz Europa ist. **Uns begegneten eine unendliche Menge Wagen mit Wolle, Baumwolle und ungarischen Weinen. Wir gingen in zwei Wirtshäuser - die keine sonderliche Miene machten - und konnten keine Stube erhalten; Offiziere, hieß es, haben auf dem Durchmarsche alles besetzt. Im dritten Haus legte ich mißmutig meinen Tornister auf den Tisch und quartierte mich ein. ohne ein Wort zu sagen. // **S. wird anfangs vom Maler und Radierer Veit Hanns Schnorr von Carolsfeld >1764/1864< begleitet; dieser wird sich kurz nach Wien verabschieden: ''Was ich als einzelnes Menschenkind ganz ruhig wagen konnte, wäre für einen Familienvater Tollkühnheit gewesen.''


    Nach uns erschienen eine Menge Glashändler und Krämer aller Art, von denen einer bis nach Sibirien zu handeln vorgab. Zur Nacht schichtete man uns so enge auf das Stroh, daß ich auf dem britischen Transport nach Kolumbia kaum gedrückter eingelegt war. Solche Abende und Nächte mußten - fährt man nicht per Extrapost - eingerechnet werden, als wir den Reisesack schnallten. Meine größte Furcht ist vor der ekeln Einquartierung gewisser weißer Tierchen, die in Polen vorzüglich gedeihen, auch in Italien nicht selten sein sollen.


    Wien zweiter Weihnachtsfeiertag An der Barriere wurden wir ''zur Visitation gewiesen''; meine Wäsche wurde durchwühlt, mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen. Aus dem Taschenbuche wurden mir meine Briefe genommen; dazu mußte ich 1 goldenen Dukaten hinterlegen, weil ich gegen ein Gesetz gesündigt, von dessen Existenz ich gar nichts wußte: du sollst kein versiegeltes Blättchen in deinem Taschenbuche tragen! Nach drei Tagen erhielt ich die Briefe zurück, ohne weitere Strafe, als daß man mir für den schönen Dukaten blecherne 12-Kreuzer-Stücke gab.


    Gestern war ich bei **Füger; keine Rettung ist, wer in den Zimmern eines solchen Mannes Langeweile hat. Eben hat er einen Achilles vollendet, der nun in Kupfer gestochen werden soll: der Held in Lebensgröße scheint sich eben von seinem tiefsten Schmerz zu erholen und Rache zu beschließen. Du weißt, ich bin nicht Enthusiast, konnte mich aber kaum im Ansehen sättigen! Da ist Brutus d. Ä., wie er seinen Sohn verdammt; jede Beschreibung schwächt: man muß das Ganze mit einem Blick umfassen, um die Wirkung zu haben. Das Stück ist reich an Figuren; alle gehören sie zur Katastrophe oder nehmen Anteil daran. In Entfernung steht ein Alter mit seinen zwei Knaben, deutet auf Richter und Gericht, als wolle er sagen Bei den Göttern: so müßte ich sein gegen Euch, wenn Ihr würdet wie diese!


    Vom Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel Erbauliches sagen. An der Burg und am Kärtner Thor spielt - so gut sie eben kann - die ''Gesellschaft des Nationaltheaters''. Die Italiener sind nicht besser: man tirilliert sehr viel und singt sehr wenig - der Kastrat ***Marchesi so unbarmherzig, daß es ein Jammer für die Ohren ist. Wie man mit solcher Unmenschlichkeit so traurige Mißgriffe hat tun können, begreife ich nicht. Ich will keine 'Helden', die - entmannt, kaum noch mädchenhaft - ihre lächerliche Wut herunterkrähen! // **Heinrich Friedrich F. >1751/1818<; klassizistischer Historienmaler u. späterer Direktor der Wiener Kunstakademie. ***Luigi M. >1754/1829< u. a. Mitwirkung an der UA v. Josef Mysliveceks 'Armida' (Mailand 1789) und zweier Opern v. Simone Mayr (1801 in Triest resp. 1805 in Mailand), beendet seine Bühnenlaufbahn i. J. 1806


    Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt, wo er sich ein stattliches Haus gebaut, dessen Einrichtung mancher Schauspieldirektor mit Nutzen besuchen könnte! Sein großer Vorzug ist Lokalität; oft bedient er sich ihrer mit einer Freimütigkeit, die der Wiener Duldsamkeit Ehre macht. Ich habe auf seinem Theater über die Narrheiten der Reichen und Höflinge Dinge gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen, ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung zuzuziehen! Mehrere seiner Stücke scheint er eigentlich für sich gemacht zu haben - und ich muß bekennen, daß mir sein Kasperle ungemein Vergnügen bereitet hat. Es ist den Wienern von feinem Geschmack gar nicht übel zu nehmen, daß sie zuweilen Nationaltheater und Italiener leer lassen und zu ihm herausfahren.


    Über öffentliche Angelegenheiten wird in Wien fast nichts geäußert; in den Kaffeehäusern ist eine so andächtige Stille, als ob das Hochamt gehalten würde. Eines Auftritts erinnere ich mich: ein Oberstleutnant hatte bei der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht lustig zu sein. Geschäfte hatten Ihn nach Wien gerufen; überall an öffentlichen Orten fand er eine Klosterstille. Er hielt es einige Tage aus, sagte dann mit drolliger Unbefangenheit Was zum Teufel ist das für ein verdammt frommes Wesen? Du hättest die Gesellschaft sehen sollen: einige waren ernst, die ander'n erschrocken, wieder andere nickten gefällig; niemand aber schloß sich an.


    Das Spital am Grazer Schloßberge - ein stattliches Gebäude! - ist von Joseph II, das (sehr!) geschmackvolle Schauspielhaus von den Ständen. Man gab eine Bearbeitung des alten Stücks ''Der Teufel ist los'': der Text hält - wie in den meisten Opern - keine Kritik aus, die Musik war sehr gefällig (und schon mehr italienisch als deutsch), das Personale ziemlich gut besetzt (das weibliche nicht so ärmlich als in Dresden und Wien). Was mir mißfiel, waren die Furien und Teufel, welche aussahen wie die Kohlenbrenner vom Blocksberg. --->>> ´

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

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    Zu Lande ist Triest von aller angenehmen Verbindung abgeschnitten, desto leichter geht alles 'zu Wasser': die See ist hier geduldig; arbeitet man von den Bergen herab in sie herein, kann man ihr noch sehr viel abtrotzen. Eine ganz eigene Klage der Triester ist über den -- Frieden; kein Jota bekümmern sie sich um die übrige Welt und ihre Drangsale, wünschen nur, daß ihnen der Himmel noch 10 J. einen so gedeihlichen Krieg bescheren möchte; dann sollte ihr Triest eine Stadt werden, die mit den Besten in Reih' und Glied treten könnte!


    Das neue Schauspielhaus ist das Beste, das ich auf meinem Wege bis jetzt gesehen habe; man sang durchaus besser als in Wien. Alle Logen sind von den Kaufleuten genommen - ein Fremder muß sich auf ihre Höflichkeit verlassen. Man bedient sich dem Schauspiel zu Rendevous, zu Konversationen, zur Börse, wer-weiß-wozu-sonst-noch; nur die Lieblingsarien werden still angehört. Etwas eigenes war, daß das Parterre entsetzlich nach Stockfisch roch - ich mochte mich hinwenden, wo ich wollte.


    Als die Leute hörten, ich wolle zu Fuß nach Venedig gehen, sagten sie, da würde ich nun wohl ein bißchen totgeschlagen werden, aber ich ließ mich nicht irre machen! Den dritten Februar kam ich an und lief gleich den Morgen darauf in der Stadt herum, zusammen mit einem alten, abgedankten Bootsmanne, der von Konstantinopel bis Lissabon die ganze Küste kannte und nun den Lohnbedienten machen mußte. In einigen Stunden sah ich mehr als 20 Kirchen, von der Markus-Kathedrale bis herab auf's kleinste Kapellchen; wäre ich Künstler oder Kenner, könnte ich viel erzählen.


    Jetzt ist meine Seele von einem einzigen Gegenstande beherrscht, von **Canovas ''Hebe''; fast glaube ich nun, daß die Neuen die Alten erreicht haben. Die liebenswürdige Göttin - die 'Ewige Jugend' - soll eins der jüngsten Werke des Meisters sein; sie steht im Hause ''Abruzzi'', und der Besitzer scheint den Wert des Schatzes zu fühlen - er hat ihm ein schönes helles Zimmer nach dem großen Kanal angewiesen. Er betrachtete meine Andacht ebenso aufmerksam wie ich seine Göttin, auf deren Antlitz alles ausgegossen ist, was der Himmel liebenswürdiges hat. Wenn der Künstler, wie man glaubt, nach einem Modell gearbeitet hat, so möchte ich für meine Ruhe das Original nicht sehen. // **Antonio C. >1757/1822< gilt bis heute als der bedeutendste Bildhauer des Klassizismus. (Sein) Ruhm reichte einst von St. Petersburg bis North Carolina; zit. v. wissen.de


    Die Venetianer sind i.A. höfliche, freundschaftliche Leute; von vielen derselben habe ich Artigkeiten genossen, die ich in meinem Vaterlande nicht herzlicher hätte erwarten können! Drollig sind die Deklamatoren, die über irgendeine berühmte Stelle sprechen oder aus dem Stegreif über ein gegebenes Thema - teils in Prosa, teils in Versen - reden, mit solchem Feuer, daß man sie wirklich einigemal mit großem Vergnügen hört. Eine Menge Leute - lumpige und wohlgekleidete - saßen rundherum, ein Bedienter rief mit lauter Stimme Ancora cinque soldi - ancora cinque soldi, und machte gewaltige Augen, als ich einige Mal mit einem 12-Kreuzer-Stück der Forderung ein Ende machte.


    Das Traurigste ist die Armut und Bettelei; man kann nicht 10 Schritte gehen, ohne in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid angefleht zu werden. Die niederschlagendste Empfindung ist mir gewesen, Frauen von guter Familie in tiefen schwarzen Schleiern kniend vor den Kirchtüren zu finden, wo sie, die Hände gefaltet, ein kleines hölzernes Gefäß vor sich stehen haben. Um alles in der Welt möchte ich nicht Beherrscher von Venedig sein; notwendig würde ich mit meiner Börse oder meiner Empfindung Bankerott machen!


    Rovigo war die erste eigentlich-italienische Stadt für mich; Venedig, Triest und die übrigen Örter hatten alle noch etwas Nordisches. Im großen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von Italienern und Franzosen, die sich - sehr anständig! - der Ungebundenheit überließen. Ich muß bekennen, daß mir dieses heitere kühne Wesen - gegen die bange Furchtsamkeit in Wien - sehr gefiel, daß ich selber freier zu atmen anfing, so wenig ich auch diese Freiheit für mich behalten, sie den Menschenkindern überhaupt wünschen möchte!


    Das Wasser hatte hier ausserordentlichen Schaden gethan, der sogenannte canale bianco seine Dämme durchbrochen und links und rechts grosse Verwüstungen angerichtet. Oft arbeiteten mehrere hundert Mann an den Dämmen und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder in den alten Stand setzen. Da die Strasse ganz abscheulich war, ließ ich mich auf den Po hinauf rudern, zahlte fünf Ruderknechten für eine Strecke von drey Stunden die kleine Summe von zehn Liren. Der Po ist ein schönes majestätisches Wasser, und die heitere helle Abendsonne vergoldete Wellen und Ufer. Mit vollem Recht haben ihn die Griechen Eridanus (d. i. Gabenbringer oder Wogenwälzer) genennt. ((Dass mit dem altgriech. ''Eridanos'' in der Tat der Po gemeint ist, ist nur eine von mehreren Annahmen - lt. Onkel Wiki hielt z.B. Herodot diesen ''Fluss am Ende der Welt'' für rein mythisch; wW))


    Die architektonische Anlage Ferraras ist sehr gut, die Straßen breit und hell - es fehlt der Stadt nur eine Kleinigkeit, nämlich Menschen. Französische Soldaten sah man genug, Einwohner desto weniger. Öffentliche Gebäude, Gärten, Plätze sind nicht ohne Schönheit, die Bibliothek aber (ziemlich!) ansehnlich. Man wiederholte mir einige Mal mit Nachdruck, daß durchaus kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern alles - seit ungef. 50 J. - durch Publikum und Privatleute angeschafft worden sei. Man zeigte mir eine Originalhandschrift von **Ariosto und mehrere Originalbriefe von Tasso. Die Bibliothek beschämt an Ordnung die meisten, die ich gesehen habe. - Im Gasthofe fütterte man mich des Abends sehr gut mit Suppe, Rindfleisch, Wurst, Kapaun, Obst, Weintrauben und Käse von Parma; hier könnten sich vielleicht die Leipziger Aubergisten ein kleines Exempel nehmen! // **Ludovico A. >1474/1533<, Verfasser des Versepos ''Orlando furioso'' (Erstdruck Ferrara, 1516)


    Vor dem Nationaltheater in Bologna wurde ich gewarnt, weil man daselbst die niedrigsten Hanswurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach Katzenmusik tanzen lasse! Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich doch wohl die Schnurrpfeifereien mit angesehen; ich ging aber auf das kleine **Theater ''Da Ruffi'' und fand es allerliebst! Wie die Leute - bei dem kleinen Raum und einem so geringen Eintrittsgelde - den Aufwand bestreiten können, kann ich nicht begreifen! Man gab ein Stück aus der frz. Geschichte, wo viel über Freiheit und Patriotismus deklamiert wurde, aber schon wieder mit viel Beziehung auf Fürstenrechte und Fürstenwürde, welches man noch voriges J. vielleicht nicht hätte tun dürfen! // ** ??


    Nach dem Stück gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich keinen Begriff hatte und auch jetzt keinen sehr deutlichen bekommen habe. Es ist eine Art ''Lotterie aus dem Stegreif''; obgleich man nur um einige Scudi spielte, hätte man doch glauben sollen, es ginge um Schätze: so ein Feuereifer belebte alle Teilnehmer!


    zit. v. deutschestextarchiv.de

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  • S u p p l e m e n t zu Beitr. 103/104


    Johann Gottfried Ebel >1764/1830<, Arzt und Reiseschriftsteller, seit 1792 in Frankfurt ansässig, 1796 bis 1802 in Paris als ''Attache der Frankfurter Gesandtschaft''


    In der Familie des Frankfurter Bankiers, Weinhändlers und Politikers Johann Noe Gogel III. ist Friedrich Hegel von Januar 1797 bis Ende 1800 als Hauslehrer tätig, Hölderlin in gleicher Funktion von Januar 1796 bis September 1798 beim Frankfurter Bankier Jacob Friedrich Gontard ((die dortigen dramatischen Geschehnisse hat Hermann Zschoche 1985 als ''Häfte des Lebens'' verfilmt, mit Ulrich Mühe als Hölderlin und Jenny Gröllmann als Susette Gontard))


    Friedrich Immanuel Niethammer >1766/1848<, seit 1784 Stipendiat am ''Stift Tübingen''; ab 1790 in Jena, dort ab 1798 ''außerordentlicher'' Prof. d. Theologie.

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  • 16.06.1804 - Todestag von Johann Adam Hiller


    In seinem sechsten J. ((-> 1734)) verlor der Knabe den Vater, und nur fremde Unterstützung nebst eigenem Erwerb als Choralist machte es seiner Mutter möglich, ihn 1740-45 die Görlitzer Schule besuchen zu lassen. Einige Zeit mußte er als Schreiber sein Brot erwerben, kehrte jedoch bald zum Studium zurück. Da er nicht nur ein wohlgeübter Sänger war, sondern auch verschiedene Instrumente leidlich spielte, ward er in das Alumneum der Kreuzschule in Dresden aufgenommen.


    Alle Zeit, welche ihm Schularbeiten und Chorgesang übrig ließen, wandte er auf musikalische Studien, gefördert durch K. F. Abel und namentlich durch Homilius, der ihm Unterricht im Clavier- und Generalbaßspielen gab. Zum Selbststudium schrieb er sich Graun'sche und Hasse'sche Partituren ab; die Berliner Bibliothek besitzt eine Anzahl solcher Abschriften. Überhaupt ward Hasse, dessen Werke er in vorzüglichen Aufführungen hören konnte, Gegenstand seiner höchsten Bewunderung.


    1754 übernahm er eine Hofmeisterstelle bei dem jungen Grafen Brühl, mit dem er, zuletzt in Leipzig, sorgenlosere Tage verlebte, als bisher. Nur steigerten sich die Schwindelanfälle, an denen er litt, dergestalt, daß er 1760 seinen Abschied nahm. Trotz der Kriegsunruhen fand er die Möglichkeit, sich durch Übersetzen aus dem Französischen zu ernähren. Unter dem Titel ''Musikalischer Zeitvertreib'' veranstaltete er damals eine periodische Sammlung von Musikstücken, die, wie es scheint, zu ähnlichen Unternehmungen Anderer Anregung gegeben hat, dem ''Annee musicale'', dem ''Musikalischen Allerlei'', dem ''Musikalischen Vielerlei'', letzteres von Ph. Em. Bach.


    Da in Leipzig das sogen. ''öffentliche Concert'' über die Kriegsunruhen ins Stocken gerathen war, errichtete H. ein Concertunternehmen auf Subscription, bis 1763 das ''große Concert'' wieder begann, dessen Direction nun H. übertragen ward. Für dasselbe componirte er einige Sinfonien und Cantaten; zugleich verlegte er sich darauf, sowol Choristen als Solisten auszubilden, um dem Concerte zu besseren Sängern zu verhelfen. 1765 kam der Principal Koch auf den Einfall, das nach Coffey's ''The devil to pay'' unter dem Namen ''Der Teufel ist los'' verfaßte Singspiel neu aufzuführen. Er forderte H. auf, die Gesänge dazu neu zu componiren. Diese Arbeit erfreute sich eines solchen Beifalles, daß sie thatsächlich der Ausgangspunkt der deutschen Oper geworden ist.


    H. selbst schrieb noch eine Reihe solcher Singspiele; die zwei oder drei ersten sah Goethe während seiner Leipziger Studentenzeit unter dem ersten frischen Eindruck ihres Erscheinens: offenbar dankt er ihnen diese seine bekannte, auch dichterisch so fruchtbar gewordene Vorliebe für das Singspiel. Bei diesen seinen Unternehmungen hatte H. nicht nur mit dem Principal zu kämpfen, der die Musik auf der untersten Stufe des Populären festgehalten wissen wollte, sondern noch mehr mit der Unzulänglichkeit der Gesangskräfte.


    Rochus v. Liliencron i. J. 1880 (Bd. XII d. ''Allg. Dt. Biographie''); zit. v. wikisource.org


    Herr H., der nicht allein ein vorzüglicher Schriftsteller über musikalische Materien, sondern auch der beliebteste Komponist dt. Operetten ist, war unermüdet in seinem Bestreben, mir - so lang ich mich ((1772)) in Leipzig aufhielt - angenehme Dienste zu leisten. Gleich den ersten Abend hatte er die Güte, mich nach der komischen Oper in seine Loge zu nehmen. Die Stadt hatte vor dem Kriege eine Gesellschaft Schauspieler, allein seit dieser Zeit hat sich keine einzige daselbst halten können. Itzt kam die Gesellschaft eben von Berlin. Mir ist fast in meinem Leben die Zeit nicht länger geworden; keiner der Acteurs sang im Tackte oder intonirte rein. Zu Hause verschafte mir Hiller's ausserordentliche Kunstgelehrsamkeit weit angenehmere Unterhaltung.


    Den folgenden Morgen probirte man eine von Hiller's komischen Opern. Die Musik gefiel mir und verdiente viel bessre Sänger, als die gegenwärtige Gesellschaft hat. Sie singen so gemein und alltäglich, als bey uns die zu singen pflegen, welche weder den Vortheil eines Unterrichts gehabt, noch jemals gute Sänger gehört haben. Die Instrumente machten ihre Sache schlecht, hätten indessen - da es die erste Probe war - auf den rechten Weg gebracht werden können, wenn Herr H. es für gut befunden hätte, den strengen Herrn zu geben. Denn es ist eine traurige Anmerkung, daß wenigen Komponisten von einem Orchester Gerechtigkeit widerfährt, wenn sie nicht vorher die Spieler hart angefahren und sich in ein gewisses Ansehn gesetzt haben.


    Ich dachte den Ursachen nach, warum auf der Leipziger Bühne durchgängig eine so schlechte Singart herrschte und konnte keine finden, als die gegenwärtige Entfernung dieser Stadt von einer italiänischen Oper. Zu Mannheim, Ludewigsburg, München, Wien und Dresden habe ich den Gesang sehr angenehm und eine gar nicht fehlerhafte Art, die Stimme zu führen, gefunden - und an allen diesen Orten sind seit langer Zeit beständig italiänische Opern gewesen.


    aus: Carl Burney's ()Tagebuch seiner musikalischen Reise. Bd. III; dt. v. Johann J. C. Bode. Bey Bode: Hamburg 1773; zit. v. wikisource.org


    Aus Hiller's Gesangunterricht erwuchs allmählig eine ordentliche Schule. 1775 errichtete er eine ''Musikübende Gesellschaft'', welche sich bereits an Händel'sche Werke wagen konnte, und dies wieder führte zu der Einrichtung sogenannter Concerts spirituels, welcher der Aufführung von geistlichen Musiken in der Advent- und Fastenzeit gewidmet waren, und in denen sich H. namentlich um die Wiedererweckung Händels große Verdienste erworben hat. 1786 führte er in Berlin den Messias mit einer bis dahin dort nicht gekannten Massenhaftigkeit auf.


    Hillers ''Messias''-Bearbeitung (mit dt. Text und um Bläserstimmen bereichert) dürfte bis ins 19. Jh. hinein gelegentlich aufgeführt worden sein. Eine Wiederaufführung - auf Basis einer von der ''Fritz-Thyssen-Stiftung'' geförderten ''Kritischen Edition'' - erfolgte bei den Göttinger Händel-Festspielen 2010.


    Zu Michaelis 1781 eröffnete er die bis heute blühenden und hochberühmten ''Gewandhaus-Concerte''. 1784 ward er vom Rath zum Musikdirector an der Neuen Kirche ernannt, endlich 1789 Cantor an der Thomasschule. In solcher Stellung wirkte er - bis zu seiner Pensionirung i. J. 1800 - in fast jugendlicher Frische und mit voller Freude auch an den neuen Erscheinungen der Musik.


    R. v. Liliencron a. a. O.


    Dieser würdige Mann schrieb mir noch 1796 mit der Wärme eines Jünglings: ''Kämen Sie doch bald einmal zu uns, daß ich Ihnen das letzte, aber größte Werk Mozarts, sein Requiem, von meinen Schülern aufgeführt, könnte hören lassen! Wundern würden Sie sich.''


    Diese besondere Aufmerksamkeit bey der Verbesserung der Leipziger Kirchenmusik (durch eine löbliche Veranstaltung der Hrn. Schulvorsteher waren ihm schon um 1792 die bisher zum Cantorate gehörigen grammatikalischen Schulstunden abgenommen worden) hielt ihn nicht ab, zugleich auch für das allgemeine Beste der Kunst besorgt zu seyn, besonders durch wiederholte Ausgaben von unterrichtenden Schriften oder zweckmäßigen praktischen Werken - deren Vorreden oft so viel werth sind als manche ganze Bücher. Noch 1797 hatte er einen Plan zu einer mus. Encyklopädie entworfen, welchem insbesondere einige neue Abhandlungen über verschiedene Bogen= und Blasinstrumente beygefügt waren. Indessen hatte er sich dem höhern Alter nicht wenig genähert und fing an, dessen Schwächen sehr merklich zu fühlen.


    aus: Ernst Ludwig Gerber. Neues() Lexikon der Tonkünstler. Verl. A. Kühnel: Leipzig 1812; zit. v. archive.org

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

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  • 20.06.1969 - an der Hamburgischen Staatsoper wird Krzysztof Pendereckis Oper ''Die Teufel von Loudon'' uraufgeführt


    Schon lange vor Aldous Huxley (auf dessen gleichn. Roman die Oper explizit zurückgeht) sind die Geschehnisse rund um das Ursulinerinnenkloster in der west-frz. Kleinstadt Loudon literarisch verarbeitet worden. Im Rahmen seiner Veröffentlichung ''Crimes celebres'' v. 1840 behandelte sie Alexandre Dumas d. Ä. auf c. 70 Seiten.... voila einige Passagen vom ersten Viertel dieser Nacherzählung.


    Urban Grandier hatte den Unterricht seines Vaters und seines Onkels genossen, die sich mit Astrologie und Alchymie beschäftigten. In seinem zwölften J. gab man ihn in das Jesuitencollegium zu Bordeaux, wo seine Lehrer bald sein großes Talent zur Erlernung der Sprachen und seine Anlagen zum Redner bemerkten. Man gab ihm gründlichen Unterricht im Griechischen und Lateinischen und übte ihn im Predigen. Da sie bald großen Gefallen an einen Zögling fanden, der ihnen Ehre machte, verschafften sie ihm, sobald sein Alter die Uebernahme eines geistlichen Amtes erlaubte, die Pfarrei zu Loudon, wenige Monate nach seiner Einsetzung auch eine Pfründe im Bezirke Sainte Croix.


    Man wird sich denken können, daß die Verleihung zweier Stellen an einen so jungen Mann, der nicht einmal aus derselben Provinz stammte, in dem kleinen Städtchen viel Aufsehen machte. Seines Vaters Unterricht hatte Urban frühzeitig in die Wissenschaften eingeweiht, ihm den Schlüssel zu so manchem gegeben, was für die Menge ein Geheimnis bleiben mußte. Dazu hatten ihn die Studien, welche er im Collegium gemacht, über eine Menge von Vorurtheilen erhoben, welche dem Pöbel heilig sind, und gegen die er seine Verachtung offen aussprach; dazu kam seine Beredtsamkeit, welche fast alle Zuhörer von den andern Geistlichen fortgezogen hatte, besonders von den Bettelmönchen, welche bis dahin in Loudon den ersten Rang behaupteten.


    Das war mehr als genug, um Neid und zuletzt auch Haß zu erregen. Man weiß, wie boshaft klatschsüchtig die Einwohner kleiner Städte sind und wie leicht der große Haufe gegen Alles aufgebracht wird, was ihn übertrifft und beherrscht. Urban's Charakter war unglücklicher Weise nicht von der Art, ihm Verzeihung für sein Genie auszuwirken. Er hielt viel auf seine amtliche Stellung und vertheidigte sie wie eine Eroberung; wo es auf seinen Vortheil ankam, ließ er sich nichts abhandeln, und hatte er das Recht für sich, so wies er Angriffe mit einer so großen Schärfe zurück, daß er sich seine augenblicklichen Gegner zu unversöhnlichen Feinden machte.


    Ein Proceß, welchen er gegen das Domcapitel in Sainte Croix (wegen eines Hauses, das ihm dieses streitig machte) zu führen hatte und den er gewann, gab ihm Gelegenheit, zu zeigen, wie sehr er auf seinem Recht bestehe. Der Bevollmächtigte des Capitels war Mignon, Canonicus im Bezirke Sainte Croix und Vorsteher des Klosters der Ursulinerinnen. Zu wenig begabt, um jemals eine hohe Stellung zu erreichen, viel zu hochfahrend, um sich mit der untergeordneten Stellung, die er einnahm, zufrieden zu geben, strebte er überall, in den Geruch der Frömmigkeit zu kommen und nahm zu diesem Behuf den ascetischen Ton eines Einsiedlers und das strenge Wesen eines Heiligen an.


    In Folge dieses Processes gerieth ein gewisser Barot (Mignon's Onkel und natürlich auf der Seite desselben stehend) mit Urban in Streit; da derselbe ein höchst gewöhnlicher Mensch war, durfte Urban nur einige wenige verächtliche Antworten gleichsam auf ihn herunterwerfen, um ihn in seiner Nichtigkeit bloszustellen. Aber Barot war sehr reich, hatte keine Kinder, wohl aber in Loudon sehr ausgebreitete Verwandtschaft, von welcher ihm auf das Eifrigste der Hof gemacht wurde - wie das gewöhnlich geschieht, wo eine Erbschaft zu erwarten ist. Seine Verhöhnung machte daher eine Menge von Personen, die sich in den Streit mischten, Urban abfällig.


    Bisher war jeder Angriff auf diesen abgeschlagen. Jeder Sieg aber vermehrte die Zahl seiner Feinde, welche bald so groß ward, daß jeder Andere erschrocken wäre und sich entweder sie zu versöhnen, oder sich bei Zeiten gegen ihre Rache zu sichern gesucht hätte. Urban aber schritt unerschüttert weiter und verachtete selbst die Rathschläge seiner ergebensten Freunde. Jetzt beschlossen seine Feinde (bisher waren die gegen Urban gerichteten Angriffe von Einzelnen ausgegangen), sich zu vereinigen. Allein zeigte dieser ein so abgemessenes Betragen, daß man ihm wirklich weiter nichts vorwerfen zu können schien, als höchstens, daß er sich gern in der Gesellschaft von Frauen befinde, welche ihrerseits ihm vor allen Andern den Vorzug gaben. Da dieser Vorzug es gerade war, der schon manchen Vater und Gatten gekränkt, hielt man dies für die einzig verwundbare Stelle in Urban's Wesen.


    Wir haben schon erwähnt, daß der Canonicus Mignon Vorsteher eines Ursulinerinnenklosters war. Der Orden war damals noch neu; erst 1626 (also etwa fünf J. vor der Zeit, in welcher diese Erzählung spielt) wurde das Kloster in Loudon gegründet. Trotzdem daß viele vornehmen Geschlechtern entsprossene Damen in die Gemeinschaft eintraten, war diese so arm, daß sie sich in einem Privathause einmiethen mußte. Dieses hatte man ihnen für einen sehr niedrigen Mietzins überlassen, weil man in der Stadt glaubte, daß in demselben Geister ihr Wesen trieben, und der Eigenthümer heilige Nonnen für das beste Gespenstergift hielt. Wirklich war binnen Jahresfrist der Spuk gänzlich verschwunden, was den Ruf der keuschen Jungfrauen bedeutend vermehrte.


    Nach einem J. starb der erste Vorsteher des Hauses: für die jüngern Bewohnerinnen eine erwünschte Gelegenheit, sich einige Zerstreuung zu machen. Bald darauf ließen sich auf dem Dach sonderbare Töne hören; bald wagten die Gespenster sich bis in die Vorrathskammern, wo sie ihre Gegenwart durch Kettengerassel bekundeten. Die Aebtissin rief die verständigsten Nonnen zusammen: einstimmig ward man der Meinung, man müsse an die Stelle des verstorbenen Vorstehers einen wo möglich noch frömmern Mann wählen. Die Meisten dachten an Grandier, sei es, weil er wirklich in dem Rufe großer Frömmigkeit stand, sei es, daß auch mancher andere Grund die heiligen Schwestern auf ihn verfallen ließ. Man machte ihm Vorschläge, er antwortete jedoch, daß er schon zwei Aemter auszufüllen habe und ihm nicht Zeit genug übrig bleibe, um die schöne Heerde getreulich bewachen zu können. Wie man sich denken kann, verletzte diese Antwort.


    Mignon war zwar ärgerlich, daß die Wahl erst, nachdem Grandier die Stelle ausgeschlagen, auf ihn gefallen, nahm aber dennoch an. Durch die Fragen, die dieser an die Mädchen richtete, entdeckte er bald die Wahrheit. Unter dem Vorwand, sie nicht dem Zorn der Superiorin aussetzen zu wollen (die sicher den Zusammenhang errathen würde, wenn der Spuk gerade vom Tag der Beichte an wie abgeschnitten aufhöre), erlaubte ihnen Mignon, die nächtlichen Zoten noch zuweilen zu wiederholen, gebot ihnen jedoch, sie allmählig immer seltener werden zu lassen. Zur Superiorin sagte er, er habe die Gedanken der ganzen Schwesterschaft so rein befunden, daß er durch seine Gebete das Kloster bald von seinen nächtlichen Gästen zu befreien hoffe. Es kam, wie er gesagt, und der Ruf des heiligen Mannes wurde bedeutend vergrößert.


    Alles war mithin im Kloster ruhig, als sich die Ereignisse zutrugen, die wir erzählt haben, und Mignon und Barot sich gegen Grandier verschworen. Der Erfolg war ein Gerücht, welches sich in ganz Loudon verbreitete; es hieß, die Gespenster seien unsichtbar und ungreiflich zurückgekehrt: mehrere Nonnen hätten theils durch Worte, theils durch Handlungen, augenscheinliche Zeichen von Besessenheit gegeben. Mignon schlug, anstatt dieses zu widerlegen, die Augen zum Himmel und sagte, Satan sei geschickt und verschlagen, besonders wenn die Magie ihm in die Hände arbeite. Zwar könne er die Gerüchte nicht für grundlos erklären, von echter Besessenheit liege aber kein Grund vor: man müsse warten, bis die Wahrheit mit der Zeit an den Tag komme.


    Einige Monate lang liess MIgnon diesen Gerüchten freien Spielraum, ohne ihnen weitere Nahrung zu geben. Endlich aber bat er Barre, den Pfarrer der Jacobskirche in Chinon, den frommen Schwestern einen Besuch zu machen. Es sei jetzt im Kloster der Ursulinerinnen so weit gekommen, daß er die Verantwortlichkeit für das Seelenheil der armen Nonnen nicht mehr allein auf sich nehmen könne. Barre war ganz der Mann, wie Mignon ihn brauchte: ein melancholischer, zu Verzückungen und Visionen neigender Mensch, bereit, Alles zu unternehmen, was seinen Ruf der Frömmigkeit und Bußfertigkeit erhöhen konnte. Mit der größten Feierlichkeit begab er sich zu Fuß nach Loudon. Dort blieben, während die Gläubigen in die Kirche strömten, Mignon und Barre sechs Stunden lang bei den Nonnen. Nach Verlauf dieser Zeit sagte Barre seinen Pfarrkindern, sie möchten allein nach Chinon zurückkehren, früh und spät mit aller Inbrunst beten, er selbst bleibe, um dem ehrwürdigen Vorsteher bei seinem heiligen Werke zu helfen.


    Die allgemeine Neugierde ward hierdurch noch mehr aufgestachelt; man sagte, nicht nur eine oder zwei Nonnen, das ganze Kloster sei besessen, und als den Schwarzkünstler, der diese behext, wagte man ganz offen Urban Grandier zu benennen, welcher dem Teufel seine Seele unter der Bedingung verkauft, ihn zum klügsten Menschen auf der ganzen Erde zu machen. Urban's Kenntnisse waren in der That so bedeutend, daß sehr Viele diesem Gerücht ohne Weiteres glaubten. Einige Andere zuckten die Achseln, als sie diese Abgeschmacktheiten vernahmen, und trieben ihren Spott mit diesen albernen Geschichten, von denen sie bisher nur die lächerliche Seite sahen... .... ((dt. Übers. v. N. N.; gedr. im Verl. Otto Wigand: Leipzig 1855))


    zit. v. books.google.de

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  • 21.06.1868 - im Münchener Nationaltheater wird Richard Wagners Oper ''Die Meistersinger von Nürnberg'' uraufgeführt


    Schon lange, ehe in Deutschland das zu gelten anfing, was in meiner Abhandlung unter Meistergesang verstanden wird, waren Gesänge und Sänger. Was Erstere angeht, so zeigte sich ein höchst einförmiges Gebäude; wir haben wenig Gründe zu bezweifeln, daß Weisen von vier langen Zeilen das alte Maas gewesen. Auch alte Minnelieder - und gewiß im zwölften Jh. - haben sich darin bewegt.


    Gegen das dreizehnte Jh., bis wo man nichts als die Laute alter Heldenlieder gehört, erschallt auf einmal ein wunderbares Gewimmel. Von weitem meinen wir denselben Grundton zu vernehmen; treten wir aber näher, so will keine Weise der andern gleich seyn. Tausend Formen liegen dahin gebreitet, grell fröhlich an einander gesetzt, gar selten vermischt. Diese Dichter haben sich selbst Nachtigallen genannt (ich begnüge mich hier, an Gottfried's von Straßburg bekannte Stelle im Tristan zu erinnern; der Dichter denkt aber nicht an einen Unterschied zwischen Meistern und Minnes., ja nennt selbst die Nachtigall von der Vogelweide eine Meisterinne, wenn auch im allgemeinen Sinn), und gewißlich konnte man durch kein Gleichnis, als das des Vogelsangs, ihren überreichen Ton besser ausdrücken.


    Aus diesem Bestehenden ging nun ein Neues hervor; hervorgehoben wurde der innere Grundbau der Lieder, ihnen zugleich eine Fülle der Entfaltung gelassen, weßhalb man denn die alten Meisterlieder einmal fester und strenger, dann auch freier und gewandter als den Volksgesang erkennen muß. Andrerseits blieb sie persönliche Sitte bestehen: die Meistersinger lebten an den Höfen und wandten ihre Kunst auf den Fürsten, nur ist entscheidend, daß sich die Dichter ihres Eigenthümlichen, Kunstmäßigen bewußt werden (Conrad von Wirzburg >>Würzburg um 1225 / Basel 1287<< singt ''Edelsang sey eine innerliche Kunst, die von selber kommen müsse, nicht gelchrt >>sic !<< werden könne.'') und sich darum auf einer höhern Stufe glauben mußten - um so mehr als die Lebensart der Volkssinger in der öffentlichen Achtung vermuthlich gesunken war. Veranlaßt durch einen längst zeitigen Hang zum lyrischen, subjektiven Prinzip, wurde das Verfeinern der Form befördert. Eine sehnende Bewegung des Gemüths fing an, sich über sich selbst zu besinnen - und trug an seiner Zierde und Pracht reines Wohlgefallen.


    Schon mit dem Anfang des dreizehnten Jh.'s gab es Regel und Meister genug - wir haben dafür mittelbare Documente. Die Poesie wurde lebendiger, ins Leben eingreifender: viel reitzender, als der todten Helden Thaten und Ruhm, schien die Verherrlichung der Gegenwart. In Städten, auf dem Lande mag der Minnegesang wenig Eingang gefunden haben, auch verschmähten es die meisten Hofdichter, sich durch Ergötzung des ungebildeten Volks gleichsam zu erniedrigen. Diesem mußten die Liebesklagen zu fein und gestaltlos vorkommen, wie hätte es für allegorische Deutung und Tiefe Sinn gehabt.


    Die zweite Epoche ist erst im vierzehnten Jh. besonders hervorgegangen. Nach und nach ermüden die Minnelieder die Fürsten - das Volk kann sie nicht brauchen. Je schlechter die Meister bezahlt werden, umso gezierter gerathen die Loblieder auf Fürsten und Herren. Es verliert sich die Lust, große Romane zu reimen, immer reger wird die Lust, göttliche und menschliche Dinge zu betrachten, den Weltlauf zu ergründen. Die im vierzehnten Jh. erschienenen Meisterlieder darf man nicht sogleich schlecht heißen, noch weniger, ihre Verfasser heruntersetzen. Daß die Dichter die Form der Worte aufs höchste trieben, durch deren geheimnißvolle Stellung das Geheimnißreiche zu ehren strebten, versieht sich von selbst. Eben so glaublich ist es, daß sie ihre äußerliche Verbindung in manchen Ceremonien zu befestigen suchten.


    Die dritte Epoche rechne ich vom 15. Jh. bis ans Ende. Für die Meisterpoesie war die Zeit des Hoflebens und Wanderns vorüber, denn es hatten die Fürsten den Meistern alle Gunst entzogen. Dagegen gerith diese Kunst allmälig in den Bürgerstand herab - nicht als ob vorher keine Bürger derselben theilhaftig gewesen, sondern weil jetzo eine Menge aus diesem Stande sie blühender als je machten. Wäre er nicht in die dt. Städte gelangt (wo es sich die wohlhabenden Bürger zur Ehre ersahen, daß sie die Kunst ihrer Vorfahren nicht ausgehen ließen), hätte der sinkende Meistergesang sich nirgends so lange gehalten. Bald war er in Ansehen und Förmlichkeit durch eine Menge Theilnehmer gesichert - zu Nürnberg soll Hans Sachs den Meistergesang so aufgebracht haben, daß mit ihm 250 gewesen.


    Allmaelig wandte sich der einfache Sinn von tiefen und subtilen Forschungen ab und hielt sich an leichte Allegorien und der Darstellung von Wahrheiten der heiligen Schrift. In den Hauptsitzen des späten Meistersangs, den protestantischen Städten, kam die Reformation hinzu, die überall reinrs Haus haben wollte; durch Sitte - vielleicht selbst in einigen Ordnungen - wurden daher weltliche Gegenstände vom Gesang ausgeschlossen. Diese Einschränkung darf man aber durchaus nicht aus dem Princip des Meistergesangs ableiten, dem sie nur aufgedrungen war: wir haben nicht wenig wirkliche Meisterlieder aus der letzten Zeit, welche von Liebe oder lustigen Späßen handeln. Wenn das auf den Schulen auch nicht gern öffentlich abgesungen wurde, so schrieben es doch zu Haus die Meister in ihre Bücher mitten unter die andern. // zit. v. deutschestextarchiv.de


    aus: Jacob Grimm. Über den altdt. Meistergesang. Meinen zwei lieben Brüdern Wilhelm und Ferdinand aus Liebe, Treue und Einigkeit zugeeignet. Verl. H. Dieterich: Göttingen 1811

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  • 24.06.1908 - Geburtstag von Hugo Distler


    Im J. 1931 mußte ich aufgrund widriger Umstände nicht nur mein mit großer Hingabe ((in Leipzig)) betriebenes Studium aufgeben, sondern daran denken, ein wenn auch noch so bescheidenes Unterkommen zu finden. Schweren Herzens ging ich nach dem äußersten Norden Deutschlands, wo eben die Stelle eines Organisten an gar nicht einmal der Hauptkirche vakant geworden war - ein Amt, das seine Daseinsberechtigung damals nur mehr aus der Existenz seiner beiden alten (freilich herrlichen!) Orgeln bestritt. Die Besoldung war äußerst dürftig, die Orgeln selber verfallen, die eine nahezu unspielbar. Die Organistenstelle war früher mit dem Kantorat verbunden gewesen; die Nachkriegs= und Inflationszeit war schuld an der Trennung der Ämter. Deren Wiedervereinigung - nach hartnäckigem Kampf - war mein erster Erfolg: ich übernahm einen winzigen, miserabel bezahlten Knabenchor. Zum Glück erstand mir in einem der beiden Pfarrer ein verständiger und anregender Ratgeber. Wie es die Kirchenjahreszeit verlangte, wuchs dann von Sonntag zu Sonntag Werklein um Werklein; meine Chorschüler halfen mir getreulich bei der mühevollen Abschreibearbeit. So entstand die Sammlung jener anspruchslosen Sätzchen, die ich unter dem Titel ''Der Jahreskreis'' veröffentlicht habe.


    Längst vergilbt, füllte Notenmaterial in großen Stapeln den Schrank. Der Schrecken, der mir beim Sichten in die Glieder fuhr, ist mir noch heute gewärtig: da war nichts als abgestandene Marktware, wie wir sie ja leider heute noch vielerorts antreffen. Ich verbrannte den ganzen Plunder, nicht ohne vorher von jeder der Motetten ein Partiturexemplar gerettet zu haben - zur bleibenden Erinnerung an das Chaos. Einmal bei der Arbeit, verbrannte ich noch mehr - all meine angefangenen oder bereits fertigen sinfonischen oder chorischen Monsterwerke. Angesichts der nüchternen Forderungen des Tages hatten sie Sinn und Berechtigung mit einem Mal verloren. // aus einer ''Autobiographische(n) Notiz'', veröffentl. 1936 in der Zeitschr. ''Lied und Volk'' (Verl. Bärenreiter)


    Für den genialsten Komponisten, den wir besitzen - nicht wir, sondern leider die Schweiz - halte ich Arthur Honegger. Jüngst wurde im Gewandhaus sein Oratorium ''Judith'' aufgeführt. Es war das Überwältigendste, was ich je in diesem geweihten Hause hörte. // aus einem Brief an die Studienfreundin Ingeborg Heinssen, 21.01.1928


    Das Klavierwerk Arnold Schönbergs - vollkommene Synthese des bewußt gestaltenden Willens mit dem Elan leidenschaftlichen Temperaments, von unerhörter Konsequenz, von erschreckender Rückhaltlosigkeit. Man ist ebenso verblüfft von der Unterwerfung des architektonischen Elements unter die musikalisch=künstlerische Idee wie von der glänzenden Entwicklung logisch=gesetzlicher Verarbeitung.


    Nirgends wurde mir die veränderte Haltung der ''Modernen'' - im Vergleich zu der der Schönbergischen Musik - evidenter als beim Vortrag des Walzers aus Schönbergs ''5 Klavierstücken op.23''; nirgends auch die von Schönberg selbst des öfteren betonte traditionsmäßige Gebundenheit seiner Musik: ein Tonstück von sublimster, nervösester Zartheit, in dem das Tänzerisch=Rhythmische vollkommen aufgelöst erscheint - eine letzte Verflüchtigung der Chopinschen ''Valses''. Wie nahe liegt doch der Vergleich mit einem der köstlichen Walzer Strawinskys: hier primäres Erleben des tänzerischen Impulses, dort Symbol, noch weniger: Bild, Impression.


    Bislang hatte sich wohl kaum Gelegenheit geboten, Schönbergs gesamte Klaviermusik in einer chronologischen Darstellung zu hören. Das Verdienst gebührt Frau Else Kraus, Lehrerin an der Berliner Akademie für Kirchen= und Schulmusik. Allein schon des glänzenden Vortrags wegen hätte das hochinteressante Konzert eine stärkere Beteiligung der Lübecker Bevölkerung verdient ((gehabt)). // aus einem Artikel in ''Lübeckische Blätter'', 1931


    Heute mittag sah ich mir die 3 Barlach Figuren für Katharinen an, den Bettler, einen 'singenden Jüngling' und eine 'Frau im Wind': herrliche Gestalten von einem außerordentlichen Ebenmaß. Der Jüngling scheint so etwas wie die kindlich=heitre Anbetung zu verkörpern - ich dachte an das seltsame Erlebnis, das ich beim Hören der Thomaner empfand: denk dir diese Kinder, die sicher überwiegend nicht die Worte geschweige den tiefern Sinn dessen verstehen, was sie singen - und doch ahnen sie unbewußt im tiefsten Innern, so stark, daß es größten Eindruck auf den Zuhörer auszuüben vermag. Dann die 'Frau im Wind', eine im andern Sinn 'musikalische' Gestalt: da ist alles Bewegung, Schwingung; man denkt an eine vom Geist Gottes überkommene Heilige, wie alle diese 3 Figuren ja irgendwie mittelalterlich wirken. Ich kaufte mir 3 Photos von den Figuren und freue mich sehr, sie recht oft zu sehen. // aus einem Brief an die spätere Ehefrau Waltraut Thienhaus, 26.09.1932


    Samstag Abend Übertragung der Uraufführung von Hindemiths Oper ''Mathis'' aus Zürich. Mußt Du unbedingt hören! // Postkarte an den Schwager Erich Thienhaus, 26.05.1938


    Man hat Orlando di Lasso bisher viel zu eng gesehen. Bekannt war er entweder als Kirchenkomponist - in erster Linie war es die katholische musica sacra, die ihn in Beschlag legte, obwohl es meisterhafte, ganz aus evangelischem Geist geschaffene Liedmotetten von ihm gibt! - oder als Verfasser einiger weniger immer wieder gesungener weltlicher Chorlieder. Tatsächlich gibt es keine Gelegenheit im menschlichen Leben, die der Meister nicht besungen hätte. In diesem Künstler steckt noch etwas vom Geist eines Fahrenden des 16. Jhs.; sein frühes Wanderleben führt ihn aus seiner Heimat Flandern nach Frankreich, Italien, England in seine Wahlheimat Deutschland, wo er, in München, als Hofkapellmeister die zweite Hälfte seines Lebens verbringt, am Ende aus Überanstrengung in Schwermut fallend. Er schreibt (selbstverständlich) Kirchenmusik, altkirchliche wie reformatorische - und selbstverständlich alle mögliche Musik zu jeder Art von Feiergestaltung und Geselligkeit.


    Daß ein und derselbe Mensch Werke von tiefster religiöser Weihe (wie die Bußpsalmen) hat schreiben können, andererseits musikalische Scherze, die für seine Zeit die Grenzen des Möglichen streiften, für spätere Ohren ungenießbar waren: gerade darin verstand man den Meister falsch. Man deutete sein Werk um, reinigte Texte, ließ aus und verleugnete. Di Lassos Größe erkennen wir aber gerade im großartigen Ausschwingen seiner schöpferischen Phantasie nach beiden Polen des Seins. Das Programm der Lassofeier unserer Hochschule umfasst also mit voller Absicht Werke größter Gegensätzlichkeit, begleitet den Meister auf seinem danteschen Weg vom Himmel zu Hölle: der Bußpsalm am Anfang, am Ende jenes merkwürdige Fastnachtspiel von den Nasen.


    Auf den ersten Blick ein absurder Gedanke, alle Arten schön- und mißgebildeter Nasen in einem grotesken Marsch und anschließendem Tanz auftreten zu lassen! Bei näherer Beschäftigung aber gewinnt dieses absonderliche Zeugnis von di Lassos Kunst tiefsinnige Bedeutung, ist nur Vorwurf, äußerlicher Anlaß für eine hintersinnige Menschen= und Lebensbetrachtung. Unterm Singen vergißt man, daß es sich um Fastnachtmasken handelt - drollig, drastisch, kläglich schaut hinter den Masken der Mensch hervor. Und wenn dieses Spiel mit der Aufforderung schließt, es möge sich jedermann an dem vielgestaltigen Tanz beteiligen, so will der Meister voll weiser Ironie nichts anderes sagen, als was einer unserer größten Regisseure** vom Geist der Komödie sagt, daß nämlich jede echte Komödie im Geiste ein Totentanzspiel sei, daß man daher den Tod zu agieren vermeine, der im verborgenen all die Drähte leitet, an denen die Puppen ihr eigenes kleines Dasein zu spielen vorgeben. Auch in diesem Stück also spukt des Totengräbers Geist aus dem 'Hamlet'. ((** vermutl. ist Jürgen Fehling >1885/1968< gemeint, für dessen Inszenierung v. Ludwig Tiecks 'Ritter Blaubart' - am Berliner Schillertheater - H. D. die Musik beigesteuert hatte; eine weitere dortige Zusammenarbeit war angedacht, zerschlug sich jedoch, da Fehling sich mit dem Intendanten Heinrich George zerstritt.)) // aus einem Beitrag in ''Dt. Allg. Zeitung'' v. 05.12.1941


    sämtl. zit. v. surf-inn.net

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  • 28.06.1831 - Geburtstag von Joseph Joachim


    An den fast Sechsundsiebzigjährigen trat Ende März ((1907)) der Engel des Todes mahnend heran. Noch war ihm vergönnt, in London zu konzertieren (wohin er sich seit 1844 alljährlich zu begeben pflegte), beim dritten Eisenacher Bachfest mitzuwirken, seinen Berliner Quartettzyklus zum Abschluss zu bringen. Sein Hinscheiden bedeutet für das Kunstleben, und zwar nicht bloss das Berliner und Londoner, einen schweren Verlust; es ist schwierig, so bald nach seinem Tode sein Wirken mit ruhiger Objektivität zu beurteilen.


    Auf dringendes Anraten einer Wiener Cousine wurde J. bereits im Sommer 1839 von Pest, wohin seine Eltern 1833 übergesiedelt waren, nach Wien gebracht, um von dem als Haupt der Wiener Schuler geltenden Geigenpädagogen °°Joseph Böhm >1795/1876< herangebildet zu werden. (Er) blieb fünf J. in Wien - das damals noch weit mehr tonangebend war als heute - und studierte mit solchem Eifer, dass ihm sein Lehrer schliesslich riet, sich seinen letzten Schliff in Paris zu holen. Doch wieder griff jene Cousine ausschlaggebend ein. Sie hatte mittlerweile Wien mit Leipzig vertauscht und war voll Lobes über das Musikleben dieser Stadt und deren musikalische Koryphäen. // °°...hatte u. a. bis einschl. 1827 ab und an Ignaz Schuppanzigh als Primarius des gleichn. Quartetts vertreten!


    **In Leipzig, dieser Centrale deutscher Intelligenz, bewegte sich J. in einem gewählten Künstlerkreise. Es war Mendelssohn, der sich dem Ansinnen der Angehörigen Joachim's, dass (dieser) das Konservatorium besuche, entschieden widersetzte: (dort) gewinne der junge Künstler, in Anbetracht der Stufe, auf welcher er damals stand, nichts Entsprechendes. Während nun J. in Musiktheorie von ((Ferdinand)) David°°, im Generalbasse vo((m Thomaskantor Moritz)) Hauptmann Unterricht erhielt, nahm ihn Mendelssohn unter seine besondere Leitung. 1843 unternahm J. einen Kunstausflug nach London; ein Schreiben Mendelssohn's an Moscheles ebnete (ihm) alle Pfade. Mendelssohn's Hingang ((im)) November 1847 verursachte ihm tiefes und anhaltendes Leid. // °°u. a. ab 1836 Primarius des Gewandhausquartetts


    Als er 1850 einem Rufe als Konzertmeister nach Weimar folgte, schied er mit dem sicheren Bewusstsein, im Besitz eines höchst gediegenen, dem Virtuosenstandpunkt durchaus entgegengesetzten musikalischen Geschmack zu sein. Dass Liszt - der ihn auch berufen hatte - auf J. starken Einfluss ausübte, war ganz natürlich. Durch (diesen) trat (er) auch zu Wagner in Beziehungen, dessen 'Lohengrin' ihn hoch begeistert hatte. Man kann sich denken, wie schmerzlich es Liszt und Wagner empfanden, als J. sich ihnen entfremdete, bis er 1860 in Gemeinschaft mit Brahms sich öffentlich von ihnen lossagte.


    J. war nicht nur der erste überhaupt - sagt sein Biograph °°Andreas Moser -, der Brahms' Genius in seiner ganzen Bedeutung erkannte, sondern er hat auch trotz aller Misserfolge treu an ihm festgehalten. Ursprünglich bestand zwischen beiden ein edler Wetteifer: jahrelang sandten sie sich regelmässig Studien im doppelten Kontrapunkt, Fugen, Choräle, Variationen und dergleichen zu, die sie aufs strengste gegenseitig prüften. Auch besuchten sie zur Vervollkommnung ihrer Bildung Vorlesungen an der Universität Göttingen. Sich selbst als Komponist zu betätigen, hatte J. um so weniger Neigung, je mehr sich die Erkenntnis von Brahms' Bedeutung in (ihm) bekräftigte. Als der Erste der lebenden Geiger galt (er) bereits in den fünfziger Jahren; schon damals wurde allgemein anerkannt, dass noch niemals ein Virtuose sich so dem Musiker untergeordnet habe. // °°...spielte als Bratschist häufig mit J. J. im Streichquartett; verfasste mit diesen zusammen eine dreibändige 'Violinschule' (veröffentl. 1908-10), später Verf. d. Schriften 'Methodik (resp. 'Geschichte' resp. 'Technik') des Violinspiels' (veröffentl. 1920, 1923 u. 1925).


    **Ueber wenige Künstler der Neuzeit stimmen die Urtheile der Kunstkritik so überein, wie über J. Die Londoner ''Review'' stellt ihn in einem ''Joachim et Vieuxtemps'' überschriebenen Artikel über (letzteren.) Herr Speidel >1830/1906< - nach Hanslick der zweite Musikkritiker Wiens - schreibt: ''Wenn (J.) zu geigen anfängt, so hat nicht ein Gedanke Raum zwischen dem Bogen und der gestrichenen Saite. Sein Ton ist nicht allzu groß, doch voll, rund, intensiv. Ganz ihrer Natur gemäß erklingt die Geige: durchdringend, schneidig in der Höhe, weich und gesangvoll in der Mittellage, auf der vierten Saite - wenn sie energisch angegriffen wird - mit jenem naturgewaltigen Mitschnarren und -ächzen des Steges, das wesentlich zum Charakter der Violine gehört. Seine Scala ist ungewöhnlich rein und klar, einen Triller mit so breitem plastischem Nachschlage, so ungemein voll und gleichmäßig, haben wir nie vollendeter spielen hören.''


    Joachims Wertschätzung - auch darf nicht vergessen werden, dass (er) der Geigenwelt die Solo-Sonaten von Bach eigentlich erst erschlossen hat! - wuchs noch, als er 1869 beauftragt worden war, die Königliche Musikhochschule in Berlin mit ins Leben zu rufen. Hier hat er eine wahre 'Hochschule für Geiger' begründet; seine zahlreichen Schüler sitzen als Konzertmeister in den ersten Orchestern Deutschlands, Englands und Amerikas. Es war bei seinem Entwicklungsgang war nur natürlich, dass er vorwiegend in musikalisch-konservativem Sinne leitete - dass aber, wie bisweilen behauptet wurde, die Nennung des Namens Richard Wagner verpönt gewesen sei, entspricht nicht den Tatsachen. Auch hat J. keinen seiner Schüler gehindert, sich an die ''Modernen'' anzuschließen.


    verf. v. Wilhelm Altmann >1862/1951<; zit. auf josephjoachim.com

    **verf. i. J. 1863 v. Constantin v. Wurzbach; zit. auf wikisource.org

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  • 30.06.1685 - Geburtstag von John Gay


    (i) einige Sätze aus ''((William M.)) Thackeray's ((1811/1863)) Lectures on the English Humourists'' in der Übers. v. Ernst Regel ((1850/1921)), veröffentl. im Verl. Niemeyer (Halle: 1891)


    J. G. ist in Devonshire geboren; des früh verwaisten Knaben scheint sich ein Oheim, Thomas Gay, angenommen zu haben. John wurde in der lateinischen Schule seiner Vaterstadt erzogen, und einer seiner Lehrer - ein gewisser Luck - soll frühzeitig den poetischen Sinn des Knaben geweckt haben. Die Lehrzeit bei einem Seidenhändler in London sagte John wenig zu; er fühlte sich gedrückt; und seine Gesundheit hat in dieser Stellung gelitten.


    Aus dem J. 1714 stammt das Schäfergedicht in sechs Gesängen 'The Shepherd's Week', von ((Alexander)) **Pope ((1688/ 1744)) veranlasst. In ((der Einleitung)) verwahrt sich Gay gegen die Phantasiegebilde eines arkadischen goldenen Zeitalters; golden sei nur dasjenige der Königin. Das Landleben, wie es wirklich ist, und zwar englisches Landleben, soll geschildert werden; Milton und Spenser sind die Vorbilder. - Befand Gay sich in gedrückter Stimmung, suchten ihn seine Freunde durch Reisen zu zerstreuen und zu erheitern; so nahm ihn 1717 William Pulteney, der spätere Graf von Beth, mit nach Aix; auf dieser lernte er die Franzosen kennen, die er in der 'Epistle' an Pulteney in jeder Hinsicht als petits-maitres darstellt. - Das J. 1720 brachte Gay einen bedeutenden pekuniären Gewinn: die zweibändige Sammlung 'Poems on Several Occasions' warf Tausend ((?)) ab, und hätte Gay auf irgend einen der Ratschläge seiner Freunde gehört, wäre (er) in Zukunft aller Sorgen für den täglichen Unterhalt ledig gewesen; unglücklicherweise liess er sich verleiten, eine Aktie des berüchtigten Südseefonds zu erwerben (glaubte schon, ein Vermögen von 20.000 ((?)) zu besitzen), wurde aber ein Opfer jenes Schwindels und verlor alles. // **Pope, Gay u. Jonathan Swift ((1667/1745; S. u.)) gehörten dem sog. ''Scriblerus Club'' an, laut Onkel Wiki ''politisch aktive Literaten, die de Tories nahestanden''.


    Liess sich Gay überhaupt durch äussere Umstände leicht aus der Fassung bringen, so brachte dieser Schlag sein Leben in ernste Gefahr; schliesslich erholte er sich von einer gefährlichen Kolik - Pope erwies sich als liebevoller Tröster. Während seines ganzen übrigen Lebens wurde ihm von den liebenswürdigen Paare der Queensberries die treueste Fürsorge zu teil: der Herzog und seine Gemahlin haben geradezu Elternstelle an dem verarmten Gay vertreten. Dessen Geldverhältnisse hat der Herzog trefflich geordnet.


    Die Anregung zu 'Beggar's Opera' war von Swift gegeben worden; (dieser) hatte kein lyrisches Drama gewünscht, sondern ein 'Pastoral' - ein solches aber, welches in die niedrige Sphäre von Newgate hinabstiege. Das Stück wurde am ''Lincoln's Inn Fields'' - Theater zur Aufführung gebracht, sehr zum Vorteil des **Theaterdirektors; bekannt ist das Wortspiel, dass das Stück ''made Rich gay and Gay rich.''

    'Beggar's Opera' hat ungemeine Verbreitung gefunden; auf Hogarths Kupfern ist der Name des Stücks öfters zu finden, und seine Darstellung Macheath between Polly and Lucy ist sehr bekannt. // **John Rich ((1692/1761)), 1732 auch Gründungsdirektor des ''Theatre Royal'' an der Stelle des heutigen ''Royal Opera House'' am 'Covent Garden'!


    Ermutigt durch den Erfolg, liess Gay eine Fortsetzung ('Polly') folgen: durch das Verbot der Aufführung des Stückes wurde er geradezu politischer Märtyrer; er nahm es sich so zu Herzen, daß wieder seine Gesundheit litt. Ein starker Anfall von Kolik hat den Dichter 1732 hinweggerafft; in Westminster ist er glänzend bestattet worden, und die Queensberries haben ihm ein schönes Grabdenkmal setzen lassen. Das Epitaph ist von seinem treuesten Freunde Pope: 'In Wit a Man, Simplicity a Child' - mit diesen kurzen Worten ist der Charakter des Mannes gut gezeichnet. Dass Gay mit zwei so verschiedenen Menschen - Pope und Swift - in nie getrübter Freundschaft gelebt hat, ist eine auffallende Erscheinung. Swift, der grosse Menschenhasser, liess in banger Ahnung den Brief fünf Tage ungelesen liegen, der ihm Gays Tod meldete.


    Gay war zutraulich, liebenswürdig, ein ausgezeichneter Gesellschafter, keine streitbare Persönlichkeit, keine Kampfesnatur. Wir sahen schon, wie leicht er sich von Verhältnissen niederdrücken liess. Er liebte das Wohlleben, war ein starker Esser; Hogarth hat ihn einmal als eine sehr feiste Erscheinung dargestellt - sogar Gay selbst spottet über seine fette Gestalt: 'I journey far - You knew fat Bards might tire, * And, mounted sent me forth your trusty Squire.'


    Die Tendenz der 'Beggar's Opera' geht gegen die italienische Oper. Die Sphäre, in der das Stück spielt, konnte kaum abschreckender gewählt werden; und in der That gehört eine hohe dichterische Kunst dazu, in dieser Sphäre nicht selbst gemein zu werden. Welch' feine Beobachtungsgabe ist es, dem gewöhnlichen Treiben dieser grösstentheils tief gesunkenen Menschen eine poetische Seite abzulauschen! Nicht am wenigsten haben die kräftigen Weisen zur Beliebtheit der Bettleroper beigetragen. Die Lieblinge daraus waren auf den Ofenschirmen der Besuchszimmer zu lesen, liessen sich die Damen auf ihre Fächer setzen.


    Um einen richtigen Einblick in des Dichters Absicht zu gewinnen, darf man nicht Player und Beggar - Personen, die nur in der kurzen Introductiom und am Schluss vorkommen - ausser acht lassen. Die Worte des Bettlers, dass es in der Oper nicht darauf ankomme, wie ungereimt alles endet, verraten des Dichters Absicht, die Abgeschmacktheit der italienischen Oper zu persiflieren. Scharfe Satire liegt in den Worten des Schauspielers: 'The Muses, contrary to all other ladies, pay no distinction to dress, and never partially mistake the pertness of embroidery for wit, nor the modesty of want for dullness.'

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

    2 Mal editiert, zuletzt von wes.walldorff ()

  • (ii) einige Sätze aus ''Zwei Opern=Burlesken aus der Rokokozeit, übersetzt und eingeleitet v. Georgy Calmus'' (Commissionsverl. v. Leo Liepmannssohn: Berlin 1912)


    Bis weit in die Mitte des 18. Jhs. bestand die französische komische Oper nur in Vaudeville-Komödien, die der Franzosen Vorliebe für das Chanson noch erhöhten. (Sie) fand bald Eingang in andere Länder, denn alle Welt blickte damals nach Paris, um jedes dort mit Erfolg gekrönte Unternehmen schleunigst nachzuahmen. Zu Anfang des 18. Jh. hatte auch die große italienische Oper Einzug gehalten; die singenden griechischen Helden waren den praktischen - kühl und klar denkenden - Engländern noch merkwürdiger vorgekommen als den Franzosen; ungeschickte Bearbeitungen kamen dazu.


    Nach dem Vorbild der Pariser Academie Royale war in London 1720 die Royal Academy gegründet worden, für die kein geringerer als Händel Opern schrieb. Anfangs blühte das Unternehmen; schliesslich interessierte sich die ganze Gesellschaft - der Hof an der Spitze - so leidenschaftlich für Komponisten und Sänger, daß es zu scharfen Befehdungen kam. Gleich zu Anfang mußte Händel sich davon überzeugen, dass die französischen Komödianten sich unverfroren gegenüber der Royal Academy eingemietet hatten und das Publikum in Scharen zu sich hinüberzogen. Von dieser Seite sollte ihm schließlich - wenn auch nur mittelbar - der Untergang der großen Oper, für die er seine Kräfte bis zum Übermaß angestrengt hatte, erwachsen.


    Das Stück, dessen Erfolg Händel nötigte, die Royal Academy zu schließen (und das die italienische Oper in England für längere Zeit unmöglich machte), war 'The Beggar's Opera', eine höchst originelle Verbindung von Satire, Sittenbild, Karikatur, Räuberroman, Liebesabenteuer und Opernparodie, die ihre Spitze gegen das gesamte Publikum - vom Parterre bis hinauf zur Galerie - richtete. Ihr Dichter John Gay (der als Satiriker und Fabeldichter einen guten Ruf hatte), wollte damit in erster Linie einen Streich gegen die englische Hofgesellschaft führen, von der er sich schlecht behandelt glaubte. Er hatte 14 J. auf eine feste Anstellung gewartet, und als ihm das Amt eines Kammerherrn bei einer zweijährigen Prinzessin angeboten wurde, schlug er es tief gekränkt aus. Dabei hatte man es nur gut mit dem Dichter gemeint, wollte ihm - nach dem Brauch des 18. Jhs. - eine Position verschaffen, die ihm erlaubte, sich ganz seiner künstlerischen Tätigkeit zu widmen.


    Diese 'Oper' war so geschickt abgefasst, dass niemand sich persönlich getroffen fühlen und die Aufführungen untersagen konnte - die fast ununterbrochen 62 Abende hintereinander stattfanden, eine für die damalige Zeit fast beispiellose Zahl von Wiederholungen. Einen vortrefflichen Mitarbeiter fand Gay im Musiker ((Johann Christoph)) **Pepusch ((1667/1752)), der, von Geburt Berliner, in London als Komponist von Opern und Maskeraden sowie als Musiktheoretiker eine sehr geachtete Stellung einnahm. Schon früher hatte er allerhand musikalischen Schabernack vollführt, und als eifersüchtiger Gegner Händels wird er gewiß mit Vergnügen einen Auftrag übernommen haben, der sich gegen die Royal Academy richtete. Pepusch hat sich nicht damit begnügt, Volkslieder an Stelle der Arien zu setzen, sondern führte mit diesen kleinen Melodien eine genaue musikalische Charakterisierung durch. Polly singt liebliche, etwas sentimentale Lieder, Lucy drückt ihre Verzweiflung in derben Gassenhauern aus, und Macheath singt behagliche Tanzlieder, die häufig in Moll stehen. Pepusch ging sogar noch weiter und parodierte mit Hilfe dieser Liedchen Formen wie das begleitete Rezitativ und die Koloraturarie. // **1762 auch Mitbegründer der ''Academy of Ancient Music''; 'dass The Beggar's Opera dem Opernbetrieb Händels den Todesstoß versetzt, ist wahrscheinl. zu stark vereinfacht' (zit. v. wikipedia.org)


    Als Vorbild für Mr. Peachum diente ein Jonathan Wild, der die Bevölkerung Londons sehr beunruhigt hatte. Dieser war nach zwei Richtungen hin tätig gewesen: auf der einen als Organisator einer großen Einbrecherbande, die ihm alle Beute abliefern mußte (mit der er dann schwunghaften Handel trieb), auf der anderen als Angeber bei der Polizei, der er diejenigen Verbrecher auslieferte, die seinem Stapelplatz nicht genug Waren zuführten. Dieser Wild hatte zweitweise so bedeutende Einnahmen, daß er eine zahlreiche Dienerschaft besoldete, eine Art Leibgarde und sogar einen Hauskaplan hielt. Er war fünfmal verheiratet, und eine seiner Frauen stammte aus guter Familie. Trotz vieler vornehmer Gönner endete er schließlich doch am Galgen, drei J. vor Erscheinen der 'Beggar's Opera'.


    Die größte Schärfe dieser Satire liegt wohl darin, daß Gay Straßenräuber und Begleiterinnen völlig mit Allüren von Damen und Herren der besten Gesellschaft auftreten läßt. Sie betrachten ihre Taten als durchaus ehrenhaft, führen ihre Unterhaltungen entweder in einem eleganten, weltmännischen Ton oder in einem Pathos, der an manchen Stellen sogar als leise Parodie auf Shakespeare's 'Julius Cäsar' erscheint. Auch Musik der 'großen' Oper haben Gay/Pepusch einmal zu Hilfe genommen: für den Zug der Räuber im zweiten Akt wählten sie den Marsch aus Händels 'Rinaldo'. So boshaft die Anspielung auch scheint, so lag doch in der Verwendung dieser Musik eine gewisse Anerkennung, denn nur die bekanntesten Melodien wurden gewählt, dem Rinaldo-Marsch (der überdies als 'The Royal Guards March' in die Militärmusik hinübergenommen war) hierdurch seine große Popularität bezeugt.


    (i) u. (ii) zit. v. archive.org

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  • 06.07.1533 - Todestag von Ludovico Ariosto


    (i) aus: Tommaso Casini >1859/1917< ''Italienische Litteratur''; dt. übers. in: Gustav Gröber (Hg. u. vermutl. Übers.; 1844/1911): ''Grundriss der romanischen Philologie''. Bd. II. Verl. K. J. Trübner: Strassburg 1901


    Der ruhmvollsten und mannigfaltigsten Periode der italienischen Litteratur darf man den Namen 'klassisch' durchaus zuerkennen. Wer aufmerksam die italien(ische) Litteratur des 16. Jhs. betrachtet, erkennt als das hervorstechendste Merkmal die Einheit von Klassizismus der Form und italienischem Charakter der Sprache. Zu keiner ((anderen)) Zeit war die Verknüpfung von nationalem Bewußtsein und italienischer Kunst so deutlich ausgeprägt, gleichsam als ob das grosse Land - im Augenblick, wo es im Begriff war, sich politisch aufzulösen - alle Kraft des Denkens und Empfindens sammeln sollte. Mit der Renaissance verschwand allmählig der Widerstreit zwischen den beiden entgegengesetzten Richtungen des nationalen Geistes: Aristokratie und Demokratie, Einheits- und Föderatividee, römische und italienische Überlieferung flossen in einander.


    Um 1530 scheint die Entwicklung der reichen Litteratur des Cinquecento zum Stillstand gekommen zu sein, so dass diese 'klassische' Periode in zwei kleinere Zeiträume geteilt werden könnte - die eine mit Ariost und Machiavell, die andere mit Tasso beginnend; die erste als Zeitraum der grossen Wundererscheinungen der Kunst, welche mit der Erneuerung der klassischen, mit der Vervollkommnung der toskanischen Formen erzielt wurden, die zweite als derjenigen, in welchem mit der Übertreibung des Klassizismus der Samen des Niedergangs zu keimen begann. Sehr schwer gelingen würde, die Grenzen beide(r) Zeitalter zu bezeichnen, da eine beständige Beeinflussung zwischen beiden besteht, das eine sich noch betätigt, während das andere schon begonnen hat.


    1474 geboren, lebte Ariosto fast immer am Hofe der Este in Ferrara, wo er bescheidene und lästige Ämter mit geringer Besoldung bekleidete. Für das Studium der Rechte bestimmt, gab er dasselbe bald auf, um sich demjenigen der schönen Wissenschaften unter der Führung Gregorio's von Spoleto** zu widmen. Wenig mehr als 20 J. alt, gab er in einigen lateinischen Gedichten bemerkenswerte Proben seines Geistes. Nach seines Vaters Tode i. J. 1500 fiel ihm die Pflicht der Unterhaltung seiner zahlreichen Familie zu, musste er die Beamtenlaufbahn betreten. Als Agent und Sekretär von Kardinal Hippolit von Este ging er mehreremale nach Rom, um am päpstlichen Hof seines Herrn Interessen zu vertreten; nachdem er 1518 in den Dienst Herzogs Alfons II. übergegangen war, gelangte er für viele J. zu einem ruhigen, friedlichen Leben, umgeben von der Liebe seiner treuen Gattin Alessandra Strozzi. // **From 1485 till 1491 (Gregorio da Spoleto) was in Florence where he was the tutor of the future Pope Leo X. When he moved to Ferrara is uncertain, but it is certain that he lived (there) in a palace known as 'Paradiso' (N. N. auf internetculturale.it) // ***Alessandra war die Witwe des 1505 verstorbenen Tito Vespasiano Strozzi; ''Als() Ariosto ungef. 1496 an die Öffentlichkeit trat, nahm unter den lateinischen Poeten Ferraras (dieser) noch immer den ersten Rang ein.'' (Dr. Reinhard Albrecht i. J. 1891; zit. auf babel.hathitrust.org)


    Ariosto war ein äußerst erfolgreicher Verfasser von lateinischen Poesien und italienischen Satiren, von Komödien, Elegien und lyrischen Gedichten. Sein Ruhm aber beruht v. a. auf seinem Orlando furioso, um 1505 begonnen, 1516 und (überarbeitet) 1521 herausgegeben, beide Male in 40 Gesängen, in der letzten Ausgabe v. 1532 auf 46 vermehrt - so dass man sagen kann, dass er den grössten und besten Teil seines Lebens an diesem Werk gearbeitet hat. Ariost selbst giebt an, dass er **Boiardo's 'Orlando innamorato' fortgesetzt habe, dessen Kern die Liebe Orlando's und Angelica's ist - sowie der religiöse Kampf zwischen Karl dem Großen und ((dem Sarazenen) Agramante. // **Matteo Maria Boiardo >1441/1494< war ein Neffe des oben erwähnten Tito V. Strozzi u. auch als Übersetzer aus dem Lateinischen tätig....


    Die Gestalt Orlando's - welcher wahnsinnig wird, weil Angelica ihn verraten hat, und, durch göttlichen Ratschluss und um den Krieg zu beenden, den Verstand wieder erlangt - ist der Mittelpunkt der Handlung. In wunderbarer Gruppierung werden viele Nebenhandlungen mit einander verbunden. Da Ariost Bestandteile aus lateinischen Klassikern, französischen Romanen des Mittelalters und den Renaissancedichtern Italiens in reichlichem Maße beimischt, ist die Erfindung nicht immer original; original aber ist die Kunst, dem, was aus mannigfaltigsten Quellen fliesst, neuen Charakter und neues Leben einzuhauchen, die Feierlichkeit des klassischen Stils durch die Einfachheit neuer Ausdrucksweise zu mildern, in geistvoller und anmutiger Leichtigkeit alles wie unabsichtlich frei heraus zu sagen.


    Bzgl. Musikdramatik vor 1800 weiß Onkel Wiki von je drei (!) 'Orlando'-Bearbeitungen von Vivaldi und Händel. Weiterhin werden aufgezählt: 'Roland' (Lully, 1685), 'Orlando generoso' (Agostino Steffani, 1691), 'Il Ruggiero' (J. A. Hasse, 1732) und 'Orlando paladino' (Haydn, 1782).

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  • (ii) aus: Leopold Ranke. Geschichte der italienischen Poesie. Druckerei d. kgl. Akad. d. Wissenschaften: Berlin 1837


    Vor allem in der Art, wie beide - Bojardo und Ariosto - die Antike benutzen, erkennt man den Unterschied ihres Talentes. Wenn Bojardo die antike Fabel bis ins Unkenntliche umbildet, so kann man bei Ariost - Schritt für Schritt, in ganzen Erzählungen - den Dichter erkennen, den er gerade vor sich hatte. Wie z. B. bei Ovid Perseus die Andromeda, würde bei Ariost Ruggiero die Angelica für eine Bildsäule halten, sähe er nicht Thränen aus ihren Augen rinnen und ihr Haar im Wind flattern. Wie bei Ovid wird auch hier das kommende Ungeheuer mit einem Schiff und der Bekämpfende mit dem Adler (der sich auf die Schlange stürzt) verglichen. Dabei ist Ariost weit entfernt, unselbständig zu werden: jedes Bild mahlt er mit eigenthümlicher Anmuth aus. Die Beschreibung, wie das Thier endlich von Orlando getödtet wird, ist der Ovidischen nachgebildet, allein Ariost schildert anschaulicher, wie es sich erst über das Meer emporhebt (so dass man seine Seiten und den schuppigen Rücken sieht), dann niedertaucht, den Sand mit dem Bauche herauswirft - und ähnlich dem wilden Stiere ist, der sich den Strick um die Hörner geworfen fühlt, sich beugt und erhebt und doch nicht losmachen kann.


    Überhaupt zeigen sich in Bojardo und Ariosto zwei verschiedene Fähigkeiten der Fantasie. Bojardo dichtet im Großen: Ereignisse und Erscheinungen stellen sich ihm auf einmal dar. Ariosts Talent dagegen liegt in der durchgebildeten Anschauung einzelner Momente, die er in deutlichem Umriss darlegt; mit Absicht und Wohlgefallen geht er auch auch auf das Kleine ein, bringt Moment nach Moment so recht mit Behagen und Genuss hervor und stellt sie auf das lebendigste vor unsere Augen.


    Ariost führt überdies die moderne Welt in das Gedicht ein. Das Kriegswesen seiner Zeit (das in der That noch viel Ritterliches hatte) erlaubte ihm die Beschreibung der Turniere, Zweikämpfe und Waffen gemäß dem, was er täglich sah. Auch minder poetische Dinge nimmt er auf: Schatzmeister, Volk (wie es sich ausdrückt), Commissionen (die durch Contrasegni bekräftigt werden) u. s. w. Man sieht die Helden auf dem Schiff bei widrigem Wind ihre Seekarten durchforschen, Beute besteht bei ihm u. a. aus in Flandern gearbeiteten Zimmerbehängen: der Seide und des Goldstoffes gedenkt er so trefflich, wie es florentinische Weber machen.


    Nicht minder war er auf den freien Fluss seiner Stanze bedacht, entfernt er schwere Reime, Parenthesen (welche die Construction unterbrechen), das Zusammenstossen harter Consonanten. Man kann auf der Bibliothek zu Ferrara wahrnehmen, wie viel Mühe er sich gab. Wer da einmal die Autographen Ariostos und Tassos sah, wird sich verwundert haben, zu wie wenig Veränderungen Letzterer Veranlassung fand (obwohl seine Verse mühevoll vollendet scheinen), während die Handschrift Ariostos (für dessen Verdienst die Leichtigkeit gehalten wird) durch unzählige Correcturen fast unleserlich geworden ist.


    (Besagte) Leichtigkeit konnte nur durch grossen Fleiss erreicht werden; nur durch (diesen) ist es (Ariosto) gelungen, seiner Sprache eine 'schlanke Bewegung' zu geben, die unvergleichlichen Reiz hat: sie ist ungezwungen wie im Gespräch und frei von Angewöhnungen oder Willkürlichkeiten. Hierin ist er dem Bojardo - der noch ungelenk ist, zuweilen etwas von romantischer Manier hat - weit überlegen.


    (i) u. (ii) zit. v. archive.org  

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 09.07.1978 - in München wird Aribert Reimanns Oper ''Lear'' (fußend auf der Shakespeare - Übersetzung v. Johann J. Eschenburg** >1743/1820<, eingerichtet von Claus H. Henneberg) uraufgeführt


    **aus J. J. E. Ueber W. Shakspeare. Verl. Orell, Geßner, Füßli u. Comp.: Zürich 1787


    Shakspeare's Erfindungsgabe zeigt sich nirgends so glänzend, als da, wo er sich ((von der)) wirkliche(n) Welt in die idealische hinaufschwingt. Da, wo er die Geschichte oder Fabel seiner Stücke vorfand, setzte er oft wenig - oder nichts - hinzu (fand sie an sich schon seinem Zwecke angemessen) und erhöhte die Wirkung nur durch seine Behandlungsart. Wenn er aber ganz erfand, er idealische oder übernatürliche Wesen einführte, ließ er seiner Einbildungskraft desto freyeren Lauf. Dann glich sein Verfahren ganz dem Gemählde des Schöpfergeistes in seinem 'Sommernachtstraum': Des Dichters Aug', in schönem Wahnwitz rollend, * Blitzt von der Erde zum Olymp, vom Himmel * zur Erd'; und, wie der Phantasie Gedanken * Von unbekannten Dingen ausgebiert, * So bildet sie sein Kiel, und giebt dem lüft'gen Unding * Verbindung, Ort und Zeit und einen Namen.


    'Laune' und 'Witz' sind nicht immer Bestandtheile des Genies, wenigstens nicht immer im vorzüglichen Maasse. Beyde sind mehr Wirkungen der umher schweifenden (umher haschenden) Phantasie. Ein Genie ist nicht allemal ein witziger Kopf, so wie ((ein solcher)) nicht immer Genie heissen kann. Aber Witz und Genie sind nicht unverträglich mit einander: kein Dichter ist so sehr Beweis davon als Shakespeare. ''Ausserordentlich bleibt (wie Alexander Pope >1688/1744< sich ausdrückt), daß Sh. eben so sehr Meister des Lächerlichen, als des Grossen in der menschlichen Natur war, eben so sehr Meister über unsre kleinsten Schwächen, als über unser zärtlichstes Gefühl, Herr über unsre leichtesten Eindrücke, als über unsre stärksten Rührungen.''


    Einem Dichter, dessen Einbildungskraft einen so ungewohnten Flug zu nehmen gewohnt war, wird man Scharfsinn und Urtheilskraft (die dem Schwunge des Genies seine gehörige Richtung geben, ihn oft - wenn (dessen) Kühnheit über die Gränzen der Natur und Wahrheit hinaus eilt - zurückhalten, hemmen müssen) vielleicht nicht so willig zugestehen. Aber wer Sh.'s weise Vertheilung der Umstände jeder dramatischen Handlung (in den Trauerspielen die stufenweise Verstärkung der Leidenschaft und ihrer Wirkungen) in Erwägung zieht, der wird auch diese Geistesfähigkeiten in ihm zu erkennen und zu bewundern öfter Anlaß finden. ''Seine Urtheilskraft (sagt Alexander Gerard (vermutl. in 'An essay on genius' v. 1774)) war nicht ausgebilde genug, um überall unnatürliche, unwahrscheinliche Vorfälle, gezwungne, geschraubte Ausdrücke zu vermeiden. Freylich verräth er in Beobachtung der Charaktere und der schicklichen Ausdrücke und natürlichen Wirkungen der verschiednen Leidenschaften eine so ausnehmende Genauigkeit, daß wir uns genöthigt sehen, seine Mängel mehr dem schlechten Geschmack derer, für die er schrieb zuzuschreiben, als irgend einem Mangel seiner Einsicht.''


    Eben diesem verderbten Geschmack ist auch das Geschmacklose in manchen Scenen, Reden und Gesprächen hauptsächlich beyzumessen. Im Ganzen genommen hat Sh. sich weit über den Gesichtskreis seiner Zeitgenossen - Publikum sowol als Schriftsteller - hinaus(gehoben), wußte diese durch die Gewalt seines Genies zu sich empor zu ziehen, wußte ihren Geist zu ungewohnten Gegenständen, ihr Herz zu ausserordentlichen Empfindungen zu heben. Um ihres theilnehmenden Beyfalls mächtig zu werden, mußte er sich oft aber auch zu ihnen herablassen, dem herrschenden Zeitgeist nachgeben.


    Ein herrschender Charakter der damaligen Schreibart waren Witzeleyen und kindische Spielwerke. König Jakob I. wurde von manchen als ein Fürst von grosser Gelehrsamkeit bewundert - (diese) aber suchte er so sehr zu zeigen, daß ihm andere den Vorwurf der Pedanterey gemacht haben. Wer begreift nicht, daß das Beyspiel eines Königs (der selbst Schriftsteller war) und seiner unnatürlich witzelnden Schreibart mächtig wirken mußte.


    Wer irgend mit Sh.'s Schauspielen bekannt ist, wird folgende Bemerkung von ((William)) Richardson ((c. v. 1780)) sehr treffend finden: ''Man verwechselt oft den Dichter, der Leidenschaften nachahmt, mit dem, der sie bloß beschreibt. Sh. ahmt nach - Corneille beschreibt. Dichter von zweytem Range mögen vielleicht nicht weniger reizende Bilder mahlen, vielleicht nicht weniger äusserst interessante Situationen darstellen. Vielleicht ist ihr Versbau wohlklingend, sind ihre Charaktere mit Einsicht angelegt. Allein der Zweck der dramatischen Poesie fordert nicht bloß, daß man Charaktere richtig anlege (und mit den Umständen gehörig verbinde), sondern auch, daß man jede Leidenschaft natürlich ausdrücke. ((Bezüglich)) der Beschreibung einer heftigen Leidenschaft ist unstreitig ein grosser Unterschied, (ob) sie derj. beschreibt, der sie fühlt, oder der, der sie an andern wahrnimmt. Nachahmung aber kann niemals vollkommen sein, wenn nicht der Dichter gewissermaassen selbst die Person wird, die er vorstellt. Seiner Seele Gewebe muß ausnehmend zart, jedes Gefühls empfänglich, von jedem Eindruck leicht bewegt sein. Er muß sich gleichsam von sich selbst entfernen, die dramatische Handlung, die er erfindet, ganz fühlen - ohne Rücksicht auf äussere Umstände. Gleich dén Bekennern des Heidenthums muß er Götzen dienen, er muß zittern vor den Dämonen seiner eignen Schöpfung.''


    Was bey den so mächtigen Wirkungen der shakespearischen Schauspiele am meisten wahres Genie verräth, ist der geringe Aufwand von Anstrengung, der ihm diese Wirkungen zu kosten schein(t.) Wir bewundern die Kraft, die mit kaum bemerkter Mühe viel ausrichtet. ''Man sieht bey ihm (sagt Pope) keine Zurüstung, uns die Wirkung im Voraus errathen zu lassen, keine Anlage, die dahin zu leiten scheint. Das Herz schwillt, die Thränen brechen aus, wo es Zeit dazu ist; wir erstaunen in dem Augenblick, da wir weinen - und finden beym weitern Nachdenken die Leidenschaft doch so wahr, daß wir erstaunen würden, wenn wir nicht geweint (und nicht in eben dem Augenblicke geweint) hätten.''


    Widersinnig ist der Vorwurf des ''Verstosses wider die Regeln der dramatischen Poesie'', den man unserm Dichter nur gar zu oft, immer aber aus Misverstand seiner Lage (und aus falscher Beurtheilung und Anwendung dieser Regeln selbst) gemacht hat. Doppelt widersinnig wird er, wenn man dabey die aristotelischen Regeln im Auge hat. Ihn danach beurtheilen zu wollen, ist (wie schon Pope erinnert) gerade so viel als Jemand nach Gesetzen des einen Landes richten, der unter den Gesetzen eines andern Landes handelte. Sh. (setzt er hinzu) schrieb für das Volk, anfänglich ohne Rat und Beystand der Gelehrten, ohne den Vortheil, unter ihnen bekannt zu sein, ohne Kenntniß der besten Muster der Alten (die ihn zur Nacheiferung derselben hätten beleben können); kurz, ohne die mindeste Sicht auf Ruhm, auf das, was die Dichter 'Unsterblichkeit' nennen.


    In der Vorrede seiner Ausgabe ((v. vermutl. 1765)) (die überhaupt viele scharfinnige Bemerkungen enthält°°°) vertheidigt ihn ((Samuel)) Johnson: ''Sh. hat auf die Einheit ((von)) Zeit und Ort nicht geachtet - und vielleicht wird eine nähere Erwägung der Grundsätze, worauf (diese) beruhen, ihren Werth verringern, (ihr) die Bewunderung (die (sie) seit Corneille erhalten (hat)) entziehen - wenn man herausfindet, daß sie dem Dichter mehr Mühe, als dem Zuschauer Vergnügen machen.


    Die Nothwendigkeit, (besagte) Einheit zu beachten, entspringt der vermeynten Notwendigkeit, das Schauspiel glaublich zu machen. Daß sich eine Handlung von ganzen Monaten - oder Jahren - so vorstellen lasse, als ob sie in drey Stunden vorgienge, daß der Zuschauer glauben könne, er sitze im Schauspielhaus, indeß Gesandte zwischen entfernten Höfen auf und ab reiten, Kriegsheere aufgebracht und Städte belagert werden, halten die Kunstrichter für unmöglich. ''Gegen offenbare Unwahrheit empört sich unser Geist, und die Dichtung verliert ihre Kraft, wenn sie von der Aehnlichkeit mit der wirklichen Welt abgeht. Weiß der Zuschauer, daß er den ersten Akt in Alessandrien sah, so kann er nicht annehmen, daß er den folgenden in Rom sehe, in einer Ferne, die er selbst mit den Drachen der Medea in so kurzer Zeit nicht hätte erreichen können. Er weiß gewiß, daß er den Ort nicht verändert hat - und daß sich der Ort selbst nicht verändern kann''. Dieß ist die triumphirende Sprache, womit ein Kunstrichter über die 'Armseligkeit eines unregelmäßigen Dichters' frohlocket. (Jener) nimmt einen Satz als Grundsatz an, den schon während (er) ihn ausspricht sein Verstand für falsch erklären muß. Beym Einwande, es sei unmöglich, eine Stunde in Alessandrien und die nächstfolgende in Rom zuzubringen, setzt man voraus, daß der Zuschauer bey Eröffnung des Schauspiels wirklich glaube, in Alessandrien zu seyn, daß er glaube, sein Gang ins Schauspielhaus sey eine Reise nach Aegypten gewesen, daß er glaube, er lebe in den Zeiten von Antonius und Kleopatra. Wer sich das einbilden kann, ist über Wahrheit und Vernunft hinaus.

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  • °°°

    Nur wenigen können besondere Sitten bekannt sein; folglich können nur wenige urtheilen, in wie weit (diese) treffend nachgeahmt sind. (Sie) werden vielleicht eine kurze Zeit durch die Neuheit gefallen, der wir alle aus Sättigung nachjagen, aber das Vergnügen plötzlicher Verwunderung erschöpft sich doch gar bald. Shakspeare hält seinen Lesern einen getreuen Spiegel der Sitten und des Lebens vor. Seine Charaktere sind nicht durch Gebräuche besondrer Oerter und Gegenden modificirt, nicht durch Zufälligkeiten vorübergehender Moden oder vergänglicher Meynungen, nicht durch Eigenthümlichkeit der Lebensart, die nur auf wenige wirken können. Seine Personen handeln nach dem Einfluß jener Leidenschaften und Grundsätze, wovon alle Gemüther regiert werden.

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    Eben darum sind seine Schauspiele voll häuslicher Lebensweisheit geworden. Von Euripides sagte man, jeder Vers sey eine Lebensregel; von Sh. kann man sagen, daß sich aus seinen Werken ein System bürgerlicher Lebensart sammeln läßt. Seine größte Stärke zeigt sich nicht im Glanz einzelner Stellen, sondern im Gange seines Dialogs, in der Durchführung seiner Fabel. Wer (Sh.) durch ausgesucht schöne Stellen zu empfehlen sucht, dem wird das eben so wenig gelingen, als dem Pedanten beym Hierokles, der sein Haus gerne an den Mann bringen wollte und zur Probe einen Stein davon in der Tasche trug.


    Von den Deklamationsschulen der Alten pflegte man zu sagen, je mehr man sie besuche, desto unbrauchbarer werde man für Welt und Umgang; eben diese Bemerkung läßt sich auf jedes andre, nur nicht auf Shakspeare's Theater anwenden. Gemeiniglich ist die Bühne von nie gesehenen Charakteren, die in einer nie gehörten Sprache mit einander reden; Sh.'s Dialog hingegen scheint durch fleißige Auswahl aus dem gemeinen Umgange und aus gewöhnlichen Vorfällen aufgelesen zu seyn. Ich will nicht mit Pope behaupten, daß sich aus jeder Rede die redende Person sogleich errathen läßt; es giebt manche Reden in seinen Schauspielen, die gar nichts charakteristisches haben. Doch wird man schwerlich eine finden, die sich auf eine schickliche Art von ihrem itzigen Eigenthümer auf einen andern übertragen liesse.


    Andre dramatische Dichter vermögen bloß durch übertriebene oder überladene Charaktere, durch fabelhafte oder beyspiellose Trefflichkeit oder Verderbtheit Aufmerksamkeit erregen - so wie die Verfasser der alten Rittererzählung(en) den Leser durch Riesen und Zwerg(e) in Athem zu halten wußten. Sh. hat keine Helden; seine Scenen sind unter Menschen vertheilt, welche handeln, wie der Leser glaubt, daß er selbst bei ähnlicher Gelegenheit würde gehandelt haben. Selbst da, wo die handelnden Wesen übernatürlich sind, herrscht doch allemal die Sprache des gewöhnlichen Lebens. Andre Schriftsteller verkleiden natürlichste Leidenschaften und gewöhnlichste Vorfälle - so daß einer, der sie dargestellt sieht, sie in der Welt nicht wieder erkennt. Sh. weiß das Entlegene nahe zu bringen und das Wunderbare geläufig zu machen. (Sein) Verdienst ist, daß hier einer, dessen Einbildungskraft sich in Phantome verirrt hat (in welche andre Schriftsteller ihn hinein führten), von seinen Ekstasen geheilt werden kann.


    Wol kaum etwas brauche ich noch von dem großen Werthe hinzu zu setzen, den Sh.'s Schauspiele auch von Seiten des moralischen Unterrichts haben. Er erteilt diesen seinem Berufe gemäß, d. h. durch Handlung und lebendige Darstellung (in der wir die Tugend liebenswürdig, das Laster hassenswerth und die Thorheit lächerlich finden) - nicht durch allgemeine Betrachtungen und handlungsleere Tiraden, die so mancher Dichter (und Leser) für die einzig wahre Art poetischer Belehrung hält. An (letzteren) fehlt es auch in den Schauspielen unsers Dichters nicht, nur daß er sie immer mit der individualen Lage der Person, der er sie in den Mund legt, aufs innigste zu verflechten weiß.


    beide Beiträge zit. v. books.google.de; Unterstreichungen und Sperrdrucke sind (mit Ausnahme des ''Kunstrichter-Zitats'') von mir zur besseren Übersicht eingefügt...


    Zitiert wird aus der Erstauflage dieser Shakespeare - Studie; Eschenburg hat diese noch zweimal bearbeitet, beide Auflagen scheinen im Netz allerdings nicht auffindbar X/ X/

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

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  • 11.07.1786 - Uraufführung des Singspiels 'Doktor und Apotheker' von Karl Ditters (von Dittersdorf; den Zusatz führt er erst seit seiner kaiserlichen Adelung i. J. 1773)


    ''Dittersdorf ist für uns gewissermaßen, was Gretry für Frankreich ist. Seine dramatischen Werke haben größtentheils natürliches Leben, insonderheit eine gewisse Freundlichkeit und Popularität, die geradehin die Empfindung anspricht, wie ehemals die Hillerschen Operetten. Was (seinen) Theaterstücken hin und wieder in Absicht der korrekten Bearbeitung des Textes (wie sie die strenge Kritik fordert), an der innigen Wahrheit der Deklamation abgeht, das wird durch den Glanz des Orchesterspiels (das eben nicht in Überladung verfällt), durch Gründlichkeit im Satze (der vernachlässigter scheint, als er ist), vor allen Dingen durch schönen fließenden Gesang ersetzt.


    Gequält von langwierigen Leiden eines zerrütteten Körpers ((D. ist ab 1796 an der Gicht erkrankt)), danieder gebeugt von Kummer und Unmuth über sein Schicksal, das sein Leben sich in Nacht verlieren ließ, wandte er die letzten Monate desselben dazu an, sein Leben seinem ältesten Sohne in die Feder zu diktiren. Vom Lehnstuhle aus scherzte er über seinen Zustand, nicht ahnend, wie nahe bereits der Tod seine Sense schwang.


    D. hat so gesprochen, empfunden und geurtheilt; nur ist etwas mehr Stil und Form in sein Werk gebracht worden - ein Dienst, den man einem Mann, der kaum mehr sich selber gehörte, wohl erzeigen kann.'' // Leipzig, im Dezember 1800. Karl Spazier. ((Konzert u. Kirchensänger, Liedkomponist und Publizist >1761/1805<; tätig in Berlin, Dessau u. Leipzig))


    Der regierende Herzog von Sachsen Hildburghausen starb, und der Erbprinz war ein Kind: die Regentschaft wurde meinem Prinzen angetragen, die er weder ablehnen konnte noch wollte und ihn also nöthigte, nach H. zu ziehen. Da er an diesem Hofe schon eine Kapelle fand, mußte er den größten Theil seiner eigenen entlassen. Damit aber die Entlassenen ihr Brod nicht verlieren möchten, wurde mit dem Grafen Durazzo, der damals die Hauptdirektion des Wiener Hoftheaters inne hatte, verabredet, daß dieser uns übernahm und mit uns einen Kontrakt auf drey J. schloß, kraft welchem wir sowohl beym Orchester des Theaters, als bey der Hofkapelle dienen mußten. Bey diesem beschwerlichen Dienste hatte ich weder Zeit, Scholaren anzunehmen, noch Privatkonzerte zu frequentiren, wodurch mir jeder Nebenverdienst abgeschnitten war. Damals war der Luxus aufs Höchste gestiegen, (und) da ich mich ja selbst nicht in Kleidung vernachlässigen konnte, hatte ich manchen Tag einen Gulden verthan, ohne mich satt gegessen zu haben.


    Schon zwei J. war Gluck als Hof= und Theater=Kapellmeister engagirt. Schon beym Prinzen hatte er mich in Affektion genommen; darin suchte ich mich durch mein Anschmiegen an ihn zu erhalten. Es gelang mir, ihn so zu gewinnen, daß er mich wie einen Sohn liebte. Ich stellte ihm also die Umstände vor, wie sie es in der That waren. Andern Tags fuhr ich zum **Graf(en) Durazzo; Gluck ermangelte nicht, mich zu unterstützen. Endlich sagte der Graf: ''Liebes Kind, ich kann nichts wider ihren Kontrakt thun, kann Sie aber vier Tage in der Woche dispensiren.'' Ich dankte in den rührendsten Ausdrücken - und befand mich so wohl dabey, daß ich manchen Monat mehr verdiente, als meine Gage betrug. Meinen Nebenverdienst verwendete ich auf prächtige Kleidung, welches dem Grafen so wohl gefiel, daß er mein gnädiger Patron wurde. Dafür verdoppelte ich meinen Eifer und hatte bald das Glück, den ungetheiltesten Beyfall des Wiener Publikums zu erlangen. // **Giacomo Durazzo wird 1764 von seinen Wiener Ämtern zurücktreten und kaiserlicher Botschafter in Venedig, wo ihn Mozart 1771 besuchen wird.


    Eines Tages ((i. J. 1763)) - beynahe fünf Viertelj. waren verflossen - erzählte mir Gluck, daß er nach Bologna verschrieben sey und fragte mich, ob ich Lust hätte, mit ihm zu reisen; die Erlaubnis dazu wolle er mir schon beym Grafen bewirken. Jedoch, verstünde ich, müßte ich die Hälfte der Reisekosten tragen. ''Dazu fehlt es mir an Gelde'', sagte ich traurig. ''Dann kann freylich nichts daraus werden'', antwortete Gluck kalt und weggewandt. An eben dem Abende soupirte ich beym damaligen Hofagenten v. Preiß. ''Ey tausend Sapperment!'', sagte (dieser), ''ich strecke Ihnen hundert Dukaten vor, die Sie mir nicht eher wieder gegen sollen, als bis Sie in bessere Umstände kommen. Mit Freudenthränen dankte ich dem edlen Mann.


    Signora Marini war zwey J. hindurch als Prima Donna auf dem Theater in Prag gewesen und wollte nun mit ihrer Mutter nach ihrer Vaterstadt Venedig zurück. Gluck kannte sie drey J. und war so artig, um ihretwillen die Reise fünf Tage aufzuschieben; jedoch müßte sie sich alsdann gefallen lassen, Tag und Nacht zu reisen. Wir fuhren in zween Wagen mit Postpferden von Wien ab. Signora Marini war ein interessantes Mädchen von ungef. vier und zwanzig J., launig und sehr unterhaltend; Gluck war galant und suchte sich angenehm zu machen. Das Mädchen war souveräne Gebieterin und gab Ton und Stimmung an; Glucks heiligster Vorsatz (Tag und Nacht zu reisen) ward früh unterminirt.


    Wie bedauerten wir, daß unser Aufenthalt in Venedig - Gluck beschloß, acht Tage zu bleiben - gerade in die Charwoche traf, in welcher wir außer einem Oratorium nichts von Musik hörten. Meine ganze Verwunderung erregten zwey Feyerlichkeiten; die eine war am grünen Donnerstage, wo unser Heiland zu Grabe getragen wurde, die andere die Beysetzung des damaligen Doge, der zwey Tage vor unserer Ankunft gestorben war. Beydemale gingen Prozessionen um (den) Markusplatz; es war schwer zu bestimmen, ((welche)) mit größerer Feyerlichkeit begangen wurde.


    Vor dem ersten Osterfeyertage reisten wir nach Bologna; der Pfingsttag war zur Eröffnung des Opernhauses bestimmt, das an die Stelle des ein J. davor abgebrannten errichtet war: Graf Bevilaqua (der Direktor desselben) hatte die Metastasische Oper 'Il Trionfo di Clelia' zur Einweihung angeordnet und Gluck zur Bearbeitung des Stücks verschrieben. Das Orchester bestand aus etlichen siebenzig Personen; Luchini aus Mailand wurde zur Direktion der ersten Violine verschrieben, zur zweyten der ebenfalls sehr renomirte Spagnoletti aus Cremona. Mich stellte Gluck (dem Grafen) als seinen Scholaren vor, denn wir hatten verabredet, daß ich mich nirgends eher als Konzertgeiger angeben solle, bis wir die vornehmsten Violinisten gehört hätten. Gluck besorgte ein Konzert, wo außer uns dreyen kein Zuhörer war; ich hörte Luchini und Spagnoletti je ein Violinkonzert spielen. ''Vor diesen zween Hexenmeistern brauchen Sie sich nicht zu fürchten'', sagte Gluck heimlich zu mir.


    Eine unserer ersten Visiten machten wir dem großen Farinelli, der sich nach dem Tode des Königs von Spanien (seines großen Wohlthäters) hierher begab. Er war damals schon ein **Greis von beynahe achtzig J. und bewirthete uns königlich. Allein es war kein Wunder, denn er war gegen eine Million reich. Ich erzählte ihm, wie ich J. lang mit Mad. Tesi** in einem Hause gelebt, und das brachte mich bei ihm in Vortheil. Auch besuchten wir den weltbekannten Padre Martini. Gluck kannte ihn viele J. und reiste nie durch Bologna, ohne diesem 'Padre di tutti di Maestri' (wie ihn noch heute alle Kapellmeister nennen) seine Ehrfurcht zu bezeugen. // **Carlo Marie Broschi (gen. Farinelli) ist damals 58 J. alt :); Vittoria Tesi >1701/1775< war in den 20er u. 30er J. häufig gemeinsam mit diesem aufgetreten; der (damals 12jährige) Carl Ditters hörte sie erstmals 1851: 'sie hatte eine helle runde Contre-Altstimme und entzückte mich bis zur Betäubung :S'


    Zufälligerweise erfuhr Kapellmeister **Mazzoni, daß ich ein Violinspieler sey. Nachdem er mich gehört, ersuchte er mich, mich bey dem großen Kirchenfeste früh beym Hochamte hören zu lassen. Ich willigte ein. Am Nachmittag vor dem großen Tage ging ich mit Gluck, um Mazzini's erste Vesper zu hören. Mit Chören und Instrumenten bestand die Musik aus mehr als hundert Personen. (Sie) war schön und prachtvoll, schien mir nur für die Kirche - die musterhaften Fugen ausgenommen - ein wenig zu munter und profan. Zwischen den Psalmen spielte Spagnoletti ein Konzert von Tartini. Gluck sagte zu mir: 'Auf den Beyfall Ihrer Zuhörer können Sie sichere Rechnung machen, da sowohl ihre Komposition, als ihr Vortrag moderner sind.' // **lt. Onkel Wiki 'Komponist und Sänger' u. auch in Lissabon, Madrid und St. Petersburg wirkend....


    Den Tag darauf gratulirten mir Gluck und Herr Bevilaqua zu dem Beyfalle, den ich von allen Zuhörern geärndet hatte. Gluck erzählte mir, daß er sich geflissentlich an zwey Kritiker herangedrängt habe. Der eine habe ausgerufen 'Per Dio! der junge Mensch spielt wie ein Engel', und der andere hinzugesetzt: 'Wie ist's möglich, daß eine deutsche Schildkröte zu solcher Vollkommenheit gelangen kann!'; worauf (Gluck) sich die Freyheit genommen zu sagen 'Auch ich bin eine deutsche Schildkröte, habe bey alldem aber die Ehre, die neue Oper bey Eröffnung des Theaters zu schreiben!'


    zit. v. books.google.de

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

    3 Mal editiert, zuletzt von wes.walldorff ()

  • 13.07.1929 - Todestag von Eusebius Mandyczewski


    Der studierte Musiktheoretiker (Gustav Nottebohm) und -wissenschaftler (Eduard Hanslick), spätere Leiter der 'Wiener Singakademie' und Lehrer an Wiens erster öffentlicher Musikschule (dem 'Conservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde') verfasste diverse Artikel für die ab 1875 erstellte (und ursprünglich auf 45 >!< Bände angelegte) ''Allgemeine Dt. Biographie'' . . .


    Maximilian Stadler kam zehnjährig in das niederösterreichische Stift Lilienfeld, wo er Unterricht in classischen Sprachen erhielt und Gelegenheit hatte, sich im Violin-, Clavier- und Orgelspiel zu üben, hierbei mehr seinem eigenen Talent als besonderer Anleitung folgend. Seine wissenschaftlichen Studien setzte er seit 1762 bei den Wiener Jesuiten fort. Mit achtzehn J. trat er in das Stift Melk ein, wo er 1775 Professor der Theologie wurde. Seit 1796 lebte er meistentheils in Wien, zunächst mit Studien zu einer 'Geschichte der Tonkunst in Oesterreich' beschäftigt, seit 1803 aber als Seelsorger. Zu einer Ausarbeitung seines musikhistorischen Planes konnte er sich nicht entschließen; unwillkürlich gewann er aber Bedeutung durch seine Schrift 'Vertheidigung des Mozartischen Requiems', veranlaßt durch Gottfried Weber's Aufsätze über Mozart's Werk. In Beziehung auf (dessen) musikalischen Nachlaß war er der Wittwe Berather.


    Sein auf einen Text der Brüder Collin gesetztes Oratorium 'Die Befreiung von Jerusalem' (das als sein größtes Werk betrachtet und den Oratorien von Händel und Haydn an die Seite gestellt wurde) ist 1813 zum ersten Mal aufgeführt und 1816 von einem Chor und Orchester von achthundert Personen wiederholt worden. In einer Prachtausgabe veröffentlicht, wurde es Kaiser Franz gewidmet und bis 1846 in vielen größeren deutschen Städten aufgeführt. Gleichwohl haben seine Werke nicht die Kraft gehabt, zu überleben. Bei aller Gediegenheit, technischen und formalen Schönheit fehlt ihnen die Genialität.


    Simon Sechter entstammte einer zahlreichen Faßbinderfamilie in Friedberg zu Böhmen, in welcher die Musik so gut wie unbekannt. Lesen und Schreiben lernte er von seinem älteren Bruder. Später besuchte er die einclassige Pfarrschule seiner Vaterstadt, in welcher er der Schüler J. N. Maxandt's war. Zahlreiche von dessen Musikschülern widmeten sich später selbst dem Lehrfache. Ab seinem 14. Lebensj. Gehilfe in Oberösterreich, fand S. einen ziemlichen Vorrath an Musikalien, deren Studien er sich ergab. 1804 machte er die Bekanntschaft des fürstl. Hofraths Kowarz, der ihn als Correpetitor für seine Kinder mit nach Wien nahm. Hier vervollständigte er, meist durch eigenes Studium, seine literarischen und theoretischen Kenntnisse und erhielt durch Kozeluch die höhere Ausbildung im Clavierspiel. 1810 wurde er Clavier- und Gesangslehrer im Blindeninstitut; sein Honorar war eine tägliche Einladung zum Mittagessen.


    S. war ein ungemein fleißiger und bescheidener Mann. Sein Ruf erreichte seinen Höhepunkt, als er 1824 zum Hoforganisten ernannt wurde; in dieser Stellung fand er die Muße, seine theoretischen Anschauungen in ein System zu bringen, welches in seinem Hauptwerke 'Die Grundsätze der musikalischen Composition (Leipzig: 1853f) niedergelegt ist. Manuscript geblieben sind seine Abhandlungen 'Ueber die musikalisch akustischen Tonverhältnisse' und 'Vom Canon'. 1850 erhielt er die Stelle eines Professors der Compositionslehre am Wiener Conservatorium, die er bis zu seinem Tode inne hatte. Unter seinen Schülern werden genannt: Gustav Nottebohm, Anton Bruckner, Henri Vieuxtemps, Sigmund Thalberg, Franz Grillparzer.


    Eigentliches Compositionstalent - mehrere seiner Messen wurden in der kaiserlichen Hofcapelle zur Aufführung gebracht - hatte er nicht. Seine zahlreichen Werke sind längst verschollen, entsprangen alle der musikalischen Reflexion, nicht der Empfindung. Eine große Anzahl von Aphorismen - und allerhand Gedanken über Kunstlehre und Künstler - erschienen zu Sechter's Lebzeiten in der 'Allg. Wiener Musikzeitung'. Einige J. vor seinem Tod ließ der schwächliche Greis seine Gutmüthigkeit mißbrauchen und gerieth in drückende Verhältnisse, so daß er in großer Armut starb.


    Johann Christian Henrich Rinck erhielt 1790 die Stelle eines Stadtorganisten zu Gießen, zudem 1805 die Berufung als Schreib- und Gesangslehrer ans hiesige Gymnasium. Von Amtsgeschäften überhäuft, setzte er, zumeist in nächtlicher Stille, seine künstlerischen Arbeiten fort, denn es drängte ihn zu einem größeren Wirkungskreise. Zu Darmstadt entfaltete er ab 1806 - als Stadtorganist, Cantor und Gymnasial-Musiklehrer eine langjährig überaus segensreiche Thätigkeit. Durch das lebhaftere musikalische Leben angeregt, arbeitete er sich bald zu mannigfaltigsten Aufgaben empor, wurde Mitglied der Darmstädter Hofcapelle, 1813 Hoforganist und 1817 'wirklicher Kammermusikus'. 1840 feierte R. sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum; bei dieser Gelegenheit ernannte ihn die Universität Gießen zum Doctor der Philosophie. Mit vollem Gehalt wurde er 1843 pensionirt; bescheiden, einfach und arbeitsam blieb er bis in sein spätestes Alter.


    R. wurde einer der einflußreichsten Organisten, die je in Deutschland gelebt haben. Sein Spiel wurde als ein meisterhaftes und erhebendes vielfach gepriesen. Seine Zöglinge anzueifern und strebsam zu erhalten, verstand (er) vortrefflich; von nah und fern strömten ihm denn auch zahlreiche zu. Seine Compositionen - kein Orgelcomponist kann sich rühmen, eine solche Verbreitung erlebt zu haben - zeigen zwar keine große schöpferische Kraft, entstammen aber einem tüchtig durchgebildeten Musiker, der sein Augenmerk auf die praktische Seite seiner Kunst gerichtet hat; daher die ihrerzeit große Beliebtheit.


    zit. v. wikisource.org

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

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