2023 - ein in Deutschland produzierter Film gewinnt 4 Oscars und 7 BAFTAs, was bis dato noch kein anderer deutschsprachiger geschafft hat. Das muss kein Zeichen für Qualität sein, aber zumindest ist es ein Hinweis auf Aufmerksamkeit und Beachtung für den deutschen Film.
Und dabei sah es zu Beginn der Filmgeschichte ganz anders aus. Der deutsche Stummfilm besaß absolute Weltgeltung und möglicherweise wäre es dabei auch geblieben, wenn es nicht das Dritte Reich mit seiner die Kreativität äußerst einschränkenden Kulturpolitik und dem Vertreiben zahlloser Künstler gegeben hätte. Davon hat sich der deutsche Film bis heute nicht erholt.
Trotzdem sind die 12 Jahre der Diktatur kein schwarzes Loch absoluter Kunstferne. Der deutsche Film in diesen Jahren ist durchaus vielfältig. Natürlich gab es keine direkten regimekritischen Werke, dafür sorgte schon die Reichsfilmkammer mit all ihren Zensurmöglichkeiten und das 'erfolgreich' bis zum Schluss. Aber es gab eine Bandbreite, nicht nur im propagandistischen, sondern auch im künstlerischen Bereich. Ob es dabei Filme von 'Weltformat' herausgekommen sind, wie einst in der Zeit von 'Cagligari' bis hin zu 'M', ist die Frage. Dass aber trotz allem auch Werke entstehen konnten, die noch heute künstlerisch herausstechen, ist vielleicht sogar eine Absonderlichkeit für dieses so sehr geschlossene, kunstfeindliche System.
Zensur gab es damals überall, aber z.B. in den USA hat möglicherweise der doch recht strikte Hays-Code sogar manch einen Regisseur zu besonderer Kreativität 'gezwungen' (was aber die Zensur in keiner Weise rechtfertigen soll). Nur war das deutsche System um einiges schärfer, bedrohlicher, gefährlicher, umfassender. Hier ging es - vielleicht sogar - um's Leben, nicht 'nur' um eine berufliche Karriere. Dazu gab es einen erzwungenen Exodus wohl hunderter von Filmkünstlern aus allen Bereichen, die nicht ersetzt werden konnten und von denen dann v.a. Hollywood sehr profitiert hat. Auch gingen natürlich mögliche internationale Märkte (v.a. Großbritannien und USA) spätestens mit dem Kriegsbeginn verloren, wobei allerdings schon vorher klar war, dass die 'Welt' sich für deutsche Produkte ab 1933 nicht mehr sonderlich interessierte.
Inwieweit alle deutschen Produktionen seit der Machtübertragung reine Propagandafilme waren, ist eine vieldiskutierte These. Da es keine gesellschaftskritischen Filme mehr geben konnte, dienten natürlich alle, gewollt oder ungewollt, auch der Systemerhaltung. Film - mindestens - als Ablenkung, als Flucht. Gewünscht, gewollt, aber von den Zuschauern, gerade auch in den Kriegsjahren, auch so verstanden und herbeigesehnt. Dabei scheinen die reinen Unterhaltungsfilme, sprich die Revuefilme und Komödien nur einen Teil der gesamten Produktion ausgemacht zu haben. Dagegen standen die absoluten und versteckten Propagandafilme, die Durchhalte-, Kriegs-, Abenteuer-, 'Problem'-, Historien-, Dokumentarfilme oder die Klassikerverfilmungen. Es gab aber auch die, die unter dem Deckmantel der Unterhaltung eine Ahnung von Kritik, zumindest der Realitätsnähe zeigten (und oftmals sofort große Probleme bekamen). Was es allerdings nicht gegeben hat, sind Regisseure, die noch unter der Diktatur begannen und danach weltweites Renommee erlangten, wie de Sica, Rossellini, Visconti oder Kurosawa, Ozu. Helmut Käutner hätte wohl am ehesten die Fähigkeiten dazu gehabt, aber vielleicht haben auch die gesellschaftlichen Verhältnisse nach '45 das nicht gefördert.
Filmische Innovationen, womöglich eine neue Filmsprache - in der Regel Fehlanzeige. Höchstens im Dokumentarbereich (und da ausgerechnet vermischt mit perfider Propaganda) konnte das Dritte Reich noch einmal internationale Geltung und nachhaltige Bedeutung erlangen. Leni Riefenstahls 'Triumpf des Willens' und die beiden Olympia-Filme haben nachhaltig visuelle Standards in den jeweiligen Bereichen gesetzt. Der Rest hingegen ist filmische Durchschnittskost, wenn es auch immer wieder Ausreißer nach oben gab. Vergleicht man aber z.B. die heimischen Produktionen mit denen von MGM, dann zeigt sich, abgezogen die bessere technische Qualität bei den Amerikanern, kein so großer Unterschied. Einer Masse von 'Masse' stehen jeweils relativ wenig künstlerisch interessantere Produktionen gegenüber.
Ähnliches (im Vergleich mit MGM) gilt übrigens auch bei den Schauspielern, die, wenn sie nicht unbedingt weggehen mussten oder wollten, aufgrund der Sprachbarriere eher in Deutschland blieben. Die deutschen Filme der damaligen Zeit verfügten über einen Riesenschatz an hervorragenden Schauspielern und 'Stars', die, unabhängig vom damals oftmals sehr pathetischen Schauspielstil, einen Vergleich mit internationalen Kräften nicht unbedingt zu scheuen brauchten.
Warum also soll man sich deutsche Filme in der Zeit von 1933 - 1945 anschauen? Weil die Riefenstahl - trotz allem - den Dokumentarfilm vorangetrieben hat. Weil es von 'Amphitryon' bis 'Unter den Brücken' tolle, gewagte Produktionen gab. Weil manche Komödien immer noch Spaß bringen. Weil so viel immer noch ein 'Tanz auf dem Vulkan' ist. Weil man so viel über unsere deutsche (Alltags-)Geschichte erfährt. Weil diese Zeit eben kein 'schwarzes Loch' ist, sondern auch ein filmisches Kontinuum darstellt zur Nachkriegszeit. Weil diese Filme auch hinführen zum 'Oberhausener Manifest' und zum 'Neuen deutschen Film'. Und weil sie auch erklären, warum erst 2023 ein deutscher Film 4 Oscars gewinnen konnte.
Und was genau soll man sich ansehen? Ich denke, jeder muss wohl selber wissen, wie tief er/sie/es in diesen Abschnitt der deutschen (Film-)Geschichte einsteigen möchte. Persönlich würde ich sagen möglichst viel, damit man das ganze Bild erhält. 'Hitlerjunge Quex' bis 'Große Freiheit Nr. 7', 'Liebelei' bis 'Kolberg'. Ich habe da wenig bis gar keine Berührungsängste, nur 'Jud Süß' und 'Der ewige Jude' haben ich mir bislang nicht angesehen.
Ich werde (und ich hoffe, ich bin da nicht alleine) hier in der kommenden Zeit immer wieder mal Produktionen aus dieser Epoche vorstellen, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung oder ihrer künstlerischen Qualität. Wichtig ist mir dabei nur, dass sie zur Abrundung oder Ergänzung unseres Bildes beitragen können.
Wolfram