Schönberg: "VERKLÄRTE NACHT", Sextett für 2 Violinen, 2 Violen und 2 Violoncelli op. 4
Liebe Musikfreunde,
"ja, am Anfang hat der Schönberg noch schöne und verständliche Musik gemacht". Ähnliche Aussagen haben wir alle wohl schon gehört. Wer Schönbergs später entwickelten Zwölftontechnik ablehnend gegenübersteht, wird sich maximal auf die wenigen Frühwerke des Komponisten beschränken müssen. Dazu mag das Streichsextett "Verklärte Nacht" gehören, das 1899, in Schönbergs Alter von 25 Jahren, für jeweils 2 Violinen, Bratschen und Violoncelli komponiert und im Verlag Dreililien 1905 veröffentlicht wurde. Das fast halbstündige Werk ist das erste "große" veröffentlichte Werk Schönbergs; davor brachte er Stücke für Gesang und Klavier heraus, nach der "Verklärten Nacht" folgte dann das ebenfalls breit angelegte Orchesterwerk "Pelleas und Melisande". Die Erstaufführung fand im März 1902 im Wien durch das Rosé-Quartett statt.
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Ich selber bin ein großer Bewunderer und Liebhaber der Musik Schönbergs, von der frühen bis zu zur späten. Die "Verklärte Nacht" ist mir dabei besonders ans Herz gewachsen; von meiner Jugend bis heute hat sie mich gefesselt.
Dem Sextett liegt ein Gedicht des deutschen Lyrikers Richard Dehmel (1863 bis 1920) aus der Gedichtsammlung "Weib und Welt" zugrunde. Wenngleich das Musikwerk seine volle Wirkung meiner Meinung nach auch ohne Kenntnis der programmatischen Vorlage, also als "absolute Musik", erzielt, ist der Aspekt der Programmusik durchaus reizvoll; und zwar nicht getragen von einem großen, vielfarbigen Orchester, wie zur Zeit der Komposition üblich, sondern von einer kammermusikalischen Streichsextettbesetzung. Schönberg stellte das Gedicht Dehmels der Partitur voran.
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Verklärte Nacht
Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain;
der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
Der Mond läuft über hohe Eichen,
kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,
in das die schwarzen Zacken reichen.
Die Stimme eines Weibes spricht:
Ich trag ein Kind, und nit von dir,
ich geh in Sünde neben dir.
Ich hab mich schwer an mir vergangen;
ich glaubte nicht mehr an ein Glück
und hatte doch ein schwer Verlangen
nach Lebensfrucht, nach Mutterglück
und Pflicht - da hab ich mich erfrecht,
da ließ ich schaudernd mein Geschlecht
von einem fremden Mann umfangen
und hab mich noch dafür gesegnet.
Nun hat das Leben sich gerächt,
nun bin ich dir, o dir begegnet.
Sie geht mit ungelenkem Schritt,
sie schaut empor, der Mond läuft mit;
ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht.
Die Stimme eines Mannes spricht:
Das Kind, das du empfangen hast,
sei deiner Seele keine Last,
o sieh, wie klar das Weltall schimmert!
Es ist ein Glanz um Alles her,
du treibst mit mir auf kaltem Meer,
doch eine eigne Wärme flimmert
von dir in mich, von mir in dich;
die wird das fremde Kind verklären,
du wirst es mir, von mir gebären,
du hast den Glanz in mich gebracht,
du hast mich selbst zum Kind gemacht.
Er fasst sie um die starken Hüften,
ihr Atem mischt sich in den Lüften,
zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.
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Arnold Schönberg war, wie er es selbst sagte, gleichermaßen von Brahms und Wagner / Strauss beeinflusst: Von Brahms (kurz zusammengefasst; wir können ja später bei Bedarf näher darauf eingehen) hinsichtlich seiner architektonischen Komponente, von Wagner / Strauss hinsichtlich der Motivbehandlung.
Ich denke, dass dies u.a. ein Grund ist, weshalb mir das Sextett so gefällt: Es ist einerseits sehr dramatisch und von großem Ausdruck, andererseits verliert es sich nicht im rein Romantisch-Emotionalen, sondern verbleibt im mehr oder weniger streng formalen Rahmen.
Ich bin gespannt, wie es Euch mit der "Verklärten Nacht" ergeht.
Schöne Grüße,
Uwe