Neue Musik – wie präsentieren?

  • Hartmann hatte fest vor, definitiv die letzten zwei Zeilen ohne Musik sprechen zu lassen:

    „Es ist ein Ende der Welt !

    Das Traurigste von allen!“

    Allerdings wollte er die anderen Zeilen davor ab „Und die Sonne brennt…“ noch vertonen, was er aber nicht mehr schaffte.

    Ja, das hatte ich sehr verkürzt wiedergegeben. Eine Primärquelle, aus der diese Absicht Hartmanns hervorgeht, habe ich allerdings bisher nicht gefunden. Auch ist mir nicht klar, ob tatsächlich die unbegleitet gesprochenen Worte der Abschluss des Stückes sein sollten oder ob das Orchester das letzte Wort hätte haben sollen. Auf der Website der Bayerischen Staatsbibliothek findet sich ja der digitalisierte Nachlass Hartmanns, u.a. die Musikautographen zur Gesangsszene, aber mir zumindest geben die keinen Aufschluss zu dieser Frage. Davon unabhängig ist es bemerkenswert, wie gut der gesprochene Schluss auch in der jetzigen Form "funktioniert".


    Was den Illés betrifft: Nach dem Xenakis hat es wohl jedes Stück schwer, im Konzert hat das Stück trotzdem auf mich gewirkt, eben als Nachklang mit eher ins Innere gerichteten Erschütterungen und diesen brüchigen Klängen, die durch die besonderen geforderten Spielanweisungen sowohl für die Streicher als auch die Bläser entstehen. Dieser Eindruck hat sich bei mir auch beim Anhören der Aufnahme wieder hergestellt, aber vielleicht nur, weil ich die Wirkung des Live-Erlebnisses erinnern konnte. Auf Youtube gibt es einige Sachen von ihm, u.a. das gemeinsam mit Lég-szín-tér zu einer Trilogie gehörende Tér-szin-tér. Diese setze ich auf jeden Fall auf meine Hörliste für die nächsten Tage.

  • Hartmann hatte fest vor, definitiv die letzten zwei Zeilen ohne Musik sprechen zu lassen:

    „Es ist ein Ende der Welt !

    Das Traurigste von allen!“

    Allerdings wollte er die anderen Zeilen davor ab „Und die Sonne brennt…“ noch vertonen, was er aber nicht mehr schaffte.

    Ja, das hatte ich sehr verkürzt wiedergegeben. Eine Primärquelle, aus der diese Absicht Hartmanns hervorgeht, habe ich allerdings bisher nicht gefunden. Auch ist mir nicht klar, ob tatsächlich die unbegleitet gesprochenen Worte der Abschluss des Stückes sein sollten oder ob das Orchester das letzte Wort hätte haben sollen. Auf der Website der Bayerischen Staatsbibliothek findet sich ja der digitalisierte Nachlass Hartmanns, u.a. die Musikautographen zur Gesangsszene, aber mir zumindest geben die keinen Aufschluss zu dieser Frage. Davon unabhängig ist es bemerkenswert, wie gut der gesprochene Schluss auch in der jetzigen Form "funktioniert".

    Ich habe mir das Manuskript angesehen. Die gedruckte Partitur hört drei Takte vorher auf, da diese im Manuskript offensichtlich unvollständig sind. Was die Frage des unbegleiteten Sprechens der letzten Textilien angeht, habe ich auch kein offizielles Statement Hartmanns gefunden. Aber in der LP-Wergo-Box der GA der Sinfonien inkl. Gesangsszene schreibt Ulrich Dibelius:

    Zitat

    [...] dessen letzte 9 Zeilen Hartmann nicht mehr komponieren konnte, doch sollten die beiden Endzeilen ohnehin - nach seiner Anweisung - gesprochen werden: Es ist ein Ende der Welt! Das Traurigste von allen!


    in: Hartmann: 8 Sinfonien • Gesangsszene, WERGO 60086, Begleittext von U. Dibelius

    Gleiches schreibt Andrew McCredie:

    Zitat

    [...] Dieser Text wird normalerweise gesprochen, denn die Worte Es ist ein Ende der Welt! Das Traurigste von allen! hätte Hartmann ohnehin sprechen lassen, auch wenn er die Partitur hätte vollenden können.


    A.D. McCredie, Das Instrumentalschaffen K.A. Hartmanns, in: Komponisten in Bayern, Band 27: Karl Amadeus Hartmann, Schneider/Tutzing, 1995, S. 168

    Daraus geht zwar nicht eindeutig hervor, dass nach diesen Sätzen kein musikalischer Epilog folgen sollte, aber es erscheint mir doch sehr logisch und offensichtlich. Ein orchestraler Schluss würde hier die Wirkung mindern. Und es führt ja auch zurück zum rezitativhaften Beginn des Textes, wo die Singstimme immer unbegleitet singt.

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Danke, dass du das noch mal aufgeführt hast, leverkuehn.


    Das

    Daraus geht zwar nicht eindeutig hervor, dass nach diesen Sätzen kein musikalischer Epilog folgen sollte, aber es erscheint mir doch sehr logisch und offensichtlich. Ein orchestraler Schluss würde hier die Wirkung mindern. Und es führt ja auch zurück zum rezitativhaften Beginn des Textes, wo die Singstimme immer unbegleitet singt.

    erscheint mir absolut schlüssig und vermittelt sich bei der Aufführung auch genau so. (Das Gerharher-Gespräch habe ich mir jetzt auch angeschaut. Wunderbar, wie genau er die Beziehung von Text und Musik reflektiert.)

  • Ich habe noch etwas Interessantes zum Schluss der Gesangsszene gefunden. In einem Interview mit Ingo Metzmacher erläutert dieser eine kleine „Retusche“, die er für gerechtfertigt hält:

    Zitat

    Es ist bekannt, dass er die letzten beiden Textzeilen ohne Musik sprechen lassen wollte […]. Der vom Komponisten beabsichtigte enorme Effekt scheint mir aber in der gängigen Fassung nicht gegeben, da der diesen Zeilen vorangehende Text, den der Komponist nicht mehr vertonen konnte, ebenfalls gesprochen wird. Ich habe deshalb eine kleine Retusche am Ende des Werkes vorgenommen. Da die Musik, über welcher der Komponist starb, mit einem riesigen fortissimo abbricht, habe ich mir erlaubt, diesen Ausbruch in einem leisen Wirbel der großen Trommel und im Becken ausklingen zu lassen - eine Schlagzeugkombination, die auch zuvor mehrfach verwendet wird. Dieser Nachklang, zu dem der Sänger spricht, bricht dann vor den letzten zwei Zeilen des Textes plötzlich ab.


    aus: „Vergessene Größe“, Artikel in FonoForum 1/1994, S. 20

    Das erscheint mir sehr spannend und ich hätte diesen Effekt gerne einmal gehört. Ich besitze zwar die 3er-Box mit den Sinfonien unter Metzmacher, da ist aber die Gesangsszene nicht dabei. Es muss ja aber wohl eine Aufnahme gegeben haben auf Grund des Interviews. Aber als ich jetzt bei Idagio, Qobuz, jpc und amazon nach der Gesangsszene gesucht habe, bin ich mehr oder weniger komplett ins Leere gelaufen. Es gibt praktisch keine Aufnahme (außer der mit Kubelik/FiDi)…


    Oder kann mir da jemand helfen ?? :tee1:

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Ja, er ist tief, der Graben zwischen der zeitgenössischen Musik (und damit meine ich nicht die Musik der ersten Hälfte des 20. Jhds.) und ihren potenziellen Hörenden.

    M.E. ist der Graben zwischen NWS-Mucke und Auditorium kaum bzw. bloß unwesentlich geringer ... :( die Reinzieh-Hürden von geilen Mucken wie Bergs 3 Orchesterstücken, Schönbergs Streichtrio, Nonos Streichquartett oder Lachenmanns Streichquartett 1.0 (Gran Torso) dürften gleichermaßen hoch sein ...

    - der theoretische Unterbau zum einen oder anderen Werk ist ziemlich komplex und bedarf der Erläuterung. Einmal Hören ist da etwas dünn.

    - wer an einer Bestätigung seines Weltbildes durch Kunst interessiert ist, kommt bei zeitgenössischer Musik nicht unbedingt auf seine/ihre Kosten.

    Erläutern. Erklären. Vermitteln. Brücken bauen.

    Beides gilt auch für sog. traditionelle Mucke ... checken meine Löffel alle Beziehungen nach 1. Reinziehn von Brahms Sinfonie Nr. 4 ? In einem Live-Konzert spielte Igor Levit zunächst Beethovens Diabelli-Variationen und dann die zeitgenössischen Variationen von Rzewski (The People United Will Never Be Defeated!). Das Auditoroum schien generell mit Beethoven-Mucke Schwierigkeiten zu haben, aber nicht mit der Rzewskis ...

    Ist nicht gute Kunst vor allem Ausdruck der Zeit, in der sie entsteht? Interessiert uns das nicht?

    Bzw. mit welchen Erwartungen ziehn generell Hörer sich Mucke rein ? Mein Brägen findet bisher keine Antwort ...

    Letztlich muss das Publikum es goutieren.

    Einerseits stimmt mein Brägen dem zu.

    Andererseits Risiko, dass "durchgesetze" Avantgarde Mucke ihren Stachel dabei verkackt. Sie geriete dann in easy integrierbaren Modus ... Alban Berg fürchtete das, indem ihm der Erfolg seines Wozzecks skeptisch rüberkam ...

    Drohende Gefahr von Negativitätsverlust bei "durchgesetzter" Neuen Mucke, wie dieser beim "durchgesetzten" Mahler lauert. Andererseits meinte mal Jens Malte-Fischer, dass Mahlers Mucke das aushält ... mein Brägen ist da gar nicht sich sicher ...

    "Erläutern. Erklären. Vermitteln. Brücken bauen...." Ja.Unbedingt. :jaja1: Und dabei simultan diese Probleme/Schwierigkeiten deutlich rüberwachsen lassen ...

    Die Beauptung, dass Avantgarde-Mucke easy zugänglich, nicht widerspenstig rüberkäme, vollzöge m.E. an ihr Bärendienst ...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Ich habe noch etwas Interessantes zum Schluss der Gesangsszene gefunden. In einem Interview mit Ingo Metzmacher erläutert dieser eine kleine „Retusche“, die er für gerechtfertigt hält:

    Das ist wirklich sehr interessant. Erstmal natürlich insofern, als ein vertrauenswürdiger Gewährsmann wie Metzmacher den Schluss der nur gesprochenen Worte ohne Orchesteranteil bestätigt. Und dann scheint mir auch die Begründung Metzmachers für die Retusche sowie (auf dem Papier) sein Vorschlag dazu ziemlich plausibel. Das würde ich auch sehr gerne mal hören. Leider geht es mir wie dir und ich finde keine Aufnahme. Auch auf Spotify gibt es zwar die Symphonien in seiner Aufnahme und in der der Netherlands Radio Philharmonic (an der er auch beteiligt war), aber die Gesangsszene nicht mal in der FiDi-Aufnahme.

  • Außer der Aufnahme mit Rafael Kubelik gibt es noch eine Live-Aufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau:

    (AD: August 1982 & August 1984, Felsenreitschule und Kleines Festspielhaus, Salzburg)


    Dann gibt es noch die Aufnahme mit Siegmund Nimsgern:

    (AD: Februar & Oktober 1992, Kulturraum, Bamberg)


    Und dann die Aufnahme mit Ingo Metzmacher:

    (AD: Mai 1997, Sinfonie an der Regnitz, Bamberg)

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Noch eine kleine Korrektur zu diesen Angaben, leverkuehn:

    Ich habe noch etwas Interessantes zum Schluss der Gesangsszene gefunden. In einem Interview mit Ingo Metzmacher erläutert dieser eine kleine „Retusche“, die er für gerechtfertigt hält:

    Zitat

    [...]

    aus: „Vergessene Größe“, Artikel in FonoForum 1/1994, S. 20

    Ich habe den genannten Artikel downgeloaded. Im Vorspann des Interviews wird zwar die Metzmacher-Aufnahme auch genannt, das Interview wird aber mit Karl Anton Rickenbacher geführt. Die Aufnahme mit der Retusche müsste also die von Lionel auch gepostete Nimsgern-Aufnahme sein.

  • Danke für die Korrektur, Peter Jott. Ich muss gestehen, dass ich den Artikel zu schlampig gelesen habe und mich nur am Wort „Gesangsszene“ und der Erwähnung von Metzmacher orientiert habe. Dadurch ist mir der Name Rickenbacher komplett durch die Lappen gegangen, obwohl ich gesucht hatte nach einer expliziten Nennung des Gesprächspartners ape01 ape01 .

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Ich musste auch sehr genau schauen, um es zu merken (sehr unübersichtliches Layout). Ich meine mich zu erinnern, dass diese Rickenbacher-Aufnahme in Bezug auf die 2. Symphonie hier und in anderen Foren ggü. der ersten Metzmacher-Aufnahme (die ja bei vielen nicht so gut wegkam) sehr gelobt wurde. Bedauerlich also, dass es zu keiner Fortsetzung kam (2014 ist er gestorben).

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