Mir ist es die letzten Tage mit Felix´ Impuls der Woche so gegangen:
Bin erstaunt, wie so ein Werk doch bei einigen so gar nicht ankommt.
Bei mir: Da werden zunächst Erinnerungen wachgerufen. Nikolaus Harnoncourt hätte 2016 bei der Salzburger Mozartwoche die Wiener Philharmoniker dirigieren sollen, für ihn sprang Pablo Heras-Casado ein. Ein Programmpunkt war eben Felix Mendelssohn Bartholdys Der 42. Psalm "Wie der Hirsch schreit" op. 42..Mein Ö1-Höreindruck fiel damals zauberisch schön, eindringlich, naturhaft aus, feinfühlig instrumentierte Musik.
Jetzt also die Wiederbegegnung, mein Eindruck:
„Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu Dir“ singt der weich fließend komponierte Eingangschor. Wunderschön verinnerlicht folgt die Moll-Sopranarie „Meine Seele dürstet nach Gott“, im Dialog mit der Oboe. Das Sopran-Rezitativ „Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht“ leitet zur zweiten, nun belebteren Sopranarie mit Frauenchor „Denn ich wollte gern hingehen mit dem Haufen“. Wie feste Säulen, standfest, singt der Chor „Was betrübst du dich, meine Seele“, er mahnt „Harre auf Gott!“ Noch einmal bangt der Sopran in einem Rezitativ „Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir“. Der Chor versucht ihn in einem Quintett zu beruhigen, „Der Herr hat des Tages verheißen seine Güte“, doch die Sopranseele bleibt noch verunsichert. Also muss sie erneut, nun noch kräftiger, vom Chor gemahnt werden „Harre auf Gott!“, und das wird mit der Chorfuge „Preis sei dem Herrn, dem Gott Israels“ vielstimmig festlich bekräftigt.
Mit Philippe Herreweghe gibt es also zwei Aufnahmen, beide bei Harmonia Mundi France veröffentlicht. Herreweghe nahm das Werk erstmals im September 1987 auf. Es spielte damals das Ensemble Orchestral de Paris, und es sangen La Chapelle Royale, Collegium Vocale und Eiddwen Harhhy (Sopran). Für mich: Eine wunderbar ausgleichende, sehr reine, nahezu verklärend schöne Aufnahme. Im März 2022 spielte – die zweite Aufnahme - in der Berliner Philharmonie das Philharmonie Orchestre des Champs-Élysées, und hier sangen der RIAS-Kammerchor und Anna Korondi (Sopran). Herreweghe setzt so wie ich es höre dem ausgleichend Verklärenden der Ersteinspielung hier einen operndramatischeren Ansatz entgegen.
Hier auch schon genannt, ich habe die CD bestellt, vorab aus Spotify gehört: Das Label BR Klassik veröffentlichte 2017 eine CD mit Mendelssohn Psalmen. Hier dirigierte Howard Arman, es spielte das Münchner Rundfunkorchester, und es sangen der Chor des Bayerischen Rundfunks und die Sopransolistin Johanna Winkel. Die Liveaufnahme entstand am 17.12.2016 im Münchner Prinzregententheater. Hier hört sich das Werk für mich ganz wunderbar in der Balance zwischen Verinnerlichung und Leidenschaft an, geprägt vom lebendigen Orchesterspiel sowie vom Chor des Bayerischen Rundfunks und der großartgien, innig beherzten Solistin.
Und dann findet sich bei mir im Harnoncourt-Regal seit kurzem also doch auch eine Aufnahme mit Nikolaus Harnoncourt. Im September 2022 veröffentlichte das Concertgebouw Orkest auf seinem Eigenlabel eine CD-Box mit Harnoncourt-Radio-Liveaufnahmen von 1981 bis 2012. Darin enthalten ist die „Hirsch“-Konzertaufnahme aus dem Concertgebouw vom 26.4.2009, mit dem Netherlands Chamber Choir und der Sopransolistin Julia Kleiter. Diese Aufnahme habe ich ganz intensiv als Harnoncourts typische "Musik als Klangrede" gehört, also noch "opernhafter" als die zweite Herreweghe-Aufnahme.
Was mich bei der Wiederbegegnung mit Mendelssohn überhaupt wieder einmal verzaubert hat, ist diese spezielle Transparenz und Leichtigkeit, die Duchhörbarkeit seiner Kompositionen.
Da ich einen ziemlich getakteten Tagesplan habe, war es dann immer eine Wohltat, mit dem Eröffnungschor und der wunderbaren Arie mit Oboe in diese völlig andere Welt einzutauchen. Habe mich ab dem zweiten Mal gerade darauf sehr gefreut und wurde dann mit jeweils individueller Interpretation belohnt, von verklärt (Herreweghe 1) bis operndramatisch (Harnoncourt).