Streichquartett der Woche - ein lockerer Austausch

  • Was Intonation, Spieltechnik und Emotion betrifft, finde ich die Amars grandios - atemberaubend intensiv.

    Habe das Quartett der Woche - Hindemith Nr. 3 C-Dur op. 16 - nun nochmal mit dem (neuen) Amar Quartet gehört und fand das recht kultiviert.

    Meine Frau war davon gestern Abend jedenfalls nicht sehr begeistert von dieser Art Kultiviertheit.

    Atemberaubend intensiv oder zu kultiviert? Da bin ich mal gespannt, wie die Amars auf mich wirken, sobald ich dazu komme, die Aufnahme selbst zu hören. Die Box wartet darauf, daß ich sie morgen auf meiner Postagentur abhole... :/


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

  • Heute ist Samstag. Morgen, am Sonntag, wird Knulp seine Wahl des "Quartetts der Woche" hier posten - ich bin jetzt schon sehr gespannt! Dann folgen in dieser Reihenfolge:

    • Abendroth
    • andréjo
    • Felix Meritis
    • Braccio
    • AlexanderK
    • Gurnemanz

    Viele Grüße

    MB


    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Hüstel, zu früh, muss aber sein, da morgen unterwegs.


    Mein Quartett der Woche ist - Trommelwirbel, Spannung - das dritte von Widmann mit dem Namen Jagdquartett.


    Ein Jagdquartett? Wirklich? Heute? Das geht nur dekonstruiert. Man beginne mit dem Schlussthema aus Schumanns Papillons und denke sich eine romantische Jagdgesellschaft mit aufrechtem Hörnerklang.

    Ach, wie schön ist der deutsche Wald!


    Sodann wechsele man die Perspektive und betrachte Selbiges aus der Sicht des modernen, großstädtischen Veganers, also etwa so:


    Tumbe Landwirte begeben sich einfältig-fröhlich zur Jagd in den deutschen Wald, er könnte Schwarze Tannen heißen, trampeln durchs Unterholz, ergötzen sich an schlecht gespielter, deutscher Volksmusik, scheuchen ungeschlacht Tiere auf, geraten, weil alles so schön ist, in suhlend-rauschhafte Aufregung und stiernackige Anstrengung, haben daher, aber wohl auch des genossenen Schnapses wegen - einer ist keiner; wir brauchen Zielwasser - wiederholte Aussetzer und töten am Ende dennoch derb und jämmerlich-grausam ein sterbend-aufheulendes oder vielleicht doch nur, da das Aufheulen Jagdrufe sein mögen, qualvoll verreckendes Tier.


    Zitat aus dem Booklet der Aufnahme des Ragazze Quartets: "Widmann wurde wegen seiner Art, in der er das Thema in Stücke hackt, wodurch es der blutigen Schnauze eines Monstrums gleicht, schon mit einem Holzhacker verglichen. Die Streicher schreien es inzwischen mit Imitationen von aufgeregten Jagdrufen heraus. Das Quartett scheint anfangs komisch zu sein, endet aber zwölf Minuten später in einem grausigen Schauspiel." Das ist treffend, meine ich. obgleich pointiert. Das Grauen allerdings zeigt sich schon früh. Auch das ein im Quartett aufgegriffenes Bild der Romantik: Schaurig rühren sich die Bäume ...


    Aufnahmen gibt es diverse, auch online. Bei Youtube findet sich zudem ein Werkstatt-Video mit dem Komponisten, in dem der oben angerissene Subtext zwar eine nur sehr geringe Rolle spielt, dafür umso mehr das konkrete Musizieren: Quartett Werkstatt: Quatuor Mona probt Jörg Widmanns Jagdquartett | "Lasst uns spielen!"


    Viel Spaß beim Sonntagsbraten!

  • Coole Wahl! Kannte ich bislang gar nicht. Ich habe die Ragazze und Minguet gehört und in die Probe mit Widmann (wirkt sehr sympathisch) hineingeschaut. Das Motorische sagt mir sehr zu, auch das Zerbröseln des Papillon-Themas. Auf den ersten Lausch gut zugänglich, ohne anachronistisch zu wirken.


    Die Ragazze-Scheibe heißt übrigens "Vivere". So findet man sie auch bei z. B. qobuz.


  • Vielen Dank für das Jagdquartett! Die Aufnahme mit den Leipzigern steht hier im Regal, die mit den Minguets gibt es via Qobuz. Die Woche ist gesichert ... Grins1

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe


  • Heute in den Morgen mit dem Signum Quartett (Dank an Lionel für den Hinweis in "Jeden Tag ein Streichquartett").


    Könnte mein Favorit werden. Noch ein bisschen flotter und extremer, so der erste Eindruck. Vor allem auch die vokalen Elemente kommen hier besonders schön zur Geltung =O

  • Knulp hat mich bei meinen Lücken ertappt, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Die fünf - wohl zusammenhängend gedachten - Quartette habe ich mit den Leipzigern gestern bestellt. [Leicht möglich, dass ich die Integrale der Streichquartette von Widmann zum Sonderpreis und kostenloser Nachlieferung aller später zu schreibenden Quartette abwarten wollte und für solches kunstfernes, merkantiles und banausenhaftes Ansinnen jetzt eben abgestraft werde ...)


    Grins1 :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Auf das Minguet-Quartett habe ich verzichtet. Schade, aber man muss kein Banause sein, um den Preis dafür nicht berappen zu wollen. Die eigenwillige Fünfminuten-Nummer für Sextett im Rock-Tonfall auf der zweiten CD habe ich in Würzburg schon live hören können. Widmann war damals beim Mozart-Fest Artiste Etoile. Ein pfiffiges Stück und für den Münchner Großmeister, dessen frühere Deutschlehrerin einst Kollegin von mir war, durchaus typisch, wie mir scheint.


    Offenbar gibt es vom Jagd-Quartett bereits diverse Einspielungen. Das überrascht mich nicht und das Folgende ist auch nicht böse gemeint: Widmann ist ein Auftrags-Hansdampf und gewiss geschäftstüchtig.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ich habe mir das Widmann Quartett eben zum ersten mal angehört. Zweimal hintereinander. Very interesting. Ich weiss gar nicht, ob wir Aspirin im Haus haben.....ich habe einen Anflug von Kopfschmerzen....


    Ich bin dann nächste Woche wieder dabei.

  • Ich habe mir das Widmann Quartett eben zum ersten mal angehört. Zweimal hintereinander. Very interesting. Ich weiss gar nicht, ob wir Aspirin im Haus haben.....ich habe einen Anflug von Kopfschmerzen....


    Die Minguets kratzen und sägen das Werk eindeutig besser als die Leipziger. Müssen die Streichinstrumente danach restauriert werden? ;)


    Auf mich wirkt das Werk gewollt geschmäcklerisch und ich erinnere mich wieder an einen Artikel von vor ein paar Jahren, dem ich innerlich zustimmte. Zu der Zeit musste ich öfters ein Werk von dem Komponisten hören, weil es einfach mit auf dem Programm stand:


    Eine sichere Bank
    In einer lauen Frühlingsnacht brachte mich letztens ein Stück von Jörg Widmann zum Schaudern. Mitsuko Uchida spielte im Pierre Boulez Saal Schönberg, Schubert…
    van-magazin.de


  • Heute morgen habe ich erst noch einmal die alten Hausaufgaben gemacht: Hindemith mit dem Naxos-Amarquartett. Mir reicht meine Kocian-Aufnahme, deren Klangbild mir auch gut gefällt.

    Jetzt 2 x den Widmann. Zum Glück ist es ja kurz. Die youtube Aufnahmen mit dem Heath-Quartett und mit dem Ensemble Soave Concertino, deren Aufnahme mir besser gefallen hat. Leichte Kopfschmerzen hatte ich schon davor. Besser geworden sind sie nicht.

  • Die Minguets kratzen und sägen das Werk eindeutig besser als die Leipziger. Müssen die Streichinstrumente danach restauriert werden?

    Was, geht das besser? Grins1 Ich habe Signum gehört:


    Das "Bratschenkonzert" habe ich dann auch nochmal probiert, trotz Kopfschmerzen. War nicht das erste Mal. Ja, ein paar interessante Passagen sind drin. Aber das Werk ist fast 30 Minuten lang. Und es ist so etwa 25 Minuten davon völlig wurscht, ob man Bratsche spielen kann oder nicht. Warum dann ein Bratschenkonzert? Mann oh Mann.


    Aber das ist ja nichts Ungewohntes bei neuer Musik. Ihr könnt mir gerne sonstwas vorwerfen, aber es ist einfach so viel dabei, was für mich komplette Zeitverschwendung ist. Musik ist für mich kein 30 Minuten andauerndes Gestammel oder eine endlose Ansammlung von Geräuschen. Solche Elemente müssen Ausdrucksmittel sein oder bleiben, gezielt oder sinnvoll eingesetzt werden und sich nicht verselbstständigen. Ich muss sowieso schon so oft Staubsaugen und die Nachbarn bauen eben gerade um, also bitte nicht auch noch im Konzertsaal. Aber wenn jemand gerne ausschliesslich sinnfreie Geräusche, musikalisches Gestammel, irgendein Geheul oder Gekratze auf die Bühne bringen will, auch noch mit menschlichem Gebrülll gespickt, oder sich an Kompositionen anderer pseudointellektuell abarbeitet, dann bitte tut es, jeder soll sich ausdrücken dürfen und sich künstlerisch behaupten, aber dann komm ich halt nicht. Oder ich gehe in der Pause.

    Oh Gott was bin ich ein Spiesser.

  • Jetzt noch mal dorthin, wo's hingehört. Vorhin habe ich den Text unten im anderen Thread geschrieben. Dies irrtümlich.


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    Naja - warum nicht? Vermutlich muss man nicht nach einem Personalstil bei Widmann suchen. Den passt er seinen Aufträgen an.


    Die Nummer hat natürlich eine schwer humoristische Ader und besitzt dabei sicher nicht die unterminierende Bosheit, wie ich sie aus der CD mit Streichquartetten von John Zorn kenne, die ich besitze. (Es gibt ja mehrere.) Der Humor ist schon arg vordergründig. Das Spiel mit Versatzstücken, unterschiedlichen Techniken, Geräuschen und mit vielen Brüchen bewegt sich nicht auf höchstem Niveau, hat aber Unterhaltungswert. Am ehesten kann ich das Geschrei der beiden Damen und der beiden Herren entbehren. Es wird aber zur Tiefenstruktur gehören, fürchte ich. Ein Kurzrezensent unter der Einspielung oben spricht von "frustrated narcissm". Schumann wird sich von seiner Wolke aus amüsieren - oder auch nicht.


    Kann man die unterschiedlichen Aufführungen und Einspielungen wertend vergleichen? Oben befindet sich ja bereits ein Ansatz dazu. Auf meinen Erwerb der CD mit den Leipzigern freue ich mich. Ob die den nötigen Humor - in den anstrengenderen Bedeutungen des Wortes - an den Tag legen? Leider haben sie in biographischer Hinsicht solchen bereits mehrfach aufbringen müssen ...


    @ Rosamunde: Woran erkennt man einen Spießer? Das weiß ich schon lange nicht mehr. Dafür ist die Welt viel zu verdammt komplex.


    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Den Widmann als Künstler nicht übermäßig wohlgesonnenen Kommentar, den Josquin oben verlinkt hat, kannte ich. Ein bisschen was Wahres wird schon dran sein ... Trotzdem: Ich habe locker vier oder fünf meist kürzere Nummern von ihm im Konzert gehört. Sie waren stets dem Anlass entsprechend nicht unüberzeugend, haben oft Talent gezeigt, Witz, Gespür fürs Merkantile. - Das sagte ich ja schon. - Mit dem "Geschmäcklerischen" von Josquin gehe ich konform. Was ich auch schon gesagt habe, was vielleicht auch primär nur mein Problem ist (vielleicht auch nicht nur): Widmann scheint mir noch nicht jenen Dreh heraus zu haben, den es für einen ernst zu nehmenden, also eben auch nicht platitüdenhaften, Abziehbildern gemäßen Personalstil braucht. Gut, ein Phil Glass lebt recht ordentlich mit seinen Abziehbildern - meine ich.


    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Am ehesten kann ich das Geschrei der beiden Damen und der beiden Herren entbehren. Es wird aber zur Tiefenstruktur gehören, fürchte ich. Ein Kurzrezensent unter der Einspielung oben spricht von "frustrated narcissm". Schumann wird sich von seiner Wolke aus amüsieren - oder auch nicht

    Das Geschrei ist zuerst das Halali der Jäger, gegen Ende sterben 4 Säue und zum Schluss ein Jäger nach dem Ausweiden am Herzinfarkt?

  • Dann dürften sich die Interpretationen auch oder vor allem in der Authentizität des Geschreis unterscheiden? Ich werde mal darauf achten.


    :P :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • "Vordergründig" trifft wahrscheinlich am besten, was mich am ehesten an dem Stück stört. Und hier in erster Linie die Schreie. Wenn ich aber die Erwartungen zurückschraube und nicht eine Entsprechung von sagen wir D. 887 oder op. 132 in der Gegenwart voraussetze, ist das Jagdquartett doch durchaus unterhaltsam. Die übrigen Geräuscheffekte mit Kratzen, Schaben usw. sind für mein Empfinden ziemlich pointiert eingesetzt und stören mich überhaupt nicht. Ich erlebe sie (wie auch anderswo in der "Neuen Musik") nicht als andauerndes Gestammel, sondern in diesem Stück als Momente sagen wie der Verdichtung. Eher kann ich den Vorwurf nachvollziehen, Widmann komponiere publikumswirksam, denn dieses Quartett ist doch für zeitgenössische Musik problemlos zu hören. Da sind die Quartete von Lachenmann eine ganz andere Hausnummer.

  • Da sind die Quartete von Lachenmann eine ganz andere Hausnummer.

    Genau das ging mir auch durch den Sinn. Wobei ich meilenweit davon entfernt bin, einen Widmann gegen einen Lachenmann abwägen zu können.

    Vielmehr geht es mir hier so wie mit dem Hindemith davor. Je öfter ich es höre, um so mehr entdecke ich und es animiert zum Nochmalhören.

    Eher kann ich den Vorwurf nachvollziehen, Widmann komponiere publikumswirksam, denn dieses Quartett ist doch für zeitgenössische Musik problemlos zu hören.

    Wem hier zu viel D-Dur drin ist, der kann ja auf die anderen Sätze des Quartetts ausweichen. Grins1. 1 und 4 habe ich gehört - garantiert durfrei.

    :wink:

  • Knulp hat mich bei meinen Lücken ertappt, wofür ich ihm sehr dankbar bin.

    Alles muss man dann doch nicht kennen ...

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

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