"A horse! a horse! my kingdom for a horse!"
Ein letzter Ausruf bevor Richard endgültig aus dem Leben und dem Stück verschwindet, wenn auch nicht aus unserer Vorstellung von ihm als historischer Figur. Dort spukt er weiter als das Menschenmonster, als der körperlich und seelisch Verkrüppelte, der seinen Weg zur Macht über Leichen, Leichen und nochmals Leichen ging und dessen Schreckensherrschaft erst Richmond oder eben Henry VII. beenden konnte. Was übrigens auch schon den Inhalt des Werks wiedergibt.
Richmond, der große Gegenspieler, der 'deus ex machina', der Retter in der Not - Zeit lässt er sich, lange spart ihn Shakespeare auf, um ihm dann noch ganze 32 Zeilen kurz vor Schluss zu gönnen. Nein, Richmond interessiert nicht und das Stück heißt nicht umsonst 'Richard III.', denn es gehört ihm quasi ganz. Natürlich gibt es die vielen Nebenfiguren, die aber allerdings über kurz oder lang verschwinden, weil sie die Begegnung mit dem König nicht überleben. Rechnet man die Opfer aus dem letzten Teil von 'Henry VI.' hinzu, kommt da schon einiges zusammen. Ganz prominent natürlich die beiden minderjährigen Neffen, die er im Tower beseitigen lässt, aber auch sein Bruder, seine Ehefrau, sein Handlanger Buckingham und diverse Höflinge reihen sich in 'Richard III.' in diese Liste ein. Zu den Nebenfiguren zählen auch diverse Frauengestalten, die aus verschiedenen Lagern kommend, sich hier verbünden und ihm immer wieder als lebende Mahnung an ihre ermordeten Kinder und Ehemänner entgegentreten.
'I had an Edward, till a Richard killed him;
I had a husband, till a Richard killed him.
Thou hadst an Edward, till a Richard killed him;
Thou hadst a Richard, till a Richard killed him. (4. Akt)
Leid vereint, macht stark, klagt an, aber über dieses bewahrende Moment kommen die Frauen nicht hinaus. Die Geschichte geht weiter und die wird von Richard hemmungslos vorangetrieben.
'Now is the winter of our discontend' - schon mit dem ersten Monolog (länger als der gesamte Richmond-Text) führt sich Richard bei uns ein und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. 'Deformed' wäre er, 'unfinished', die Hunde würden ihn anbellen, 'love's majesty' würde er nicht besitzen und sein einziges Vergnügen wäre es, sich über seine Deformationen auszubreiten, was er dann ja auch ausführlich macht. (Ist er eigentlich ein Schurke, weil er deformiert ist oder ist er deformiert, weil er ein Schurke ist?) Aber da er nun mal nicht zum 'lover' tauge, wäre er entschlossen, sich als Schurke zu erweisen und hätte deshalb ein Komplott geschmiedet, seinen Bruder aus dem Weg zu räumen. Von Beginn sind wir eingeweiht in seine Pläne und Gedanken, werden wir zum Mitverschworenen, sei es bei der Ermordung seines Bruders, seiner Frau, seiner Neffen, sei es bei den Intrigen, den Verführungen, den haarsträubenden oder auch dem schlichten Lügen und Betrügen.
Und stört uns das? 'Jaaa!' sagt das moralische Gewissen und 'Eh, echt?' sagen die Aufführungszahlen. Schon zu Shakespeares Zeiten ein riesiger Erfolg wurde das Stück immer wieder aufgeführt, gedruckt und veröffentlicht und auch heute noch zählt es zu den gern gesehenen und gern gespielten. Natürlich warten im Theater alle darauf, dass Richard nun endlich zu Fall gebracht wird, aber Shakespeare, wie gesagt, gönnt uns das lange nicht und dann passiert alles so am Rande, geht Ruckzuck und ist eigentlich auch nicht sehr interessant. Nein, 'Richard III.' ist kein Stück über einen geschichtlichen Ablauf, sein Thema ist nicht die endgültige Konsolidierung des englischen Staates durch die Machtübernahme der Tudors, sondern hier geht es um uns und um unsere Sicht auf Geschichte. Vielleicht machen Männer keine Geschichte, aber Zuschauer in diesem Fall schon.
Wie eigentlich bekannt, entsprach der historische Richard so gar nicht dem Theaterhelden, aber Shakespeare ist es mit Hilfe der Zuschauer gelungen, sein Bild für 'alle Zeiten' völlig zu entstellen. Richard war ein Monster - basta! Aber eben auch ein Monster, das wir doch irgendwie lieben. Es muss ja doch auch Spaß bringen, ihm beim Morden zuzuschauen, weshalb würde uns sonst Shakespeare so lange das Vergnügen seiner Anwesenheit gönnen? Charme und Witz hat er, seltsamerweise und gönnt sich all das, wovon wir vielleicht immer nur träumen, bringt schlichtweg 'Leben in die Bude'. Denn ehrlich mal, es ist doch wie bei Don Giovanni. Kaum ist der in der Hölle, flacht es ab, bleibt nur noch die Aussicht auf 'und wenn sie nicht gestorben sind...'.
Nein, eine reine Historie ist das nicht, viel mehr eine Abhandlung darüber, wie wir Geschichte mit unseren Emotionen, Vorlieben, Vorstellungen, auch unserem uns-belügen-lassen immer wieder selber neu denken und neu erschaffen. Und es geht auch darum, was wir alles bereit sind zu schlucken, denn eigentlich ist das Stück eine reine Absurdität, übersteigert bis zur Groteske. Aber: 'Das kann doch alles nicht wahr sein!' hört man wohl eher selten. Nein, wir sind amüsiert, interessiert, erschüttert, aufgewühlt, empört, wir sind genau das, was Shakespeare vielleicht wollte und so wird Fiktion plötzlich (durch uns) zu Realität, zu Geschichte. Die Kraft der Kunst, der Literatur, der Imagination - und leider auch die der Propaganda.
Die Faszination durch den Schurken - Shakespeare hat sie so oft durchgespielt. Macbeth, Jago, Titus Andronicus, Coriolanus, Edmund (im 'Lear'), Falstaff, vielleicht sogar Hamlet. Hier aber treibt er es auf die Spitze, verknüpft seinen Richard mit wirklicher Geschichte, scheint seine Möglichkeiten der Manipulation voll und ganz ausprobieren zu wollen. Und es funktioniert! Kafka und seine Freunde haben beim gemeinsamen Lesen seiner Werke hemmungslos gelacht, für Hitchcock war 'Psycho' voller Witz und auch 'Richard III.' sollte eigentlich ein Werk sein, dass man mit ausgiebigem Vergnügen liest oder sieht. Die Dreiteilung seiner Werke im 'First Folio' als Komödien, Tragödien und Historien funktioniert ja eh nur bedingt und von daher plädiere ich dafür, dass man 'Richard III.' als Komödie begreift, als geschichtsphilosophisches Werk, als psychologisches Drama hinsichtlich der Zuschauer und vordergründig als Tragödie.
'Now is the winter of our discontent...' - meine Güte, welcher Schurke darf sich so schon einführen? Einer der großen Shakespeare - Monologe ohne Zweifel. John Gielgud sagte mal: 'Shakespeare loved his braggarts and warriors.' Richtig, aber seine Schurken auch!
Wohl in der Mitte der 90iger Jahre des 16. Jhrdts. entstanden, lag der erste druck 1597 vor. Die Quellenlage ist mehr als problematisch, da die diversen Drucklegungen erheblich in Textgestalt und Umfang voneinander abweichen. Als Quellen hat Shakespeare v.a. erneut auf Holinsheds 'Chronicles of England, Scotland and Ireland' (1587) und auf Edward Halls 'The Union of the Two Noble and Illustre Famelies of Lancastre and Yorke' (1548) zurückgegriffen.
Wolfram