Shakespeare - Richard III.

  • "A horse! a horse! my kingdom for a horse!"


    Ein letzter Ausruf bevor Richard endgültig aus dem Leben und dem Stück verschwindet, wenn auch nicht aus unserer Vorstellung von ihm als historischer Figur. Dort spukt er weiter als das Menschenmonster, als der körperlich und seelisch Verkrüppelte, der seinen Weg zur Macht über Leichen, Leichen und nochmals Leichen ging und dessen Schreckensherrschaft erst Richmond oder eben Henry VII. beenden konnte. Was übrigens auch schon den Inhalt des Werks wiedergibt.


    Richmond, der große Gegenspieler, der 'deus ex machina', der Retter in der Not - Zeit lässt er sich, lange spart ihn Shakespeare auf, um ihm dann noch ganze 32 Zeilen kurz vor Schluss zu gönnen. Nein, Richmond interessiert nicht und das Stück heißt nicht umsonst 'Richard III.', denn es gehört ihm quasi ganz. Natürlich gibt es die vielen Nebenfiguren, die aber allerdings über kurz oder lang verschwinden, weil sie die Begegnung mit dem König nicht überleben. Rechnet man die Opfer aus dem letzten Teil von 'Henry VI.' hinzu, kommt da schon einiges zusammen. Ganz prominent natürlich die beiden minderjährigen Neffen, die er im Tower beseitigen lässt, aber auch sein Bruder, seine Ehefrau, sein Handlanger Buckingham und diverse Höflinge reihen sich in 'Richard III.' in diese Liste ein. Zu den Nebenfiguren zählen auch diverse Frauengestalten, die aus verschiedenen Lagern kommend, sich hier verbünden und ihm immer wieder als lebende Mahnung an ihre ermordeten Kinder und Ehemänner entgegentreten.


    'I had an Edward, till a Richard killed him;

    I had a husband, till a Richard killed him.

    Thou hadst an Edward, till a Richard killed him;

    Thou hadst a Richard, till a Richard killed him. (4. Akt)


    Leid vereint, macht stark, klagt an, aber über dieses bewahrende Moment kommen die Frauen nicht hinaus. Die Geschichte geht weiter und die wird von Richard hemmungslos vorangetrieben.


    'Now is the winter of our discontend' - schon mit dem ersten Monolog (länger als der gesamte Richmond-Text) führt sich Richard bei uns ein und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. 'Deformed' wäre er, 'unfinished', die Hunde würden ihn anbellen, 'love's majesty' würde er nicht besitzen und sein einziges Vergnügen wäre es, sich über seine Deformationen auszubreiten, was er dann ja auch ausführlich macht. (Ist er eigentlich ein Schurke, weil er deformiert ist oder ist er deformiert, weil er ein Schurke ist?) Aber da er nun mal nicht zum 'lover' tauge, wäre er entschlossen, sich als Schurke zu erweisen und hätte deshalb ein Komplott geschmiedet, seinen Bruder aus dem Weg zu räumen. Von Beginn sind wir eingeweiht in seine Pläne und Gedanken, werden wir zum Mitverschworenen, sei es bei der Ermordung seines Bruders, seiner Frau, seiner Neffen, sei es bei den Intrigen, den Verführungen, den haarsträubenden oder auch dem schlichten Lügen und Betrügen.


    Und stört uns das? 'Jaaa!' sagt das moralische Gewissen und 'Eh, echt?' sagen die Aufführungszahlen. Schon zu Shakespeares Zeiten ein riesiger Erfolg wurde das Stück immer wieder aufgeführt, gedruckt und veröffentlicht und auch heute noch zählt es zu den gern gesehenen und gern gespielten. Natürlich warten im Theater alle darauf, dass Richard nun endlich zu Fall gebracht wird, aber Shakespeare, wie gesagt, gönnt uns das lange nicht und dann passiert alles so am Rande, geht Ruckzuck und ist eigentlich auch nicht sehr interessant. Nein, 'Richard III.' ist kein Stück über einen geschichtlichen Ablauf, sein Thema ist nicht die endgültige Konsolidierung des englischen Staates durch die Machtübernahme der Tudors, sondern hier geht es um uns und um unsere Sicht auf Geschichte. Vielleicht machen Männer keine Geschichte, aber Zuschauer in diesem Fall schon.


    Wie eigentlich bekannt, entsprach der historische Richard so gar nicht dem Theaterhelden, aber Shakespeare ist es mit Hilfe der Zuschauer gelungen, sein Bild für 'alle Zeiten' völlig zu entstellen. Richard war ein Monster - basta! Aber eben auch ein Monster, das wir doch irgendwie lieben. Es muss ja doch auch Spaß bringen, ihm beim Morden zuzuschauen, weshalb würde uns sonst Shakespeare so lange das Vergnügen seiner Anwesenheit gönnen? Charme und Witz hat er, seltsamerweise und gönnt sich all das, wovon wir vielleicht immer nur träumen, bringt schlichtweg 'Leben in die Bude'. Denn ehrlich mal, es ist doch wie bei Don Giovanni. Kaum ist der in der Hölle, flacht es ab, bleibt nur noch die Aussicht auf 'und wenn sie nicht gestorben sind...'.


    Nein, eine reine Historie ist das nicht, viel mehr eine Abhandlung darüber, wie wir Geschichte mit unseren Emotionen, Vorlieben, Vorstellungen, auch unserem uns-belügen-lassen immer wieder selber neu denken und neu erschaffen. Und es geht auch darum, was wir alles bereit sind zu schlucken, denn eigentlich ist das Stück eine reine Absurdität, übersteigert bis zur Groteske. Aber: 'Das kann doch alles nicht wahr sein!' hört man wohl eher selten. Nein, wir sind amüsiert, interessiert, erschüttert, aufgewühlt, empört, wir sind genau das, was Shakespeare vielleicht wollte und so wird Fiktion plötzlich (durch uns) zu Realität, zu Geschichte. Die Kraft der Kunst, der Literatur, der Imagination - und leider auch die der Propaganda.


    Die Faszination durch den Schurken - Shakespeare hat sie so oft durchgespielt. Macbeth, Jago, Titus Andronicus, Coriolanus, Edmund (im 'Lear'), Falstaff, vielleicht sogar Hamlet. Hier aber treibt er es auf die Spitze, verknüpft seinen Richard mit wirklicher Geschichte, scheint seine Möglichkeiten der Manipulation voll und ganz ausprobieren zu wollen. Und es funktioniert! Kafka und seine Freunde haben beim gemeinsamen Lesen seiner Werke hemmungslos gelacht, für Hitchcock war 'Psycho' voller Witz und auch 'Richard III.' sollte eigentlich ein Werk sein, dass man mit ausgiebigem Vergnügen liest oder sieht. Die Dreiteilung seiner Werke im 'First Folio' als Komödien, Tragödien und Historien funktioniert ja eh nur bedingt und von daher plädiere ich dafür, dass man 'Richard III.' als Komödie begreift, als geschichtsphilosophisches Werk, als psychologisches Drama hinsichtlich der Zuschauer und vordergründig als Tragödie. ;)


    'Now is the winter of our discontent...' - meine Güte, welcher Schurke darf sich so schon einführen? Einer der großen Shakespeare - Monologe ohne Zweifel. John Gielgud sagte mal: 'Shakespeare loved his braggarts and warriors.' Richtig, aber seine Schurken auch!


    Wohl in der Mitte der 90iger Jahre des 16. Jhrdts. entstanden, lag der erste druck 1597 vor. Die Quellenlage ist mehr als problematisch, da die diversen Drucklegungen erheblich in Textgestalt und Umfang voneinander abweichen. Als Quellen hat Shakespeare v.a. erneut auf Holinsheds 'Chronicles of England, Scotland and Ireland' (1587) und auf Edward Halls 'The Union of the Two Noble and Illustre Famelies of Lancastre and Yorke' (1548) zurückgegriffen.


    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Eine legendäre Verfilmung ist zweifellos diese hier:


    (UK 1955)


    Laurence Olivier ist Richard, John Gielgud als Bruder, Ralph Richardson als Buckingham und Claire Bloom als Lady Anne.


    Ganz theatralisch, übersteigert künstlich inszeniert, betont Olivier hier (in Doppelfunktion auch als Regisseur) genau das Groteske, was im Stück eben sehr stark vorhanden ist. Grandios gespielt, ist der Film ein reines (?) Vergnügen.


    :wink:Wolfram


    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • Neueren Datums ist diese Verfilmung:


    (UK/USA 1995)


    Ian McKellen hat als Richard natürlich auch den verführerischen Charme, den Witz und beherrscht das Spielen mit der eigenen Bösartigkeit. Grandios! Hier ist das Stück recht realistisch angelegt in einem faschistischen Staat. Kann man so machen, persönlich finde ich so etwas immer eher langweilig, weil es dadurch zu festgelegt ist und mir zu viel 'vorgeschrieben' wird. Aber wegen McKellen ohne Frage sehenswert.


    :wink:Wolfram

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  • weil es dadurch zu festgelegt ist und mir zu viel 'vorgeschrieben' wird.

    Ach, und wenn man es so spielt, wie bei Shakespeare ala 15xx wird einem nix vorgeschrieben?

    Nun, ja, wir warten auf Deine erste Inszenierung.

    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Ach, und wenn man es so spielt, wie bei Shakespeare ala 15xx wird einem nix vorgeschrieben?

    Habe ich irgendwo geschrieben, dass ich es unbedingt a la 15xx haben möchte?

    Nun, ja, wir warten auf Deine erste Inszenierung.

    Eigentlich hatte ich nur mein eigenes Empfinden, meine Meinung niedergeschrieben. Warum nun gleich so geantwortet werden muss, entzieht sich meiner Vorstellung.


    :wink:Wolfram

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  • Lieber Wolfram,

    vielen Dank für deine Einführung zu Richard III.! Ich habe eine große Sympathie für Richard III. entwickelt als ich das Buch von Josephine Tey gelesen habe: Alibi für einen König.




    Das ist eine Art Kriminalroman, in dem ein Kommissar, der mit einem Gipsbein im Krankenhaus liegt, aufgrund eines Porträts von Richard mit Nachforschungen zu dem historischen Richard beginnt, um herauszufinden, ob er wirklich dieser monströse Bösewicht war. Und wenn es erst nicht war, herauszufinden, warum Shakespeare und die Geschichte ihn so gezeichnet haben.

    Neben dem Film von und mit Olivier habe ich mir noch die Aufführung aus der Schaubühne mit Lars Eidinger besorgt.




    Die habe ich allerdings noch nicht gesehen. Kennst du die?


    :wink: Talestri

    One word is sufficient. But if one cannot find it?

    Virginia Woolf, Jacob's Room

  • Die habe ich allerdings noch nicht gesehen. Kennst du die?

    Liebe Talestri, die Produktion kenne ich (noch) nicht, weiß auch nicht, ob ich sie mir anschaffen werde, weil ich mit Übersetzungen einfach Probleme habe. Ich habe eine ganze Menge von Shakespeare-Stücke im Theater gesehen, bin mir aber nicht sicher, ob ich heute noch daran Freude finden könnte, eben wegen der Übersetzung. Einmal auf den Dreh mit der Originalsprache gekommen, kann ich mich mit dem Deutschen nicht mehr so richtig anfreunden. Ist blöd, aber so ist es nun mal.


    Das Buch der Tey habe ich angefangen, bin aber noch nicht durch. Für die Zeit, in der sie das geschrieben hat, war es wohl eine mehr als ehrenwerte und wichtige Angelegenheit, sich einmal dem historischen Richard zuzuwenden, aber nun sind die Fakten doch recht gut bekannt und die ständigen Überraschungen, die der Kommissar erlebt, nicht mehr so richtig aktuell. Ich hatte das Gefühl, dass das Thema nicht ganz so gut die Zeiten überstanden hat. Aber ich bin ja auch nicht durch und bei der Frage und Antwort (?), warum Shakespeare das Stück so geschrieben hat, bin ich noch nicht angelangt. Wie das beantwortet wird, ist natürlich wirklich interessant, gibt es da doch verschiedene Erklärungen.


    Von Elizabeth George gibt es übrigens auch eine Kurzgeschichte, die sich um Richard dreht.



    Und es gibt natürlich auch eine erstaunliche Beisetzung, mehr als 500 Jahre nach seinem Tod.


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    :wink:Wolfram


    :wink:Wolfram

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  • Vielen Dank für diesen Thread!

    Wer damals in Wien theaterinteressiert war und die Peymann-Direktion nicht verweigerte, erinnert sich unvergesslich an den virtuosen Gert Voss als Richard III. in Peymanns erster Burgtheaterinszenierung 1986.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Auch von mir Vielen Dank - bewundernswürdig, wie du dir einen nach dem anderen vorimmst und hier vorstellst! Macht mir defiitiv Lust auf mehr Shakespeare.

    Richard III kenne ich nur ein wenig aus dem Kino, allerdings war es eine Übertragung aus dem Theater.

    Ich glaube ich hatte es schomal irgendwo erwähnt. Ich fand es damals sehr beeindruckend und wenn ich mir heute diesen clip ansehe, dann würde ich die Iszenierung liebend gerne noch einmal sehen, denn Ralph Fiennes gefiel mir auch als Antony sehr.


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  • Richard III ist - neben dem Lear, Henry V und The Tempest - jenes Stück des Barden, das ich auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würde. Insofern: Herzlichen Dank, lieber Wolfram, für die Eröffnung dieses Fadens!

    Bevor es hier irgendwann um Inhaltliches gehen wird, möchte ich gern einige Empfehlung aussprechen, die für jene, die sich vielleicht erstmals mit dem Werk befassen, vielleicht von Interesse sein könnten.

    Zunächst einmal Hinweise zu Textausgaben. Wenn man das Stück in der Originalsprache lesen will, dann empfiehlt sich m.E. insbesondere diese hervorragend edierte Ausgabe:



    Wenn man gern eine Übertragung lesen möchte, so ist diejenige Frank Günthers aus verschiedenen Gründen, für deren Ausführung es eigentlich eines eigenen Fadens zum Thema der Shakespeare-Übertragung bedarf, m.E. maßgeblich.



    Auf zwei (legendäre) Verfilmungen, die mich beide auf ihre Weise überzeugen, hat Wolfram ja bereits hingewiesen.

    Nicht schlecht finde ich auch Ron Cook in der 1982er BBC-Produktion (Regie: Jane Howells), der den vielleicht sachlich-kältesten Richard auf DVD gibt.



    Schließlich finde ich, dass man auch Al Pacinos dokumentarischen Richard-Film aus dem Jahr 1996 auch heute noch gut sehen kann.


    Und wer sich für den historischen Richard interessiert, der kann mit David Baldwins höchst interessanter Biografie kaum etwas falsch machen:



    So viel für den Moment.


    :wink: Agravain

  • Ach , du mit deinen Verfilmungen . Seit David Garrick damals in Goodman's Fields gab es doch keinen adäquaten Richard III.mehr . Übrigens von Cibber ordentlich gemacht , die Aufführung .

    Good taste is timeless / "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?"

    Einmal editiert, zuletzt von b-major ()

  • Dank an euch für die netten Worte und auch an die Moderation für die schnelle Aufnahme in das Inhaltsverzeichnis.


    11 Stücke sind es jetzt, fast ein Drittel - mal sehen, wie weit ich noch komme. Vorgenommen habe ich mir jedenfalls das gesamte theatralische Werk. Und es bringt ja auch einen verdammten Spaß. Grins1


    Den Film, liebe Rosamunde, mit Ralph Fiennes hätte ich auch gerne gesehen, es gibt ihn aber wohl nicht auf DVD. Was die Texteinrichtung angeht, scheint es mir, er orientiert sich ein wenig an Olivier, denn der Ausschnitt den Fiennes hier spricht, ist ja aus 'Henry VI'. Schon Olivier hat dies in seinem großen Anfangsmonolog mitverwandt, nicht textgenau, aber Sinn macht es allemal.


    Die BBC-Produktion, lieber Agravain, kenne ich auch nicht, macht mich aber neugierig. Vielleicht kann ich noch 'was aus meinem Portemonnaie herausquetschen. ;)


    Im Rahmen von 'War of the Roses' - Produktionen gibt es ja auch immer dann als vermeintlichen End- und Höhepunkt 'Richard III', so zuletzt bei der BBC mit 'Hollow Crown 2'. Benedict Cumberbatch gibt hier einen wirklich fies-bedrohlichen, neurotischen König.


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    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Neben dem Film von und mit Olivier habe ich mir noch die Aufführung aus der Schaubühne mit Lars Eidinger besorgt.

    Diese Inszenierung gab es mal in einer Mediathek. Nun leider nicht mehr. Hat mir jedenfalls sehr gefallen! Allerdings auch ein "typischer Eidinger", wie man so schön sagt. Und lieben Dank für die Info, dass das mittlerweile auch auf DVD erschienen ist! :clap:

    Also, ich habe diese Verfilmung vor einiger Zeit gesehen (und, ich meine, ich hatte im Forum auch schon darüber berichtet): ich fand sie großartig! Ian McKellen mal wieder ... hach! Einfach großartig! :verbeugung1:

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)




  • oh - das hatte ich gar nicht mitbekommen

    Wie auch ;) , läuft ja unter 'Richard III' und das auch mit Recht. Wie gesagt, schon Olivier bringt diese Monologe zusammen, was die Charakterzeichnung noch einmal enorm verstärkt.


    'I can murder whilst I smile' - auf solche Verse kann man doch nicht verzichten. Grins1


    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Als eine der erstaunlichsten und gewagtesten Szenen in 'Richard III' empfand ich immer die Verführung der Lady Anne gleich zu Beginn des Stücks. Sofort nachdem er seinen Bruder auf dem Weg in den Tower in die dortige Gefangenschaft, die ja auf seine Kosten geht, noch einmal gesprochen hat, wendet sich Richard nun der Schwiegertochter Henry VI. zu, eben der besagten Lady Anne, die dessen Leichnam begleitet. Richard ist sowohl für diesen Tod wie auch für die Ermordung ihres Ehemannes verantwortlich, was den Hass erklärt, mit dem sie ihm begegnet. Im Verlauf der Szene gelingt es Richard aber, sie 'rumzukriegen', was ihn dann, nach ihrem Abgang zu folgenden Versen bewegt:


    'Was ever woman in this humour woo'd?

    Was ever woman in this humour won?

    I'll have her; but I will not keep her long.

    What! I, that kill'd her husband, and his father,

    To take her in her heart's extremest hate;

    With curses in her mouth, tears in her eyes,

    The bleedings witness of her hatred by;

    Having God, her conscience, and these bars against me,

    And nothing I to back my suit withal

    But the lain devil and dissembling looks,

    And yet to win her, all the world to nothing!

    Ha!'


    Da ist jemand erstaunt über das, was er vollbracht hat. Mit Recht. Und wir, als Zuschauer, sind genauso erstaunt. Dass jemand so etwas wagt und es auch noch schafft, dass jemand solch ein hochgestecktes Ziel angeht und es erreicht! Und wir glauben es ihm (wenn die Schauspieler es überzeugend spielen können).


    Manchmal denke ich, nicht nur Richards Lust am Unmöglichen kommt hier zum Tragen, sondern auch die Shakespeares. So wie Richard alles auf eine Karte setzt, macht es der Autor ja auch. Gleich zu Beginn wagt er das schier Unmögliche und schreibt eine Szene, dessen positiver Ausgang für Richard absurd erscheint und die, wenn es schiefgeht, das Stück zum Scheitern verurteilen könnte. Aber da war sich jemand seiner Brillanz, seiner technischen Möglichkeiten und seines Hauptdarsteller Richard Burbage wohl absolut sicher. Irgendwie sehe ich Shakespeare bei den ersten beiden Versen feixend am Schreibtisch sitzend und denkend: Wenn ich euch das verkaufen kann, dann geht alles, wenn ihr mir danach meinen Helden und das Stück nicht um die Ohren haut, kann ich euch alles zumuten.


    Was ja auch stimmt. Selbst die Ermordung der beiden Neffen bedeutet nicht unbedingt einen Sympathieknick, genauso wenig wie der versuchte 'Tausch' seiner von ihm ermordeten Ehefrau gegen eine neue oder dass die Frauen des Stücks ihm vor der Schlacht noch einmal seine Schandtaten vorhalten. Hat man Mitleid? Ja! Aber entzweit uns das mit Richard?


    Es gibt diese Anekdote, in der eine Dame ein Rendezvous mit Richard Burbage vereinbarte, aber unter der Bedingung, dass er im Richard-Kostüm kommen solle. Es muss ja was dran sein, an der (erotischen) Anziehungskraft des Bösen (und hier auch noch Verkrüppelten). Welche Fantasien Shakespeare selber wohl beim Schreiben dieser Rolle hatte? :versteck1:


    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • 'Was ever woman in this humour woo'd?

    Ich hatte ja an anderem Ort über die Richard-III-Adaption "Richard, the Kid & the King" von Karin Henkel im Hamburger Schauspielhaus berichtet. Wie Lina Beckmann diese Szene und vor allem den nachfolgenden Monolog spielte (und mit dem Publikum spielte), war den Besuch des Stückes alleine wert!

    Bernd


    Fluctuat nec mergitur

  • Ich hatte ja an anderem Ort über die Richard-III-Adaption "Richard, the Kid & the King" von Karin Henkel im Hamburger Schauspielhaus berichtet.

    Ich erinnere mich daran. Was war eigentlich die inszenatorische Begründung dafür, dass Richard von einer Frau gespielt wurde?


    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Überhaupt die Frauen in diesem Stück. Auf der einen Seite befinden sich Queen Elizabeth, die Witwe Edwards IV., Mutter der beiden im Tower ermordeten Söhne und ihre Schwiegermutter, die Duchess of York, pikanterweise Mutter von Richard III. Auf der anderen Seite finden sich Lady Anne, die Schwiegertochter Henry VI. und kurzzeitige Ehefrau von Richard und deren Schwiegermutter Margaret, einstmals Königin und in den vorangehenden Stücken über Henry VI. alles andere als die nette Nachbarin von nebenan.


    Vor allem die drei älteren Frauen überbieten sich geradezu in Klagen über all ihre ermordeten Angehörigen (was sie sich auch ständig gegenseitig vorwerfen, aber v.a. Richard) und in Flüchen. Gerade Margaret ist es, die den Titelhelden, Buckingham und Hastings kräftig verflucht und - oh Wunder - jeder dieser 'Wünsche' trifft auch ein.


    Am Ende einer ihrer Tiraden heißt es dann:


    Margaret:

    Live each of you the subject of his hate,

    And he to yours, and all of you to God's!


    Hastings:

    My hair doth stand on end to hear her curses.


    Rivers:

    And so doth mine. I muse why she's at liberty.


    Gloucester (Richard):

    I cannot blame her; by God's holy mother,

    She hath had too much wrong, and I repent

    My part thereof that I have done to her.


    Interessant dabei finde ich zwei Punkte. 'I repent my part thereof' sagt Richard, was meistens als weiterer Ausdruck für seine Verschlagenheit gewertet und gespielt wird. Aber angenommen, er spricht es still für sich. Dann würde das einen ersten Riss in seiner Selbstsicherheit bedeuten, die ja nach der Krönung sowieso langsam zu bröckeln beginnt. Furcht und doch irgendwo ein schlechtes Gewissen? Richard nicht mehr der bigger-than-life Macchiavelli, sondern ein Mensch, der schon sehr früh das Bild, das er selber von sich hat, nicht mehr zu 100 Prozent zusammenhalten kann? Interessanterweise reagiert er nämlich auf das Verfluchen, auf Schimpfworte und auch auf einen harmlosen Scherz seines Neffen hinsichtlich seiner Körpergröße überhaupt nicht souverän. Das scheinen drei Punkte zu sein, die in direkt treffen.


    Dann gibt es diesen Vers von Rivers: 'I muse why she's at liberty.' Hier fragt sich wirklich, warum Richard die Frauen durch den ganzen Verlauf des Stücks in Ruhe lässt. Zu einer ihm wirklich gefährlich werdenden Opposition können sie sich nicht aufraffen, aber ein Dorn in seinem Fleisch sind sie allemal und, wie gesagt, spurlos gehen diese Tiraden nicht an ihm vorbei. Aber er lässt sie gewähren, hört es sich immer wieder an.


    Übrigens spielt Margaret eine interessante Rolle, die schon auf die drei Hexen in Macbeth verweist. Sie sieht sich selber als 'prophetess' und ihre 'Weissagungen' gehen ja auch alle in Erfüllung. Noch sind es eher Warnungen und Flüche (inhaltlich genau ist es dann erst in Macbeth), aber auch diese determinieren das Handeln der drei Verfluchten, was durchaus die Frage nach der selbstbestimmten Tat nach sich zieht. Ist Richard für sein Tun verantwortlich oder unterliegt er einer wie auch immer bezeichneten Kraft, die ihn benutzt? Warum ist Richard so, wie er ist und welche Funktion erfüllt er eigentlich? Offensichtlich ebnet er den Weg für die Tudors, aber wenn man das Stück nicht als Historie, eher als Tragödie ansieht, dann ist sein Weg von Beginn an klar, egal, was er macht. In der Tragödie führt alles zum vorzeitigen Tod, weil es so sein muss. Und danach ist das Stück vorbei, die Zeit ist abgelaufen und geht nicht, wie in der Historie, weiter. Also: Ist Richard wirklich Meister seiner selbst?


    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Der Schlussteil der legendären Peter-Hall-Produktion (von der BBC 19655 aufgezeichnet) ist 'Richard III'.



    Ian Holm gibt den König, Janet Suzman die Lady Anne und Peggy Ashcroft ist noch einmal Queen Margaret.


    Die Produktion war damals ein Riesenerfolg bei Publikum und Kritik, weil sie eine Zusammenfassung der politischen Situation zu Beginn der 60iger Jahre darstellte. Das wird heute doch nicht mehr unbedingt deutlich (sehr schön allerdings die Schlussansprache Richards in der er sich als Vorgänger Hitlers geriert) und trotzdem ist sie aufgrund der schauspielerischen Leistungen (größtenteils) absolut sehenswert. Hier will ich mich nur auf Ian Holm beziehen. Sein König ist ganz bewusst reduziert, ist weit ab vom bigger-than-life Porträt eines Oliviers. Das muss man nicht so machen, aber es geht absolut auf. Holm präsentiert einen fiesen, ironischen, auch charmanten Charakter, der aber durchaus mit seinen Ängsten zu kämpfen hat, der plötzlich auch 'normale' Züge offenbart. Richard als Mensch, getrieben von seinen zahllosen Verletzungen, weniger ein Symbol, mehr ein 'angeschossenes Tier'.


    Ob man mit dem 'Normalmaß', das hier angestrebt wurde, dem Stück gerecht wird, ist eine andere Frage. Als eine neue Sichtweise damals war es sicherlich bemerkenswert und ist es heute, wegen der Umsetzung, immer noch.


    :wink:Wolfram

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