Streichquartett der Woche - ein lockerer Austausch

  • Guten Tag, euch allen. Eben habe ich nochmals den Eröffnungsbeitrag gelesen, denn: Was ist ein Streichquartett? Vor Haydn wurde diese Frage sicherlich anders beantwortet als nach Haydn. Kammermusik ohne Generalbass für vier Streicher? Sicherlich. Muss es sich aber um 2 Violinen, eine Bratsche und ein Violoncello handeln? Erst nach Hadn vermutlich. Umso interessanter, den Vorhang in die Musikgeschichte ein wenig weiter hervorzuziehen und ein kleines, unterhaltsames Werk hervorzuholen, das ich für besonders gelungen ansehe, obwohl die Besetzung Langeweile erwarten lässt: 4 Violinen!


    Telemann hat mit der Werkgruppe 40:201 bis 40:203 gleich drei dieser Stücke geschaffen. Datieren lassen sie sich nicht exakt, 1709 bis 1721 lautet die Datierung im Buch von Rampe (Telemann und seine Zeit, Laaber, 2. Aufl. 2017). Rampe schreibt, Telemanns Kammermusik ohne Generalbass gehe auf die Tradition des ein- oder zweistimmigen Instrumentalspiels ohne Begleitung zurück (S. 159). Das ist so allgemein wie zutreffend, weist uns aber darauf hin, dass wir keinen vierstimmigen Satz erwarten dürfen. Ungeachtet dessen ist es bemekenswert, was Telemann aus dieser Formation herausholt. Übrigens steht das ausgewählte Wert TWV 40:203 auch noch in C-Dur. Na, das ist ja mal spannend (Achtung: Ironie).


    Telemanns Musik ist von Schostakowitschs denkbar weit entfernt. Letzte Woche ging in diesem Fadden noch um alles bzw. letzte Dinge. Magenzusammenschnürende, sargnagelnde Todesmusik. Diese Woche darf es entspannter sein. Musik als Freude. Man sehe sich die Musiker:innnen in den YouToube-Videos an. Glückliches Lächeln ruft diese Musik hervor. Das ist sehr viel, meine ich, und wird Telemann, anders als früher, m. E. schon längst nicht mehr vorgeworfen. .


    Die Konzerte und Sonaten für 4 Violinen seien ausschließlich handschriftlich überliefert und mögen als Hausmusik ebenso wie als höfische Musik gelten, schreibt Rampe weiter. Diese Schubladen brauchen wir nicht. Sie besagen wenig und hier gelten die Werke ja sogar als Streichquartette.


    Gerade dieses in C-Dur habe ich ausgewählt, weil ich es für das Schönste und Interessanteste der Gruppe halte. Dabei denke ich nicht nur an die klanglichen Wirkungen, das akkordische Spiel, sondern auch an den dritten Satz, den ich spieltechnisch gewitzt nennen mag.


    Viel Spaß mit Telemann: Quartett für 4 Violinen "Concerto" C-Dur, TWV 40:203.

  • Empfehlen möchte ich diese CD:


    Goebel hat das Werk ebenfalls eingespielt (auch bei YouTube zu finden):


    oder zum Beispiel hier:

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  • Sehr interessant, Meister Knulp, - besten Dank dafür! Ob ich die Musik im Regal finde und/ oder kenne, weiß ich nicht. Ich fürchte, dass nicht. Aber Du hast ja bereits einen Link erstellt!


    Wie Du schon andeutest: Das ist zwar kein Streichquartett, aber immerhin ist es ein Streichquartett! ;)


    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Als Telemannfan kenne und schätze ich dieses Werk natürlich! Es ist erstaunlich, wie Telemann es schafft, mit vier Sopraninstrumenten so einen vollen Klang zu erzeugen. Als streichquartettähnlich empfinde ich dieses Konzert allerdings nicht. Es ist ein Concerto grosso in Miniaturformat sozusagen. Als streichquartettähnlich empfinde ich hingegen die zweite Sammlung der Pariser Quartette - nur ist das eben keine reine Streichermusik.


    Eine schöne Aufnahme von TWV 40:203 gibt es auch aus "96er Town":

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Mit den Pariser Quartetten habe ich natürlich geliebäugelt. Passt von der Besetzung her (mit Generalbass) aber noch weniger, finde ich. Die von dir verlinkte Aufnahme ist Teil der oben von mir verlinkten Box.

  • Telemann. Hat das Kernrepertoire also doch keine zwei Runden gereicht ;)


    Der Einstieg bei mir (in meinem Fall in unbekanntes Terrain): Imaginarium Ensemble The Sharp Band, Encrico Onofri


    Sehr, sehr schöne Musik allemal, vielleicht tatsächlich unentschieden zwischen Miniaturkonzert und Vorquartett.

  • Telemann. Hat das Kernrepertoire also doch keine zwei Runden gereicht ;)

    :P ;) Es war zu befürchten.


    Ich Naivling dachte, der Bestand würde für 50 Jahre reichen, also für 600 Monate. Die Wochen kann ich auf die Schnelle nicht ausrechnen.


    So kann man sich täuschen. Schlecht2


    ;) ;) ;) und so wäidä ...

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

    Einmal editiert, zuletzt von andréjo ()

  • Goebel hat das Werk ebenfalls eingespielt (auch bei YouTube zu finden):


    Erst einmal danke für die Wahl!


    Nur zur Sicherheit: Auf der verlinkten CD ist TWV 40:203 aber nicht enthalten, oder?

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Richtig ist die von Goebel mit dem Titel "Sinfonia spirituosa":

    Ah, prima, danke! Die CD "Sinfonia spirituosa" gibt es beim Streamer meines Vertrauens. Das wären schon mal mindestens drei Aufnahmen. (Alta ripa und Imaginarium durfte ich schon finden und hören.)


    Nach dem zweiten Lausch: Mit seinen imitatorischen Satz- und Abschnittsanfängen, mit seinem Sequenzierungen würde ich die Musik zu 100 % im Barock bzw. Generalbasszeitalter verorten. Es fehlt zwar der B. c., doch die Tatsache, dass dies im Titel erwähnt ist, deutet ja eher auf das hin, was der erwartete Standard war, oder?


    Weiß jemand, zu welcher Zeit dieses Werk geschrieben wurde? Das TWV ist auf den ersten Blick nicht chronologisch orientiert, oder doch?

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Vielen Dank, Knulp, wieder was neues kennengelernt. Ich habe mir alle 3 Konzerte angehört.

    Bemerkenswert finde ich aber die beiden langsamen Sätze des G Dur Konzertes, TWV 40:201!


    Hier bei Musica Antiqua sind sie besonders gut gelungen, aber auch ihr C Dur Konzert finde ich von den bisher genannten Aufnahmen am schönsten:


  • Dazu habe ich leider auch nichts gefunden. Allerdings ist das Stück eindeutig italienisch orientiert, und Telemann hat sich bevorzugt in der ersten Hälfte seiner Karriere mit italienischer Musik beschäftigt. Ich würde daher auf irgendwann vor 1730 tippen - ist aber nur ein educated guess...

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Dazu habe ich leider auch nichts gefunden. Allerdings ist das Stück eindeutig italienisch orientiert, und Telemann hat sich bevorzugt in der ersten Hälfte seiner Karriere mit italienischer Musik beschäftigt. Ich würde daher auf irgendwann vor 1730 tippen - ist aber nur ein educated guess...

    ich habe das hier dazu gefunden :):

    Datieren lassen sie sich nicht exakt, 1709 bis 1721 lautet die Datierung im Buch von Rampe (Telemann und seine Zeit, Laaber, 2. Aufl. 2017)

  • ich habe das hier dazu gefunden :):

    Datieren lassen sie sich nicht exakt, 1709 bis 1721 lautet die Datierung im Buch von Rampe (Telemann und seine Zeit, Laaber, 2. Aufl. 2017)

    Oh ja, wie so oft, gilt auch hier: (1) Das Problem sitzt VOR dem Bildschirm, (2) Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. :versteck1:


    Vielen Dank! :verbeugung2:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Empfehlen möchte ich [...] zum Beispiel hier:

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    Habe ich jetzt gehört: Klingt teilweise richtig, äh, fetzig, jedenfalls eine beherzte und packende Darstellung! Das Werk selbst paßt zwar m. E. nicht recht zu unserem Thema, nicht nur wegen der Besetzung, sondern auch wegen der konzertanten Form. Dennoch finde ich es gut, den Telemann hier mal mithineinzunehmen, als Beispiel für die Vorgeschichte der Gattung Streichquartett. Solche Gattungen enstehen schließlich nicht aus dem Nichts. Dabei wird für mich auch deutlich, wie epochal und innovativ Haydns Schaffen ist. Aber das wertet Telemann natürlich nicht ab.


    Kurz und gut: Vielen Dank, lieber Knulp, für Deinen originellen Vorschlag, mit dem Du meinen Horizont erweiterst!


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

  • Die Frage wäre, ob das wirklich zur Vorgeschichte gehört (ebenso die Consort-Musik für 4 Streicher etwa bei Gibbons).

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Im Grove werden als Vorläufer z.B. Werke für 2 Violinen, Viola und B.C. genannt.

    Ich wäre dafür, hier bei Streichquartetten zu bleiben.

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