Streichquartett der Woche - ein lockerer Austausch

  • Ich staune immer wieder über die breite und detaillierte Kenntnis des Repertoires durch unsere Forianer ...

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

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    Das Streichquartett, Nr. 5, op.64, des 28-jährigen Darius Milhaud entstand 1920, ist viersätzig und dauert knapp 20 Minuten. Es gibt zumindest zwei Einspielungen, die man auch auf yt hören kann, im obigen Fall mit der Partitur. Weitere Aufnahmen habe ich nach nicht übermäßig intensiver Recherche keine gefunden.


    Mit weitergehenden Eindrücken, Erfahrungen und Analyseversuchen möchte ich mich (vorerst zumindest) zurückhalten - da freue ich mich auf Eure Kommentare.


    Natürlich spricht mich das Quartett an, sonst hätte ich es nicht gewählt. Milhaud ist mir relativ gut vertraut, vielleicht mehr, als seine Bedeutung nahelegen würde. Aber kann man das beurteilen?


    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Die Nummer 5 also! Na denn ...ich bin gespannt!

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Nun gerade zum ersten Mal gehört, mit dem Quatuor Parisii


    In der Tat ziemlich heavy. Steige da in den einzelnen Sätzen formal noch überhaupt nicht durch. Der Kopfsatz kommt mir wie ein Kontinuum vor oder ist das was Fugiertes? Ganz besonders hat mich auf den ersten Lausch der langsame Satz angesprochen. Wie sagt MB immer so treffend - das wird eine gute Woche!

  • Erste ungeordnete Gedanken beim erstmaligen Hören:


    1. Satz. Wirkt wie eine Minimal-Music-Fuge. Als Hörer gleite und glitsche ich (positiv gemeint) durch den Satz mit noch unbekanntem Ziel.


    2. Satz. Nadelartiges Gestocher, angenehmer Nähmaschinencharakter. Eine Melodei ist erkennbar.


    3. Wehleid, grau, dazwischen ein wenig Spannung , dann nochmal fahl.


    4. Wiederaufnahme des Gedanken und der Stimmung aus dem 1. Satz, Aufnahme der Sätze 2 und 3. Abrupt, der Traum hat ein jähes Ende.



    Musik ohne Widerhaken, Einheit im/durch den Rhythmus, deswegen blieb ich dran - vielleicht das Geheimnis dieser Musik. Kein Schreiten oder Kämpfen zu einem Ziel, sondern Blick auf eine Stimmung. Ein Gedanke auf 18,42 Minuten komprimiert ;) . Wiederhörfaktor: groß!



    Gruß

    Josquin

  • Als Hörer gleite und glitsche ich (positiv gemeint) durch den Satz mit noch unbekanntem Ziel.

    So ging es mir auch, schön formuliert!


    Da die CDs mit dem Quatuor Parisii nicht mehr aufgelegt werden, noch folgende Links:

    Qobuz, mit der Möglichkeit, die Tracks zu kaufen.

    Spotify

  • Hier lief das Werk ebenfalls mit den Parisiis ... was für eine geniale Polyphonie! Diese Gallier ...

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • ... was für eine geniale Polyphonie! Diese Gallier ...

    ... genau, eine angenehme.

    Das freut mich, Josquin! Es überrascht mich auch ein wenig. Oder bist Du mit Milhaud schon besser vertraut? Denn so leicht zu hören ist das doch gar nicht. Stichwort: Polytonalität respektive Bitonalität - Milhauds wesentlichstes Stilprinzip, das man sogar den an sich sehr leicht zu verstehenden südamerikanischen oder südfranzösischen Tanz-Suiten anhört, etwa Le Carnaval d'Aix oder Saudades do Brasil, oder dem oben von Mauerblümchen auf Lateinisch benannten Ochsen auf dem Dach: Le boeuf sur le toit, vermutlich Milhauds populärste Nummer neben Scaramouche.


    Aber dort wird die Polytonalität als Farbwert verwendet bei ansonsten tonalen und eingängigen Basismelodien. Im fünften Streichquartett geht der Gesamteindruck ins Atonale, weil die Einzelmelodik zum einen nicht sonderlich zum Nachsingen einläd, zum anderen quasi gleichbereichtigt erscheint innerhalb einer "geniale[n] Polyphonie" Grins2 . 1920 war Milhaud dieses Prinzip also bereits wesentlich und ab den Dreißigern geht es tendenziell im gesamten Werk - mit einigen Ausnahmen wie zum Beispiel dem zweiten Violinkonzert oder dem (ersten) Konzert für zwei Klaviere und Ensemble, noch später dann etwa dem Harfenkonzert oder dem Klarinettenkonzert - genau darum. Eine vordergründige Sanglichkeit interessiert ihn kaum mehr.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • @ alle, @ Josquin: Du hast bezüglich des ersten Satzes von einer "Minimal-Music-Fuge" gesprochen. Ist Dir im vierten Satz dieser verblüffende, quasi barocke, abrupte Wechsel von piano und forte aufgefallen? Um Deine Idee aufzugreifen: Das passt hier noch stärker, hat aufgrund der "Nähmaschine"n-Stimmung (Ausdruck auch von Dir) etwas grell Expressionistisches, wie ich meine. Das wirkt (auch) auf mich sehr atmosphärisch, aber das ist keineswegs die Atmosphäre von Milhauds Schlagern und das ist auch keine quasi naturhafte, romantische, elegische, morbide und genauso wenig eine taghelle Atmosphäre. Maschinenmusik der wieder anderen Art.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Hier nochmal Smetana 2 mit den Pavelhasen ... ja, ich stimme in den Chor ein: Das ist die Überzeugendste ... wenn auch Prazak wirklich hörenswert war ...

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Milhaud Nr. 5. Absolutes Neuland für mich. Danke schonmal für diesen Impuls, lieber Wolfgang!

    Für mich auch. Obwohl ich die CDs mit dem Quatuor Parisii besitze, habe ich das meiste daraus noch gar nicht gehört. Und SQ 5 vermutlich auch nicht. :versteck1:


    Auch der Kommentar aus der renommierten Zeitschrift Gramophone macht neugierig :) .


    ... I have to say that the Fifth Quartet is an absolute stinker. How on earth did Milhaud come to write it? One answer might be that the quartet medium was the laboratory in which he liked to conduct his experiments.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Hübscher Kommentar, wobei mir ein anderes Wort als stinker eingefallen wäre, das wörtlich fragwürdig ist und im übertragenen Sinn ... eigentlich genauso. Aber es macht in der Tat neugierig. :P


    Insofern ein Dankeschön an Wieland. Die Fantasie ist angeregt, die anschließende Frage mit einer möglichen Antwort leuchtet ein - ist nun auch nicht genial originell.


    Vorhin habe ich mir mal wieder die Quartette 12 und 14 plus 15 - fürs Erste getrennt - angehört. Doch, da findet sich melodisches Material greifbarer als im fünften, aber es hat nicht wirklich jeweils den Charakter eines Themas, ist eher kurzatmig und - soweit ich das beurteilen kann, wohlgemerkt - stellt auch keine Basis für irgendwelche Bearbeitung dar. Ich glaube nicht, dass es Milhaud in diesen Experimentierfeldern darum ging; ich glaube auch nicht, dass es ihm bei den meisten seiner oben genannten Publikumsrenner darum ging. Letztere sind primär gereihte folkloristisch angehauchte Melodien.


    Leider fehlen mir Material und Kenntnis, um die bereits genannten Beobachtungen im Hinblick auf die Polyphonie zu spezifizieren. An regelrechte Fugen glaube ich nicht - hört man das heraus?? Was ich höre, ist das polytonale Spiel mit melodischen Phrasen.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Nach einem ersten Hördurchgang vermute ich mal, dass das nicht eines meiner Lieblingsquartette wird, vor allem die Ecksätze sind tough. Ob das FMQ dem Werk gerecht wird, kann ich gar nicht sagen ohne Vergleichseinspielung. Morgen höre ich mal die Parisii.


    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Wieland besitzt ja die Integrale mit den Parisii, während ich sie mir - unter Verwendung moderner Methoden [ ;) ] - zusammengestöpselt habe, nicht alle Parisii-Einspielungen kenne und nur von den Quartetten etwas genauere Angaben besitze, die das Fanny-Mendelssohn-Quartett auf ihren meines Wissens drei verfügbaren CDs eingespielt hat. Außerdem enthält die schöne Zehner-Box Une Vie Heureuse eine CD mit den Quartetten 12, 14, 15, mit dem 14/15-Kombi-Oktett und mit noch einmal anderen Interpreten.


    Aber insofern steht im Regal auch die oben von Wieland verlinkte CD. Das Booklet spricht für den ersten und für den letzten Satz vor allem von einer "konsequenten Selbständigkeit" der Einzelstimmen. Das wäre nun bei einer Fuge keineswegs der Fall, meine ich - das Problem steht ja im Raum und ich habe mich bereits in dezentem Halbwissen dazu geäußert. Lieber Kollege: Was gibt das Booklet der großen Gesamteinspielung her?


    Einen Vergleich des Quartetts der Woche mit den beiden Formationen muss ich noch anstellen.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Lieber Kollege: Was gibt das Booklet der großen Gesamteinspielung her?

    Das - lieber Kollege - kann ich erst berichten, wenn ich Ende der Woche wieder in HH bin.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Was mir gestern noch aufgefallen ist: Der Finalsatz steht ja im 5/4-Takt. Man möchte das überprüfen, doch so etwas wie eine pulsierende Rhythmik stellt sich beim Zählen durchaus nicht ein.


    Das verstärkt im Verein mit den abrupten Dynamikwechseln und natürlich der musikalischen Gesamtanlage (für mich) den Eindruck einer seltsamen Statik hinter dem hohen Tempo und der gleichbleibenden Beweglichkeit. "Minimal Music", von der oben Josquin gesprochen hat, oder der Hochgeschwindigkeitszug, auf den Honegger hingearbeitet hat - das käme mir hier (wiederum) in den Sinn.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

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