West - östlicher Kulturaustausch

  • Ein Sonderfall war ja dann wieder Bayreuth, das in den Siebzigern und Achtzigern einen Gutteil des Orchesters aus der DDR und Osteuropa bezog.

    Und immer wieder auch Sänger. In den 1950er Jahren traten da (neben Adam natürlich) auch Gisela Schröter oder Harald Neukirch (beide noch in Dresden im Ensemble) in Nebenrollen auf. Und Leute wie Gerherhard Unger und Gerhard Stolze waren ja damals auch Ensemblemitglieder der Ostberliner Staatsoper. Als Adam 1962 nicht in Bayreuth auftreten durfte (wegen des Mauerbaus 1961) drohte er unverholen, ganz rüberzumachen, wenn er ab 1963 nicht wieder in Bayreuth singen dürfe - und siehe da, er durfte!

    In den 1960er Jahren sang Adam dann den wotan und seine Ostberliner Ensemblekollegin Annelies Burmeister war seine Fricka, Peter Schreier sang mal den jungen Seemann und die Ostberliner Ensemblekollegin Ludmila Dvorakova sang in jenen Jahren auch alles Mögliche in Bayreuth. Ende der 1970er Jahre war der neue Bayreuther Tristan dann plötzlich Spas Wenkoff - der ein halbes Jahr zuvor bei Kupfer in Dresden seinen ersten (sensationellen) Tristan gesungenen hatte, der ihm den Weg an die Berliner Staatsoper und nach Bayreuth ebnete. Bei solchen Premieren wie dem Dresdner "Tristan" 1975 war Wolfgang Wagner natürlich da. Er inszenierte ja dann auch nach der Wiedereröffnung der Semperoper zwei Mal an diesem Haus Werke seines Groiooßvaters - die Mauer stand noch. In den späten 1980er Jahren kamen auch DDR-Sänger wie Ekkehard Wlaschiha, Eva-Maria Bundschuh und Uta Priew in Bayreuth zu ehren - Wolfgang Wagner hatte die alle in der DDR erlebt. Und auch Goldberg fiel nach seinem Katastrophen-Jahr 1982 (Abbruch der Wiener Tannhäuser-Premiere und kurzfristige Absage der Siegfriede in Bayreuth) nicht bei "WoWa" in Ungnade, sondern sang Ende der 1980er Jahre wieder regelmäßig in Bayreuth.

    Beste Grüße vom Stimmenliebhaber

  • Mit der „Creme de la Creme“ war das ja so eine Sache. Die DDR konnte sich die nur ausnahmsweise leisten, so daß die eher einen Bogen machten, und bei Auftritten der ganz großen Stars hockten dann haufenweise Bonzen drin. Im Repertoirebetrieb waren die wohl nur Glanzlichter für die beiden Spitzenhäuser, die Komische Oper arbeitete ja ohnehin anders.

    “There’s no point in being grown up if you can’t act a little childish sometimes” (Doctor Who, der Vierte Doktor)

  • Das Gewandhausorchester Leipzig war mindestens einmal auf einer West-Tournee in den 70er-Jahren, denn meine Eltern (als alte Leipziger, noch vor Mauerbau rübergemacht) waren ganz aus dem Ηäuschen und mussten damals unbedingt zum Konzert in Stuttgart. Das Programmheft habe ich nur noch schemenhaft vor Augen, gedruckt in der DDR und zur Tournee mitgebracht. Hier scheint mir der politische Faktor ein wesentliches Gewicht gehabt zu haben, das Renommier-Orchester des Arbeiter- und Bauern-Staates zum Vorzeigen in der kapitalistischen Welt…

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Hier scheint mir der politische Faktor ein wesentliches Gewicht gehabt zu haben, das Renommier-Orchester des Arbeiter- und Bauern-Staates zum Vorzeigen in der kapitalistischen Welt…

    Natürlich spielten solche Renommee-Fragen eine ganz wichtige Rolle. Beim Theater betraf das am ehesten Brechts Berliner Ensemble und Felsensteins Komische Oper, aber auch die Berliner Staatsoper gastierte mahezu in aller Welt, auch Dresden und Leipzig gastierten mehr, als man denkt, mehr als die Opernhäuser hier aber natürlich die Orchester, die Staatskapelle Dresden und das Leipziger Gewandhausorchester. Letzteres war gerade in den 1970er Jahren beinahe führend, gastierte regelmäßig in den USA und in vielen westeuropäischen Metropolen. Mit Chefdirigent Otmar Suitner zog auch die Staatskapelle Berlin immer mehr nach, hier war Japan ein wichtiger Schwerpunkt, wo Suitner beinahe vergöttert wurde.


    Im Gegensatz zu den einzelnen Solistengastspielen ging es bei den Gesamtgastspielen führender DDR-Orchester und Theater in der Tat weniger um Finanzielles als vielmehr um Renommee. Man strebte nach Anerkennung und hoffte, dass Anerkennung auf dem kulturellen Sektor auch zu allgemeiner Anerkennung führte (was ab den 1970er Jahren dann auf diplomatischer Ebene auch tatsächlich geschah).

    Beste Grüße vom Stimmenliebhaber

  • Wie hat man eigentlich West-Sänger in der DDR betrachtet? Dort trat dann ja wohl auch nur die Crème de la Crème auf. Hat man neidisch auf den Standard geschaut? Dachte man, dass die auch nur mit Wasser kochen?

    Als Wolfgang Windgassen 1966 an der Berliner Staatsoper Tannhäuser sang, fuhr Uta Priew extra nach Berlin, um diesen Sänger einmal live zu erleben - und war dann über das Erlebte ziemlich enttäuscht... Grins1


    Auch viele Berliner Stammoperngänger der damaligen Jahre (solche Vorstellungen wurden natürlich nicht an die Betriebe gegeben) berichteten enttäuscht, dass Windgassen zumindest an diesem Abend den angestammten Haus-Heldentenor Ernst Gruber nicht annähernd erreichte.


    Zum Thema "Bonzen": Wie gut, dass heute keine "Bonzen" mehr in Opernvorstellungen sitzen! :D

    Beste Grüße vom Stimmenliebhaber

  • mehr als die Opernhäuser hier aber natürlich die Orchester

    Was sicherlich auch daran liegt, dass rein organisatorisch und aus Kostengründen ein Orchestergastspiel einfacher zu organisieren ist. Galt auf westlicher Seite sicherlich genauso.


    Theater ist da auch noch einfacher, obwohl dann letztlich die Sprachbarriere wieder eine Rolle spielt. Aber das Berliner Ensemble unter Brecht (Gastspiel u.a. in Paris, wenn ich mich nicht irre) war natürlich einfach etwas, das jeder Theaterinteressierte sich brennend gerne angesehen hätte.


    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • dass Windgassen zumindest an diesem Abend den angestammten Haus-Heldentenor Ernst Gruber nicht annähernd erreichte.

    Kann ich mir irgendwie sehr gut vorstellen. :versteck1:


    :wink:Wolfram

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  • Was sicherlich auch daran liegt, dass rein organisatorisch und aus Kostengründen ein Orchestergastspiel einfacher zu organisieren ist. Galt auf westlicher Seite sicherlich genauso.

    Klar, aber in der Berliner Staatsoper gastierten ja auch nicht nur die Opernhäuser aus Moskau, Kiew, Budapest und den weiteren "sozialistischen Bruderrepubliken", sondern auch die Wiener Staatsoper, die Rheinoper, die Osloer Oper usw.


    Edit: Stuttgart und München waren auch da.

    Beste Grüße vom Stimmenliebhaber

  • sondern auch die Wiener Staatsoper, die Rheinoper, die Osloer Oper usw.

    Natürlich gab es das und in dem Fall kam da wohl auch wieder die Propaganda zum Tragen. Man darf ja nicht vergessen, dass bis in die 70iger Jahre hinein die Oper als das kulturelle Erlebnis galt. Jeder bedeutende Staatsmann oder auch jede bedeutende Staatsfrau musste hier einen Opernabend über sich ergehen lassen. Die Queen soll sich beim Münchner Rosenkavalier damals entschieden gelangt haben (dabei sang dort Wunderlich den Sänger Grins1 ) und Juan Carlos wurde in HH sogar ausgebuht, weil die Vorstellung um Längen zu spät anfing. Aber alles völlig wurscht, mit Oper konnte man renommieren.


    Ach, waren das Zeiten. ^^


    :wink:Wolfram

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  • Die Queen soll sich beim Münchner Rosenkavalier damals entschieden gelangt haben (dabei sang dort Wunderlich den Sänger Grins1 )


    :wink:Wolfram

    Wenn einem zur Krönung „Gloriana“ aufgetischt wird, kann man so eine gewisse Aversion doch wohl nachvollziehen. Zumal es in der Aufführung sicher keine Corgis gab und Pferde scho glei gar net!!

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  • Zumal es in der Aufführung sicher keine Corgis gab und Pferde scho glei gar net!!

    Bestimmt nicht, war noch kein Regietheater. Grins1


    :wink:Wolfram

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  • Zumal es in der Aufführung sicher keine Corgis gab und Pferde scho glei gar net!!

    Bestimmt nicht, war noch kein Regietheater. Grins1


    :wink:Wolfram

    Das Lever hat zwar Hunderln so klein (Karajan fiel in Salzburg mal vor Verblüffung der Taktstock aus der Hand, als bei einer Vorstellung plötzlich ein Königspudel auftauchte), aber auf die Vorlieben H. M. konnte man wohl keine Rücksicht nehmen. Mein Prof war übrigens in der Vorstellung…

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  • Mein Prof war übrigens in der Vorstellung…

    Dann hat er Wunderlich erlebt. Ach, die Gnade der frühen Geburt. ^^


    :wink:Wolfram

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  • Ich kannte mal jemanden, der hat die Callas 1955 in der Traviata gesehen. Da kam schon ein gewisser Neid auf. Wie hier. 8)


    :wink:Wolfram

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  • Er erzählt auch gern, dass er bei der Eröffnung Frau ohne Schatten am Büffet in der Schlange hinter ihm stand, sich natürlich nicht traute ihn anzusprechen

    “There’s no point in being grown up if you can’t act a little childish sometimes” (Doctor Who, der Vierte Doktor)

  • Hätte ich, glaube ich, auch nicht gemacht. Aber wir driften hier langsam ab. ;)


    :wink:Wolfram

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  • Nebenbemerkung: Lieber Wolfram, mit Wunderlich als Sänger hast Du nichts versäumt. Das war eine der wenigen oder die einzige Rolle, die ihm nicht so lag.

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Nebenbemerkung: Lieber Wolfram, mit Wunderlich als Sänger hast Du nichts versäumt. Das war eine der wenigen oder die einzige Rolle, die ihm nicht so lag.

    Da erzählt ja der Mann von Lisa della Casa, daß er den sonst so ruhigen Wunderlich vor der Aufführung nervös hin- und hergehen sah. Er sprach ihn an: "Sie sind nervös? Das kennt man von Ihnen gar nicht!" Wunderlich "Und ob, das ist eine Scheißpartie..."

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  • Ja. Adenauer sammelte die Witze, die man über ihn erzählte, Ulbricht sammelte die Leute, die Witze über ihn erzählten…

    Grins1

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