Ich gestehe, dass ich jetzt nicht die Fünfte im Vergleich zur Vierten von Schostakowitsch wieder gehört habe, um zu überprüfen, ob die eine im Vergleich zur anderen die Bezeichnung als propagandistisch trägt oder niccht.
Allerdings muss ich auch zugeben, dass ich nie recht verstanden habe, warum die frühere Sinfonie für das stalinistische Musikverständnis so völlig inakzeptabel gewesen sein soll, während bei der späteren sich vorgeblich alles anders verhält.
Nun gut, bei der Vierten höre ich überaus viele Anknüpfungen an Mahler - zumal an die "Wunderhorn-Sinfonien". Allerdings hängt das auch sehr von der Interpretation ab. Die russischen Dirigenten - auch wenn sie mit westlichen Orchestern spielen - gehen eher über diese Mahler-Reminiszenzen hinweg. Wigglesworth z.B. macht sie hingegen überaus deutlich. Jetzt kann man sagen, dass die Anknüpfung an Mahler für einen sowjetischen Komponisten ein Irrweg war - bürgerliche Neurasthenie ohne Orientierung an den Gesetzmäßigkeiten des Klassenkampfes usw, bla bla.
In der Fünften von Schostakowitsch gibt es diese eindeutigen Zweideutigkeiten sicherlich nicht in dem ausgeprägten Maße. Aber hat sich nicht auch Mahler weiter entwickelt? Sind seine Fünfte, Sechste, Siebte nicht auch ein Abschied von der "Wunderhorn-Welt"? Billigt man dem Vorbild einen stilistischen Wandel zu, warum sollte man dem Epigonen dasselbe als Hinwendung zum Propangandismus vorwerfen? Kommt man allerdings - mit guten Gründen - zu dem Schluß, dass das gar nicht so epigonal war, sondern sehr eigenständig, müsste die Frage beantwortet werden, was denn an Schostakowitschs Vierter so besonders abweichlerisch war, während die Fünfte sich in das System einfügt. Ich höre das jedenfalls nicht.
Wenn aber tatsächlich der Wandel von einem problematischen zu einem eher "positiven" Gestus in zwei Werken Auskunft geben sollte über den propagandistischen Charakter dieser Werke, wie verhält es sich dann bei anderen Komponisten, bei denen - zumindest auf der Oberfläche - sich ähnliches vollzieht. Z.B. bei Bruckner beim Übergang von der Fünften auf die Sechste - die letztere also Propagandamusik???
Mich überzeugt das nicht. Vor allem wird bei solchen Überlegungen vernachlässigt, dass sich eben die "Gnade" eines terroristischen Systems nicht nach musikalischen Kriterien richtet - sondern nach bloßer Willkür. Dasselbe kann heute gefeiert werden, wie es morgen dem Verdikt des Abweichlertums anheimfällt. Es gibt keine Logik des Terrorismus, er lebt vielmehr auch von seiner Beliebigkeit.