'Blendgranaten' - der deutsche Film 1933-45

  • Ein Gutteil der Zuschauerinnen hätte mit Begeisterung mit Marian Rassenschande betrieben

    Grins2

    Aber trotzdem ging der Film, was Zuschauerzahlen anging, schon ziemlich auf - in seinem Sinn. Ob das bei einem Großteil der Zuschauer nun zur Verfestigung von Antisemitismus führte, wird man wohl nicht klären können. Ich könnte mir vorstellen, bis zu einem gewissen Grad ja, aber zu dem, was dann unter 'Endlösung' lief, hätten die meisten sicherlich nicht ihre Zustimmung gegeben. Aber man weiß es nicht.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Eben wieder das alte dramaturgische Problem nicht bedacht, daß der Schurke und Teufel meist die weit ergiebigere und interessantere Rolle ist als der Held. Dazu ein Darsteller mit erheblicher erotischer Ausstrahlung, der sei es bewusst oder unter der Hand mit seiner Figur punktuell sogar Mitleid erzeugen kann.

    “There’s no point in being grown up if you can’t act a little childish sometimes” (Doctor Who, der Vierte Doktor)

  • Eben wieder das alte dramaturgische Problem nicht bedacht, daß der Schurke und Teufel meist die weit ergiebigere und interessantere Rolle ist als der Held. Dazu ein Darsteller mit erheblicher erotischer Ausstrahlung, der sei es bewusst oder unter der Hand mit seiner Figur punktuell sogar Mitleid erzeugen kann.

    In der Tat. Und in der Tat ein kaum zu lösendes Problem. Hätte man Goebbels doch davon nur überzeugen können. ;)

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Marian wäre froh drum gewesen. Bekanntlich war er alles andere als ein Parteigänger und wurde zur Übernahme der Rolle nach einem halben Dutzend Absagen mehr oder minder genötigt, die ihm riesigen Erfolg und Unglück zugleich brachte. Arme Sau…

    “There’s no point in being grown up if you can’t act a little childish sometimes” (Doctor Who, der Vierte Doktor)

  • Heute einen weiteren Propagandafilm geschaut:

    Einer der größten Erfolge des deutschen Films dieser Zeit, einen, den ich als Heranwachsender sogar im TV sehen konnte, trotz der eindeutigen Propaganda, die permanent verbreitet wird, ein Film, von dem meine Eltern, ich will nicht sagen geschwärmt haben, aber den sie sehr mochten, obwohl sie sonst mit den 'klassischen' Filmen dieser Spezies nichts anfangen konnten.

    Das ist aber vielleicht gerade das Perfide an diesem Film, dass er so 'nett' daherkommt, dass er scheinbar so 'normal' erscheint. Eine rührend-rührselige Liebesgeschichte, ein wenig Krieg, ein wenig Erinnerung an Olympia und eine ganze Menge 'Wunschkonzert', dieser damals so äußerst populären Rundfunksendung.

    Die allermeisten Menschen damals konnten die Grundthematik dieses Films nachvollziehen: Trennung, Angst um geliebte Menschen, Sehnsucht, der Wunsch, Verbindung zu halten. Und genau diese sehr berechtigten Gefühle nutzt der Film aus, um die Mär der großen Volksgemeinschaft zu spinnen. Schlimm am Krieg ist, dass einer geht und einer bleiben muss und ansonsten ist er vor allem Kameradschaft, viel Singen, viel Spaß und ja, einen Toten gibt es auch, aber der ist ja nur aus Opferbereitschaft für 'die Sache' gestorben.

    Ansonsten ist das Volk der Deutschen edel, anständig, pflichtbewusst, hilfsbereit und hält zusammen. Wer möchte da nicht gerne leben? Und sie haben eben die Volksgemeinschaft, die braven Deutschen, sind alle verbunden miteinander, die hier an der Heimatfront und die dort, die kämpfen müssen. Wofür ist egal, es ist halt Krieg und da muss man ran. Und was hält sie zusammen, diese Anständigen? Die Musik, die Kultur. Beethoven und Bach, Schlager, Märsche und auch die Folklore.

    Wie gesagt, Millionen haben das Wunschkonzert gehört und sich dieser Sendung auch bedient, um irgendwie Kontakt halten zu können mit ihren geliebten Menschen. Das war ein allgemeines Thema und weil die Propaganda dieses Films diese Gefühlslage der Bevölkerung so sehr benutzte, konnte er wohl auch so erfolgreich werden. 'Kolberg' war, unabhängig von der damaligen wirklich total desolaten Situation vielleicht zu abstrakt für die Menschen. Hier, beim 'Wunschkonzert', befürchte ich, hat die Propaganda wirklich funktioniert, denn wenn die Ausgangssituation schon real war, dann muss der Rest doch auch stimmen, oder?

    Ich wüsste gerne, ob der Film bei der damaligen TV-Premiere 1974 gekürzt war und ob es eine historische Einordnung gegeben hat. An so etwas erinnere ich mich nicht, aber an Schnitte glaube ich auch nicht. Wenn man diesen Film dadurch von seiner Nazi-Ideologie befreien möchte, blieb kaum noch etwas übrig.

    'Wunschkonzert' - damals ein für die Nazis ungemein wichtiger Film. Goebbels selber hat immer wieder in das Drehbuch eingegriffen und Dialogzeilen diktiert. Ilse Werner wehrte sich, wurde aber vom Minister, der sie unbedingt haben wollte, geradezu verpflichtet. Ida Wüst und Hans Adalbert von Schlettow (Fritz Langs Hagen) waren als Denunzianten bekannt und gefürchtet. Weiß Ferdl war zunächst glühender Nazi, machte aber im Verlauf des Krieges immer häufiger 'anstößige' Bemerkungen, die ihn auch ins Gefängnis brachten. Dann gab es die Reihe von Schauspielern, die gerne in Propagandafilmen besetzt wurden und damit wohl keine Schwierigkeiten hatte und solche, die politisch eher unzuverlässig waren. Und im 'Showteil' finden sich dann Paul Hörbiger, bekanntermaßen kritisch zum Regime stehend, der schwule Hans Brausewetter und Eugen Jochum mit den Berlinern. Die spielen ausgerechnet die Ouvertüre zu 'Figaros Hochzeit', eigentlich kein Stück, dass in die Nazi-Ideologie hätte passen dürfen.

    Diese eher 'zweifelhaften' Besetzungen und Komponenten sind aber mit Sicherheit kein stiller Protest des Regisseurs, sondern eher auf die Inkonsequenz des Regimes und/oder auf dessen Dummheit zurückzuführen.

    Viele der Unterhaltungsfilme muss man durchaus differenziert betrachten. Bei diesem, der so lange im Bewusstsein von Zeitzeugen immer als solch einer galt, muss man sich die Mühe nicht machen. Durch und durch perfide Propaganda.

    :wink:Wolfram


    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Am 30.01.1933 begann bekanntermaßen das 'Dritte Reich' und nur einen Tag später erfolgte die Premiere von 'Morgenrot', einem klassischen 'Wir-sterben-für Deutschland-Epos' und entsprechend im 'Völkischen Beobachter' bejubelt. Kurz vor Jahresende, nach einer der letzten Uraufführungen dieses Jahres, jubelte das selbe Blatt erneut, diesmal für 'Viktor und Viktoria'.

    Dabei könnten beide Filme kaum unterschiedlicher sein. Reinhold Schünzels Film (das bekannteste Remake ist sicherlich Blake Edwards 'Victor/Victoria') hat nichts Militaristisches an sich, verkauft keine Opferungsideologie, verherrlicht in keiner Weise irgendeine Nazi-Ideologie. Eigentlich ganz im Gegenteil.

    Viktor, ein abgehalfterter Schauspieler (Hermann Thimig) schlägt sich mit Damenimitationen durch. Aufgrund einer Infektion kann er ein Engagement nicht erfüllen und überredet deshalb die ähnlich erfolglose Schauspielerin Susanne (Renate Müller), seinen Job zu übernehmen, was bedeutet, dass sie zunächst zu einem Mann wird, die dann auf der Bühne eine Frau darstellt. Sensationeller Erfolg. Bei einem Gastspiel erregt sie dann die Aufmerksamkeit von Robert (Adolf Wohlbrück). Seltsame Anziehung, aber sehr schnell erkennt er die Frau hinter dem gespielten Mann, verliebt sich in sie und - Happy End.

    All das dargeboten als Filmoperette mit vielen und langen, gesungenen Dialogen. Ein reiner Unterhaltungsfilm, weshalb er wohl von der nationalen Presse auch so bejubelt wurde, und trotzdem einer, der die Grenzen zwischen den Geschlechtern verwischt und auf äußerst elegante und (für einen deutschen Film) ungewohnt leichte Art mit dem Thema spielt. Und der auch heute noch funktioniert. Ich bin kein Freund von gesungenen Dialogen, jedenfalls nicht in dieser Art, aber der Film machte auch mir einfach nur Spaß.

    Ein später Abgesang auf die Verwegenheit der 'Zwanziger Jahre' und die Filmoperette der frühen Tonfilmzeit, wenn auch ungleich leichter inszeniert. Und ein Film, der filmisch und überhaupt aus dem Einheitsbrei der meisten Unterhaltungsfilme herausragt. Nur 'Amphitryon', zwei Jahre später vom selben Regisseur gedreht, kommt dem noch sehr nahe, wobei ich die anderen Schünzel-Filme aus der Zeit nicht kenne.

    Und eben auch ein Film, der so überhaupt nicht in diese Zeit passte, aber trotzdem (und völlig zu unrecht) den Beifall des Regimes erhielt.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • 'Jud Süß' (1940) von Veit Harlan ist sicherlich der berühmteste, berüchtigste Nazi - Film überhaupt. Gesehen habe ich ihn noch nie, obwohl er bis vor geraumer Zeit noch auf YT zu finden war. Aber ich kenne natürlich Ausschnitte, nur gesamt wollte ich ihn mir nicht anschauen.

    Trotzdem habe ich heute noch einmal mit diesem Film begonnen, der sich um die Geschichte des Films dreht:

    Problematisch, wenn man einerseits dokumentarisch daherkommt und gleichzeitig doch recht massiv von den wirklichen Ereignissen abweicht.

    Möglicherweise ehrlicher scheint mir dann eine der literarischen Vorlagen zu sein, die ich mir heute bestellt habe:


    Da kaum jemand in Deutschland den Film aus erster Hand kennt, ranken sich natürlich entsprechende Legenden darum. Dass er antisemitisch in höchstem Grade ist, steht wohl außer Zweifel. Ob er ein filmisches Machwerk darstellt oder aber in diesem Bereich Qualitäten aufzuweisen hat, die dann möglicherweise die Wirkung auf der Leinwand verstärkt haben, lässt sich schonmal schlecht beurteilen. Ob die Schauspieler zur Teilnahme mehr oder weniger gezwungen wurden, ob sie gerne mitmachten, warum manche trotz Distanz zum Regime oder zur Thematik in dem Film auftauchen - ein durchaus spannendes, schwer zu verifizierendes Kapitel. Was übrigens auch für jemanden wie Otto Hunte gilt, der als Architekt an den großen Fritz-Lang-Filmen mitgearbeitet hat, wie auch am 'Blauen Engel' und später nahtlos bei der Defa beschäftigt wurde. Eine späte Karriere, die auch für den Kameramann Bruno Mondi gilt.

    Welch innerer und äußerer Druck bewegte also die Mitwirkenden (und dazu gehörten natürlich auch der Regisseur und seine Ehefrau/Hauptdarstellerin), welche Kontinuitäten jenseits ideologischer Grenzen gab es für sie auch nach 1945? Bei wem und warum wurde z.B. 'ein Auge zugedrückt'?

    Ferdinand Marian hat sicherlich für seine Teilnahme am stärksten gebüßt. Berufsverbot und dann ein zweifelhafter Tod. Hätte er sich vielleicht doch herauswinden können? Was war mit dem 'einigen Nachhelfen' in Goebbels Tagebuch genau gemeint? Gehörte er zu den Schauspielern, bei denen ein eindrucksvolles Rollenspiel stärker als Moral zählte? Ich bin gespannt, was dazu in dem Buch stehen wird.

    Aber unabhängig davon bleibt die simple Tatsache bestehen, dass all die Filme, die im Dritten Reich gedreht wurden, logischerweise nicht ohne die 'Filmleute' zustande gekommen wären. Was trieb sie an, sich in diesen Bereich zu begeben, mitzumachen, sich anzudienen? Hundert 'Filmleute und mindestens hundert Antworten.

    Darf man diese Frage aus unserer heutigen, sicheren Gegenwart überhaupt stellen? Natürlich, nur sollte man mit vorschnellen Verurteilungen sehr vorsichtig sein. Aber wichtig erscheint es mir doch, ist diese Zeit ja geradezu ein Lehrstück menschlichen Verhaltens, menschlichen Seins, was dann auch immer wieder Fragen an uns selber richtet.

    'Jud Süß' ist sicherlich ein Extrem, die Mitwirkung daran war eine andere als an einem 'normalen' Unterhaltungsfilm. Wirklich? Als 'Filmmensch' begab man sich bewusst in diese Sphäre und niemand konnte glauben, davor gefeit zu sein, irgendwann einmal solche Filme drehen zu müssen - oder zu dürfen.

    Werner Krauß spielt gleich 6 Judenkarikaturen in 'Jud Süß'. Nach dem Krieg besucht die jüdische Exilantin Elisabeth Bergner ihn nach einer Theatervorstellung in der Garderobe (Warum eigentlich?) und er sagt zu ihr: "Wollen wir uns nicht wieder vertragen?" Was ist da in diesem Menschen Werner Krauß eigentlich vorgegangen vor und nach '45? Ideologiebegeisterung, Antisemitismus, Karrierismus, Naivität, Opportunismus, später dann schlechtes Gewissen, Abbügelnwollen, Scham, Wiedergutmachenwollen oder was auch immer?

    Im ersten Moment ist so viel so offensichtlich und trotzdem ist, bei näherem Hinschauen, so viel so zweifelhaft. Eindeutig ist nur, dass es wohl keine Eindeutigkeit gibt, damals nicht und heute auch nicht. Der deutsche Film im Dritten Reich, vielleicht wirklich eine Lehrstunde, wenn auch nicht unbedingt als filmisches Ereignis.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Ich denke, dass man sich selbst nur sehr bedingt in die Zeit 1933-1945 hineinversetzen kann. Mir erschließt es sich auch nicht, wie sich teilweise großartige Schauspieler "feiern" ließen, aber ich denke mal, dass Leute wie Heinz Rühmann einfach in den USA niemals zurecht gekommen wären. Andere wie Fritz Lang sind gegangen und haben ihren Weg gemacht.

    Wir stehen hier gerade vor anderen Problemen, aber auch hier stellen sie sich innzwischen viele Leute die Frage, wie es hier weitergehen wird. Früher war das auf einen Staat gemünzt, heute spricht man dabei sehr oft an Europa, der eigene Staat Deutschland wird dagegen sehr vernachlässigt. Das mag uns noch nicht so ganz auffallen, aber auch hier könnte es in den nächsten Jahren wieder sehr unangenehm werden. Da wird man sehen, wie sich die Menschen hier damit letzten Endes arrangieren werden.

    Mein Opa hatte sich kaum zur Nazi-Zeit geäußert. Seine Antwort war immer gewesen, dass "Man sich überhaupt nicht gewagt hat den Mund aufzumachen, weil man sonst ruck-zuck weg vom Fenster war". Er war 10 Jahre arbeitslos gewesen, musste aber eine Familie mit zwei Kindern durchbringen (später waren es drei).

    Wir alle können froh sein, dass wir damals nicht gelebt haben. Wir müssen uns (noch) nicht vor Bomben in den Bunker retten und müssen Angst haben verhaftet zu werden, usw. Doch wenn ich schaue, dass so etwas inzwischen immer näher kommt, wird einem schon ziemlich flau im Magen.

    Eine extrem schwierige Zeit, deren Anfänge ja klar vom Ergebnis des Versailler Vertrages zustande gekommen sind. Ich weiß, das ist jetzt ins "Politische" übergegangen, aber das Thema ist nun mal auch unmittelbar an die Politik dieser Zeit anknüpfend.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Welch innerer und äußerer Druck bewegte also die Mitwirkenden (und dazu gehörten natürlich auch der Regisseur und seine Ehefrau/Hauptdarstellerin), welche Kontinuitäten jenseits ideologischer Grenzen gab es für sie auch nach 1945? Bei wem und warum wurde z.B. 'ein Auge zugedrückt'?

    Das ist sicherlich das komplexeste Thema, denn es läßt sich nicht wirklich auf einen einfachen Nenner runterbrechen. Irgendwie habe ich schon das Gefühl, daß es eine latente Angst gab, die Viele in ihrem Nacken verspürten. Immerhin war das ganze Umfeld von der Familie bis hin zur ganzen Nation in der Hand dieser Ideologie, auch wenn die Überzeugungen daran beachtlich geschwankt haben (nur wurde darüber nicht geredet). Und viele werden sich einfach geduckt haben, um nicht negativ aufzufallen.

    Und ja - sowas erfaßt man vollends, wenn man selber in solch einer Lage war. Und das sind wir einfach nie gewesen.

    --

    Zum Film:

    Ich will nicht viel dazu sagen, nur dieses: er bleibt solange "Legende", bis er gesehen wird - dann tritt das ein, was ich als "Entzauberung" nennen würde. Er ist weder brillant noch besonders perfide; er ist ohne Frage tendenziell, aber erstaunlich plump in seinen propagandischen Mitteln.

    Vorbehalte sind verständlich - aber mehr darf es auch nicht sein.

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Mir erschließt es sich auch nicht, wie sich teilweise großartige Schauspieler "feiern" ließen, aber ich denke mal, dass Leute wie Heinz Rühmann einfach in den USA niemals zurecht gekommen wären. Andere wie Fritz Lang sind gegangen und haben ihren Weg gemacht.

    Auch da wird es eine Bandbreite von Gründen gegeben haben. Eitelkeit spielt sicherlich eine große Rolle dabei, Opportunismus, Überzeugung, Machtgier, aber auch manchmal mitmachen, weil man jüdische Ehepartner hatte, Juden und/oder politisch Verfolgte versteckte, politische Naivität oder schlichtweg auch Angst.

    Ein freiwilliges Exil wird für die meisten nicht infrage gekommen sein, weil sie als Schauspieler von der Sprache abhingen. Ein Grund, warum Emil Jannings wieder zurückkam. Werner Krauss andererseits war sogar mit gewissen Erfolg im Londoner West End aufgetreten. Aber dort einer unter vielen, während man in Deutschland Nr. 1 sein konnte...

    Dann gibt es aber auch Ulrich Haupt, der in Chicago geboren ist, in den USA in einigen Tonfilmen bereits gespielt hatte ('Morocco' neben der Dietrich), dann 1931 nach Berlin geht und dort bleibt. Bei ihm kann es nicht die Sprache gewesen sein, bekannter Nazi war er aber auch nicht.

    Es ist alles sehr vielfältig und wie meine Mutter wiederum immer sagte: "Wer es nicht selber erlebt hat, kann es sich nicht vorstellen.", was in gewisser Weise schlichtweg stimmt.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Lesenswert dazu ist das Buch von Zuckmayer: Geheimreport

    Ich habe das damals, als es herauskam, gleich gelesen und es ist wirklich interessant, was Zuckmayer, zwar aus einer gewissen Distanz, aber trotzdem wohlvertraut mit den Personen, über die er schreibt, über sie zu sagen hat.

    Ich erinnere mich an ein Zitat von Zuckmayer über Emil Jannings, der ja nun kräftig und gerne in Propagandafilmen mitgespielt hat: "Ich liebe dieses Schwein.", was sehr viel über die Wirkung (und den Charakter) von Jannings aussagt. ^^

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Irgendwie habe ich schon das Gefühl, daß es eine latente Angst gab...

    Und viele werden sich einfach geduckt haben, um nicht negativ aufzufallen.

    Die Angst gab es mit Sicherheit. Und was sollte man auch machen, wenn einem eine Rolle 'nahegelegt' wurde oder wenn wieder einmal eine Einladung zu irgendeinem Empfang kam. Hans Albers schlug solche Einladungen gerne aus, er war für seine oppositionelle Haltung ja bekannt, konnte dies aber auch nur, weil seine unglaubliche Popularität ihn schützte. Die wiederum konnte trotzdem nicht verhindern, dass auch er in reinen Propagandafilmen mitmachen musste. Es ging für Schauspieler durchaus auch darum, hier mal einzuwilligen, damit man an anderer Stelle eher den Rücken freihatte.

    Die große Mehrheit der Filmschauspieler damals kam ja vom Theater. Die wurden natürlich auch kontrolliert, aber manche hatten durchaus eine Art Inselcharakter oder waren eben auch weit von Berlin entfernt. Der Wechsel zum Film, den diese Schauspieler ja freiwillig unternahmen, bedeutete dann aber eine viel größere Nähe, zunächst rein räumlich, zum Regime. Aber viele werden sich das nicht bewusst gemacht haben und als sie erst einmal drinsteckten, war es zu spät.

    er bleibt solange "Legende", bis er gesehen wird - dann tritt das ein, was ich als "Entzauberung" nennen würde

    Ich denke auch, man sollte langsam diesen 'Vorbehalt' aufgeben. Verfügbar im Netz sind sie eh und zum Nazi oder Antisemiten wird durch diese 'Schinken' keiner mehr, der es nicht sowieso schon ist. Man nährt halt nur den Mythos.

    'Jud Süß' gab es in Deutschland in den 70iger und wohl auch 80iger Jahren übrigens ganz offiziell zu kaufen und zwar auf Super 8, herausgegeben von der UFA. Da gab es wohl eine Lücke im Gesetz und schwupp, wurde die alte Produktionsfirma sofort wieder aktiv. Ob das nun ein Renner war, möchte ich bezweifeln.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Es ist alles sehr vielfältig und wie meine Mutter wiederum immer sagte: "Wer es nicht selber erlebt hat, kann es sich nicht vorstellen.", was in gewisser Weise schlichtweg stimmt.

    Genau DAS habe ich ja auch geschrieben. Es muss eine Mischung aus "schön" und völlig grausam" gewesen sein, je nachdem, wie man selbst mit dem Ganzen umgehen und leben konnte oder wollte.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Für den Medienwissenschaftler Friedrich Knilli war der Holocaust in den Medien wohl ein Lebensthema, woraus auch dieses Buch resultierte:

    Er hätte ein riesiges Ferdinand-Marian-Archiv, er hätte sich über Jahrzehnte mit dem Film und diesem Schauspieler beschäftigt, er hätte diverse Zeitzeugen noch befragen können - so er selber im Vorwort. Folglich ist man gespannt auf die Beantwortung mindestens zweier Fragen: Hat Ferdinand Marian die Rolle wirklich mehrfach abgelehnt und vor allem warum wollte er ihn nicht spielen?

    Tja, leider ist man nach der Lektüre von gut 200 Seiten fast genauso schlau wie zuvor. Zweimal hat Marian die Rolle im Gespräch mit einem Vertreter der Produktionsfirma abgelehnt, einmal bei Veit Harlan, einmal bei Goebbels. Belege dafür (neben dem kurzen Eintrag in Goebbels Tagebuch): Marians eigene Aussage. Die wird hier zitiert, allerdings wie alle anderen Zitate ohne irgendeine Quellenangabe. (Die sollen sich auf einer speziellen Website befunden haben, die aber leider nicht mehr existiert.) Weitere Angaben aus seinem angeblich riesigen Archiv gibt der Autor nicht, so dass weiterhin offen ist, ob und wie vehement Marian sich wirklich gewehrt hat.

    Und auch die Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortet. Für den Autor steht nur fest, dass Marian dem Jud Süß sehr menschliche Züge verliehen, ihn als Aufsteiger mit ständigem Minderwertigkeitskomplex gespielt hätte. Mehr erfährt man kaum.

    Im Vorwort werden zwei Treffen mit Kristina Söderbaum genannt. Worüber sie und Knilli gesprochen haben, bleibt allerdings ein Geheimnis, immerhin teilt er dem Leser mit, dass sie vor dem Hotel von einem Hund gebissen worden wäre! Dagegen Auswertung von Akten, Korrespondenzen, Tagebüchern usw. - Fehlanzeige und so bleiben die wirklichen Hintergründe weiterhin unklar.

    Ein ärgerliches Buch, eine vertane Chance, aber vielleicht erklärt es, warum der u.a. darauf basierende Roehler - Film auch nicht besser ist. ;)

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Armer Knilli - so viel Archiv, und doch keine Antwort auf seine Frage bekommen. Da sind 200 Seiten als Kompensation schon ziemlich ungerecht... 8)

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • (D - 1938)

    Für drei Filme bei der UFA unterschrieb die Bergman einen Vertrag, aber nur dieser eine unter der Regie des Filmpioniers und 'strammen' Nazis Carl Froehlich wurde realisiert. Sie hätte zunächst die politische und gesellschaftliche Situation in Deutschland nicht verstanden, sehr schnell aber gemerkt, dass man als Filmschaffender, der etwas werden wolle, Parteimitglied sein müsse. Nun ja, jedenfalls verließ sie nach Ende der Dreharbeiten Deutschland und ging zurück nach Schweden.

    'Die vier Gesellen' ist eine leichte, romantische Komödie, routiniert inszeniert und eigentlich nicht weiter bemerkenswert, wäre es halt nicht der einzige deutsche Film der Bergman und gäbe es da nicht diese für einen im Dritten Reich gedrehten Film recht ungewöhnliche Ausgangssituation. Die vier Gesellen sind nämlich eigentlich Gesellinnen, vier Absolventen einer Grafikschule, die angespornt durch die Bergman sich selbstständig machen und ohne Protektion als Grafiker in einer Männerwelt beweisen wollen. Was auch funktioniert.

    So weit, so gut, aber letzten Endes verlangt eine romantische Komödie auch die Liebe. Das Quartett zerbricht, weil zwei von ihnen sich verlieben und heiraten (eine sogar erst nachdem sie schwanger geworden ist) und eine weitere eine eigenständige Karriere als Kunstmalerin anstrebt. Bleibt dann noch Marianne, eben die Bergman. Die befindet sich in einem Dauerclinch mit Hans Söhnker, ihrem ehemaligen Kunstprofessor, aber natürlich lieben die beiden sich.

    Da stellt sich dann die Frage, wie der Film enden kann. Im Sinne der Nazi-Ideologie müsste sie nun natürlich Ehemann gegen Beruf tauschen und sich auf ein Leben mit Puffer backen und Stümpfe stopfen freuen, mindestens ihre Karriere erheblich einschränken und dabei v.a. ihrem künftigen Gatten, dem Werbechef einer Firma, zuzuarbeiten.

    Das aber lässt der Film offen. Hans Söhnker verlangt von ihr nur, weiterhin so störrisch und unbequem zu sein, wie zuvor. Filmkuss, Abblende. Natürlich konnten sich der Autor und Carl Froehlich nicht dazu aufraffen, ihr klar und deutlich eine Zukunft als selbstbewusste Karrierefrau in einer Männerwelt und gleichzeitiger Ehegattin zu verschaffen. So weit wäre die 'Toleranz' der Zensur wohl nicht gegangen. So blieb es offen - aber immerhin. Eigentlich ein erstaunlicher Schluss für diese Zeit.

    Hitler mochte den Film übrigens nicht, trotzdem bekam er das Prädikat: 'künstlerisch wertvoll'.

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Hitler mochte den Film übrigens nicht, trotzdem bekam er das Prädikat: 'künstlerisch wertvoll'.

    Vielleicht genau deshalb?

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!