Ralph Vaughan Williams: Klavierkonzert

  • Ralph Vaughan Williams hat eine ganze Reihe von Werken für Soloinstrument und Orchester verfasst. Als "Konzert" (Concerto) bezeichnete er das Konzert C-Dur für Klavier und Orchester, das Konzert a-moll für Oboe und Streicher, das Konzert f-moll für Basstuba und Orchester und das "Concerto Accademico" d-moll für Violine und Streichorchester. Weiter zu nennen sind die Suite "Flos Campi" für Viola, Chor und Orchester, "The Lark Ascending" für Violine und Orchester, die "Fantasia on Sussex Folk Tunes" für Violoncello und Orchester, die "Suite for Viola and Orchestra", die "Romance in D Flat for Harmonica and Strings with Pianoforte" und die zu Studentenzeiten begonnene "Fantasia for Piano and Orchestra".


    In diesem Faden soll es um das Klavierkonzert in C-Dur gehen, das Vaughan Williams für die Pianistin Harriet Cohen (die Lebensgefährtin von Arnold Bax) komponierte. Die ersten beiden Sätze des dreisätzigen Werks entstanden 1926, der abschließende dritte Satz 1930/31. In der Zeit dazwischen vollendete der Komponist das Ballett "Job" und begann die Arbeit an seiner Sinfonie Nr. 4.


    Im Oktober 1931 sandte Vaughan Williams die fertige Partitur an Harriet Cohen. Leopold Stokowski machte sich Hoffnungen, dass die Uraufführung des Werks in New York City unter seiner Leitung erfolgen könnte, aber der Komponist hatte die Uraufführung bereits der BBC versprochen. Sie fand statt am 1. Februar 1933 in London mit der Widmungsträgerin Harriet Cohen und dem BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Sir Adrian Boult, und zwar im Rahmen eines Konzerts, das in der ersten Hälfte auch Schuberts "Unvollendete" sowie in der zweiten Hälfte "Garden of Fand" von Arnold Bax und "Sea Drift" von Frederick Delius enthielt. Ausweislich eines Briefs an Harriet Cohen ließ der Komponist dem Uraufführungsdirigenten Boult die Freiheit (er nannte dies "carte blanche"), die Orchestration auszudünnen, sollte sie ihm zu dick erscheinen. Nach der Uraufführung revidierte Vaughan Williams das Finale, strich u.a. ein Zitat aus der Sinfonie Nr. 3 von Arnold Bax, für das er in einer Konzertbesprechung kritisiert worden war ("why did he bring in a quotation from Bax's Third Symphony just before the end?"). 1936 erschien das Klavierkonzert schließlich im Druck.


    Das Klavierkonzert hat die Satzbezeichnungen

    Toccata: Allegro moderato - Largamente - Cadenza

    Romanza: Lento

    Fuga chromatica con Finale alla Tedesca

    Die Aufführungsdauer beträgt ca. 25 bis 30 Minuten.


    Vaughan Williams behandelte das Klavier in den beiden Ecksätzen perkussiv, im Stile von Bartóks Klavierkonzerten. Nicht umsonst zeigte sich der im Publikum sitzende Béla Bartòk nach einer von Hermann Scherchen geleiteten Aufführung im Oktober 1933 in Straßburg begeistert von dem Werk. Hingegen wird über den langsamen Satz häufiger geschrieben, dass er an Ravel erinnere, bei dem Vaughan Williams 1908 studiert hatte. Ich persönlich habe hinsichtlich dieses Satzes eher Assoziationen an die Tonsprache späterer Werke von Gerald Finzi.


    1946 bearbeitete Vaughan Williams das Klavierkonzert gemeinsam mit dem Pianisten Joseph Cooper für zwei Klaviere und Orchester. Die Anregung hierzu soll Sir Adrian Boult gegeben haben. Erneut revidierte er das Finale, indem er nach der letzten Kadenz (auf Themen aus den ersten beiden Sätzen) das Werk nicht mit zehn Tuttischlägen, sondern nunmehr sanft ausklingen ließ. Das Werk endet nun mit einem leisen H-Dur-Akkord der Klaviere. Die Uraufführung dieser Fassung erfolgte am 22. November 1946 in London mit den Solisten Cyril Smith und Phyllis Sellick sowie dem London Philharmonic Orchestra. Uraufführungsdirigent war erneut Sir Adrian Boult.


    Die erste Aufnahme des Werks entstand 1950 in den USA, und zwar in der Fassung für zwei Klaviere und Orchester. Vorgelegt wurde sie von dem Klavierduo Arthur Whittemore und Jack Lowe, begleitet vom Robin Hood Dell Orchestra of Philadelphia unter der Leitung von Vladimir Golschmann:


    Der Uraufführungsdirigent Sir Adrian Boult hat das Klavierkonzert in der Fassung für zwei Klaviere und Orchester 1968 mit den Pianisten Vitya Vronsky und Victor Babin eingespielt, greifbar in einer umfangreichen Box oder auch einzeln:


    Von Louis Lortie gibt es sowohl eine Aufnahme der Fassung für ein Klavier und Orchester (mit dem Dirigenten Peter Oundjian) als auch der Fassung für zwei Klaviere und Orchester (mit der Pianistin Hélène Mercier und dem Dirigenten Sir Andrew Davis), die beide auf Chandos erschienen sind:


    Howard Shelley hat die Fassung für ein Klavier und Orchester zweimal aufgenommen, und zwar mit den Dirigenten Vernon Handley (1984) und Bryden Thomson (1990). Er verwendet eine Fassung, in der das Finale wie in der 1946 revidierten (also der für zwei Klaviere umgearbeiteten) Version leise ausklingt:


    Weitere Aufnahmen der Fassung für ein Klavier und Orchester haben Piers Lane und Ashley Wass vorgelegt:


    Die Fassung für zwei Klaviere und Orchester ist neben der bereits erwähnten Mercier/Lortie-Aufnahme auch in diesen fünf weiteren Einspielungen greifbar:


    Die Diskussion über das Klavierkonzert von Ralph Vaughan Williams ist eröffnet - und mein 5000. Posting in diesem Forum geschrieben :verbeugung2:

    “Denn Du bist, was Du isst“

    (Rammstein)

    Einmal editiert, zuletzt von music lover ()

  • und mein 5000. Posting in diesem Forum geschrieben

    Ganz, ganz herzlichen Glückwunsch dazu! Ein beeindruckendes Jubiläum!:verbeugung2:

    Die Diskussion über das Klavierkonzert von Ralph Vaughan Williams ist eröffnet

    Zu der Diskussion kann ich vorerst nur wenig beitragen, aber die ganzen Beiträge über dieses Klavierkonzert im "Eben gehört"-Thread gestern haben mich immerhin so neugierig gemacht, dass ich mir das Stück, das ich bisher noch nicht kannte, gestern Abend zum ersten Mal angehört habe. Ich wollte doch wissen, wovon da eigentlich die Rede ist, nachdem ich das alles gelesen hatte. ;) Mein erster Eindruck: Das ist der kontinental-moderne Vaughan Williams, der zornige, düstere, manchmal auch brutale Vaughan Williams der Vierten Symphonie, absolut nicht der der Fünften Symphonie oder des Oboenkonzertes. Die beiden Stücke, das Klavierkonzert und die vierte Symphonie, sind ja offenbar mehr oder weniger gleichzeitig entstanden und die Parallelen in der Grundhaltung, in der musikalischen Sprache sind mir beim ersten Hören sofort aufgefallen. Das ist keine schöne, aber eine enorm interessante Musik!


    Etwas kurios finde ich die Überschrift des letzten Satzes: "Fuga chromatica con Finale alla Tedesca". Ist die "chromatische Fuge" das deutscheste, was sich ein Musiker vorstellen kann? Oder ist das "con" im Sinne einer Zweiteilung gemeint: Erst eine Fuge, dann ein Finale alla Tedesca? Aber was ist eine Musik "alla Tedesca"? Nach Art der "Deutschen Tänze" des 18./frühen 19. Jahrhunderts (so wie "alla polacca" auf den Polonaise-Rhythmus Bezug nimmt etc.)?

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Dankeschön für diese Thread-Eröffnung!


    Die folgende originelle Sammlung enthält auch die oben von music lover verlinkte Einspielung mit Howard Shelley und dirigiert von Vernon Handley:



    Das Werk habe ich schon sehr oft gehört und kenne auch beide Fassungen. Da Rundfunkmitschnitte dabei sind, müsste ich (in etwa zwei) weitere Interpreten erst (etwas mühsamer) nachsehen. Ich könnte spontan keineswegs sagen, ob mir eine bestimmte Aufnahme besser gefällt als die anderen, oder umgekehrt. ;) :)


    Adrian Boult, oben verlinkt, ist mir auf jeden Fall auch genau mit dieser Einspielung (Vronsky, Babin) bekannt. Seine Sicht auf Vaughan Williams hat gewiss Referenz-Charakter.



    Was mich musikalisch allenthalben bei diesem Klavierkonzert anspricht: das unaufdringliche britische Pathos, der oft melancholische Tonfall, die Melodik. Und natürlich ist der Stil unverkennbar - es ist aber eher der Vaughan Williams der fünften Sinfonie oder der Serenade to Music, gewiss nicht jener der vierten und auch nicht jener der beiden letzten.


    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ganz, ganz herzlichen Glückwunsch dazu!

    Dankeschön für diese Thread-Eröffnung!

    Danke Euch beiden!


    Das ist der kontinental-moderne Vaughan Williams, der zornige, düstere, manchmal auch brutale Vaughan Williams der Vierten Symphonie. Die beiden Stücke sind ja offenbar mehr oder weniger gleichzeitig entstanden und die Parallelen in der Grundhaltung, in der musikalischen Sprache sind mir beim ersten Hören sofort aufgefallen.

    Nicht gleichzeitig, sondern eher nacheinander: Das Klavierkonzert entstand zwischen 1926 und 1931, die Sinfonie Nr. 4 zwischen 1931 und 1934. Als RVW das Klavierkonzert abschloss, war er zwar schon im Kompositionsprozess der Vierten begriffen, aber stand doch noch am Anfang. Aber Du hast Recht: Auch ich höre hier schon ein wenig die "Welt" der Vierten, in ihrer ganzen Schroffheit.

    Und natürlich ist der Stil unverkennbar - es ist aber eher der Vaughan Williams der fünften Sinfonie oder der Serenade to Music, gewiss nicht jener der vierten und auch nicht jener der beiden letzten.

    Interessanter Gedanke. Mit dem Stil der Fünften müsste ich das Klavierkonzert in den nächsten Tagen mal vergleichen.

    “Denn Du bist, was Du isst“

    (Rammstein)

  • Da es in diesem Thread meines Erachtens nicht schadet, hier ein weiteres Werk für Klavier und Orchester, von dessen Existenz ich noch nicht lange weiß. Ich habe es vom wohl nur einmal stattgefundenen Hören als blasser in Erinnerung.


    Es ist ziemlich früh, um 1900, über einen längeren Zeitraum entstanden und man kann, dem Booklet zufolge, nicht übermäßig viel Eindeutiges zur Entstehung sagen.


    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • hier ein weiteres Werk für Klavier und Orchester

    Dieses Werk begann Vaughan Williams 1896, also noch zu Studentenzeiten am Royal College of Music, und vollendete es 1904. Ich kenne es persönlich nicht, weiß aber von dieser - einzigen - Aufnahme durch Mark Bebbington, der 2010 in der British Library auf das Manuskript stieß (Quelle: https://global.oup.com/academi…193388253?cc=de&lang=en&#).


    Nehme ich Dir "die Butter vom Brot" Grins1 , wenn ich es im ersten Absatz meines Eröffnungspostings in der Auflistung der Werke für Soloinstrument und Orchester nachtrage?

    “Denn Du bist, was Du isst“

    (Rammstein)

  • [...] Nehme ich Dir "die Butter vom Brot" Grins1 , wenn ich es im ersten Absatz meines Eröffnungspostings in der Auflistung der Werke für Soloinstrument und Orchester nachtrage?

    ;) --- und ganz ernsthaft: Brot gibt es bei mir immer ohne Butter. Da bin ich kein Feinschmecker (und das Gegenteil auch nicht ...).


    Die folgende Aufnahme ist mir soeben noch eingefallen. Sie ist im Regal unter "Nielsen" sortiert.


    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Die folgende Einspielung ist mir soeben noch eingefallen.

    Die Yehudi Menuhin-Einspielung mit dem RPO hatte ich im Eröffnungsbeitrag erwähnt, wenn auch mit dem Cover der Erstveröffentlichung:

    “Denn Du bist, was Du isst“

    (Rammstein)

  • Und die folgende Einspielung ist mir soeben noch eingefallen.

    Die Yehudi Menuhin-Einspielung mit dem RPO hatte ich im Eröffnungsbeitrag erwähnt, wenn auch mit dem Cover der Erstveröffentlichung:

    Danke! In der Tat - man muss genau hinschauen bei den vielen Covers und Parallelveröffentlichungen - eine häufige Erfahrung, die vor allem dann zum kleinen Problem werden kann, wenn man im speziellen Fall Sammler ist. Das wird Dir ja auch geläufig sein, etwa bei Klavier-Richter ... ;) :)


    Da auf den Geschmack gekommen, schaue ich später mal noch bei den Kassetten nach. (Nur die großen Spulen kann ich mir sparen, die können wirklich nicht mehr abgespielt werden. Einerseits ist es hin und wieder schade drum und ich denke manchmal über ein altes neues Gerät oder Digitalisierung einzelner Sachen nach - andererseits: Als hätte ich nicht genügend CDs ...)


    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Etwas kurios finde ich die Überschrift des letzten Satzes: "Fuga chromatica con Finale alla Tedesca". Ist die "chromatische Fuge" das deutscheste, was sich ein Musiker vorstellen kann? Oder ist das "con" im Sinne einer Zweiteilung gemeint: Erst eine Fuge, dann ein Finale alla Tedesca? Aber was ist eine Musik "alla Tedesca"? Nach Art der "Deutschen Tänze" des 18./frühen 19. Jahrhunderts (so wie "alla polacca" auf den Polonaise-Rhythmus Bezug nimmt etc.)?

    Die "Fuga chromatica" ist dem "Finale alla Tedesca" vorangestellt bzw. man kann sagen, dass der letzte Satz zweitgeteilt ist. Mit "alla Tedesca" verbindet Vaughan Williams Musik mit einem tänzerischen und vielleicht etwas derb-burschikosen Charakter und soll stilistisch an einen deutschen Tanz aus dem 18. Jahrhundert erinnern. Der letzte Satz des 1954 komponierten Tuba-Konzerts trägt übrigens die Satzbezeichnung "Rondo alla Tedesca" und hat eine gewisse Ähnlichkeit zum Finale des Klavierkonzerts/Konzert für 2 Klaviere. Beide Sätze erinnern (mich) durchaus an einen derben Walzer oder Menuett.

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Mein (einer) Kassettenmitschnitt vom Rundfunk ist die Aufnahme mit Shelley und Thomson - recht kurz, nachdem die CD veröffentlicht wurde. Nichts Neues also vor Ort. Aber ein Vergleichshören würde jetzt schon lohnen! :)

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Und natürlich ist der Stil unverkennbar - es ist aber eher der Vaughan Williams der fünften Sinfonie oder der Serenade to Music, gewiss nicht jener der vierten und auch nicht jener der beiden letzten.

    Tatsächlich fände ich hier eine detailreichere Erläuterung interessant. Denn obschon es - wie ich meine - stilistische Bezüge zur später entstandenen Fünften gibt (insbesondere zum Scherzo) so finde ich die Bestimmtheit der Aussage hinsichtlich möglicher stilistischer Bezüge zur Vierten und den späteren („gewiss nicht“) überraschend. In meiner Wahrnehmung blickt der Stil des Klavierkonzertes sowohl zurück (insbesondere auch auf die Dritte, z.B. in der stark ravelesken Romanza, aber auch auf die „Shepherds of the Delectable Mountains“ aus 1921/22, wo sich ja erstmals die Klangwelt des „Pilgrim’s Progress“ und damit auch großer Teile der Fünften etabliert) als auch nach vorn. Die Ecksätze beziehen sich einerseits - meine ich - stilistisch sowohl auf Werke der unmittelbaren Entstehungsumgebung und weisen gleichzeitig beispielsweise auch auf Teile der Achten (Scherzo und Toccata). Insbesondere der Finalsatz des Konzertes wäre hinsichtlich Satz und Instrumentierung ohne den „Job“ und die zwischenzeitliche Arbeit an der Vierten schlecht vorstellbar. Für mich zumindest. Grins1


    Ich wäre darum - wie eingangs bereits gesagt - auf weitere Ausführungen gespannt.


    :wink: Agravain

  • Die vierte Sinfonie ist - meine ich - alles in allem aggressiver als das Klavierkonzert, auch weniger an traditionellen Formen orientiert. Die späten Sinfonien wiederum finde ich harmonisch so eigenwillig, dass kaum ein Werk des mittleren Vaughan Williams hier an Modernität heranreicht. Es ist eine abgründige Atmosphäre, die ihresgleichen sucht. Am ehesten fasziniert mich, was Modernität anbelangt, das allein von der Besetzung her bereits non-konforme Flos campi. Aber das scheint mir wiederum eine Welt für sich, auch nicht vergleichbar mit den späten Sinfonien. Den Job kenne ich kaum.


    Ob es Elemente im Klavierkonzert gibt, die nach vorne schauen? Das würde ich niemals aus Prinzip leugnen. Ich habe - wie oben gesagt - das Klavierkonzert oft gehört, wäre dabei nicht auf die Idee gekommen, es gerade mit der Vierten zu vergleichen - und das liegt mir auch aktuell fern. Doch da steckt leider kein ausgeprägtes Detailwissen dahinter. Vielleicht war mein "gewiss nicht" in der Tat zu rigid. Es ist überdies sehr leicht möglich, werter Agravain, dass Du hier in der Sache kompetenter bist - das spüre ich beim Lesen Deiner knappen Ausführungen oben durchaus. ;) :)


    Und ich weiß schon auch von Deinen diversen Besprechungen zu Vaughan Williams hier in den Foren.


    Natürlich wäre auch ich auf weitere Beiträge zu Details gespannt. Die verfügbaren Einspielungen, nebst Doppelungen - stehe zu Diensten :P -, haben wir allmählich beieinander.


    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

    2 Mal editiert, zuletzt von andréjo ()

  • Hingegen wird über den langsamen Satz häufiger geschrieben, dass er an Ravel erinnere, bei dem Vaughan Williams 1908 studiert hatte. Ich persönlich habe hinsichtlich dieses Satzes eher Assoziationen an die Tonsprache späterer Werke von Gerald Finzi.

    in der stark ravelesken Romanza

    Wenn ich da mal etwas einhaken darf: Was immer ich auch in den letzten zwei Wochen über dieses Klavierkonzert gelesen habe - seien es CD-Booklets, Online-Quellen oder das Buch "The Works of Ralph Vaughan Williams", 2nd Edition, von Michael Kennedy (dort S. 263) -, es wird fast immer betont, dass die Romanza an Ravel gemahne. Auch Du verwendest die Typisierung "stark ravelesk".


    Auch ich höre selbstverständlich in den ersten Minuten Anklänge an den zweiten Satz des Klavierkonzerts G-Dur von Ravel: Zuerst eine sehr langsame Einleitung Klavier solo, dann impressionistische Zwiegespräche von Klavier und Flöte sowie von Klavier und Oboe, wobei die Begleitfiguren des Klaviers bisweilen ravelhafte Züge haben. Aber ab dem neuen musikalischen Gedanken, beginnend ab 3:27 min. in der Shelley/Thomson-Einspielung auf Chandos, befinde ich mich dann doch gefühlt komplett in der klanglichen Welt von Gerald Finzi. Verrenne ich mich da? Natürlich war Finzi später als Vaughan Williams, sodass die Richtung des Einflusses klar ist.


    Allerdings entstand auch Ravels Klavierkonzert G-Dur erst zwischen 1929 und 1931, damit deutlich nach dem zweiten Satz des Vaughan Williams-Klavierkonzerts, der 1926 komponiert wurde. Die Uraufführung des Ravel-Klavierkonzerts fand 1932 statt, also nach dem Zeitpunkt, als Vaughan Williams die fertige Partitur der Widmungsträgerin schickte (Oktober 1931). Sich etwas "abgeguckt" beim Ravel-Klavierkonzert hat Vaughan Williams demnach ganz bestimmt nicht.


    Mich würde Deine Einschätzung sehr interessieren, lieber Agravain :jaja1:

    “Denn Du bist, was Du isst“

    (Rammstein)

  • Die vierte Sinfonie ist - meine ich - alles in allem aggressiver als das Klavierkonzert

    Da stimme ich vollkommen zu. Auch Dein Hinweis auf die Abgründigkeit der Vierten möchte ich unter keinen Umständen in Abrede stellen.

    Die Vierte ist - wahrscheinlich sind wir uns da einig - das insgesamt gewichtigere Werk. Ich hatte immer den Eindruck, dass es der Grad der Vehemenz ist, der Teile (!) der Ecksätze des Konzertes mit der Vierten verbindet. Schon vorher gab es natürlich Momente in den Symphonien (besonders in der "Sea Symphony" und in der "London Symphony", auch in "Sancta Civitas"), in denen RVW unter Nutzung des vollen Orchesterapparates zu überwältigen weiß. Doch das erscheint mir nie "vehement". Beim Konzert hingegen empfinde ich den Einstieg, aber auch insbesondere den Anfang des Finales von einer Vehemenz gekennzeichnet, die nach meinem Dafürhalten hier neu ist und die dann in der Vierten, gepaart mit einen bis dato nicht bekannten Grad an der von Dir angeführten Aggressivität und Abgründgkeit, wiederkehrt. Daneben meine ich insbeondere in der Fuga chromatica Ähnlichkeiten hinsichtlich der Motivbildung bzw. -gestaltung auszumachen. Hier müsste ich mir mal die jeweiligen Partituren ansehen.

    wäre dabei nicht auf die Idee gekommen, es gerade mit der Vierten zu vergleichen

    Um einen regelrechten Vergleich mit der Vierte ging es ja Cherubino - meine ich - auch gar nicht. Er hat einen ersten Eindruck formuliert, den ich auch durchaus nachvollziehbar finde. Deshalb habe ich mich überhaupt eingehakt. Mich haben Deine Erläuterungen interessiert.

    Mein erster Eindruck: Das ist der kontinental-moderne Vaughan Williams, der zornige, düstere, manchmal auch brutale Vaughan Williams der Vierten Symphonie, absolut nicht der der Fünften Symphonie oder des Oboenkonzertes. Die beiden Stücke, das Klavierkonzert und die vierte Symphonie, sind ja offenbar mehr oder weniger gleichzeitig entstanden und die Parallelen in der Grundhaltung, in der musikalischen Sprache sind mir beim ersten Hören sofort aufgefallen.

    Tatsächlich gehe ich damit überein, dass wir hier nicht den Vaughan Williams des "Pastoral Movement" hören, sondern dass er sich an anderer Stelle positioniert, nämlich mit Blick in Richtung Frankreich.

    Spannend fand ich, dass Du, werter andrejo, keine der Spuren der Vierten im Klavierkonzert hörst, dafür aber der Fünften. Bei Cherubino indes ist es genau andersherum. Die Fünfte? Absolut nicht! ;)

    Ich bin nun in Eurem Bunde der Dritte, höre ich doch - wie erläutert - Elemente aus beiden. Grins1 In der Literatur kann man lesen, das Werk sei "piecemeal" (Hugh Ottaway), also "Stückwerk". Ein anderer Begriff, der auftaucht, ist "patchwork". Beide werden zwar derogativ genutzt, eröffnen aber den Blick auf das, was das Klavierkonzert (stilistisch) meines Erachtens tatsächlich ist: ein Werk des Übergangs, ein Stück, das Vorhandenes amalgamiert und auf Neues vorbereitet.

    Es ist überdies sehr leicht möglich, werter Agravain, dass Du hier in der Sache kompetenter bist - das spüre ich beim Lesen Deiner knappen Ausführungen oben durchaus. ;) :)
    Und ich weiß schon auch von Deinen diversen Besprechungen zu Vaughan Williams hier in den Foren.

    Um Fragen einer etwaigen "Kompetenz" ging es mir tatsächlich gar nicht. Ich höre das ganz laienhaft. Insofern ist das dann mit der Kompetenz so eine Sache. ;)

    befinde ich mich dann doch gefühlt komplett in der klanglichen Welt von Gerald Finzi. Verrenne ich mich da? Natürlich war Finzi später als Vaughan Williams, sodass die Richtung des Einflusses klar ist.

    Ich meine, Du beantwortest Deine Frage im Grunde selbst. In Finzis Musik, der ja mit RVW eng verbunden war, steckt meines Erachtens stilistisch ja doch auch eine ganze Menge der gesamten Pastoral School. Ich muss zwar zugeben, dass der zweite Satz zwar nicht - wie bei Dir - unmittelbar Finzi-Assoziationen bei mir geweckt hat, mittelbar (nach Deiner Bemerkung nämlich) aber schon. Atmosphärisch und stilistisch scheint mir da doch vieles dicht aneinander, sicher gibt es aber doch eine Ähnlichkeit hinsichtlichlich des (grundsätzlichen) elegischen Tonfalls.

    Unmittelbar höre ich - wie schon gesagt - die "French Connection", aber auch die Bezüge auf das eigene Schaffen, etwa wenn sich um 1:53 (Shelley/Thomson) ein Streichersatz als (später wiederkehrender) Klangteppich etabliert, dessen Klanglichkeit ich - wie oben schon gesagt - den "Shepherds of the Delectable Mountains" (und damit auch dem "Pilgrim's Progress" sowie der 5. Symphonie) zuordnen möchte. Und wenn ab etwa 5:56 die Oboe einsetzt, eröffnet sich trotz des musikalischen Unterbaus, für mich ganz frappant die Welt der musikalischen Leere, wie sie streckenweise in der "Pastoral Symphony" gezeichnet wird.


    :wink: Agravain

  • Agravain danke ich für seine nochmalige Antwort. Demnächst höre ich mal alle Aufnahmen, die ich besitze, über die ordentliche Anlage und bereite mich ein wenig vor. Gewiss - gewiss ;) - wird mir dann Neues aufgehen. So soll es ja auch sein.

    Zitat von Agravain

    Um Fragen einer etwaigen "Kompetenz" ging es mir tatsächlich gar nicht. Ich höre das ganz laienhaft. Insofern ist das dann mit der Kompetenz so eine Sache. ;)

    ;) Eine "Sache" ist das immer. Oft macht auch der Ton die Musik - es gibt da einen sehr einschlägigen Kandidaten in einem anderen Musikforum aus einem Staat, in dem auch Deutsch gesprochen wird.

    Du bist aber im Zusammenhang mit dem englischen Kulturkreis ein Experte und das ist auch nicht meine Privatmeinung. Mein eigenes Lichtlein stelle ich damit noch lange nicht unters Bett.


    Doch um nicht schon wieder alles nur auf die Beziehungsebene wegzuschieben: Wie seht Ihr eigentlich den Unterschied - auch gerne wertend - zwischen den beiden Versionen des Klavierkonzerts? Ich muss da selbst aufpassen, weil ich dazu neige, Doppelkonzerte allein wegen der Originalität auf eine höhere Stufe zu stellen. Mozart ist die Ausnahme, das ja, aber bei Mendelssohn oder vor allem Martinu geht es mir wirklich so. Gut - die Argumentation ist vielleicht ein wenig künstlich, denn auf wie viele Konzerte für ein einziges Klavier und Orchester kommt schon ein Doppelkonzert. (Da kenne ich fast mehr Konzerte, die sich auf die linke Hand beschränken ...). Und wie viele Komponisten haben einen solchen Deal gemacht wie Vaughan Williams ...


    Recht langer Rede banaler Sinn: Ich könnte die Frage, die ich in den Raum stelle, nicht wirklich beantworten, weder geschmacklich noch sachbezogen. Vielleicht könnte man allerdings die jeweilige Entstehungszeit berücksichtigen - ich weiß es nicht.


    :thumbup: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

    Einmal editiert, zuletzt von andréjo ()

  • Wie seht Ihr eigentlich den Unterschied - auch gerne wertend - zwischen den beiden Versionen des Klavierkonzerts?

    Klare Wertung: Ich bevorzuge die Fassung für ein Klavier und Orchester. Die Gründe, die gegen diese Fassung vorgebracht wurden und RVW - auf sanften Druck von Boult - bewogen haben, die Umarbeitung vorzunehmen, halte ich für nicht stichhaltig.


    Zunächst einmal sollen Pianisten der damaligen Zeit den Klavierpart für praktisch unspielbar gehalten haben, weshalb es nahe lag, die Masse der Töne auf vier Hände statt auf lediglich zwei zu verteilen. Heutige Pianisten wie Howard Shelley, Piers Lane oder Louis Lortie beweisen aber, dass man den Klavierpart der zweihändigen Fassung durchaus bewältigen kann. Übrigens: Ob Harriet Cohen sich auch über den hochvirtuosen Klavierpart beschwert hat, ist mir nicht bekannt. Weiß einer von Euch es vielleicht?


    Außerdem hieß es, dass der Orchesterpart des Werks zu klanggewaltig ("dicklich") sei, sodass zwei Instrumente gegen das Orchester besser ankommen als nur eins. Nun gut, dieses Problem hat auch der Komponist vor der Uraufführung der zweihändigen Fassung gesehen und gerade deshalb ja dem Uraufführungsdirigenten die im Eröffnungsbeitrag erwähnte "carte blanche" gegeben, den Orchesterpart nach seinem Belieben auszudünnen. Aber letztlich ist es ja gerade die Arbeit eines Dirigenten, die Balance zwischen Solist und Orchester herzustellen. Und durch die heute verfügbaren Einspielungen der zweihändigen Fassung halte ich auch diesen Einwand für widerlegt.

    “Denn Du bist, was Du isst“

    (Rammstein)

  • Zwischenfrage : Wer hat das Konzert in der einen oder anderen Form schon im Konzert gehört ? ( Also ich nicht - ich dachte , daß kommt nicht aufs Programm , weil es doch so leise endet ) .

    Good taste is timeless / "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?"

  • Ein anderer Begriff, der auftaucht, ist "patchwork".

    Flugs nachgereicht: Es schreibt dies Christopher Mark in seinem Text über RVWs Kammermusik und Kompositionen für Solisten und Orchester im "Cambridge Companion to Vaughan Williams" (2013) auf Seite 189. Zwei Seiten weiter fällt - unter Verwendung eines Zitates aus einem Text von Hugh Ottaway und Alain Frogley im "Grove Online" (auf den ich leider nicht zugreifen kann; ich werde mal im New Grove nachschlagen, ob sich der Text dort ebenfalls findet) - die Bemerkung: "It is the fragmentary use of the hexatonic scale [...], and the fugal writing itself, that most clearly marks the Concerto as 'an interesting transition to the Fourth Symphony'". Also ein teensy-weensy-bit der Vierten scheint da auch aus Sicht der Fachleute herumzuschwirren.

    Wie seht Ihr eigentlich den Unterschied - auch gerne wertend - zwischen den beiden Versionen des Klavierkonzerts?

    Klare Wertung: Ich bevorzuge die Fassung für ein Klavier und Orchester. (...)


    Außerdem hieß es, dass der Orchesterpart des Werks zu klanggewaltig ("dicklich") sei, sodass zwei Instrumente gegen das Orchester besser ankommen als nur eins.

    Geht mir auch so. Eigentlich höre ich nur die. Es ist schon ziemlich lange her, dass ich die Fassung für 2 Klaviere gehört habe. Jetzt ist die Gelegenheit, mich mal wieder an die Version im Doppelpack zu machen...

    Hinsichtlich des Verhältnisses von Solist zu Orchester möchte ich gern einmal RVWs Blankoscheck ignorieren und behaupten: Zumindest der langsame Satz ist über lange Strecken gar nicht so gestrickt, dass das Klavier herausstechen muss. Tatsächlich habe ich hier stets den Eindruck einer sehr dichten Klang-Textur, in die das Klavier eingesponnen ist und eben gar nicht zu stark herausgehoben wirken soll.


    :wink: Agravain

  • Die folgende originelle Sammlung enthält auch die oben von music lover verlinkte Einspielung mit Howard Shelley und dirigiert von Vernon Handley

    Die von andréjo verlinkte Box ist momentan in der jpc-Aktion "Boxen preiswert" zu einem sehr günstigen Preis zu erwerben:


    “Denn Du bist, was Du isst“

    (Rammstein)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!