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Unterbrochen wird es, weil ich erstmals, obwohl seit ca. 30 Jahren im Regal
Wolfgang Koeppen. "Tauben im Gras" las.
Aktuell ist nun: Eine Lehrerin aus Ulm weigert sich, das Buch als Abitext in BaWü zu akzeptieren, weil darin (geschrieben 1951!) dauernd das N-Wort vorkommt und nun eine wahrlich deftige Debatte losgebrochen ist.
Dass das N-Wort so oft vorkommt, ist kein Wunder, denn in einer der vielen parallel erzählten Geschichten aus dem amerikanisch besetzten München von 1950/51 wird auch eine Liebesgeschichte einer Kriegerwitwe mit 11 Jährigen Sohn Heinz zu dem schwarzen Soldaten Washington erzählt und Heinz und Mutter haben so einiges auszuhalten.
Höhepunkt ist übrigens, als sie schwanger von Washington das Kind abtreiben lassen will, er es aber um ihrer Liebe willen verhindert, was sie fuchteufelswild macht. Soviel zum Rassimus.
So war es eben. Die Deutschen ersetzten ihren Antisemitismus durch Rassismus und Koeppen beschreibt das.sehr genau.
Aber das ist nur ein Aspekt dieses wunderbaren Buches.
Ich kann jetzt verstehen, weshalb Suhrkamp als Verlag Koeppen jahrelang finanzierte. "Tauben im Gras " sind besser als alles, was ich an frühen Werken Bölls oder gar Arno Schmidt gelesen habe. Und ne Thomas Mann "Verarsche" kommt auch vor, köstlich.
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Wolfgang Koeppen war mir bislang nur namentlich bekannt; aufmerksam wurde ich auf ihn durch die oben erwähnte Nachricht von der Lehrerin in Ulm, die sich weigerte, Tauben im Gras in ihrer Klasse zu behandeln, obwohl das Buch in Baden-Württemberg als Abitur-Pflichtlektüre an beruflichen Gymnasien vorgesehen ist (Zusammenfassung gibts bei Wikipedia).
Das hat mich neugierig gemacht, zumal der Roman als literarisch wertvoll eingeschätzt wird (z. B. von Marcel Reich-Ranicki). In der Tat: Ein faszinierendes Buch, das in seiner Erzählweise an Joyce (Ulysses) und Döblin (Berlin Alexanderplatz) anschließt und eindringlich die westdeutsche Gesellschaft um 1950 schildert, in vielen einzelnen Szenen mit vielen Figuren, die sich alle an einem Februartag 1951 (die genaue Datierung ist nicht ganz klar) in einer deutschen Großstadt in der US-amerikanischen Besatzungszone (München?) begegnen und dabei oft verfehlen.
Rassismus (Antisemitismus, Verachtung schwarzer Menschen) ist ein zentrales Thema; Koeppen schildert das schonungslos (gelegentlich auf groteske Weise komisch), wobei die Perspektive des Erzählers und seiner Figuren ineinander verschwimmen (innere Monologe, wie gesagt: das klingt an Joyce und Döblin an). Im Grunde sind alle im Roman auftretetenden Figuren mehr oder weniger traumatisiert.
Ob ich das als Lehrer mit meinen Schülern hätte lesen wollen? Ich bin da skeptisch, denn die Auseinandersetzung mit Tauben im Gras finde ich höchst anspruchsvoll, für Lehrer wie Schüler. Die Ulmer Lehrerin kann ich da schon verstehen.