Streichquartett der Woche - ein lockerer Austausch

  • Ich gönnte mir nochmal das Quartett der Vorwoche, Dvořáks Streichquartett Nr. 13 G-Dur op. 106.

    Nochmals vielen Dank für die Wahl! Gerne gebe ich zu, dass die Quartette des Böhmen bei mir fast nur im Plural Daseinsberechtigung hatten (Zitat aus der "Feuerzangenbowle"), d. h. zumeist lief "Alles ab op. 51 (oder op. 61)".

    Tatsächlich ist die individuelle Schau nochmal viel bereichender als das Schwelgen im Mehrfachpack. Was für eine vielschichtig-komplexe Musik. Dvořák, der Architekt der kompliziert-beglückenden Form. Rund 40 Minuten, die es in sich haben.

    Das schreit ja fast danach, das Schwesterwerk in einer der kommenden Runden ebenfalls inidividuell zu würdigen. :versteck1:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • eine weitere formidable Einspielung mit dem Simón Bolívar String Quartet, noch in der ursprünglichen Besetzung aus Mitgliedern des gleichnamigen Orchesters. Allerdings finde ich die Henschel-Aufnahme trotzdem irgendwie transparenter.

    -----------------------------------------------------------------------------------------------
    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Es gibt auch eine Aufnahme mit dem Végh Quartett:

    Davon abgesehen sind die Henschels sicher die bekanntesten.

    Danke für die Bestätigung, werter Braccio! Und Wieland sowie Leverkuehn haben dem nun nicht explizit widersprochen. :P Eine Bestellung bahnt sich an, aber ich kann noch ein wenig warten. (Die drei Honegger-Quartette könnte ich wieder mal hören; ich kenne sie noch nicht lange im Rahmen einer Kammermusik-Integrale des Komponisten, finde sie motorisch raffiniert und harmonisch reizvoll.)

    Und der möglichen Einspielungen des Streichquartetts der Woche werden immer mehr. ;) :)

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Danke für die Bestätigung, werter Braccio!

    Mja, Leverkühn klingt mit "topfig" und "betulich" nicht hellauf begeistert ;) , bezogen auf Végh. Vielleicht meintest Du die Henschels?

    Ich habe die Véghs jedenfalls noch nicht gehört, komme aktuell schlecht dazu. Bestellen kann man die als CD glaube ich sowieso nicht.

  • Mja, Leverkühn klingt mit "topfig" und "beruflich" nicht hellauf begeistert ;) , bezogen auf Végh.

    Das “Topfige” möchte ich nicht zu sehr in den Vordergrund stellen. Es ist eben eine Aufnahme von 1951. Aber dem Spiel fehlt mMn Feuer. Muss allerdings gestehen, dass ich die Sätze nicht alle komplett durchgehört habe.

    -----------------------------------------------------------------------------------------------
    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Nein, schon klar. Da habe ich missverständlich zitiert. Ich meinte nur die Bestätigung, dass die Henschel-Leute gut sein dürften. :) (Wie gesagt, gerne eine weitere Einspielung, aber keine zwei. Ich will da nicht mehr übertreiben. Jede Woche ein neues Quartett zur genaueren Sichtung erlaubt solches nicht - leider eigentlich.)

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

    Einmal editiert, zuletzt von andréjo (29. Mai 2023 um 00:57)

  • Ich stecke die Musik in keine Schublade, sondern ich suche mir als Musiker einen Interpretationsansatz

    Der Diskussionspunkt ist, dass Du zwischen den Ebenen hin und herwechselst. Du stellst Deine subjektiven Empfindungen zu op. 106 dar, zitierst aber auch aus einem Brief Dvořáks, um diese Empfindungen zu objektivieren. In Ausnahmefällen kann das durchaus funktionieren, aber hier sehe ich keinerlei Substrat dafür. Und das empfinde ich dann eben als Schubladisierung. Das heißt nicht, dass ich Deine subjektive Empfindung als "falsch" werte. Das wäre unsinnig und steht mir auch nicht zu

    Nochmal:

    Ich hörte und empfand gewisse Stimmungen (was auch immer sie nun seien) zuerst in der Musik allein! Nur deswegen fand ich die Aussage Dvoraks danach dann interessant.

    Übrigens: ich habe glaube ich nicht behauptet, dass die Aussage Dvoraks das op 106 erschöpfend beschreibt. Ich habe auch nicht behauptet, dass er ein Schaf hat mähen hören und ein Vögelchen zwitschern und sogleich umgehend sein gesamtes op 106 hingeschrieben habe (von so etwas sprach Philbert).

    Anyway, ich verstehe nicht, was meine interpretatorischen Assoziationen mit irgendeiner Schublade zu tun haben, solange ich nicht von allen anderen erwarte das op 106 ebenso wie ich zu empfinden oder denselben Weg zu beschreiten. Das wäre Schublade.

    Oder meinst du mit Schublade, dass ich mich selber festlege? Aber das muss ich doch, wenn ich überzeugend vortragen will. Ich kann doch gar nicht so spielen, dass ich alles offen lasse. Es ist immerhin Dvorak und nicht Debussy oder Feinberg. Ich muss mich wenigstens für ein Mal entscheiden. Aber beim nächsten mal spiel ich dann vielleicht anders! Wer weiss?

  • Hört Euch mal Graham Johnsons Wigmore Hall Schubert Vorträge an. Man kann einen Künstler* nicht von seiner Biographie trennen.

    Ja, aber Graham Johnson verweist auf die globalen Zusammenhänge, auf die Kulturlandschaft ...

    Nicht darauf, dass Schubert einmal in der Höldrichmühle saß und sofort mit der Schönen Müllerin anfing ...

    Nicht dass ich dir das, Rosie, unterstellen würde!!

    Aber es sind eben diese Dreimädlhaushafte Zusammenhänge (oder lilac time associations), auf die FM anspielt. Sie waren weit verbreitet, haben das Schubertbild verfälscht und Graham Johnson tut das seine, um den Blickwinkel zu erweitern.

    Johnson spricht schon sehr viel von Schuberts Leben. Auch ist dies ein Grund, warum die 4 Vorträge chronologisch angelegt sind. Er beschreibt immer wieder bestimmte Passagen der Lieder und stellt Bezüge zu Schuberts biographischen Umständen her. Natürlich nicht nur, aber auch. Und interessant ist jedesmal seine kurze Einleitung vor jedem Vortrag, in der er immer wieder betont, dass es zwar Tatsachen gebe, aber dass diese Vorträge diese Tatsachen subjektiv beleuchten - es sei seine persönliche Sichtweise.

  • Hier lief das Miami String Quartet (1994):

    Eine CD dazu habe ich bei unseren Partnern nicht aufstöbern können. Bei Discogs gibt es gebrauchte Angebote. Die Leute aus Miami fand ich von der Präzision und Intonation deutlich besser als das Cuarteto latinoamericano.

    Die Sätze 1, 2 und 4 sind einander für mein Empfinden schon sehr ähnlich. Viel Ostinato, rhythmusbetont, Spiel mit Taktwechseln, einerseits viel los, andererseits auch viel parallel geführt.

    Der dritte Satz sticht für mich eindeutig heraus. Erinnert mich wirklich an etwa den Mittelsatz von Bartók 4. Gibt es vielleicht eine spanische Entsprechung zur hora lungă, etwa bei den Flamenco-Gesängen?

  • Der langsame Satz erinnert mich an Bartók.

    Definitiv! Aber nicht nur der. Der erste Satz weist sehr große Ähnlichkeiten zum Schlußsatz ("Hetzjagd") in Bartóks Klaviersuite Im Freien auf. Insgesamt ist das Quartett sehr bartókoid, wenn auch mit mehr Flageolett, welches sehr eindrucksvoll eingesetzt wird. Gehört habe ich die Henschels.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Bartók-Nähe? Na, das klingt verheißungsvoll! Dann werde ich mich auch mal demnächst dem Quartett dieser Woche zuwenden (mir wie alles von Ginastera bislang noch komplett unbekannt, ich bekenns) - allerdings voraussichtlich nicht mehr diese Woche (da steht grad anderes an).

    Auf jeden Fall besten Dank an andréjo!

    :cincinbier:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • wenn auch mit mehr Flageolett, welches sehr eindrucksvoll eingesetzt wird

    Ja, stimmt. Und auch die Sul-ponticello-Passagen haben durchaus was.

    Ich würde ja gern mal widersprechen - Scherz - aber genau das ist auch meine Meinung! Sie haben mich beim Kennenlernen am stärksten beeindruckt, die Passagen sul ponticello, con sordino und das Flageolett. Und - stimmt schon - nachdem ich jetzt die Musik mit den Lateinamerikanern vermutlich erst zum dritten oder allenfalls vierten Mal gehört habe, hätte ich gerne eine Einspielung, die auch in dieser Hinsicht noch etwas spannender ist, etwas unheimlicher klingt. Gute Angebote gibt es ja bereits. Danke Euch! Schlecht ist die Aufnahme, die ich jetzt kenne, aber gewiss nicht.

    Die Bartok-Nähe ist mir nicht nur im langsamen Satz aufgefallen. Freilich ist Ginasteras Ansatz etwas naiver - oder anders ausgedrückt: Ich finde nach wie vor Bartoks Quartette durchwegs etwas schwerer zugänglich. Oder noch einmal anders: Sicher ist Bartok der bedeutendere Meister für das Streichquartett - und wohl auch sonst.

    Rund 25 Jahre vor dem Ende seines ebenfalls nicht gar so langen Lebens hat sich der Argentinier stärker einer Avantgarde geöffnet, die als Neo-Expressionismus betrachtet werden kann, und bei Bartok war es eben umgekehrt. Mit dem zweiten Streichquartett kann man diese Phase einsetzen lassen - so das Booklet der Einspielung des Cuarteto Latinoamericano.

    Allerdings steht das mittlere Quartett dem ersten hörbar näher als dem dritten. Das liegt nicht nur am Hinzutreten der zwischen Gesang und Sprechton variierenden Sopranstimme, sondern am völlig andersartigen Duktus insgesamt.

    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ja, die Bartoknähe ist beim 1. Streichquartett von Ginastera nicht zu überhören, sie ist schon fast zu offenkundig, allerdings finde auch ich Bartoks Musik raffinierter und vielschichtiger.

    Die Debut-CD des Henschel Quartetts von 2000 wurde seinerzeit sehr gelobt und kann sich IMO immer noch sehr gut hören lassen.

    So wie das Henschel Quartett die Stücke spielt -- ganz filigran durchgearbeitet und fein vernetzt, ganz Aktion im Raum -- haftet ihnen nirgends auch nur ein Hauch des bloß Dekorativen an. Susanne Benda

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Das dritte Quartett hätte bei Henschels auch noch Platz gefunden. Es wird sich wohl keine Sopranistin gemeldet haben. Trotzdem werde ich mir die CD ziemlich sicher zulegen. Gebrauchtpreis lääächerlich ... Sie scheinen den Ginastera lustig zu finden ...

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Mit dem zweiten Streichquartett kann man diese Phase einsetzen lassen - so das Booklet der Einspielung des Cuarteto Latinoamericano.

    Und mit dem ersten kann man die "subjective nationalist" Phase einsetzen lassen, oder mit Pampeana Nr. 1, habe schon beides gelesen. Der große Einfluss Bartoks auf die Musikgeschichte wird einem erst so recht bewusst, wenn man Zentraleuropa verlässt und sich umschaut, was in der übrigen Welt passierte. Die Verarbeitung der jeweils nationalen Musiksprache erfolgte sehr oft nach seinem Vorbild.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Der große Einfluss Bartoks auf die Musikgeschichte wird einem erst so recht bewusst, wenn man Zentraleuropa verlässt und sich umschaut, was in der übrigen Welt passierte. Die Verarbeitung der jeweils nationalen Musiksprache erfolgte sehr oft nach seinem Vorbild.

    Ich habe dunkel in Erinnerung, dass Ginastera ab einer bestimmten Zeit den von ihm als "folkloristisch" bezeichneten Einsatz musikalischer Mittel aus der regionalen Volksmusik ablehnte und stattdessen einen nationalen Realismus setzen wollte. Keine folkloristischen Klischess, harte Realität. Allegro violente e agitato.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Danke für Eure interessanten Kommentare, putto und MB! Vom "subjektiven Nationalismus" habe ich ebenso gelesen. Die spannende Frage könnte freilich darin bestehen, was denn nun der Unterschied sein soll zwischen folkloristischen Klischees und der Realität des "violente" und "agitato". Will ich denn echte Folklore hören - so oft will ich das nicht - dann greife ich gewiss nicht zu den Herzbuam, aber doch auch nicht zu Ginastera oder Bartok. Als Fan des echten Jazz - der ich schon gerne stärker wäre, wäre die verbleibende Zeit eine längere - mag ich mich auf Louis Armstrong oder Miles Davies kaprizieren, aber nicht auf Gershwin oder Milhauds Erschaffung der Welt.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Will ich denn echte Folklore hören - so oft will ich das nicht - dann greife ich gewiss nicht zu den Herzbuam, aber doch auch nicht zu Ginastera oder Bartok

    Bartók wäre aber eine gute Wahl, denn oftmals hat er die ursprünglichen Melodien nur für Klavier gesetzt - ohne weitere Veränderung oder Bearbeitung.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!