Streichquartett der Woche - ein lockerer Austausch

  • Da muss ich ein wenig nachdenken, Meister Abendroth. Du spielst natürlich an auf die unterschätzten Spätwerke Schumanns und die so klar nicht zu beantwortenden Fragen, ob sie nun immer noch Meisterwerke seien oder schon wieder und im Wesen andere oder eben schwach, und Du spielst damit letztlich auch an auf die komplexe Rezeption dieser Werke.

    Ich denke, Abendroth zog den Vergleich auch mit Hinblick auf beider neurodegenerative Symptomatik infolge der Syphillis.

    Danke, das wusste ich entweder nicht oder habe es verdrängt. Nur die Syphillis, meine ich. Die Folgen sind mir schon bekannt.


    Immer diese Krankheiten, die sich dann vordrängen, die Muße und somit die Muse stören. ;) :) Ach was, da fehlt noch ein Smiley, wenn ich an meine mittelschwere Sommerdepression von vor dreizehn Jahren denke. ;(


    Aber wenn ich jetzt schon schreibe, noch eine Ergänzung zum letzten Beitrag. Es geht bei Beethoven und seinem Spätwerk ja nicht nur um das, was ich "Banalitäten" genannt habe. Es geht auch um das unvergleichliche Nebeneinander von quasi vergeistigtem Material und verblüffend derben oder folkloristischen Klängen bis hin zum Jazz in der Aria ... Da könnte ich mir Berührungspunkte vorstellen und gewiss könnte man dann lange darüber streiten.


    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Zitat von Felix Meritis

    Allerdings erkenne ich wenig Zusammenhang zwischen Smetanas 2. SQ und der 2. Wiener Schule. Ein bisserl enigmatisch das Ganze .... :/

    "Ein bisserl enigmatisch" finde ich das genauso ... und das ist es wohl auch. Aber der sehr interessante und ausführliche Kommentar zur Stamitz-Aufnahme bei Brillant, verfasst von dem Komponisten Karl Michael Komma (1913 - 2012), erwähnt Schönberg ebenso. Zunächst geht es um die komplexen Finessen des Werks im Hinblick auf rein musikalische Entwicklungen. Sie gehen, wenig überraschend, einher mit dem vordergründigen Höreindruck einer hoch expressiven, formal und strukturell rücksichtslosen Komposition - das ist nichts Neues für uns hier und es hätte, meine ich, wenig Sinn, die Ausführungen genauer wiederzugeben. Man müsste vieles detailliert zitieren.


    Gegen Ende des Textes ist dann, auf das Finale bezogen, die Rede von Rarach, dem Teufel in Smetanas Oper "Die Teufelswand" von 1882, zu dem eine motivische Querbeziehung hergestellt wird. Sie habe vermutlich, so Komma, Schönberg motiviert, das Werk enthusiastisch zu feiern - der Text ist nur englischsprachig und es wird das phrasal verb "to wax about something" verwendet.


    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Danke für die Erläuterungen! Eine gewisses expressionistisches Element kann man dem Quartett sicherlich attestieren und somit eine potenzielle Vorbildwirkung auf Schönberg. Wenn ich aber einen Komponisten nennen müsste, den ich von Smetanas zweitem Quartett für beeinflusst erachte, dann wäre das viel eher Janáček.


    Ich finde auch Deine Ausführungen zu möglichen Parallelen zwischen spätem Beethoven und spätem Smetana bedenkenswert! Das teilweise Hemdsärmelige, Folkloristische ist hier mMn deutlicher fühlbar als beim späten Schumann.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Noch kurz und mild neben dem Thema situiert: Du bist ja mehr als ich Hochromantiker. Empfindest Du Schumanns letzte Kompositionen eher als musikgeschichtlichen Rückschritt oder als Fortschritt oder sind das schlicht keine Kategorien? - Bei Liszt finde ich ja die grauen Wolken viel interessanter als alle seine virtuosen Paraphrasen, aber nach Liszt klingen sie halt nicht. So extrem dürfte es bei Schumann sowieso nicht der Fall sein.


    Was mich betrifft, habe ich Schumanns späte Musik immer als hoch interessant empfunden, ohne dass ich explizit hätte ausschließen wollen, dass sie vielleicht ihre Schwächen hat. Sie hat etwas merkwürdig Trockenes, Unerbittliches, weniger Erwartbares, kennt man das Klavierkonzert. Ich weiß nicht, ob Du mir folgen kannst, also sowohl bezüglich meiner Meinung als bezüglich deren schneller Formulierung.


    Ansonsten nehme ich mal an, dass Du schon Recht hast mit der Krankheit, dass Abendroth vor allem oder vielleicht nur solches gemeint hat. Er kann noch bis Donnerstag widersprechen. Kleiner Scherz.


    Ansonsten erwähnst Du oben Janacek und ich kann Dir folgen - abgesehen davon, dass ich im engeren stilistischen Sinn Janacek für so einzigartig unverwechselbar halte, dass ich mich immer erst daran gewöhnen muss, es gäbe bei anderen Komponisten Tendenzen, die in seine Richtung weisen. Das war jetzt kein kleiner Scherz, aber auch nicht todernst gemeint. :)


    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ansonsten nehme ich mal an, dass Du schon Recht hast mit der Krankheit, dass Abendroth vor allem oder vielleicht nur solches gemeint hat. Er kann noch bis Donnerstag widersprechen. Kleiner Scherz.

    Ja, ich dachte an die Frage, ob und wie die Krankheit die Kompositionen beeinflusst hat.

  • Danke auch von mir für die Wahl des Quartetts!


    Tolles Werk, finde ich. Habe es heute nach langer Zeit wieder gehört. Die Satzcharaktere sind trotz der jeweils wilden, mottoartigen Einleitungspassagen ja noch einigermaßen zuzuordnen, aber das ist schon ungewöhnlich expressiv. Interessant fand ich u. a., dass im dritten Satz die unruhigen Bewegungen, die sonst glaube ich nur in den Einleitungen vorkommen, sich durch den Satz ziehen und immer wieder als störende Elemente wahrzunehmen sind.


    Was die biographischen Hintergründe betrifft, ist Smetana ja zumindest mal jemand, der sich (wenigstens habe ich das bei seinem Klaviertrio und bei dem 1. SQ so in Erinnerung), der sich selbst dazu geäußert hat. Ob das bei QdW auch so ist, weiß ich nicht.

  • Ansonsten nehme ich mal an, dass Du schon Recht hast mit der Krankheit, dass Abendroth vor allem oder vielleicht nur solches gemeint hat. Er kann noch bis Donnerstag widersprechen. Kleiner Scherz.

    Ja, ich dachte an die Frage, ob und wie die Krankheit die Kompositionen beeinflusst hat.

    Alles klar - danke Dir! Wie gesagt - ich besaß da nur vages Drittelwissen.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Es ist eigentlich bedauerlich, dass wir wissen, dass Smetanas geistige Fähigkeiten zum Zeitpunkt der Komposition schon stark vermindert waren. So soll er etwa gebeten haben, in den Opernlibretti Ensembleszenen zu vermeiden, da diese sehr viel Konzentration bei der Komposition verlangen. Und B. Fournier schreibt in seiner Geschichte des Steichquartetts, die Komposition des zweiten Quartetts habe Smetana enorm viel Mühe gekostet, er habe nie mehr als drei bis vier Takte in einem Zug schreiben können, und wenn er die Arbeit wieder aufgenommen habe, hätte er vergessen, was er bereits gechrieben hätte. Jedenfalls wissen wir, dass sich die Komposition sehr lange hingezogen hat. (Bd.II, S.65; ohne Quellenangabe).

    Kann man das Quartett vorurteilsfrei hören, wenn man dies gelesen hat? Fournier vermeldet zwei Tendenzen in der Beurteilung: Man kann in dem Quartett, das auch nach Meinung seines Komponisten biographische Züge hat, ein Symptom der gravierenden gesundheitlichen Probleme Smetanas sehen, oder: die bewusste künstlerischen Darstellung der Schwierigkeiten. Die abrupten Stimmungswechsel und Tempowechsel könnte man dann entweder als kausal durch die Krankheit verursacht, oder als eine künstlerisch souveräne Darstellung der gesundheitlichen Probleme sehen. Fournier lässt keinen Zweifel, dass er selbst im 2. Quartett ein bedeutendes Kunstwerk sieht.

    Als Studienobjekt käme beispielsweise der Einschub zwischen der Polka und der Dumka im 2. Satz in Frage, der ja jeden Bezug auf folkloristisches vermissen lässt (es reicht die ersten 2 Minuten zu hören).

    Ich habe das Quartett, das für mich Neuland ist, jetzt auch mit dem Stamitz und dem Talich Qu. gehört und es gefällt mir von mal zu mal besser. Ich habe auch den Eindruck, dass die - im Vergleich zum Pavel Haas Qu. - weniger extravertiert-expressionistische Herangehensweise dem Quartett keineswegs schadet.

  • er habe nie mehr als drei bis vier Takte in einem Zug schreiben können

    Umso erstaunlicher finde ich, dass bei allen Brüchen doch ein (wie ich finde) schlüssiges Werk dabei herausgekommen ist. Irgendwie erinnert es mich schon an die späten Werke Schumanns, ohne dass ich das jetzt an konkreten Parallelstellen festmachen könnte. Ob der späte Schumann auch so Probleme hatte, sich längere Zeit auf das Komponieren konzentrieren zu können?


    Ich bin mit folgender Aufnahme sehr zufrieden:

  • Habe nun Smetana #2 gehört ... mit dem Smetana Quartet in dieser Aufnahme:

    Smetana: String Quartets No 1 in E Minor and No. 2 in D Minor, Bedrich Smetana von Smetana Quartet - Qobuz


    Weiter zuordnen kann ich sie nicht, klingt eher nach 1950er als nach 1960er.


    Es könnte freilich noch die 1962er Aufnahme des Ensembles sein, die auch in dieser famosen Box enthalten ist:



    Zum Werk: Nach dem stürmischen Beginn dachte ich zuerst "Tristan!", bis die Musik dann doch etwas "endlicher" wurde ... aber Wagner ist irgendwie nicht wegzudenken, oder?

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Habe nun Smetana #2 gehört ... mit dem Smetana Quartet in dieser Aufnahme:

    Smetana: String Quartets No 1 in E Minor and No. 2 in D Minor, Bedrich Smetana von Smetana Quartet - Qobuz


    Weiter zuordnen kann ich sie nicht, klingt eher nach 1950er als nach 1960er.

    unten steht doch 1950 Supraphon, und es klingt nach mono. Abgesehen davon klanglich gut und mit a= 440 Hz plausibel richtig abgespielt (im Gegensatz zum 1. Quartett, das läuft zu schnell)

  • unten steht doch 1950 Supraphon

    :herrje1: ...danke! Dann kann ich mich ja für heute auf die 1962er Aufnahme freuen!

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Nach dem stürmischen Beginn dachte ich zuerst "Tristan!", bis die Musik dann doch etwas "endlicher" wurde ... aber Wagner ist irgendwie nicht wegzudenken, oder?

    Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Der erste Satz blieb heute beim erneuten Hören, diesmal auch mit Smetana '62 aus der von Dir verlinkten Box, formal unklar. Zwar schon ein typsicher "Kopfsatz" mit wohl auch einem durchführungsartigen Abschnitt, aber zumindest für mich kein erkennbar typischer Sonatensatz, vielleicht eher etwas "rhapsodisch".

    Umso erstaunlicher finde ich, dass bei allen Brüchen doch ein (wie ich finde) schlüssiges Werk dabei herausgekommen ist.

    Auch da gehe ich mit. Ich wäre vom Hören nicht darauf gekommen, dass Smetana bei der Komposition unter kognitiven Defiziten litt.

  • ... vielleicht eher etwas "rhapsodisch".

    Umso erstaunlicher finde ich, dass bei allen Brüchen doch ein (wie ich finde) schlüssiges Werk dabei herausgekommen ist.

    Auch da gehe ich mit. Ich wäre vom Hören nicht darauf gekommen, dass Smetana bei der Komposition unter kognitiven Defiziten litt.

    Das geht mir auch so, staune geradezu über die Einzelheiten der Entstehung, die ich hier lese. Auf mich wirkte das Werk von Anfang an (kenne es praktisch genau so lang und gut wie das 1. SQ) "wild" und innerhalb seines Gesamtwerks neuartig, was ich positiv empfand. Was hat der Mann nicht alles durchlebt und bewirkt!

    Formale Brüche kennen und schätzen wir ja seit dem späten Beethoven.

    Eventuell hatte die Komposition für Smetana auch einen therapeutischen Zweck. Jedenfalls denke ich dass er das beste aus seiner Situation gemacht hat.

    Einmal editiert, zuletzt von Khampan ()

  • Heute also die 1962er Aufnahme des Smetana-Quartetts, die ich in dieser Box habe:



    Krummacher schreibt übrigens von einer Zerrissenheit des Werks ... ja, kann ich gut nachvollziehen ....

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Hier lief das 2. mit dem Pavel Haas Quartett - sehr zu empfehlen!

    Bei mir soeben auch, danke für die Empfehlung - mein CD-Kauf diese Woche hat sich wirklich gelohnt.

    Tolles Werk, finde ich.


    das ist schon ungewöhnlich expressiv

    :jaja1: Mich fasziniert das Zerrissene dieser Streichquartettmusik. Durch alle vier Sätze gibt es nichts zum Festhalten. Es könnte jederzeit "alles passieren" (und es passiert ja auch jederzeit alles), die Anspannung ist extrem. Für mich eine weitere spannende Neuentdeckung, vielen Dank für den Impuls! Und die diskografische Lücke ist auch gefüllt, so soll es sein!

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Pavel Haas Quartett auch bei mir zum ersten Mal.

    Hier lief das 2. mit dem Pavel Haas Quartett - sehr zu empfehlen!

    Bei mir soeben auch, danke für die Empfehlung - mein CD-Kauf diese Woche hat sich wirklich gelohnt.

    bin gerade geplättet von der Aufnahme. Obwohl ich das Werk seit Jahrzehnten kenne, war es wie eine Neuentdeckung. Die moderne Quartettkultur mit reinen Akkorden (nicht ständig zu hoch intonierender 1. Violine etc.), variablem Vibrato, variablen Klangfarben und expressiven Dynmikkontrasten macht das Werk noch spannender und lebendiger, als ich es kannte.

    Der Einsatz dieser Mittel geschieht spürbar aus Liebe zu dem Werk und dem tschechischen "Nationalheiligen" Bedřich Smetana und passt jedenfalls optimal zu der hier oft genannten Zerrissenheit des Werks.


    Gänsehautstelle: 1. Satz ab 4:10 - plötzliche F-Dur-Idylle, traumartiger Lichtblick am Ende des dramatischen Satzes (der in d-Moll beginnt und in F-Dur endet! 2. Satz in e-Moll!). Nie so überzeugend und überraschend gehört.

  • Ich wollte diese Pavel Haas ja ohnehin bestellen! Eure Begeisterung steckt an.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

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