Im heutigen Artikel des Hamburger Abendblatts „Junge Dirigentin Erina Yashima: Fantastisch anzuhören“ heißt es zu Beginn: „Wo sonst vermischen sich die Attribute unterschiedlichster Kulturen besser als in der Musik? Keine Sprachbarrieren behindern hier das Verständnis gesprochener oder geschriebener Worte. Es genügt eine Klangfärbung, ein spezifisches Skalensystem oder ein bestimmtes Instrument, um Assoziationen zur jüdischen, arabischen oder afrikanischen Kultur auch in westlich geprägter Musik wachzurufen.“
Das liest sich hübsch. Trifft es aber zu?
Auffällig ist zunächst ein womöglich nur vermeintlicher Widerspruch: Im ersten Satz heißt es, die Attribute vermischten sich, in zweiten, sie seien sofort herauszuhören. Auflösen mag man den Widerspruch dahingehend, dass das Vermischen nicht die Auflösung bzw. Unerkennbarkeit der Bestandteile zur Folge haben muss.
Mir geht es um anderes, und zwar um die Frage: Ist die klassische Musik in der beschriebenen Weise reichhaltig, d. h. ist ihr die beschriebene kulturelle Vielfalt tatsächlich eigen? Oder ist es nicht umgekehrt so, dass die klassische Musik eher kulturell arm und sehr stark selbstzentriert im Sinne von hauptsächlich bezogen auf die eigene Kultur ist? Liegt das ggf. womöglich daran, dass die klassische Musik aufgrund ihres Alters notwendigerweise alte kulturelle Konzepte aufweist, die anderes im Regelfall nur als bunt und fremd vorführen, z. B. im Sinne eines Janitscharenmusik-Bim Bams?
Einerseits, andererseits, denke sich spontan. Wie viele spezifische musikalische Erkennungsmerkmale der beschriebenen Art gibt es in der Klassik überhaupt? Sind es nicht eher wenige? Ist es bezeichnend, dass im Artikel nur die (eine) jüdische, die (eine) arabische und die (eine) afrikanische Kultur vorkommen und damit nur sehr pauschale Zuschreibungen? Ist es nicht umgekehrt ein Armutszeugnis der klassischen Musik, dass in ihr andere musikalische Elemente nur sehr wenig und zumeist pauschal vorkommen? Oder ist das falsch beobachtet und tut man beispielhaft Bartok unrecht, der sich sehr um Volkmusik bemüht hat? Oder bleibt unterm Strich nur um die banale Erkenntnis, dass westeuropäische klassische Musik eben westeuropäisch ist?